„Schwarz macht geile Politik, Schwarz macht geile Partys und Schwarz macht Wien geil“, sagt Sebastian Kurz, 24 Jahre alt, blaues Hemd, zurückgegelte Haaren und leicht glänzende Stirn. Schnitt. Eine Frau sitzt auf einem schwarzen Hummer-Geländewagen, Name: „Geil-o-Mobil“, Kurz steigt aus dem Wagen. Schnitt. Das Dekolleté einer jungen Flyer-Verteilerin. Der Slogan auf ihrem Tanktop: „Schwarz macht geil.“
Dieser Spot lief 2010, das waren noch andere Zeiten für Sebastian Kurz. Der Mann, der heute beste Chancen hat, nach der Wahl am Sonntag Österreichs nächster Kanzler zu werden, war damals gerade mal 24, Jura-Student und Obmann der ÖVP-Jugendorganisation. Damals cruiste er mit dem „Geil-o-Mobil“ durch Wien und verteilte Kondome als „Geilmacher-Gummis“, um Stimmen für die Landtagswahl zu sammeln.
Schon damals tat er, was getan werden musste, um Aufmerksamkeit zu bekommen – auch wenn ihm die Kampagne im Nachhinein etwas peinlich war. Mit 31 Jahren beherrscht er die Spielregeln des Politikbetriebs wie kaum ein anderer. Kurz ist jetzt der größte Hoffnungsträger der Österreichischen Volkspartei. Er hat ihr seinen Stil aufgeprägt. Ja, er wird die Partei aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Wahlsieg hieven, wie er vor einem Jahr noch undenkbar schien. „Der Sebastian“ lag in den Umfragen seit Monaten unerschütterlich auf dem ersten Platz. Das grenzt an ein kleines Wunder. Vor Kurz dümpelte die ehemals größte Partei des Landes, die konservativ-bürgerliche ÖVP lange auf Platz 3, hinter der rechtspopulistischen FPÖ und der sozialdemokratischen Partei, der SPÖ.
Seine große Chance kam im Mai 2017, als ÖVP-Bundesobmann und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner zurücktrat. Sebastian Kurz wurde da längst als möglicher Nachfolger und Retter der ÖVP gehandelt. Er übernahm die Partei und bekam im Gegenzug dafür mehr Macht als jeder ÖVP-Chef zuvor. Er darf beispielsweise allein entscheiden, wer auf der Bundesliste kandidiert. So kann er seine größten Unterstützer um sich scharen, ohne auf die Befindlichkeiten irgendwelcher Parteiorganisationen zu achten.
Außerdem tritt er unter einem neuen Namen an: „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei.“ Die Parteifarbe änderte sich von schwarz auf türkis. Sogar die Wahlkampf-Website heißt sebastiankurz.at. Wer sie aufruft, sieht sofort: Hier soll es nicht um eine Partei gehen, sondern um einen jungen Mann, der Österreich verändern will, „Für uns alle“.
Der Instagram-Account läuft ebenso wie die eigens entwickelte App „Team Kurz“. Mit dem Kult um seine Person tritt Kurz in erfolgreiche Fußstapfen: Etwa Emmanuel Macron gewann die Wahl in Frankreich nicht wegen eines ausgefeilten Programms, sondern wegen seiner Person. Da passt es gut, dass Kurz die Medien viele Monate hat warten lassen, um sein Wahlprogramm in drei Teilen zu präsentieren und trotzdem seit Ausruf der Neuwahlen in den Umfragen stabil auf Platz 1 verweilt.
Das jüngste Regierungsmitglied aller Zeiten
Nicht immer war abzusehen, dass Kurz’ Karriere dermaßen steil verlaufen würde. Nur ein Jahr nach der Geil-o-Mobil Kampagne wurde er mit 24 Jahren das jüngste Regierungsmitglied aller Zeiten. Der damalige Vizekanzler Michael Spindelegger schaffte für ihn sogar eine neue Stelle: das Staatssekretariat für Integration. Auf diesem Posten muss Kurz erst mal viel Spott und Kritik einstecken. Zwar war er ein talentierter und ehrgeiziger Newcomer, von Integration hatte er aber wenig Ahnung. Die größten Diskussionen drehten sich nicht um seine politische Arbeit, sondern darum, ob er mit seinen 24 Jahren für diese Aufgaben bereit war.
Ein paar Monate später hatte Kurz, der Überflieger, es aber allen bewiesen: Ja, er war bereit. Sein Image als Parteirebell und Party-Animal legte er schnell ab, trat professionell und bescheiden auf und widmete sich der Sacharbeit. Schnell wurde er zu einem wichtigen Gesicht der ÖVP und zum Medienliebling. Als Staatssekretär für Integration gab er sich moderat. Seinen Fokus legte er auf Deutschlernen als Integrationsmaßnahme.
Damals versuchte er die Debatte über Zuwanderung und Integration in die politische Mitte zurückzuholen. Das hat nicht funktioniert. Erst als er als Außenminister anfing, alte Standpunkte der rechtspopulistischen FPÖ beinahe deckungsgleich zu übernehmen, kam der Erfolg.
Wer Sebastian Kurz’ Erfolg verstehen will, muss begreifen, wie flexibel der Mann ist. Er wandelte sich schneller, als man “Geilmacher-Gummis” sagen kann, vom Party-Animal und Parteirebellen zum seriösen Politiker. Dann durchlief er eine weitere Metamorphose: vom diplomatisch agierenden Staatssekretär und Minister, der komplexen Themen differenziert begegnet, zum Politiker, der mit Populisten flirtet.
Noch 2011 wollte Kurz keine Debatte über ein Burka-Verbot. Die Zahl der Betroffenen sei so gering, ein Verbot damit überflüssig. Kopftücher störten ihn eben so wenig. Im selben Jahr sagte er dazu: „Das ist eine Sache der Religionsfreiheit. In Österreich gibt es Religionsfreiheit – und das ist gut so.” Und: „Man darf Migration nicht auf den Islam beschränken und Integration nicht auf plumpe Botschaften wie Kopftuch – ja oder nein. Wer das macht, der meint es nicht ernst mit dem Thema.“
Und heute? Hat Kurz begriffen, dass er mit seiner toleranten Haltung weniger weit kommt als mit harten Ansagen gegenüber Muslimen. Plötzlich kann Kurz sich vorstellen, Kopftücher im öffentlichen Dienst, also etwa für Lehrerinnen, zu verbieten. In einer TV-Diskussion prahlt er damit, dass er das Burka-Verbot durchgesetzt habe, das am 1. Oktober 2017 in Österreich in Kraft trat.
Kurz geht mit dem Thema Islam auf Stimmenfang
Über den Islam sprach er schon immer gerne, nur schlägt er dafür heute eben einen anderen Ton an. Als Integrationsstaatssekretär war er noch bemüht, Migration mit positiver Einstellung und Sprachkursangeboten entgegenzukommen. Selbst im Mai dieses Jahres wünschte er der muslimischen Community einen gesegneten Ramadan. Von diesem positiven Ansatz ist nicht viel übrig.
Wenn er heute über den Islam spricht, sagt er „der politische Islam“ und meint den militanten, gewaltbereiten Islam. Im Wahlprogramm konstruiert er einen Zusammenhang zwischen seiner Forderung nach höheren Strafen für Gewalt gegen Frauen und der Zuwanderung der vergangenen Jahre.
Im Unterkapitel „Politischer Islam“ schürt er Angst vor dem Islam im Allgemeinen, indem er prognostiziert, der Anteil der Menschen mit muslimischem Glauben werde innerhalb der nächsten 30 Jahre auf 21 Prozent der österreichischen Bevölkerung steigen.
Kurz und sein Team vermischen also gefährliche, radikale Strömungen und Menschen, die sich zu einer bestimmten Religion bekennen, unter derselben Überschrift. Das Kalkül ist einfach: Man will der FPÖ Stimmen abgreifen. Wenn Rechtspopulisten und Islamfeinde Stimmen bekommen, dann muss Kurz eben ein bisschen populistisch und islamfeindlich werden.
Also sagt Kurz, dass er ein komplett neues Asylsystem implementieren und damit „die Obergrenze für illegale Zuwanderung auf null setzen“ will, wie es im Wahlprogramm steht. Konkret heißt das: die Grenzen dichtmachen. Um Asylsuchenden trotzdem zu helfen, will Sebastian Kurz in Flüchtlingscamps mit NGOs nach Bedürftigen scouten. Diese sollen dann geregelt und legal nach Österreich einreisen dürfen. Anerkannte Asylberechtigte, die schon in Österreich sind, sollen weniger Sozialhilfe (die österreichische Mindestsicherung) als Staatsbürger bekommen. Eine Person soll nach diesem Modell mit maximal 560 Euro pro Monat auskommen.
„Eigentum ist die beste Maßnahme gegen Altersarmut”
Bei den Themen Migration und Asyl fährt Kurz eine harte Linie. Bei anderen Themen gibt er sich liberal. So fordert er einen „schlanken Staat“. Das gilt auch für EU-Apparate. Wenn es nach Kurz geht, sollen die EU-Kommission verkleinert werden und die Nationalstaaten wieder mehr Kompetenzen bekommen. Trotzdem ist der Außenminister ein Verfechter der EU und grenzt sich zumindest damit von der FPÖ ab.
Und sonst? Ist Kurz für Leistung. Das ist sowohl im Wahlprogramm als auch in Interviews und Diskussionen ein wichtiges Stichwort. Er will die Einkommenssteuer für die unteren Steuerklassen senken, spricht sich aber gegen eine Erbschaftssteuer aus. „Für junge Menschen ist Eigentum die beste Maßnahme gegen Altersarmut“, so ein Tweet der ÖVP. Die Aussage fasst ganz gut zusammen, wie konservativ sich Kurz und sein Team das ideale Leben eines Österreichers vorstellen: Karriere machen, Familie gründen, Eigenheim.
Mit seinem jungen, hübschen Gesicht, einer professionellen Kampagne und rechtspopulistischen Inhalten hat es Sebastian Kurz an die Spitze der Umfragen geschafft. Er weiß genau, was ihn weiterbringt.
Theresa Bäuerlein hat bei der Erarbeitung des Artikels geholfen; Vera Fröhlich hat ihn gegengelesen; Martin Gommel hat das Aufmacherfoto ausgesucht (OVP / Jakob Glaser)
Vielen Dank an Alexander, Christian, Kwink, Horst, Patrick, Philipp, Chris, Matthias, Antonia, Juliane, Siyuan, Peter, Andreas, Markus, Jürgen, Türker, Georg, Nina, Carola, Katharina, Anton, Alban, Reinhard, Thomas, Daniel, Martin und Sigrid für die Antworten auf meine Umfrage!