Aktualisiert am 23.10.2018
Kleiner Test vorab: Was denkst du über Saudi-Arabien? Vielleicht: „Da wohnen doch diese stinkreichen bärtigen Terroristen mit ihren verhüllten Opfer-Frauen und ihren mittelalterlichen, barbarischen Regeln!“ Falls du das denkst, bist du wohl nicht allein.
Denn so, wie in dem Satz oben skizziert, lautete zumindest im Westen lange Zeit das Klischee. Saudi-Arabien schirmte sich ab, ein Narrativ war gebildet – und damit eine feste Vorstellung zementiert. Aber dieses Vorurteil ändert sich, langsam. Denn in dem Königreich hat 2017 ein 32-jähriger Prinz die Macht ergriffen, der Reformen einleitete, die manche bis vor wenigen Jahren für unmöglich hielten: Frauen dürfen der Armee beitreten, bald Auto fahren und ohne Schleier auf die Straße, die Geschlechtertrennung hat sich gelockert, Kinos sollen nach Jahrzehnten wieder öffnen, und das Land will weniger abhängig vom Öl werden. Die westlichen Medien lieben diese Nachrichten, etwa hier, hier oder hier.
Aber was ist von diesen Reformen wirklich zu halten? Und wer ist dieser Kronprinz, der gerade extrem unter Druck und internationaler Beobachtung steht - und sogar unter Mordverdacht? Hier findest du die zwölf wichtigsten Fragen und Antworten.
1. Warum sollten uns in Deutschland Reformen in diesem Land interessieren?
Weil Saudi-Arabien die wichtigste Wirtschaftsmacht im arabischen Raum ist – und der größte Erdöl-Exporteur weltweit. Was in Saudi-Arabien passiert, ist also nicht egal. Zudem pflegt das Land seit Jahrzehnten wirtschafliche Beziehungen zu Deutschland (auf diese Beziehung werden wir später noch eingehen).
Zudem steht Saudi-Arabien mit gleich mehreren Nachbarländern in einem Konflikt: Im Jemen leistet sich der Kronprinz mit Iran einen Stellvertreter-Krieg, Katar hatten die Saudis im vergangenen Jahr wirtschaftlich blockiert und isoliert, der saudische Kronprinz schaltet sich im Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ein, das Land war auch in die Libanon-Affäre 2017 verwickelt. Außerdem finanziert das Königreich mit seinen Öl-Milliarden radikale islamische Bewegungen in der ganzen Welt, auch in Deutschland.
Die oft unausgesprochene Hoffnung vieler ist: Wenn sich das Königreich öffnet und die Herrscher die Zügel etwas lockern, dann könnten die Saudis eine – wie Diplomaten oft sagen – „konstruktivere“ Rolle in der Welt spielen. So lautete die Hoffnung im Westen, zumindest bis Anfang Oktober 2018, als der saudische Journalist Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul verschwand – und seinen Besuch nicht überlebte. Seitdem sieht das Königshaus in Riad sich dem Mordvorwurf ausgesetzt. Der Westen ist schockiert. Für das Königreich bedeutet die ganze cause schon jetzt einen riesigen Imageschaden und große wirtschaftliche Verluste.
2. Okay, aber bevor wir an dieser Stelle weitermachen: Wo liegt Saudi-Arabien überhaupt?
Das Land liegt auf der Arabischen Halbinsel und ist von der Fläche etwa sechs Mal so groß wie Deutschland. Von Iran trennen Saudi-Arabien der Persische beziehungsweise Arabische Golf, im Süden grenzt der Jemen an das Königreich, bis nach Israel sind es rund 1.400 Kilometer Luftlinie. Insgesamt etwa 33 Millionen Menschen leben in Saudi-Arabien, die beiden größten Städte sind Dschidda, direkt im Westen am Roten Meer gelegen, sowie die Hauptstadt Riad im Osten des Landes, die als weitaus konservativer und religiöser gilt. Zudem liegen die beiden heiligsten Stätten des Islam, Mekka und Medina, im Westen Saudi-Arabiens, woraus das Land eine Vormachtstellung für sich in der islamischen Welt ableitet (so trägt der König etwa den Titel „Hüter der beiden Heiligen Stätten und König von Saudi-Arabien“).
3. Du hast eingangs von diesem Prinzen gesprochen – wer genau ist das?
Mohammed bin Salman, von seinen Landsleuten kurz MbS genannt, ist der Verteidigungsminister des Landes und wurde im Sommer 2017 von seinem Vater König Salman zum Kronprinzen ernannt. Seitdem hält MbS de facto die Zügel in der Hand – und hat sein Land in nur wenigen Monaten auf den Kopf gestellt. Zudem beweist er ein – entschuldige die flapsigen Worte – großes Talent darin, ein krasses Statement nach dem anderen rauszuhauen, das ihm die mediale Aufmerksamkeit der westlichen Medien sichert. Kleine Auswahl gefällig?
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„Wir wollen nicht, dass der neue Hitler in Iran das wiederholt, was in Europa und im Mittleren Osten passiert ist.“ – MbS hat den iranischen Machthaber Ayatollah Chamenei in einem Interview der New York Times tatsächlich als neuen Hitler beschrieben.
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„Ich glaube, dass sowohl die Palästinenser als auch Israelis ein Recht auf einen eigenen Staat haben.“ Das sagte MbS im März 2018 dem amerikanischen Magazin The Atlantic. Dass sich ein arabischer Machthaber so positiv gegenüber Israel äußert, ist ungewöhnlich. Im Nahen Osten gilt bei vielen Staaten eigentlich eine „natürliche“ Loyalität gegenüber den Palästinensern – und damit einhergehend eine Ablehnung des israelischen Staates (wenn du dich gerade fragst, worum es nochmal im Nahost-Konflikt ging, kannst du die Zusammenhänge hier nachlesen).
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„Frauen und Männer sind ebenbürtig“, sagte MbS im März 2018 in einem Interview im amerikanischen Fernsehen – und schob auch noch hinterher, dass die saudische Tradition der Ganzkörperverhüllung bei Frauen, also die Abaya, in seinen Augen nicht notwendig sei. Für Saudi-Arabien ein revolutionärer Satz!
Gleichzeitig gil MbS als machthungrig und skrupellos. Widerspruch oder auch nur Kritik am Königshaus lässt er nicht zu. Besonders eindrücklich zeigt das gerade, im Oktober 2018, der Fall des saudischen Kritikers Jamal Khashoggis, derzuletzt im Exil lebte: Er hatt am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul aufgesucht - und hat es nicht mehr lebend verlassen. Ermittlungen legen nahe, dass Khashoggi im Keller des Konsulats von saudischen Geheimdiensmitarbeitern erst gefoltert und dann mit einer Knochensäge enthauptet wurde. Das saudische Königshaus bestreitet dies. Und bestritt auch zunächst, überhaupt etwas über den Verbleib des Regimegegners zu wissen. Schließlich ließ das Königshaus verlauten, Khashoggi sei tatsächlich im Konsulat ums Leben gekommen. Allerdings nicht, weil er gefoltert worden sei, sondern weil ein Verhör aus dem Ruder gelaufen sei. Eine absurde Erklärung, die im Westen - außer Donald Trump - niemand wirklich für glaubwürdig hält.
4. In Saudi-Arabien passiert ja gerade sehr viel, was einen wirtschaflichen Umbau des Landes betrifft - warum?
Schau dir nur mal diese Grafik an (bitte einmal draufklicken, damit sie im Vollbild sehen kannst):
Du siehst darauf die Entwicklung der saudischen Haushaltsfinanzen. 2014 verwandelt sich ein komfortables Plus in ein rasant nach unten schießendes Minus, denn damals fielen die Öl-Preise. Für die Saudis ist dieses Problem größer und existenzieller, als es auf den ersten Blick vermuten lässt. Denn der Ölpreis hat sich nicht mehr auf das alte Level eingependelt. Der Reichtum des Landes basiert aber auf fast nichts anderem als auf Öl.
Jahrzehntelang sicherte das „schwarze Gold“ der Bevölkerung ein sorgenfreies Leben: Die Saudis mussten keine Steuern zahlen, Strom, Wasser und die ärztliche Versorgung wurden vom Staat subventioniert. Die Königsfamilie sicherte sich wiederum auf diese Weise die Loyalität der Bevölkerung.
Doch 2016 muss das Königreich Kredite aufnehmen, um den Staatshaushalt zu finanzieren. Zum ersten Mal seit 25 Jahren. Die Arbeitslosigkeit steigt, viele junge, gut ausgebildete Studienabgänger finden keinen Job. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent, der aufgeblasene öffentliche Sektor hält nicht mehr genug Arbeitsplätze für die nachrückende Generation bereit. Heute ist Benzin doppelt so teuer wie noch im Jahr zuvor, Strom kostet drei Mal so viel. Seit Januar 2018 müssen die Saudis wegen der schwierigen Finanzlage und der angestrebten Reformen Steuern zahlen. Die Mehrwertsteuer beträgt zwar im internationalen Vergleich niedrige fünf Prozent, aber für die Saudis ist sie trotzdem eine große Sache.
5. Okay, also der Prinz will sein Land umbauen – aber wie sollen die Reformen ihm dabei helfen? Und wie sehen diese überhaupt aus?
Die Machthaber wollen mit der Vision 2030 in gleich mehreren Bereichen Änderungen einleiten: Die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt sollen von der Öl-Abhängigkeit befreit und „saudiisiert“ werden. Die Saudis sollen also mehr und mehr auch jene Arbeiten im privaten Sektor übernehmen, die bis dato den zehn Millionen ausländischen Arbeitern überlassen wurden. Deswegen sollen auch Frauen mehr arbeiten und der Bildungsbereich gestärkt werden. Die Saudis investieren mit Nachdruck in Erneuerbare Energien, zum Beispiel in Solarenergie.
Gleichzeitig wollen sie mit dem staatlichen Öl-Unternehmen Aramco an die Börse gehen – es wäre der größte Börsengang, den es jemals gab.
Den Gewinn aus dem Börsengang will MbS nutzen, um die Vision 2030 voranzutreiben. Das Königreich unterstützt junge Gründer mit Geld, die Infrastruktur des Landes wird ausgebaut.
Ein weiteres Investitionsfeld: der Tourismus. Schon jetzt ist der religiöse „Pilgertourismus“ nach Mekka eine wichtige Einnahmequelle für das Königreich. Diese will man ausbauen – und in Zukunft auch Touristen ins Land holen, wie etwa in die King Abdullah Economic City. Bislang war es für Touristen unmöglich, überhaupt nach Saudi-Arabien einzureisen.
6. Aber was passiert, wenn das Öl alle ist und die Reformen nicht greifen sollten?
Tja, das ist die große Frage. Was passiert mit der Macht der Königsfamilie, sollte sie darin scheitern, die eigene Bevölkerung fit zu machen für die Zeit nach dem Öl? Kommt es dann zu Aufständen der Bevölkerung, ähnlich jenen im Arabischen Frühling (die es 2011 auch in Riad gab, vom König aber einerseits durch Polizei und anderseits durch soziale Maßnahmen schnell unter Kontrolle gebracht werden konnten)? Wird die Bevölkerung mehr politische Mitsprache einfordern, also käme es zu einem gewaltsamen Umsturz? Oder zu einem Bürgerkrieg? Niemand kann das zum jetzigen Zeitpunkt vorhersagen.
7. Wird Saudi-Arabien mit den Reformen auch demokratisch?
Ganz klar: nein. Die saudischen Frauen bekommen nicht mehr Rechte, und das Land öffnet sich nicht gen Westen, weil MbS plötzlich ein Fan demokratischer Prozesse geworden ist und seine Macht in Zukunft aufteilen will. Es ist genau andersherum: Die gesellschaftlichen Reformprozesse sind für den Kronprinzen und seine Zukunft unerlässlich, damit das Land sich wirtschaftlich stabilisiert und die Bevölkerung sich ruhig verhält. Hinter der Reform steht also kein politisches Umdenken – sondern eine wirtschaftliche und machtpolitische Notwendigkeit. MbS gilt als Machthaber, der niemanden neben sich duldet, der auch nur Kritik äußert. Er ist zwar ein Reformer, das ja - aber ein autoritärer, wie die jüngsten Ereignisse rund um Jamal Khashaoggi einmal mehr gezeigt haben.
In Saudi-Arabien gibt es keine Parteien und nationale Wahlen, keine im Land ansässige Opposition, keine Meinungsfreiheit und demnach auch keinen öffentlichen politischen Debattenraum. Ebenso wenig gibt es Gewerkschaften oder ein Versammlungsrecht für friedliche Demonstrationen. Minderheiten werden nicht geschützt, Homosexualität beispielsweise gilt als schändlich. Deswegen findet Homosexualität nur im Verborgenen statt, eine öffentliche LGBTI-Szene gibt es nicht.
Auch andere Minderheiten und Kritiker des Könighauses leben gefährlich, genauso wie Oppositionelle: Im vergangenen Jahr kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem Militär und Schiiten im Osten des Landes. Millionen ausländische Billigarbeiter im Land werden benachteiligt. Kritiker werden mit jahrelangen Gefängnisstrafen mundtot gemacht (wir erinnern uns an den Blogger Raif Badawi, der seit 2012 in Haft sitzt). Noch immer gibt es in Saudi-Arabien die Todesstrafe, umgesetzt durch Köpfen oder Erschießen, teilweise sollen diese Methoden auch gegen jugendliche Protestler eingesetzt worden sein, schreibt zumindest die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Bericht 2016/2017. Außerdem soll die Zahl der Verhaftungenen 2017, also seit MbS offziell als Kronprinz eingeführt wurde, zugenommen haben.
8. Wie könnte man das saudische System derzeit bezeichnen?
Die saudische Gesellschaft ist eine hierarchisch organisierte und stark patriarchal geprägte Klassengesellschaft; Millionen Ausländer leben im Land, die als Hausmädchen, Putzfrauen, Taxifahrer oder Straßenarbeiter schuften. Zudem fußt die Gesellschaft auf einer Stammeseinteilung; welchen Nachnamen eine Person trägt und aus welcher Region sie stammt, spielt eine wichtige Rolle. Genauso wie die Familie – und natürlich die Religion.
Die wahabitische und damit besonders strenge Auslegung des Islam ist in Saudi-Arabien Staatsreligion, Koran und Sunna stellen die Verfassung, den Rechtsrahmen bildet die Scharia. Die Mehrheit der Saudi folgt dem sunnitischen Islam, Schiiten bilden eine Minderheit. (Hier beschreibt meine Kollegin Iman Al Nassre, was Schiiten und Sunniten unterscheidet.)
Politik und Religion sind in Saudi-Arabien eng miteinander verschränkt, was auf die Umstände der Staatsgründung 1932 zurückgeht. Genauso, wie die Religion das Leben der Menschen in Saudi-Arabien durchsetzt, ist sie auch mit der Politik untrennbar verbunden.
Saudi-Arabien ist keine Demokratie, die den Schutz von Minderheiten oder der Anerkennung von Menschenrechten Sorge trägt. Sondern eine absolute Monarchie mit stark autoritären Zügen. Das heißt: Die Macht liegt gebündelt beim König und dessen Familie, der Saud-Dynastie. Der derzeitige König Salman ist Staatsoberhaupt, Ministerpräsident und Oberkommandierender des Militärs, zudem setzt er Gesetze in Kraft. Die Prinzen der Familie (man schätzt, es sollen etwa 15.000 sein) besetzen wichtige Ämter. MbS verfügt schon jetzt über sehr viel Macht. Das politische System in Saudi-Arabien verlangt von seinen Bürgern eine absolute Loyalität gegenüber Allah, dem Propheten Mohammed und der königlichen Familie. Öffentliche Kritik am König oder dem Propheten ist nicht nur unerwünscht – sie kann einen auch schnell ins Gefängnis bringen. Mindestens. Im Westen mindestens als widersprüchlich angesehen, ist der Kronprinz in seinem eigenen Land allerdings extrem beliebt. Wenn, wie grade, Kritik aus dem Westen kommt, wird diese innerhalb des Landes gern als Schmutzkampagne gegen das Königreich ausgelegt.
9. Aber für Frauen ist es in Saudi-Arabien richtig schlimm, oder?
Ja und nein. Einerseits sind sie es, die am stärksten von den laufenden Reformen profitieren; das Königreich kann es sich schlicht nicht länger leisten, auf ihre Arbeitskraft zu verzichten. Und so lockert das Königreich mehr und mehr Einschränkungen: Frauen dürfen mittlerweile den Führerschein machen, Stadien besuchen, Konzerte und Kinos (sofern letztere denn wirklich bald öffnen). Mancherorts sieht man auch junge Frauen ohne Kopftuch.
Saudische Frauen arbeiten, studieren, gründen ihre eigene Unternehmen, machen Karriere als Managerinnen, Klinikleiterinnen und Chefredakteurinnen und sitzen im Shoura-Rat, der den König berät. Als ich im November 2017 die Hauptstadt Riad besuchte, staunte ich über die Frauen, die ich dort kennenlernte. Auch über deren Selbstbewusstsein – mit dem allgemeinen Opferbild, das man als Westler meist im Kopf hat, wenn man an Frauen in Saudi-Arabien denkt, hatten sie nichts zu tun. Eine Saudi, die lange Jahre in den USA gelebt hatte und neben dem saudischen Pass auch einen amerikanischen besaß, erzählte mir, sie sei nach Riad zurückgekehrt, „weil ich in den USA als Frau an die gläserne Decke gestoßen bin und da nicht mehr weiterkam“ – in Riad arbeitet sie jetzt als Abteilungsleiterin in einer Klinik.
Andererseits gilt in Saudi-Arabien nach wie vor das System der männlichen Vormundschaft: Der Mann ist für die Frau verantwortlich und entscheidet zum Beispiel darüber, ob eine Frau ins Ausland reisen darf oder nicht.
Saudische Frauen sind per se keine Opfer. Aber sie können im bestehenden System, das auch auf personeller Willkür männlicher Meinungsführer und Entscheider beruht, sehr schnell zu solchen werden. Es reicht, wenn der eigene Ehemann oder bei einer alleinstehenden Frau der Vater oder Bruder beschließt, die Freiheit der Frau einzuschränken. Darüber hinaus sind Frauen im Scheidungsrecht benachteiligt genauso wie im Sorge- und Erbrecht.
10. Was denken die Saudis über die Reformen?
Die Menschen, mit denen ich vor Ort gesprochen habe, sind von MbS überzeugt. Sie glauben, dass er der Richtige ist, um den Wandel in ihrem Land durchzuführen – und sie wollen die Reformen. Vor allem die jungen. Und natürlich die Frauen. Gerade bei ihnen spürt man eine Aufbruchstimmung und Euphorie.
Nichtsdestotrotz ist es wichtig zu verstehen: Die saudische Gesellschaft ist eine konservative, in der neben der Religion vor allem auch die Tradition einen wichtigen, festen Platz im Leben der Menschen hat. Die Saudis wollen keine Westler sein, ihre traditionellen Werte sind ihnen wichtig. Sie sind stolz auf sie und auf ihr Land. Deswegen, so war mein Eindruck, spricht sich die Mehrheit der Saudis für den Wandel aus. Aber sie wollen diesen Wandel innerhalb ihrer Traditionen und des eigenen Systems.
„Wir Saudis interessieren uns nicht besonders für Politik“, sagte mir eine saudische Geschäftsfrau Mitte 30, die ich in Riad traf. Die Hauptsache sei, sagte sie, dass der Kronprinz einen guten Job mache. Und solange er das tut (oder zumindest den Anschein erweckt), gibt es auch keine Notwendigkeit für die Mehrheit der Saudis, über eine Demokratisierung nachzudenken.
11. Wie steht Deutschland zu Saudi-Arabien?
Saudi-Arabien ist Deutschlands zweitwichtigster arabischer Handelspartner. Aber die Beziehung bekam im vergangenen Jahr einen Knacks: Sigmar Gabriel, damals noch Außenminister, kritisierte öffentlich die Rolle Saudi-Arabiens in der damalige Libanon-Affäre. Riad zog daraufhin seinen Botschafter ab – und kehrte vorerst nicht nach Berlin zurück.
Brisanter noch ist das Thema Waffenlieferungen: Im Koalitionsvertrag hatte man sich darauf geeignet, keine Waffen mehr an Länder auszuliefern, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Also auch nicht an Saudi-Arabien. Dieser Vorsatz aber hielt offenbar nur kurz: Im März hat die neue Große Koalition nach Berichten des ZDF den Export von acht Patrouillebooten genehmigt. Jetzt kommt durch den Fall Jamal Khashaggi wieder Bewegung in die Sache. Wild wird diskutiert, ob Deutschland nach den Ereignissen der vergangenen Wochen noch Waffen an Saudi-Arabien liefern darf und wie mit bereits abgeschlossenen Rüstungsdeal umgegangen werden soll. Die Linke fordert einen kompletten Stopp, Angela Merkel hat immerhin versprochen, bis zur Aufklärung des Falls keine Waffenlieferungen nach Riad mehr zu erlauben.
Redaktion Rico Grimm; Produktion Vera Fröhlich; Bildredaktion Martin Gommel (Aufmacherfoto: Kreml).
Mein herzliches Dankeschön an Anne, Fabian, Birka, Tom, Lysior, Timon, Gerda und Sebastian, die mir zu diesem Text Fragen eingereicht und das Schreiben damit erleichtert haben!