Heimat ist wichtig, aber braucht kein Ministerium in Berlin

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Heimat ist wichtig, aber braucht kein Ministerium in Berlin

Ein Bundesministerium soll nun für die Heimat aller Menschen in Deutschland zuständig sein. Ich habe erforscht, was für uns Heimat ist und glaube nicht, dass dieses Ministerium seine Ziele erreichen kann, egal was der zukünftige Minister Horst Seehofer tut.

Profilbild von von Alena Dausacker

Es war vielleicht die größte Überraschung der Koalitionsverhandlungen: Deutschland bekommt ein Heimatministerium. Und das auch noch unter Horst Seehofer! Ja, mei!

Es ist nicht das erste Heimatministerium in der Republik, wohl aber das erste auf Bundesebene. Deswegen frage ich mich: Was soll diese Heimat eigentlich sein, für die es nun ein Bundesministerium gibt - und die offenbar neuerdings eine zentrale Verwaltung benötigt?

Die Idee erscheint absurd, wenn man bedenkt, dass viele Menschen ihre Heimat eher in abstrakten Räumen finden: Sie fühlen sich in ihrem sozialen Umfeld zuhause und in ihren Hobbys, in Subkulturen, in Kunst, in Sprache oder in kulturellen Praktiken jeglicher Art. Für mich ist auch das Internet zu einer Heimat geworden – die ich praktischerweise sogar in der Hosentasche mitnehmen kann. Diese imaginären Räume kann und soll die Politik niemals durchdringen und deshalb hat sie an diesem Punkt bereits all jene verloren, die ihre Heimat nicht auf einer Landkarte verorten können.

Der Heimatbegriff ist sehr eng gefasst

Aber nähern wir uns dieser Idee von Heimat einmal ganz sachlich, ganz konkret, nah an der Politik. Denn die ist es ja nun, die den Begriff runterbrechen und einrahmen will. Also: Heimat ist ein kulturelles Konzept. Wenn es Eingang in die Politik findet, kann es sich nur auf den Raum beziehen, auf dessen Kultur die Politik auch Einfluss nehmen kann. Heimat ist in diesem Sinne ein ganz realer Ort mit spezifischer Landschaft, Kultur und Problemstellung.

Bestes Beispiel: Meine Wahlheimat Ruhrgebiet. Durch den Kohleabbau und die Stahlindustrie hat sich hier eine einzigartige Kultur entwickelt. Aber auch die Herausforderungen der Region sind ganz eigene: Eine besteht zum Beispiel darin, wie man das gewaltige Ballungsgebiet von der Schwerindustrie in eine Dienstleistungsmetropole überführen kann. Eine andere liegt in der Frage, was mit dem auf Kumpelkultur begründeten Heimatgefühl passiert, wenn Ende des Jahres die letzte Zeche Prosper Haniel schließt.

Dieser Heimatbegriff ist sehr eng gefasst – aber auch weit verbreitet. Deswegen ist ein Heimatministerium auf Bundesebene ein Problem: Denn wie will eine Behörde sich einer Sache annehmen, die für jede Person etwas anderes bedeutet?

In der deutschen Rechtsgeschichte war Heimat lange ein klar definierter Begriff: Heimat war, wo ein Mensch das Heimatrecht besaß. Das Heimatrecht war im Grunde ein Aufenthaltsrecht gekoppelt mit dem Anspruch auf Sozialleistungen, sollten die Betroffenen verarmen. Dieses Recht erhielt man unter anderem qua Geburt.

Die Industrialisierung hat „Heimat” erst populär gemacht

Aber auch, wer zwei bis drei Jahre in einer Gemeinde gelebt hatte, konnte es beanspruchen – ein automatisches Bleiberecht also, das aus heutiger Sicht geradezu fortschrittlich wirkt und der Tatsache Rechnung trägt, dass Menschen ihre Heimat nicht unbedingt dort haben, wo sie geboren sind. Die soziale Verpflichtung, die das Heimatrecht für die Gemeinden bedeutete, gaben sie mit Inkrafttreten der Verfassung der Weimarer Republik 1919 an diese ab. Ab sofort war der Versorgungsanspruch also nicht mehr von Geburt oder Aufenthaltsdauer abhängig, sondern an die Staatsbürgerschaft geknüpft. Der Geburtsort verlor damit seine Bedeutung als sicherer Hafen für einen Menschen, der in Not geriet. Der Staat ist also zumindest in dieser Funktion der rechtliche Nachfolger der juristischen Heimat, wenn er auch den Begriff zunächst nicht für sich beansprucht hat.

Dank der fortschreitenden Industrialisierung hat der Begriff der Heimat allmählich eine emotionale Aufladung erfahren: Immer mehr Menschen nämlich zogen vom Land in die Stadt und der Kulturschock löste eine tiefe Sehnsucht nach dem Land und dem beschaulichen Leben in kleinen Ortschaften aus, nach malerischen Landschaften und sauberer Luft – eben das Gegenteil zur Enge und zum Schmutz der industrialisierten Stadt. Dieses Heimweh hat die Verwendung des Wortes Heimat nachhaltig geprägt. Das Erbe dieser Begriffswandlung spiegelt sich noch heute im Genre der Heimatfilme und ganz massiv in dem Heimatbild, das der Freistaat Bayern in seiner Selbstdarstellung so gern zelebriert: Dirndl, Berge, zünftige Mahlzeiten und ursprüngliche Natur.

„Der kleine Ort, wo ich das erste Licht gesogen, den ersten Schmerz, die erste Lust empfand.”

Die Inszenierung als Über-Heimat, als einzig wahres „Dahoam“, ist dabei nicht nur veraltet, sondern auch paradox: Wenn Heimat den Ort bezeichnet, an dem man sich verwurzelt fühlt, ist Heimat überall dort, wo Menschen sich gerne niederlassen. Das kann am Fuß der bairischen Alpen sein, aber genauso gut auch an der ostfriesischen Küste oder inmitten der sich nur langsam wandelnden Industrielandschaft des Ruhrgebiets, dem Heimatkitsch weiß Gott nicht fremd ist, auch wenn er radikal andere Formen annimmt als in Bayern. Die nüchterne Liebeserklärung „Woanders is auch scheiße“ verleiht einem Heimatgefühl Ausdruck, das nicht nur die Existenz anderer Heimaten anerkennt, sondern die Kritik an der eigenen Heimat – bei aller Liebe – schon vorwegnimmt.

Heimat liegt, sofern man sich diesen Begriff zu eigen machen will, immer emotional in der Biografie eines Menschen begründet. Christoph Martin Wieland dichtete schon vom „kleinen Ort, wo ich das erste Licht gesogen, den ersten Schmerz, die erste Lust empfand.“ Für mich werden der Duft der Rapsfelder, deren Blüten mir als Kind bis zum Hals reichten, der Geschmack der Walderdbeeren, die ich in unserem Garten gesammelt habe, und nicht zuletzt mein Heimatdialekt Schwäbisch immer Auslöser für heimatliche Gefühle bleiben.

Die Orte, an denen ein Mensch aufgewachsen ist, machen mit Sicherheit seine Urerfahrung des Heimatlichen aus: Sie prägen die erste Heimaterfahrung, von der sich alle weiteren ableiten, abgrenzen und ausweiten, im Positiven wie im Negativen. Damit ist Heimat ein Begriff für eine höchst individuelle Lebenserfahrung, die sich immer nur in Teilen mit der anderer Menschen überschneiden kann – einfach aufgrund der unterschiedlichen Erfahrungen.

Ein Bundesministerium für – ja, wofür eigentlich?

Eine politisierte Heimat kann deswegen immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner einer Vielzahl von Heimaten bezeichnen. Wenn man die Bedürfnisse aller Heimaten im ganzen Bundesgebiet mit in die Gleichung einbezieht, bedeutet dies, dass kaum etwas übrig bleibt, mit dem sich ein solches Ministerium konstruktiv befassen kann.

Nun könnte man als Aufgabe eines Heimatministeriums festlegen, dass es die Heimatfähigkeit aller Orte im Staatsgebiet aufrechterhalten und wiederherstellen muss. Heimatfähigkeit hieße hier, dass jeder Ort als Minimalanforderung einem Menschen die Möglichkeit bieten muss, dort eine Existenz mit einem generellen Gefühl der Zukunftssicherheit und Kontinuität aufzubauen. So hat es sich zum Beispiel auch das Heimatministerium in Bayern auf die Fahnen geschrieben: „Gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Freistaat“ will es schaffen. Nun gut. Aber die Baustellen, die sich durch dieses Bestreben auftun, sind so vielfältig, von solch unterschiedlicher Historie, Kultur und individuellen ökonomischen Faktoren abhängig, dass sich kaum ein einheitlicher Förderungsbedarf abzeichnet.

Deutschland ist kein kultureller Einheitsraum, deswegen ist die Heimatpflege und -förderung auf Landes- und Kommunalebene wesentlich besser aufgehoben als in Berlin. Als überregionales Ministerium müsste das Bundesheimatministerium allen Regionen wenn schon nicht gleichartige, dann doch zumindest gleich effektive Förderung zusichern, um nicht als Ministerium für kuriose regionale Einzelinteressen für den Rest der Republik in der Bedeutungslosigkeit zu versinken. Wie aber soll das zu schaffen sein? Heimat bedeutet für die Menschen in Bayern emotional etwas anderes als in Ostdeutschland, im Ruhrgebiet oder an der Nordsee, das Gefühl ist mit anderen Erfahrungen und Bildern verknüpft. Kulturelle Eigenheiten, Geschichte und ökonomische Faktoren können hier ganz anders Eingang in die Politik finden.

Angesichts der eklatanten Unterschiede der Regionen ist das eine Mammutaufgabe, denn allein die lokalen Bedürfnisse bis auf Dorfebene zu analysieren, festzustellen und zu sammeln, dürfte Jahre dauern – von der Erarbeitung und Bewilligung konkreter Maßnahmen ganz abgesehen.

Kann ein Staat wirklich Heimat sein?

Heimat ist also in erster Linie ein regionaler Begriff. Das Gebiet eines Nationalstaates aber ist so groß, so divers, so unübersichtlich, dass die Verbundenheit zu ihm erst aus der Distanz aufkommen kann. Im Ausland also mag die Feststellung, dass man sich in Deutschland heimisch fühlt, Sinn ergeben. Hierzulande muss man aber fragen: Welches Deutschland ist gemeint? Die Dünen von Norderney? Die Gipfel des Harzgebirges? Die A40? In Schwaben kennt man kein traditionelles Grünkohlessen, im Norden schütteln sie über die Fastnacht die Köpfe. Deutschland hatte schon immer Probleme, sich als Einheit zu begreifen, was zu der im europäischen Vergleich späten Nationalstaatsbildung gegen Ende des 19. Jahrhunderts geführt hat und durch die Aufspaltung in BRD und DDR und deren Folgen eine Fortsetzung bis in die heutige Zeit erfahren hat. Letztlich ist Deutschland aus einem Zusammenschluss zahlreicher Einzelstaaten entstanden, von denen viele in Form der Bundesländer überdauert haben.

Es gibt ein Wort für die Verbundenheit zu einem Nationalstaat. Dieses lautet jedoch nicht “Heimat”, sondern Patriotismus. Und genau hier liegt das Problem: Die Nazis haben beide Begriffe austauschbar gemacht und durch effektive Propaganda eine gefühlte Einheit hergestellt, die es weder zuvor noch nach dem Zweiten Weltkrieg je gegeben hat. Wird der Nationalstaat zur Heimat, wird Heimatverbundenheit zu Patriotismus, und damit zum Nationalismus.

Angesichts der deutschen Geschichte kann man es deshalb niemals unkritisch hinnehmen, wenn die Bundesregierung den Heimatbegriff vereinnahmt. In der Geschichte dieses Landes wurde der Begriff schon öfter missbraucht.


Redaktion: Rico Grimm und Esther Göbel. Produktion: Theresa Bäuerlein. Fotoredaktion Martin Gommel; Aufmacherbild: iStock.