Wie Afrin kampflos an die Türkei fiel

© Pawel Pieniazek

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Wie Afrin kampflos an die Türkei fiel

Auf der Suche nach glaubwürdigen Informationen über den Kampf um das syrisch-kurdische Afrin hat unser Autor Lars Hauch in den vergangenen Monaten eng mit dem polnischen Journalisten Pawel Pieniazek zusammengearbeitet. Pieniazek ist als Kriegsberichterstatter vor Ort. Er erlebte den türkischen Angriff auf die Stadt unmittelbar mit. Gemeinsam haben sie diesen Text geschrieben, der aus Pieniazeks Perspektive vom Machtpoker der Großmächte in Syrien erzählt.

Profilbild von von Lars Hauch und Pawel Pieniazek

Während die Granaten der türkischen Artillerie immer näherkommen, tanzen die Menschen. Sie haben Feuer entzündet und beschwören in Sprechchören den Widerstand gegen die vorrückende türkische Armee und die mit ihr verbündeten syrischen Rebellen. Sie sind Anhänger der YPG, einer kurdischen Miliz, die in der syrischen Region Afrin den Ton angibt. Sie sagen: „Wir sind menschliche Schutzschilde.“

Doch als am 18. März die türkischen Panzer durch Afrins Innenstadt rollen und syrische Rebellen die Geschäfte und Wohnhäuser plündern, kämpft niemand „bis zum letzten Tropfen Blut“. Afrin fällt kampflos, die Türkei beherrscht nun Syriens Nordwesten.

Was passierte in dieser einen Woche in Afrin wirklich? Warum kämpfte niemand? Ich war in der Stadt, als die ersten türkischen Granaten fielen, als der Belagerungsring zugezogen wurde. Ich floh mit kurdischen YPG-Einheiten, als die Panzer schließlich kamen. Das ist mein Bericht.

Wie ich nach Afrin gelangt bin

Nachdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Mitte Januar den Beginn der sogenannten Operation Olivenzweig erklärt hatte, wollte ich nach Afrin reisen. Zuvor hatte ich aus den anderen Teilen „Rojavas“ berichtet. So nennen die Kurden die von ihnen kontrollierten Gebiete im Norden Syriens. Afrin liegt ganz im Nordwesten des Landes, isoliert von den übrigen Teilen Rojavas. Um dorthin zu gelangen, brauchte ich die Erlaubnis der YPG-Miliz – doch die verbot Journalisten anfangs die Reise. Schließlich durfte ich doch fahren. Ich war Teil eines Konvois von etwa 50 Fahrzeugen, der Unterstützer der YPG-Miliz aus allen Teilen Rojavas nach Afrin transportierte.

Unser Weg führte uns durch Gebiete, die das Assad-Regime kontrolliert. Bei unserem ersten Halt an einem Checkpoint stieg ein Soldat in unseren Bus. Er eskortierte uns bis nach Afrin und achtete darauf, dass niemand den Bus verließ.

Das Verhältnis zwischen dem Assad-Regime und der YPG-Miliz ist kompliziert. Im Frühjahr 2012 zog sich zwar die syrische Armee aus Nordsyrien zurück und überließ der kurdischen YPG-Miliz das Feld. Im Gegenzug beteiligte sich die YPG wiederum nicht am Aufstand gegen das Assad-Regime. Verbündete sind die beiden Parteien aber dennoch nicht.

Jahrelang unterdrückte die syrische Regierung die Kurden. Andererseits unterstützte sie sie auch in den 1990er Jahren. Damals kämpften die Milizen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gegen den türkischen Staat, der brutal gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei vorging. Die syrische Regierung bot tausenden PKK-Kämpfern einen sicheren Rückzugsraum im Norden des Landes.

Aus genau diesen PKK-Kämpfern ist die heutige YPG-Miliz hervorgegangen. Noch heute haben sie Verbindungen zum Assad-Regime. Für Präsident Baschar al-Assad wiederum hat die Kurdenfrage keinerlei Priorität, da er im Moment noch mit unzähligen Rebellengruppen kämpfen muss. Diese etwas verworrene Geschichte hatte für die Bürger Afrins eine sehr erfreuliche Folge: Sie waren von Luftangriffen des Regimes verschont geblieben.

Afrin liegt im wohl schönsten Teil von Rojava. Die Landschaft ist – anders als die Wüsten im Osten – bergig und grün. Hügelketten mit scheinbar endlosen Olivenhainen umringen die Stadt. Das Leben in Afrin nahm trotz des sich zuspitzenden Konflikts seinen Lauf. Die unzähligen Cafés und Restaurants in den Straßen waren gut besucht, die Regale in den Supermärkten voll. Nur hin und wieder blickte jemand in den Himmel, wenn Flugzeuglärm zu hören war.

Aber die belebten Straßen konnten Anfang März nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Alltag der Menschen in Afrin von Sorge bestimmt war. Alle, mit denen ich mich länger unterhielt, hatten Angst vor dem Krieg, sie fragten sich, was aus ihren Häusern und Familien werden würde, wenn die türkische Armee anrückt. Aber die meisten rechneten mit einem erfolgreichen Widerstand der YPG gegen die türkische Offensive.

Denn die YPG hatte innerhalb der letzten Jahre umfangreiche Verteidigungsstellungen errichtet. Die Gräben, die die gepanzerten Fahrzeuge von Invasoren aufhalten sollten, waren mehrere Meter breit und tief. In den Bergen rund um Afrin hatte die YPG zahlreiche Bunkeranlagen gebaut. Tausende Kämpfer der Kurdenmiliz hielten sich in der Stadt auf und demonstrierten Stärke. Und eine Flucht in Gebiete des Assad-Regimes kommt für die meisten Männer sowieso nicht infrage. Sie müssen fürchten, dann ins Militär eingezogen zu werden.

Während ich diese Gespräche führte, erlitt die YPG im Umland von Afrin Niederlage um Niederlage.

Die Rache der syrischen Rebellen

Der militärischen Übermacht der türkischen Koalition hatten die leicht bewaffneten Milizen rund um Afrin nichts entgegenzusetzen. Die türkische Armee setzte bei ihrer Offensive dutzende Kampfflugzeuge, schwere Artillerie sowie Kampf- und Schützenpanzer ein. Darunter auch Leopard-Panzer aus deutscher Produktion. Unterstützung am Boden erhielt sie durch die sogenannte syrische Nationalarmee, eine Rebellenarmee, die von der Türkei ausgerüstet und kontrolliert wird.

Formiert hat sich diese Nationalarmee infolge der türkischen Offensive „Euphrat Schild“: Im August 2016 hatten türkische Panzer die syrische Grenze nur 100 Kilometer östlich von Afrin überquert. Gemeinsam mit syrischen Rebellen vertrieben sie den sogenannten Islamischen Staat (
IS)
aus den Gebieten westlich des Euphrats und stießen rund 50 Kilometer ins Landesinnere vor. Seither kontrolliert die Türkei gemeinsam mit ihren verbündeten Rebellen ein 2.225 Quadratkilometer großes Gebiet. Das hatte einen für die Türkei entscheidenden Nebeneffekt: Sie konnte verhindern, dass die YPG-Miliz das isolierte Afrin mit den restlichen Teilen Rojavas verbinden konnte. Für die Regierung in Ankara ist die YPG-Miliz eine Terrororganisation, die vernichtet werden muss.

Anderthalb Jahre nach Operation „Euphrat Schild“ hat die Türkei der Nationalarmee im Januar 2018 schließlich grünes Licht gegeben, in Richtung Afrin zu marschieren. Die Rebellen ließen sich nicht lange bitten. Sie hatten nicht vergessen, wie sie zwei Jahre zuvor von der YPG angegriffen wurden, und wie die YPG jubelnd die Leichen Dutzender Rebellen auf der Ladefläche eines Lkw in Afrin präsentierte. Den Rebellentruppen und den regulären türkischen Armeeverbänden hatte die YPG-Miliz nun aber nur wenig entgegenzusetzen.

Die Schlinge um Afrin zog sich zu. Die Stadt wurde belagert. Es veränderte sich die Stimmung auf den Straßen. Bis dahin hatten die Menschen auf ein Wunder gehofft: Auf den erfolgreichen Widerstand der YPG-Miliz, oder ein Eingreifen der USA oder Russlands. Aber Russland hatte sich schon längst entschieden, wie es sich in dieser Schlacht verhalten wollte.

Kurdische Aktivisten tanzen im Dorf an der Front.

Kurdische Aktivisten tanzen im Dorf an der Front.

Warum Russland der Türkei grünes Licht gab

Seit Ende des Jahres 2014, als die YPG-Miliz in der syrisch-türkischen Grenzstadt Kobane erbitterten Widerstand gegen den IS geleistet hatte, hatten die USA Waffen im Wert von mehreren hundert Millionen US-Dollar an die YPG-Miliz geliefert. Die YPG wurde zu Washingtons Verbündeten Nummer eins und drängte den IS immer weiter zurück. Nach der Rückeroberung von Raqqa, der ehemaligen Hauptstadt des IS, rückte die YPG mit den von ihr dominierten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) sogar bis zur letzten Hochburg der Dschihadisten im östlichen Deir ez-Zor vor. Die YPG und ihr politischer Arm waren plötzlich mächtiger als viele es je für möglich gehalten hätten. Für die türkische Regierung, deren Friedensprozess mit der PKK 2015 scheiterte, stellte dieses von der YPG-Miliz beherrschte Autonomiegebiet an den eigenen Grenzen eine Provokation sondergleichen dar. Doch auf die türkischen Appelle und Warnungen reagierten weder die USA noch die YPG.

So fasste die Regierung in Ankara im Sommer 2017 endgültig den Entschluss, militärisch gegen die YPG vorzugehen und dabei gleichzeitig das eigene Gewicht im Machtpoker um die Zukunft Syriens zu erhöhen. Afrin, die isolierte Enklave im Nordwesten, bot sich dabei aus zwei Gründen als Ziel an. Erstens waren in Afrin, im Gegensatz zu den anderen Gebieten Rojavas, keine US-Soldaten stationiert. Zweitens grenzt die Region Afrin and die strategisch wichtigen Provinzen Aleppo und Idlib, in denen mit der Türkei verbündete Rebellengruppen operieren.

Für die Offensive auf Afrin war allerdings die Absprache mit der russischen Regierung erforderlich. Denn Russland kontrollierte den Luftraum über der Region und hatte Militärpolizisten nordöstlich der Stadt stationiert. Warum ließ Russland – das den Kollaps des Assad-Regimes im Oktober 2015 mit seiner Militärintervention verhindert hatte – die türkische Regierung gewähren?

Die genaue Antwort kennt nur die russische Regierung, doch einige Indizien sprechen für sich: Einerseits geht es um die an Afrin angrenzende Provinz Idlib, die zu einem Sammelbecken für syrische Rebellengruppen, Islamisten und Dschihadisten geworden ist. Das Assad-Regime hatte in den vergangenen Monaten versucht, Teile der Provinz zu erobern. Kurz vor Beginn von „Operation Olivenzweig“ starteten mit der Türkei verbündete Rebellen jedoch einen Gegenangriff.

Diese Rebellen verfügten auch über türkisches Militärgerät und zeigten deutlich, welchen Schaden die Rebellen den geschwächten Truppen des Assad-Regimes zufügen könnten, wenn sie grünes Licht aus Ankara bekämen. Am Tag des Beginns von „Operation Olivenzweig“ fand die Rebellenoffensive jedoch endgültig ihr Ende, und die syrischen Truppen eroberten ohne Gegenwehr einen wichtigen Militärflughafen. Offenbar hatte die Türkei der Eroberung im Gegenzug für freie Hand in Afrin zugestimmt.

Darüber hinaus sind die Beziehungen zur Türkei für die russische Regierung in vielerlei Hinsicht von großer Bedeutung. Nicht nur bezogen auf Syrien, wo die Türkei die vom Kreml organisierten Verhandlungen in Sotschi unterstützt, sondern auch in Zusammenhang mit der „Turkish-Stream“-Pipeline, die russisches Gas über die Türkei bis nach Europa leiten soll.

Als die YPG-Miliz also Mitte Januar 2018 das russische Angebot, Afrin an das Assad-Regime zu übergeben, abgelehnt hatte, fiel die Entscheidung des Kremls zugunsten der Türkei aus. Für die Menschen in Afrin wurde Russland damit gleichermaßen zum Feind wie die Türkei. Für sie ist der russische Präsident Wladimir Putin ein Verräter. Wenn ich mit ihnen sprach und meinen polnischen Namen nannte, fragten mich viele, ob ich Russe sei. Ich glaube nicht, dass sie mich angegriffen hätten – aber der Zorn gegen Russland war allgegenwärtig.

Der Kollaps der YPG-Miliz

Mitte März, als der Fall von Afrin besiegelt schien, versuchten mehr und mehr Menschen, die Stadt zu verlassen. Aber die YPG-Miliz hatte die Checkpoints geschlossen. In den Supermärkten gab es kein abgefülltes Wasser mehr. Überall zurrten die Menschen ihr Hab und Gut auf Autos, Minibusse und Traktoren. Sie sagten mir, sie wüssten nicht, wohin sie gehen könnten. Schließlich öffnete die YPG-Miliz doch die Checkpoints und ließ die Menschen ziehen. Vielleicht lag es an der schieren Masse von Menschen, die gehen wollte. Aber wahrscheinlicher ist, dass die YPG-Miliz zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden hatte, die Stadt nicht zu verteidigen.

Bis heute weiß niemand genau, warum sich die Miliz dafür entschieden hat. Aber wenn man es von außen betrachtet, kann man ein paar Sachen vermuten: Vielleicht wollten sie – positiv formuliert – verheerende Straßenkämpfe wie in Mosul oder Raqqa verhindern und die Zivilbevölkerung schützen. Oder vielleicht wurde ihnen auch einfach irgendwann klar, dass der Kampf aussichtslos gewesen wäre.

Als die türkische Koalition nur noch wenige Kilometer vom Stadtkern entfernt war, befand ich mich mit einigen YPG-Kämpfern und einem weiteren Journalisten in einem Haus nahe der Front. Drei der Kämpfer waren Ausländer. Unter ihnen zwei US-Amerikaner und ein weiterer, der seine Herkunft nicht preisgeben wollte. Nachdem eine Artillerie-Granate unser Haus nur knapp verfehlt hatte, wurden wir in einen Kellerraum am Rand der Stadt geschickt.

„Zafer“, ein amerikanischer Freiwilliger, der in den Reihen der YPG kämpft, sitzt nach Beschuss im Keller.

„Zafer“, ein amerikanischer Freiwilliger, der in den Reihen der YPG kämpft, sitzt nach Beschuss im Keller.

Die Situation wurde zunehmend chaotisch. Die YPG-Kämpfer hatten keine Befehle – sie wussten nicht, was sie tun sollten. Um uns herum hörten wir ständig die Einschläge von Granaten. Einige der YPG-Kämpfer sagten, sie wollten die Stadt verlassen. Ihre Sachen hatten sie bereits gepackt. Doch ohne Fahrzeuge war an Flucht nicht zu denken. So warteten wir.

Einen Tag später kam ein Mann in unseren Keller und fragte, wie viele Ausländer wir wären. „Fünf“, antworteten wir. „Drei Kämpfer und zwei Journalisten“. Der Mann sagte: „Okay, wir brechen auf“.

In den Fahrzeugen saßen vor allem ausländische Kämpfer. Die meisten waren türkische Mitglieder der Marxistisch-Leninistisch Kommunistischen Partei (MLKP), die sich der YPG-Miliz angeschlossen hatten. Viele der ausländischen Kämpfer in meinem Konvoi waren frustriert. Sie beschwerten sich, dass die YPG-Miliz in Afrin sich nicht ausreichend vorbereitet hatte und auch darüber, dass sie nicht um Afrin gekämpft hatte. Sie hatten auf einen für die Invasoren verlustreichen Häuserkampf in der Stadt gesetzt.

Als wir die Stadt verließen, fiel es mir schwer, in die Gesichter der maßlos enttäuschten Menschen zu sehen. Ihr Frohsinn, der meine Zeit in Afrin anfangs so angenehm gemacht hatte, war mit einem Mal vergangen. In den wenigen arabischen Dörfern wurden die einrückenden syrischen Rebellen von der Bevölkerung freundlich begrüßt.

Doch die Mehrheit der Menschen in Afrin fühlte sich verraten. Von Russland, das offenbar eine Vereinbarung mit der Türkei über Afrins Eroberung getroffen hat. Von den USA, die in den übrigen Teilen Rojavas eng mit der YPG-Miliz zusammenarbeiten, aber der YPG in Afrin nicht zu Hilfe eilten. Aber sie waren auch enttäuscht von der YPG-Miliz, die Afrin in Scharen verließ und den Weg für die neuen Machthaber freimachte.

Meine Flucht aus Afrin

Unser Ziel war Aqibah, ein kleines Dorf etwa zehn Kilometer von Afrin entfernt. Aqibah liegt in dem Streifen nördlich von Aleppo, der nach wie vor von der YPG kontrolliert wird. Die meisten Menschen sind in diese Richtung geflohen. Laut Angaben der UN mehr als 75.000. Entsprechend voll waren die Straßen: Für den Weg nach Aqibah brauchten wir elf Stunden. Wir fanden uns in einem Stau von völlig überladenen Fahrzeugen wieder, die es nicht die bergigen Straßen hinaufschafften.

Nach einer Nacht in Aqibah fuhren wir weiter östlich nach al-Muslimiyah. 2014 hatte dort die YPG-Miliz gegen den IS gekämpft, seither ist das Grenzgebiet zwischen YPG- und Regimeterritorium unbewohnt. Doch innerhalb von zwei Tagen war die Gegend voll mit YPG-Kämpfern und Zivilisten. Die Zustände waren chaotisch. Überall suchten die Menschen nach etwas Essbarem, nach Matratzen, nach Decken.

So unkompliziert meine Reise nach Afrin gewesen war, so schwierig war der Weg zurück in die anderen Teile Rojavas. Wieder musste ich Territorium des Assad-Regimes passieren. Dabei war ich auf die YPG-Miliz angewiesen. Hätte ich auf eigene Faust mein Glück versucht, hätte ich riskiert, verhaftet zu werden. Denn das Assad-Regime betrachtet ausländische Journalisten, die über die kurdischen Gebiete nach Syrien gereist sind, als Illegale. Die Soldaten des Assad-Regimes schienen ebenso wenig klare Befehle zu haben wie die YPG-Kämpfer rund um Afrin. Einige Ausländer wurden durch die Checkpoints gewunken, ich hingegen wurde drei Mal abgewiesen. Beim vierten Mal klappte es endlich. Ich glaube, die Wachposten wurden bestochen.

Einige YPG-Kämpfer sind in Afrin geblieben und führen einen Guerilla-Krieg gegen die neuen Machthaber. Doch die meisten sind durch die Gebiete des Assad-Regimes nach Ostsyrien entkommen. Die Konvois der YPG waren gut organisiert und wurden unter Aufsicht des russischen Militärs durch die Regime-Gebiete eskortiert.

Für den Moment haben das Assad-Regime und die YPG den gleichen Feind: die Türkei. Die türkische Offensive gegen die YPG-Miliz ist noch nicht vorbei. Und es liegt vorerst nicht im Interesse des Assad-Regimes, die YPG weiter zu schwächen. Denn für das Assad-Regime wird es künftig einfacher sein, die YPG zurückzudrängen, als von der türkischen Koalition beherrschte Gebiete zurückzuerobern. Zwar stehen die USA derzeit noch als Schutzmacht hinter der YGP-Miliz, doch die Zukunft der US-amerikanischen Präsenz in Syrien steht in den Sternen. Das Nachbarland Türkei hingegen bedroht Assads Pläne zur Rückeroberung des Landes langfristiger als die Regierung in Washington.

Einige Tage später erreiche ich gemeinsam mit tausenden YPG-Kämpfern die Stadt Kobane. Einige fühlen sich von der Politik verraten. Andere äußern keine besondere Meinung über das politische Schachspiel der Großmächte, sondern folgen ihren Befehlen. Während ich für meine Weiterreise packe, sind viele von ihnen bereits mit nichts als ihrer Kalaschnikow in Kleinbussen unterwegs zurück nach Westen. Sie bereiten sich auf die nächste Schlacht vor.


Redaktion Rico Grimm, Schlussredaktion Vera Fröhlich, Bildredaktion Martin Gommel (Alle Fotos von Pawel Pieniazek).

Pawel Pieniazek ist ein polnischer Journalist. Er schreibt für Medien wie Tygodnik Powszechny, Gazeta Wyborcza, Krytyka Polityczna und New Eastern Europe und ist freier Mitarbeiter des polnischen Rundfunks. Du findest ihn auch auf Twitter und Facebook .