Noch sind Diesel-Autos nicht aus deutschen Großstädten ausgesperrt. Noch dürfen sich die übermotorisierten SUVs, Kombis und Limousinen mit angeblich sauberen Dieselmotoren frei in Deutschland bewegen. Sobald das Bundesverwaltungsgericht seine Grundsatzentscheidung Ende Februar getroffen hat, könnte deren Bewegungsradius jedoch stark eingeschränkt werden.
Stuttgart, Düsseldorf, München und Berlin sind akut von Fahrverboten bedroht. Wenn moderne Dieselautos nicht mehr in die Innenstädte im Diesel-Mutterland Deutschland fahren dürfen, könnte das zu einer PR-Katastrophe werden.
Im Vertrauen erzählt mir ein Mitarbeiter eines großen deutschen Autokonzerns, dass dort schon fix mit Fahrverboten gerechnet wird. Ein Kollege decke sich schon jetzt mit einem zusätzlichen Kennzeichen ein, um tageweise Fahrverbote für gerade beziehungsweise ungerade Nummernschilder zu umgehen. Ein solche Variante des Fahrverbots gibt es bereits in Paris: Dort dürfen Autos mit gerader Endziffer auf dem Nummernschild nur an Tagen mit geradem Datum fahren.
Eigentlich ist seit Jahren allen klar, dass die Luft in den Großstädten zu schlecht ist: Politikern, Autoindustrie, Umweltschützern, Journalisten und Bürgern. Trotzdem hat sich in den vergangenen Jahren wenig getan. Letzte große Meilensteine waren die schrittweise Einführung von kommunalen Umweltzonen (nur Fahrzeuge, die bestimmte Abgasstandards erfüllen, dürfen reinfahren) ab 2008, die ökologisch fragwürdige Abwrackprämie 2009 und die staatlich geförderte Nachrüstung mit Rußpartikelfiltern (2016 ausgelaufen).
Weil die Politik bisher nicht tätig wurde, liegt es nun an Gerichten, Maßnahmen zur besseren Luftreinhaltung anzuordnen.
Aber nachdem bekannt wurde, dass Volkswagen bei den Abgaswerten betrogen hat, könnte es jetzt wirklich ernst werden. Die Umweltschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe hat 19 deutsche Kommunen wegen anhaltend schlechter Luft verklagt. Weil die Politik bisher nicht tätig wurde, liegt es nun an Gerichten, Maßnahmen zur besseren Luftreinhaltung anzuordnen.
Fahrverbote stehen dabei ganz oben auf der Liste der wirksamsten Maßnahmen, um in den Städten endlich für gute Luft zu sorgen. Das wäre ein harter Schlag für viele Fahrer: Mit einem Schlag müssten Millionen Dieselbesitzer das Auto stehen lassen. Deswegen habe ich herausgesucht, wie Fahrverbote heute noch abgewendet werden können. Sechs Maßnahmen habe ich recherchiert:
1. Autofahren unattraktiver machen
Kaum ein Politiker traut sich das offen auszusprechen: Autofahren unattraktiv zu machen, ist eines der einfachsten Mittel, um die Abgase zu senken. Ein Auto, das erst gar nicht gestartet wird, stößt auch keine Stickoxide aus. Wenn Autofahren langsam, teuer oder schlicht mühsam wird, steigt man auf eine Alternative um. Oder ganz allgemein gesagt: Wenn es attraktiver ist, alternative Verkehrsmittel zu nutzen.
„Bei nahezu 10.000 Londonern, die jedes Jahr vorzeitig wegen verschmutzter Luft sterben, braucht es mutige Maßnahmen, um diese Gesundheitskrise anzugehen.”
Sadiq Khan, Londoner Bürgermeister
Wie das funktionieren kann, macht London vor. Die europäische Großstadt mit dem größten Luftverschmutzungsproblem setzt auf Geld als Hebel, um den Menschen das Autofahren zu verleiden. Schon seit 2003 müssen Autofahrer in der Innenstadt eine werktägliche Mautgebühr von – inzwischen – umgerechnet 13 Euro bezahlen. Zusätzlich zur sogenannten Congestion Charge (zu deutsch: Verstopfungsgebühr) müssen schmutzige, abgasreiche Fahrzeuge seit Herbst 2017 nochmals rund 11 Euro T-Charge (das T steht für Toxicity und bedeutet Giftigkeit) bezahlen. „Bei nahezu 10.000 Londonern, die jedes Jahr vorzeitig wegen verschmutzter Luft sterben, braucht es mutige Maßnahmen, um diese Gesundheitskrise anzugehen”, sagt der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. 2019 soll die Schrauben nochmals angezogen werden. Dann müssen selbst moderne Diesel-Autos Mautgebühren zahlen.
Im ersten Jahr nach Einführung der Congestion Charge gab es 16 Prozent weniger Treibhausgasemissionen und 18 Prozent weniger Stickoxid-Belastung, analysiert das Centre for Public Impact. Das Verkehrsaufkommen sank laut Transport for London von 2003 bis 2013 um zehn Prozent. Freilich können die Londoner auf ein exzellentes U-Bahnsystem und viele Buslinien umsteigen. Aber warum haben außer Stockholm und Mailand keine anderen Städte die Londoner Mautgebühr nachgeahmt? „Politische Feigheit”, meint der Ex-Bürgermeister von London, Ken Livingstone.
Wien geht den umgekehrten Weg
Den umgekehrten Weg wählte Wien, wo 2012 die öffentlichen Verkehrsmittel stark verbilligt wurden. Die Jahreskarte kostet nun statt 449 Euro nur noch 365 Euro (zum Vergleich: in Berlin kostet das Jahresabo 728 Euro). In den letzten fünf Jahren verdoppelte sich die Zahl der Abo-Besitzer in Wien, und die Passagierzahl des ÖPNV stieg um neun Prozent.
2. Automotoren umrüsten
Die technische Abgasreinigung von Dieselautos umzurüsten, wäre die teuerste, aber effizienteste Lösung für das Stickoxid-Problem. Zur Zeit arbeiten mit Twintec/Baumot und Faurecia/Amminex zwei Firmen fieberhaft an Nachrüstsets, mit denen sich bei fast allen Diesel-Autos die Stickoxid-Emissionen drastisch senken lassen sollen – um bis zu 95 Prozent, wie beide Hersteller angeben. Dabei sollen – ähnlich wie bei der bestehenden Abgasreinigung mit der Harnstofflösung AdBlue – Ammoniak und Stickoxide chemisch zu Stickstoff und Wasser reagieren. Anders als das AdBlue-System versprechen beide Hersteller auch bei kaltem Motor und niedrigen Temperaturen gute Ergebnisse.
Die Umrüstung eines Diesel-Autos kostet ungefähr 1.500 bis 2.000 Euro und braucht circa fünf Arbeitsstunden in einer Autowerkstatt. Die große Frage ist, wer die Kosten für die Umrüstung übernimmt: die Autobesitzer, die Hersteller oder womöglich der Staat? Über diese Frage wurde jedenfalls auch bei den Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen in Berlin gestritten.
Momentan sind Fahrverbote und Hardware-Nachrüstung noch Zukunftsmusik: Es fehlt der gesetzliche Rahmen, der Zulassung, Garantiefragen und Ausnahmen klären würde. Auch deshalb ist das Vorgehen der Regierung kritikwürdig: Anstatt mit planbaren Maßnahmen wie einer Blauen Plakette die Problematik zu lösen, überlässt man das Handeln den Gerichten oder zögert Entscheidungen raus.
3. Kommunale Fahrzeuge und Taxen umrüsten
Besonders beliebt bei der Autoindustrie ist die Forderung, dass zunächst kommunale Fahrzeugen und Taxen umgerüstet werden sollen. Es stimmt zwar, dass diese Fahrzeuge besonders viele Kilometer abspulen und damit viel Dreck verursachen. Doch ist durchschaubar, dass mit dieser Forderung die Autokonzerne die Verantwortung jemand anderen anhängen wollen.
Dennoch: Gezielt jene Fahrzeuge umweltfreundlicher zu machen, die viel in der Stadt unterwegs sind, ergibt Sinn. Auf einem guten Weg sind beispielsweise die Berliner Stadtreinigungsbetriebe, wo heute schon die Hälfte der Müllabfuhr-Fahrzeuge mit Gas aus der eigenen Biogasanlage betankt werden. Außerdem will das Land Berlin weitere hundert Busse der BVG mit moderner Stickoxid-Abgasreinigung ausstatten. Auf Grund solcher Maßnahmen ist es bereits gelungen, die Belastung am Berliner Hardenbergplatz, wo sehr viele Busse wenden und halten, im letzten Jahr um über zehn Prozent zu senken. Auch Taxis mit Elektro- und Hybridantrieb sollen in Zukunft noch stärker gefördert werden.
4. Software-Update
Beim Diesel-Gipfel im Sommer 2017 versprachen die deutschen Autohersteller kostenlose Software-Updates für Dieselmotoren, um die Stickoxid-Emissionen zu senken. So kommen bei optimalen, warmen Temperaturen bis zu 25 Prozent weniger Stickoxide aus dem Auspuff. Laut Deutscher Umwelthilfe sinkt durch diese Maßnahme die NOx-Belastung durch den Verkehr insgesamt aber um gerade einmal drei Prozent.
Das wird nicht reichen, um die Stickoxid-Grenzwerte in den Städten einzuhalten. Allerdings hat die Autoindustrie durch den Stunt mit den Software-Updates wichtige Zeit gewonnen: Im Laufe des Jahres 2017 hat sich der Bestand an neueren Euro-6-Diesel verdoppelt, während die Zahl der älteren Euro-5-Diesel auf der Straße zurückgeht. Das ist die ganz normale laufende Flottenveränderung, bei der ältere Fahrzeuge durch neuere ersetzt werden. Je länger technische Nachrüstungen verhindert werden können, umso günstiger könnte es am Ende für die Autoindustrie werden.
5. Tempo-30-Zone
Größter Kritikpunkt am Londoner Modell ist die hohe Belastung für Menschen mit wenig Geld – reiche Autofahrer können hohe Gebühren leicht verschmerzen.
Es ginge auch anders: Wenn alle langsamer vorankommen, wird Auto fahren für alle gleichermaßen unattraktiv. Erfolgreich war man so in der Potsdamer Zeppelinstraße. Die Tempo-30-Beschränkung und die Reduktion von Fahrspuren führten dazu, dass 2017 erstmals die Stickoxidbelastung mit 34 Mikrogramm deutlich unter dem gesetzlichen Grenzwert von 40 Mikrogramm lag.
Stickstoffdioxidbelastung in der Potsdamer Zeppelinstraße
Das Problem: Punktuelle 30er-Beschränkungen und Fahrbahnverengungen an Messpunkten führen zu besseren Ergebnissen bei der Luftmessung, aber nicht unbedingt zu besserer Luft. So hat sich beispielsweis der Potsdamer Verkehr in andere Straße verlagert.
Die Belastung sinkt nur dann, wenn es gelingt, den Verkehr zu verflüssigen und Stop-and-go zu verhindern.
Das Umweltbundesamt hat die Auswirkungen von Tempo-30-Beschränkungen auf die Luftverschmutzung untersucht. Das Ergebnis: Die Belastung sinkt nur dann, wenn es gelingt, den Verkehr zu verflüssigen und Stop-and-go zu verhindern. Um 6 bis 12 Mikrogramm sank beispielsweise die Stickoxid-Belastung an Berliner Hauptverkehrsstraßen durch Einführung von Tempo 30.
6. Stickoxide aus der Luft filtern
Anstatt zu versuchen, den Stickoxid-Ausstoß zu reduzieren, kann man auch den umgekehrten Weg gehen: möglichst viele Stickoxide wieder aus der Luft herauszufiltern. Allerdings fehlt noch der wissenschaftliche Beweis für die Wirksamkeit. Das Start-up Green City Solutions kann etwa nicht beziffern, welche Auswirkungen auf die Atemluft ihre 22.000-Euro-teuren City Trees haben – das sind etwa drei mal vier Meter große, mit Moosen bewachsene Betonstellwände.
Im westfälischen Detmold hat man am Busbahnhof Betonelemente mit Titanoxid behandelt, das Stickoxide in Salze umwandeln soll. Wie wirksam die Maßnahme ist und ob sich die Salze schädlich auf die Vegetation auswirken, soll bis Ende 2018 erforscht werden.
Redaktion: Rico Grimm; Produktion: Theresa Bäuerlein; Fotoredaktion und Aufmacherbild: Martin Gommel; Schlussredaktion Vera Fröhlich.