Donald Trump hat das Treffen mit Kim Jong-un abgesagt. Diesen Text hatte ich kurz vor dieser Nachricht veröffentlicht. Ich habe ihn nun aktualisiert. Aktueller Stand: 24. Mai 2018
Monate bevor der damalige US-Präsident Richard Nixon im Winter 1972 den „großen Steuermann“ Chinas treffen sollte, begann er, alle Informationen aufzusaugen, die er über diesen Mao Zedong kriegen konnte. Er las Gesprächsnotizen, die ihm sein Außenminister Henry Kissinger überreichte, traf einen französischen Schriftsteller, der Mao selbst begegnet war, konsultierte den pakistanischen Geheimdienst, der besondere Einblicke in das kommunistische China hatte und übte sogar verschiedene Trinksprüche, die er – mit den richtigen politischen Anspielungen versehen – auf seinen Gastgeber ausbringen könnte. Dann, zwei Tage vor dem Treffen, in einer schlaflosen Nacht, nahm er Zettel und Stift und skizzierte die Wünsche und Ziele Chinas und die seines eigenen Landes. Er stellte fest: „Die Unterschiede zwischen uns und der Sowjetunion sind größer als die zwischen uns und China, wenn wir Taiwan außen vorlassen.“ Als Nixon dann nach Peking flog, half ihm diese Erkenntnis, aus dem Treffen mit Mao einen Erfolg zu machen – daran geglaubt hatten nur Wenige.
Glaubt man seinen Leuten, sollte der derzeitige US-Präsident Donald Trump bald auch auf eine historische Reise nach Asien gehen, die mindestens auf einer Stufe mit Nixons China-Trip steht und eigentlich nur mit dem Friedensnobelpreis enden kann. Am 12. Juni wollte Trump in Singapur Kim Jong-un treffen, den Herrscher Nordkoreas, der noch vor ein paar Monaten damit drohte, eine US-Pazifikinsel mit seinen neu entwickelten Atomraketen anzugreifen. Gleichzeitig kündigte Trump aber ein Abkommen auf, in dem sich der Iran verpflichtet hat, sein Atomprogramm einzufrieren. Das wirkte widersprüchlich von Anfang an, nun hat Donald Trump dieses Treffen abgesagt.
Das ist eine kluge Entscheidung. Diesem Treffen überhaupt zugestimmt zu haben, ist es nicht. Warum beschreibe ich hier:
1. Der eigentliche Taktgeber war von Anfang an Kim Jong-un – das Treffen wäre eine Belohnung für ihn gewesen
Wer nur kurz hinschaut, könnte glauben, dass die US-Regierung selbst bei der Annäherung mit Nordkorea Regie führt. Aber der Schein trügt. Hinter dem möglichen Gipfeltreffen in Singapur steckte kein großer Plan von Donald Trump, auch nicht von seinem Sicherheitsberater John Bolton oder seinem Außenminister Mike Pompeo. Es war das Ergebnis geduldiger nordkoreanischer Atompolitik, eines Regierungswechsels in Südkorea – und von Trumps Narzissmus. Denn der US-Präsident drohte noch im vergangenen Jahr, dass Nordkorea „Feuer und Zorn“ Amerikas zu spüren bekommen werde. Was geschah in der Zwischenzeit?
Die US-Regierung glaubt, dass ihre Politik des „maximalen Drucks“ erfolgreich gewesen sei – das ist aber unwahrscheinlich, da Nordkorea diesen Druck schon seit mehr oder weniger 30 Jahren spürt. Wahrscheinlicher ist, dass Kim schlicht sein Ziel erreicht hatte: Er konnte die USA direkt mit seinen Atomraketen bedrohen, oder jedenfalls mussten die USA das annehmen.
Aus dieser Position der Stärke heraus wollte er verhandeln. Er stimmte dem Vorschlag Südkoreas zu, bei den Winterspielen mit einem gemeinsamen Team aufzulaufen. Er übermittelte dem südkoreanischen Sicherheitsdirektor seinen Wunsch, die koreanische Halbinsel zu denuklearisieren und irgendwann den US-Präsidenten zu treffen. Die Südkoreaner trugen diesen Wunsch an Donald Trump heran – und der sagte plötzlich zu. Als Trump kürzlich auf einer Pressekonferenz gefragt wurde, ob er für den Friedensnobelpreis in Frage käme, antwortete er:
„Viele Leute glauben das.“
Kurz danach veröffentlichte die nordkoreanische Nachrichtenagentur ein Statement, in dem sie den Gipfel und den bisherigen Annäherungsprozess mit Südkorea komplett in Frage stellte. Angeblich, um gegen eine (jährlich stattfindende) Militärübung zu demonstrieren. Experten gehen aber davon aus, dass Kim den Preis erhöhen will, den Trump für diesen Frieden zahlen muss.
Ja, richtig gelesen. Den Trump zahlen muss.
Denn der hatte so viel politisches Kapital in dieses Treffen investiert, dass es eigentlich nicht mehr schiefgehen durfte. Nam Sung-wook, ein Nordkorea-Experte, sagte: „Wegen der bevorstehenden Kongresswahlen, den Ermittlungen wegen Russland und der Aussicht auf ein Amtsenthebungsverfahren will Trump, dass ihm die internationale Politik innenpolitisch in die Hände spielt. Im Vergleich zu seinen Vorgängern Clinton, Bush und Obama beeilt er sich ziemlich.“
Trump hatte Kim in einem seiner Tweets auch einmal einen „Verrückten“ genannt. Dieser „Verrückte“ führte ihn an der Nase herum. Trump begann das selbst zu ahnen und plötzlich, seine Experten mit Fragen zu Kims Verhalten zu traktieren und das ganze Treffen in Frage zu stellen. Was nun nach der Absage passiert, ist offen.
2. Trump hatte in Sekundenschnelle mit Jahrzehnten der Nordkorea-Politik gebrochen – ohne einen besseren Plan zu haben
Alles, was es dafür brauchte, war die Bitte um ein Treffen. Diese Bitte hatte Nordkorea schon oft vorgetragen, weil es das Regime von Kim legitimieren würde. Immer wieder hatten die USA so ein Treffen abgelehnt, weil sie zuerst Zeichen einer Abrüstung sehen wollten. Trump hat nun plötzlich zugesagt, weil … Ich habe keine schlüssige Begründung gefunden.
Meine Vermutung: Trump hat zugesagt, weil er einfach mal etwas anderes machen wollte und ihm der Gedanke gefiel, in Singapur den Weltfrieden zu sichern (Stichwort Nobelpreis).
https://twitter.com/realdonaldtrump/status/914565910798782465?lang=de
Wie genau er das bewerkstelligen wollte? Unklar. Dem US-Außenministerium fehlt es an Korea-Experten, die Botschafter-Stelle in Südkorea ist seit mehr als einem Jahr unbesetzt und die Signale, die die Regierung an Kim aussendet, widersprechen sich, selbst dann, wenn nur wenige Stunden zwischen ihnen liegen: Einerseits wünschen sich die USA eine „komplette“ nukleare Abrüstung und Gespräche über die Chemiewaffen und welche über die Bio-Waffen, andererseits scheint es manchen in der US-Regierung auch zu reichen, wenn Nordkorea die Trägerraketen verschrottet, die die USA erreichen können.
Andererseits – das ist auch wichtig – hat die US-Politik der vergangenen Jahre zu nichts geführt. „Sie steckt in der Sackgasse“, wie James Clapper, der ehemalige nationale Geheimdienstkoordinator, in einem lesenswerten Artikel in der New York Times schreibt. Mal etwas anders zu probieren, kann nicht schaden, und es sei eben die größere Seite, die da einen Schritt vorwärts machen muss. Aber, so Clapper: „Unglücklicherweise glaube ich, dass wir nicht in der Lage sind – weder auf der philosophischen noch auf der bürokratischen Ebene –, diesen Wandel zu vollziehen. Aber ich hoffe wirklich, dass uns unser Präsident überraschen wird.“
3. Nordkorea und die USA benutzen zwar die gleichen Worte, aber sie reden aneinander vorbei – keine gute Grundlage für Verhandlungen
Für Trump ist völlig klar, worum es in den Verhandlungen mit Nordkorea geht: „Sie verschrotten ihre Atomwaffen, sehr einfach.“ Für Nordkorea auch: „Das ist kein Ausdruck des Zieles, das Thema durch Dialog anzugehen.“ Auf Deutsch: Für Nordkorea geht es eben nicht um den Abbau seines ganzen nuklearen Arsenals. Für dieses Land bedeutete Denuklearisierung traditionell, dass die USA ihren nuklearen Schirm über Ostasien zusammenklappen und sich zurückziehen.
Wenn die Ziele schon so weit auseinanderliegen, wie sollte man sich dann auf einen Plan für eine etwaige Umsetzung einigen? John Bolton, Trumps nationaler Sicherheitsberater, hatte schon vom „libyschen Modell“ gesprochen – das aus amerikanischer Perspektive sicher sehr verlockend ist, weil es dazu geführt hat, dass der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi innerhalb von sechs Monaten sein komplettes Atomprogramm abbaute. Aus nordkoreanischer Perspektive ist aber das Ende dieses Abkommens entscheidend: In einer libyschen Gosse endete die Herrschaft Gaddafis, nachdem die westlichen Länder seine Armee angegriffen hatten.
4. Iran schaut sich das mit Nordkorea ganz genau an – denn beide Länder treibt die gleiche Furcht vor dem “Regime Change” um
Falls man in Teheran einigermaßen verwirrt ist, ist das verständlich. Denn Trump belohnt aus Sicht der Iraner das Atomprogramm Nordkoreas mit einem Gipfeltreffen, aber bestraft sie selbst dafür, sich an das Atomabkommen aus dem Jahr 2015 zu halten. Dieses Abkommen sieht vor, die Zahl der iranischen Zentrifugen zu reduzieren, die Uran-Anreicherung auf ein Maß zu begrenzen, das nicht atomwaffengeeignet ist, 9,7 Tonnen Uran aus dem Land zu schaffen und das Ganze sehr detailliert zu überwachen. Gleichzeitig hat natürlich wiederum auch Kim registriert, was die Zusagen der USA in Atomfragen wert sind. Wenn Trump sich also jetzt nicht mit Kim trifft, sendet das auch ein zumindest nicht widersprüchliches Signal an den Iran.
Um es mit anderen Worten zu sagen: Trump will aus einer viel schlechteren Ausgangsposition ein besseres Abkommen herausholen. Dabei hat Trump ja recht, wenn er das Verhalten Irans in der Region und die politische Unterdrückung in dem Land kritisiert. Aber um diese Probleme anzugehen, wäre es klüger gewesen, das bestehende Abkommen auszubauen, als es komplett aufzukündigen und so die europäischen Partner zu verprellen.
Diejenigen, die im Moment die Außenpolitik der USA bestimmen, sprechen schon lange, manche schon seit fast zwei Jahrzehnten davon, die theokratisch-islamische Regierung im Iran zu stürzen. Der “Regime Change” ist wieder da.
John Bolton warb 2007 für einen Angriff auf Iran. Und Pompeos Positionen laufen auch darauf hinaus. Zum Vergleich: Barack Obama betrieb in der Region eine illusionslose „minimalistische“ Außenpolitik, die das Ziel hatte, die größte Gefahr (eine nukleare Aufrüstung des Iran) zu verhindern.
Eine wichtige Rolle bei der Formulierung der neuen US-Außenpolitik spielte der Think-Tank Foundation for Defense of Democracies. Dessen Vorsitzender Mark Dubowitz sprach insgesamt 17-mal vor dem Kongress zum Iran. In Washington gilt er als einer der schärfsten Kritiker des Abkommens. Sein Think-Tank steht laut New York Times der regierenden Likud-Partei von Benjamin Netanjahu nahe. Der wiederum den Iran für die größte Gefahr im Nahen Osten hält und seit Langem die USA bedrängt, einen schärferen Kurs gegenüber Teheran einzuschlagen.
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Trumps zweitwichtigstes Ziel in der Außen- und Atompolitik scheint zu sein, die große Macht Amerikas zu demonstrieren. Das wichtigste Ziel ist für ihn aber: seinen „Ruhm“ zu mehren. Sollte das nicht gelingen, könnte die Welt ein Problem bekommen, wie der Nuklearexperte Jeffrey Lewis schreibt: „Was passiert, wenn Trump Kim Jong-un beschuldigt? Wenn er zu dem Schluss kommt, dass Kim ihn in die Irre geführt hat? Das könnte sehr gefährlich werden, es kommt darauf an, wer der Schuldige ist. […] Das Einzige, was wir sicher wissen ist, dass Trump die Schuld nicht bei sich suchen wird.“
Redaktion: Sebastian Christ. Schlussredaktion: Susan Mücke. Fotoredaktion: Martin Gommel. Aufmacherfoto: Wikipedia/White House