Papa geht in den Krieg
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Papa geht in den Krieg

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen will, dass ihre Soldaten Dienst und Familie vereinbaren können. Aber wie lassen sich Kita, Pausenbrot und Militärmanöver verbinden? Ich habe mit Soldaten aus Deutschland und Frankreich gesprochen.

Profilbild von Hannah Boeddeker

Emmanuel Macron hat große Pläne für eine gemeinsame europäische Armee. Das hat der französische Präsident in seiner Europarede im September 2017 verkündet: „Zu Beginn des kommenden Jahrzehnts sollte Europa über eine gemeinsame Einsatztruppe, einen gemeinsamen Verteidigungshaushalt und eine gemeinsame Handlungsdoktrin verfügen.”

Den meisten Menschen dürfte klar sein, dass eine solche gemeinsame Armee die Struktur der EU grundlegend ändern würde. Aber kaum jemand denkt daran, was sie für die Soldaten bedeuten würde. Denn sie würde deren Alltag auf den Kopf stellen – und den ihrer Familien.

Das ist ein wichtiger Punkt, weil in vielen Ländern das Militär zu den größten Arbeitgebern zählt. In Deutschland gab es 2017 insgesamt 178.300 aktive Soldaten und 28.500 einer aktiven Dienststelle zugeordnete Reservisten, in Frankreich um die 208.900 Soldaten und 27.800 Reservisten. Die Frage, die Soldaten sich stellen, lautet nicht: „Wie vereine ich Beruf und Familie?”, sondern: „Wie vereine ich Dienst und Familie?” Mit anderen Worten: „Wie gehe ich damit um, alle zwei, drei Jahre versetzt zu werden? Was passiert, wenn ich sechs Monate im Einsatz bin?” Ein halbes Jahr – für die Entwicklung eines Kindes kann das eine halbe Ewigkeit sein.

Die Bundeswehr soll „familienfreundlich” werden

Das weiß man natürlich auch in der Bundeswehr. Seit vier Jahren beschäftigt man sich dort intensiver mit diesen Fragen: Im Januar 2014 erklärte die damals neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), für sie habe die Familienfreundlichkeit der Bundeswehr oberste Priorität: „Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu einem der attraktivsten Arbeitgeber in Deutschland zu machen. Das wichtigste Thema ist dabei die Vereinbarkeit von Dienst und Familie.” Nur so könne die Bundeswehr im Wettbewerb mit zivilen Arbeitgebern mithalten – was angesichts der schon 2013 sinkenden Rekrutierungszahlen kein falscher Gedanke ist.

Trotzdem stieß die Ankündigung nicht nur auf Zustimmung. Kritiker fragten spitz, ob die Bundeswehr denn nichts Dringenderes zu tun habe. „Durch das Kasernentor gehen jeden Tag aber nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auch Mütter und Väter“, sagt Sabine Bastek, die Beauftrage für Familie und Dienst bei der Bundeswehr. Sie ist dafür zuständig, dass die von der Ministerin formulierten Ziele umgesetzt werden.

Frankreich bietet 48 militäreigene Kitas

In Frankreich dagegen hat es einen derart klaren Wendepunkt nicht gegeben, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst steht dort schon länger auf der Agenda. Aber bedeutet das auch automatisch, dass in Frankreich die „Service-Family-Balance“ schon besser funktioniert als in Deutschland ist? Nein, findet Rémy Dubois* – und er kennt beide Seiten.

Als Leutnant der französischen Armee hat er einen Teil seiner Ausbildung in Deutschland verbracht. Vieles, meint er, werde einfach unterschiedlich organisiert. Ob das eine System besser sei als das andere, will Dubois nicht beurteilen. Denn beim Vergleich der Familienpolitik von Streitkräften darf man nicht vergessen, dass das Militär kein autonomes Gebilde ist, sondern immer eingebettet in das gesellschaftliche Klima eines Landes. Das bestimmt wesentlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und damit auch von Familie und Dienst.

Ein Beispiel: In Frankreich ist es gang und gäbe, Babys und Kleinkinder in Betreuung zu geben. Niemand findet es daher bemerkenswert, dass 48 militäreigene Kitas Kapazität für die Betreuung von rund 3.500 Kleinkindern bieten, dazu kommen Belegrechte – das Recht auf Kinderbetreuung am Dienstort also. Und ein Budget vom Verteidigungsministerium für Kinderbetreuung – 2015 waren das 14,3 Millionen Euro.

Die Kita-Suche in Deutschland dagegen gestaltet sich ähnlich wie die Wohnungssuche in Paris: schwierig. Die Bundeswehr bietet zwar circa 800 Betreuungsplätze, die meisten in Form von Belegrechten an Orten, an denen eine Gemeinde dem Bedarf nicht nachkommt.

Das reicht jedoch nicht aus, wie Paula Jansen* erfahren musste. Sie ist mit einem Oberleutnant der Marine verheiratet, die beiden haben ein Kind im Kleinkindalter. Als ihr Mann versetzt wurde, zogen sie und ihr Kind ihm nach – an einen Standort, an dem es weder eine kaserneneigene Kita noch Belegrechte gibt: „Wenn ich als Angehörige eines Soldaten schon eine neue Stadt und ein neues Umfeld in Kauf nehme und meine sozialen Kontakte zurücklasse, sollte mir die Unsicherheit, einen Kitaplatz zu finden, von der Bundeswehr genommen werden. Das bieten andere Arbeitgeber ja auch“, findet sie.

Soldaten wünschen sich mehr Flexibilität

„Ich dachte immer: Mein Gott, entweder man entscheidet sich zwischen Familie und Dienst oder man organisiert sich irgendwie“, erinnert sich Claudia Blatt*, die Reserveoffizier und Rechtsberaterin – vergleichbar mit einer Justiziarin – bei der Bundeswehr ist. „Und dann bin ich schwanger geworden.“ Sie wünscht sich vor allem mehr Mobilität. „Sogar ein Supermarkt-Filialleiter hat ein Diensthandy, aber ich nicht.“ Und: „Wer bei der Bundeswehr vorschlägt, sich zu einer Besprechung per Telefon dazuzuschalten, wird angeguckt, als käme er vom Mars. Aber“, ergänzt sie, „es ist sehr lobenswert, dass flexibles Arbeiten überhaupt möglich ist.“ Dazu zählt: Home Office, Gleitzeiten, Eltern-Kind-Zimmer in Kasernen, ausleihbare Laptops für Notfälle.

Auch Max Wiesner* wünscht sich mehr Flexibilität bei der Bundeswehr: „Die Beamten sollten stärker an ihrem Output gemessen werden und selbst darüber entscheiden, wann und wo sie diesen Output gestalten”, findet er. Wiesner weiß, wovon er spricht: Knapp zwanzig Jahre war er bei der Bundeswehr, zuletzt Oberstleutnant des Generalstabs. Ins Zivile übersetzt heißt das: Er war gerade dabei, groß Karriere zu machen.

Bis er vor einigen Jahren kündigte: „Die Personalführung der Bundeswehr war nicht in der Lage und nicht willens, auf meine familiären Belange Rücksicht zu nehmen.“ Wiesner und seine Partnerin, die auch bei der Bundeswehr ist, hatten gerade eine Familie gegründet und beide den Antrag gestellt, in dieselbe Stadt versetzt zu werden. Das typische Modell einer Pendelbeziehung zwischen zwei Standorten kam für sie nicht in Frage: „Wir wollten uns um unsere Kinder und um einander kümmern, und das nicht nur am Wochenende“, erklärt er.

Doch stattdessen wurde Wiesner ins Ausland versetzt, 800 Kilometer entfernt. Er lehnte ab. Was folgte, nennt er eine Vergeltungsaktion: Ihm sei von der Personalführung eine Position zugeschustert worden, die ihn völlig unterfordert hätte. „Mir wurde klargemacht – und das auch so geäußert –, wer am längeren Hebel sitzt.“

Karriere und Elternzeit sind oft nicht möglich

Wiesner glaubt, dass die Vereinbarkeit von Familie und Dienst in Deutschland auch an der Führungsebene der Bundeswehr scheitert: „Die Entscheider kommen aus einer anderen Generation, in der hauptsächlich auf dienstrelevante Aspekte, nicht auf familiäre geguckt wird.“

Claudia Blatt sieht das Problem ähnlich wie Wiesner: „Für mich als Reserveoffizier und Frau war es selbstverständlich, Elternzeit zu nehmen. Aber wer Karriere bei der Bundeswehr machen möchte, hat in erster Linie noch immer für den Dienstherren da zu sein.“ Dabei steht in der aktuellen Dienstvorschrift: „Soldatinnen und Soldaten, die Freistellungsmöglichkeiten nutzen, dürfen dadurch keine beruflichen Nachteile entstehen.“

Insgesamt haben 2016 drei Prozent aller deutschen Soldaten und Soldatinnen Elternzeit genommen, 2015 waren es in Frankreich 0,4 Prozent. Zu den Zahlen muss man aber wissen: Der Großteil der Soldaten sind noch immer Männer – und die nehmen generell deutlich seltener Elternzeit als Frauen. Zum Vergleich: 2015 haben in Deutschland 41 Prozent aller erwerbstätigen Frauen Elternzeit genommen, wenn ihr jüngstes Kind unter drei Jahre war, aber nur 2,5 Prozent aller Männer.

Dass die Rolle der Führungskräfte entscheidend ist, wenn es darum geht, Familienfreundlichkeit zu zeigen, das weiß auch Familienbeauftragte Bastek. „Indem diejenigen, die Führungsverantwortung haben, persönlich Gebrauch von familienfreundlichen Maßnahmen machen, werden sie durch gelebtes Handeln zu Botschaftern.“

Beförderung ja – nach dem Auslandseinsatz

Stichwort Einsatz: Das ist ein Charakteristikum des Militärs – und keine familienfreundliche Angelegenheit. Eine vollständige Vereinbarkeit zwischen Familie und Einsatz, so steht es denn auch in der Dienstvorschrift der Bundeswehr, werde kaum herzustellen sein. Daraus entstehen verschiedene Probleme: „In meiner – sehr speziellen Laufbahn – kann ich, unabhängig von der Leistung, auf eine bestimmte Ebene nur dann befördert werden, wenn ich einen Auslandseinsatz abgeleistet habe. Ob man den Einsatz aus familiären Gründen nicht ableisten konnte, obwohl man wollte, spielt bei der Entscheidung keine Rolle“, sagt Claudia Blatt.

Bei Paula Jansen lief es so, dass ihr Mann für drei Monate in den Einsatz fuhr, als ihr Kind eine Woche alt war. „Klar schafft man die Dinge allein. Es ist nur einfach so, manche Dinge will man nicht alleine schaffen. Ich merke, wie viel besser es mir geht, wenn mein Mann zu Hause und die Last geteilt ist.“

Momentan leben die beiden zwar in der gleichen Stadt, müssen aber aufgrund des Dienstes teilweise ein getrenntes Leben führen – obgleich sie sich für ein gemeinsames entschieden haben: „Ich bin Teilzeit-alleinerziehend. Da bedeutet, ich muss so planen, dass mein Leben und das Leben unseres Kindes funktioniert, wenn sein Vater mal nicht da ist.“

Die Bundeswehr sieht die Familie als „Kraftquelle”

Trotzdem scheint die Bundeswehr in Sachen Familienfreundlichkeit auf einem guten Weg zu sein. Das zeigt ein Blick in die aktuelle Dienstvorschrift zum Thema Familie und Dienst: Der private Bereich, heißt es da, sei eine „Kraftquelle“ der Soldaten und solle daher gestärkt werden. Und: Soldaten seien „ganzheitlich“ wahrzunehmen. Das, so Wiesner, sei eine Wortwahl, die vor von der Leyen nicht denkbar gewesen wäre: „Sie als ehemalige Familienministerin hat einen Anspruch auf Familienfreundlichkeit in der Bundeswehr gestellt, auf den ihre Vorgänger nie gekommen wären.“

Familienbeauftrage Bastek weiß, dass es eine Herausforderung ist, diesen Anspruch umzusetzen und den Soldaten auch deutlich zu machen, dass sie die vorhandenen Angebote annehmen können: „Aus meiner Sicht ist es nicht ausreichend, vereinbarkeitsverbessernde Maßnahmen anzubieten, sondern ihre Inanspruchnahme muss für alle selbstverständlich werden!“

Das scheint durchzusickern: Claudia Blatt erzählt von Vorgesetzten, die händeringend in ihr Büro kommen: Einer seiner Soldaten müsse dringend zu seiner Familie, könnte man da nicht irgendwie Sonderurlaub einrichten …? „Da gibt es teilweise eine Fürsorge gegenüber den eigenen Leuten, die ich aus einem privaten Unternehmen so nicht kenne.“ Auch die großzügige finanziellen Unterstützungen sei lobenswert, findet Paula Jansen: „Es hilft, sich darum keine Sorgen machen zu müssen.“

Was ändert sich mit einer Europaarmee?

Rémy Dubois hofft, dass die Gründung einer Europaarmee den Personalmangel ausgleichen würde – und Familien ihre Urlaubstage wieder in Anspruch nehmen können. Wiesner dagegen macht der Gedanke Sorgen, dass sich die Variation der Standorte plötzlich um ein Vielfaches erhöhen würde. Andererseits: „Vielleicht würde sich durch eine Europaarmee die Einstellung gegenüber Familie und Beruf aus Ländern wie Skandinavien abfärben.“ Sabine Bastek nimmt an, dass die Herausforderungen der Vereinbarkeit von Familie und Dienst einer nationalen Armee in einer europäischen weiterbestehen würden.

Letztlich gilt: Bisher kann man nur spekulieren, was sich verändern würde, so lange nicht klar ist, wie sich eine europäische Armee genau gestalten wird. Wahrscheinlich ist aber: Der Teufel wird im Detail liegen. Ein Beispiel ist die europäische Arbeitszeitrichtlinie. Dieses bezaubernde bürokratische Konstrukt der europäischen Kommission legt fest, wie viel und wie lange gearbeitet werden darf. Ein Nebeneffekt: Die Richtlinie steigert, da sie für stabile Arbeitszeiten sorgt, die Familienfreundlichkeit.

In Deutschland wurde sie von der Bundeswehr übernommen, in vielen anderen europäischen Ländern jedoch nicht. Sollte es zu einer Europaarmee kommen ist die Frage, was mit der Richtlinie geschehen wird: Gilt sie für das deutsche Militär nicht mehr? Wird sie für alle europäischen Länder umgesetzt?

Dafür entscheidend wird wohl auch sein, wie selbstverständlich 2020 – wenn Macrons Zeitplan eingehalten wird – die Vereinbarkeit zwischen Dienst und Familie in den einzelnen Ländern sein wird.


*Name geändert.

Christian Gesellmann hat bei der Erarbeitung des Textes geholfen; Theresa Bäuerlein hat gegengelesen; Vera Fröhlich hat das Aufmacherbild ausgesucht (iStock / dimid_86).