Durch Deutschland ist ein Ruck gegangen. Insgesamt 48 Parteien treten zur Bundestagswahl an. So viele waren es nicht mehr, seit die Kanzlerschaft Helmut Kohls 1998 ins sechzehnte Jahr gegangen war. Das zeigt: Der Wunsch nach Veränderung ist größer, als es die Umfrageergebnisse von Angela Merkels CDU vermuten lassen.
Wer die politischen Alternativen stärken, ein Zeichen setzen oder eine neue große Koalition verhindern will, hat im Prinzip sechs Möglichkeiten: Ungültig oder nicht wählen oder einer kleinen Partei seine Stimme geben, die es nicht in den Bundestag schaffen wird. Er kann aber auch „taktisch wählen” oder die beiden Parteien stärken, die nach derzeitigem Stand auf jeden Fall in der Opposition landen werden: die AfD und die Linkspartei.
Jede Option hat Vor- und Nachteile, die ich hier beleuchte. Wenn du manche von vorne herein ausschließt, kannst du einfach zu den Punkten springen, die dich interessieren.
Hinweis: In den Sprechblasen rechts gebe ich zusätzliche Informationen und weiterführende Links.
1. Ungültig wählen
Das ist einfach. Nimm einen Stift und schreibe auf den Wahlzettel einen netten kleinen Gruß an deine Mutter, und schon hast du „ungültig gewählt”. Oder lass den Zettel leer. Oder mache sieben Kreuze. Du wärst damit nicht der Erste. 2013 waren 1,3 Prozent der Zweitstimmen ungültig.
Allerdings haben ungültige Stimmen keinen Einfluss auf den Wahlausgang. Sie beeinflussen also nicht die Kräfteverhältnisse im Parlament, auch nicht dessen Größe, keine Partei bekommt deswegen weniger Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung (dazu später mehr). Die Fünf-Prozent-Hürde, die jede Partei überwinden muss, um in den Bundestag zu kommen, bleibt, wie sie ist. Eine ungültige Stimme hat nur eine konkrete Folge: Sie treibt die Wahlbeteiligung nach oben.
Warum entscheiden sich dann Menschen trotzdem für diese Option? Eine Annahme liegt nahe: Eine große Gruppe von Menschen wählt aus Versehen ungültig. Aber was treibt die anderen um, die bewusst keine gültige Stimme abgeben?
Um das herauszufinden habe ich mit einer Umfrage Menschen gesucht, die ganz bewusst ungültig wählen. 60 haben sich gemeldet. Ihre Antworten sind aufschlussreich. Sie nannten, grob gesagt, zwei Hauptgründe. Erstens, es gebe keine andere Möglichkeit: „Mit dieser Entscheidung bekenne ich mich zur Demokratie und zeige damit, dass die Politik der existierenden Parteien keine wirkliche Alternative anbietet”, schrieb mir ein Teilnehmer. Zweitens, das derzeitige politische System müsse sich wandeln: „Nicht wählen zu gehen, deuten Politiker oft als Politikverdrossenheit und motivieren uns zur Wahl. Aber eine ungültige Stimme ist ein Zeichen! Ich träume davon, dass eines Tages zwanzig Prozent aller Stimmen ungültig sind.”
Die Ungültig-Wähler treibt ein Gedanke um: Sie wollen ein Zeichen setzen. Allerdings bekommt dieses Zeichen kaum jemand mit. Der Ungültig-Wähler ist der große Unbekannte der deutschen Wahlen. Forscher und Journalisten sprechen nicht mit ihm, in den Talkshows kann er sich nicht rechtfertigen. Und wenn am Wahlabend die Ergebnisse verkündet werden, liegt das Hauptaugenmerk auf den Parteien, die es in den Bundestag schaffen. Die Ergebnisse der „Sonstigen” werden gebündelt präsentiert, die Wahlbeteiligung wird vermeldet – ungültige Stimmen spielen in der öffentlichen Diskussion keine Rolle.
Was aber, wenn plötzlich zehn, zwanzig Prozent der Stimmen ungültig wären? Die Saarländer haben 1952 gezeigt, was dann passiert. Damals sollten sie über einen neuen Landtag abstimmen, und knapp ein Viertel aller Wähler machte seinen Wahlzettel ungültig. Das Saarland war formal unabhängig, stand aber noch unter französischer Verwaltung und die Besatzungsmacht hatte die Demokratische Partei Saar, die sich für einen Anschluss an Deutschland stark machte, einfach verboten. Die rief daraufhin dazu auf, ihre Stimmen ungültig zu machen. Die Öffentlichkeit nahm 24,5 Prozent ungültige Stimmen also als Stimmen für eine Wiedervereinigung mit Deutschland wahr. Bundeskanzler Konrad Adenauer änderte daraufhin seine Politik, seit 1957 gehört das Saarland wieder zu Deutschland.
Diese Geschichte zeigt, welche Probleme Ungültig-Wähler heute haben. Es gibt nicht genügend von ihnen, und selbst wenn es sie gäbe: Ihr Zeichen ist nicht deutlich genug. Niemand weiß, wie ihre Wahl wirklich zu interpretieren ist. Was die Ungültig-Wähler erreichen wollen, ist für einen Außenstehenden völlig unklar. Wer also bei der Bundestagswahl ungültig wählt, setzt ein Zeichen – aber eines, das niemand versteht.
Eine bessere Alternative könnte Nicht-Wählen sein. Über die Wahlbeteiligung reden Politiker, Forscher und wir Journalisten oft. Sie wird beachtet.
2. Nicht wählen
2013 gingen 71,5 Prozent der Wahlberechtigten wählen. 2009 waren es 70,8 Prozent. Die Tendenz über die Jahrzehnte: fallend. Die alten Höchstmarken der 1970er Jahre in weiter Ferne. Deswegen wird viel über „Politikverdrossenheit” in Deutschland gesprochen. Nicht-Wählen wird bemerkt, aber im Prinzip hat der alternative Wähler hier das gleiche Problem wie beim Ungültig-Wählen: „Wie stelle ich sicher, dass die Botschaft auch ankommt?”
Meine Kollegin Anthonia Barthels hat ausführlich mit drei Nicht-Wählern gesprochen, deren Hintergründe so verschieden waren wie ihre Motive. Da ist der Anarchist, der Abstand zur Politik gewinnen will, die Mutter, die nicht glaubt, dass ihre Stimme irgendeinen Unterschied in ihrem Alltag bewirken kann und der Psychologie-Student, der seine sozialpolitischen Wünsche bei keiner Partei wiederfindet.
Hinzu kommt ein zweiter Aspekt: Erst, wenn wirklich viele Menschen nicht wählen gingen, würde ernsthaft über Reformen des Systems und grundlegende Veränderungen diskutiert werden. Bei den Wahlen zum Europaparlament sinkt die Wahlbeteiligung von Mal zu Mal. Deswegen gibt es eine Diskussion über die demokratische Berechtigung des EU-Systems.
Aber in Deutschland im Jahr 2017 wird es die eher nicht geben, jedenfalls nicht wegen der sinkenden Wahlbeteiligung. Bei den vergangenen vier Landtagswahlen sprang die Beteiligung um bis zu zehn Prozent nach oben. Grund dafür ist die AfD, die Anhänger wie Gegner mobilisieren kann. Bei der Bundestagswahl dürfte es einen ähnlichen Effekt geben. Die Wirkung einer Nicht-Wahl aus Protest wird entsprechend kleiner sein.
Außerdem hat Nicht-Wählen aus Protest noch eine andere Folge: In unserem Wahlsystem ist jede nicht abgegebene Stimme eine Stimme für die großen Parteien, die es in den Bundestag schaffen. Jede Stimme weniger verstärkt die Stimmen für die Parteien, die von den übrigen gewählt werden. Da das in der Mehrheit genau die Parteien sind, die in den vergangenen Jahren regiert haben, wird Protest-Nicht-Wählen in sein Gegenteil verkehrt. Es wird so interpretiert: „Ich finde okay, was ihr macht.”
Nicht-Wählen (genauso wie Ungültig-Wählen) hat aber noch einen weiteren Effekt. Der kommt vor allem dann zum Tragen, wenn es Parteien gibt, die ihre Anhänger gut mobilisieren können. Bei den vergangenen Wahlen deutete vieles darauf hin, dass das der AfD im Moment gut gelingt.
Wenn eine Partei es schafft, ihre Anhänger zur Wahl zu motivieren, spielt es ihr in die Hände, wenn die Wähler der anderen Parteien zu Hause bleiben - weil sie rechnerisch weniger Stimmen braucht, um die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Aber die richtige Wählermobilisierung hat auch schon völlig neue Regierungskonstellationen zustande gebracht. Es gäbe heute wahrscheinlich keine grüne Regierung in Baden-Württemberg, hätten nicht Hunderttausende Baden-Württemberger, die eigentlich gar nicht wählen wollten, nach der Fukushima-Katastrophe ihr Kreuz bei den Grünen gemacht.
Nicht-Wählen aus Protest heißt also: die politische Zukunft des Landes komplett anderen zu überlassen. Und im Gegenzug vielleicht unter Umständen eines Tages, aber auf jeden Fall nicht bei dieser Wahl, eine große Debatte über das deutsche politische System anzustoßen.
In meiner Umfrage haben neben den Ungültig-Wählern auch noch 1.200 andere Menschen mitgemacht. Einige von ihnen wollen das Gleiche erreichen wie die Nicht-Wähler, haben dafür aber eine andere Strategie.
3. Eine kleine Partei wählen
Viele sagen: Eine Stimme für eine kleine Partei ist eine verschenkte Stimme, weil sie es nicht in den Bundestag schafft. Wenn man annimmt, dass Politik nur aus parlamentarischer Arbeit besteht, stimmt das. Aber gerade die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Politik viel mehr ist: Demonstrationen wie Pegida und Pulse of Europe haben die Debatten geprägt, die AfD verändert das Land, obwohl sie nicht im Bundestag ist, auch die Piraten haben es nie ins höchste deutsche Parlament geschafft und trotzdem ihre Spuren hinterlassen. Parteien können wirken ohne im Bundestag zu sein, in dem sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit lenken. Diesen Effekt solltest du nicht unterschätzen.
Beispiel Piraten: Die Partei ist aus den Schlagzeilen verschwunden, ihr Erbe sieht man aber überall. Sie hat das Thema Digitalisierung gesetzt, als es dieses Wort im Grunde noch nicht gab und Christian Lindner ein unbekannter Bundestags-Debütant war. Dabei begann ihr Erfolg mit einer eigentlich unscheinbaren Wahl: der Europawahl 2009. Damals holten die Piraten im ersten Anlauf 0,9 Prozent. Dieses Ergebnis hat ausgereicht, um die Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen, und damit auch die der anderen Parteien. Diese richteten schnell netzpolitische Arbeitsgruppen ein, um den Piraten etwas entgegenzusetzen.
Noch ein Beispiel aus einer anderen politischen Richtung: die Freien Wähler, die ihre Wurzeln in Bayern haben. Während der Eurokrise 2011/2012 erlebten sie ungeahnten Zulauf; einigen Umfragen zufolge hatten sie sogar eine realistische Chance, in den Bundestag einzuziehen. Mit dabei waren damals zwei Männer, die ein Jahr später selbst eine neue Partei gegründet haben: Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Bei den Freien Wählern haben sie gesehen, dass es eine Lücke in der politischen Landschaft gibt, die sie mit ihrer bundesweit antretenden, eurokritischen AfD füllen wollten. Warum sollte so etwas nicht auch heute in einem anderen politischen Spektrum passieren können? Kleine Parteien führen zur Gründung anderer kleiner Parteien, die vielleicht mal groß werden.
Abgesehen von der Aufmerksamkeit: Das deutsche Parteiengesetz sieht noch etwas vor, das dir dabei helfen kann, deine Entscheidung zu treffen. Jede Partei bekommt pro gültiger abgegebener Zweitstimme 0,83 Euro jährlich, wenn sie mindestens 0,5 Prozent bei der Bundestagswahl holt. Die Höhe dieser Gelder hängt davon ab, welche anderen Einnahmen eine Partei noch hat. Mit deiner Stimme hilfst du also, die Strukturen der Partei zu festigen. Tatsächlich tauchte dieser Grund in meiner Umfrage bei den Wählern von kleinen Parteien immer wieder auf.
Die AfD hatte 2014 erkannt, dass sich diese Regeln zur Finanzierung von Parteien manipulieren lassen: Sie verkaufte über einen Online-Shop eigenständig Goldmünzen und -barren und konnte so ihre Einnahmen und damit die staatliche Finanzierung steigern. Der Satirepartei Die Partei gelang es, das zu ändern: Sie verkaufte Geld unter Wert. Gegen Zahlung von 25, 55 oder 105 Euro boten sie an, dem Käufer 20, 50 oder 100 Euro zurückzusenden. Das war eine Satireaktion – die aber dazu führte, dass die Regeln für die Parteienfinanzierung geändert wurden. Jetzt ist der Gewinn entscheidend und nicht mehr die Einnahmen. Es gibt in diesem Jahr viele Gründe, einer Satirepartei keine Stimmen zu geben. Aber dass die Partei Die Partei wirklich absolut nichts bewirken könnte, ist keiner davon.
Dieselbe Logik, die bei diesen drei Beispielen greift, funktioniert bei allen kleinen Parteien. Mit deiner Stimme hilfst du, Themen zu setzen. Am Deutlichsten dürfte das bei dem neuen Bündnis Grundeinkommen sein, das sich bisher wirklich nur auf dieses Thema konzentriert und als eine Art Volksabstimmung agieren will. Das Bündnis weist so geschickt daraufhin, dass es eine Lücke im deutschen politischen System gibt. Du könntest auch Demokratie in Bewegung wählen, die neue Formen der Beteiligung ausprobieren will, oder den Tierschutz mit einem Kreuz bei der Tierschutzpartei stärken.
Noch eine weitere Folge kann eine Stimme für eine kleine Partei haben. Sie wird immer unterschätzt, weil sie so schlecht zu messen ist. Einer der Teilnehmer an meiner Umfrage hat gut in Worte gefasst, warum man eine kleine Partei wählen sollte: „Weil hinter jeder (insbesondere kleinen/neuen) Partei, Menschen stehen, die sich engagieren und sich über jede für sie abgegebene Stimme freuen.” Kleine Parteien müssen sich viel stärker als die Großen auf das freiwillige Engagement ihrer Mitglieder verlassen. Dieses Engagement unterstützt du mit einer Stimme.
Allerdings – und das ist wichtig: Schafft es eine Partei eben nicht über die Fünf-Prozent-Hürde, stärkst du all die Parteien, die es in den Bundestag schaffen. Denn die Sitze, die der kleinen Partei zustünden, wenn es diese Hürde nicht gäbe, bleiben ja nicht leer. Aber im Gegensatz zum Nicht- oder Ungültig-Wählen: Niemand muss raten, was du mit deiner Wahl eigentlich bezwecken wolltest.
Noch ein Hinweis: Falls du dich für Politik interessiert, solltest du dir wirklich einmal die Antworten auf meine Umfrage ansehen. Sie werfen ein Schlaglicht auf den Zustand der jeweiligen Parteien und zeigen, was ihre Anhänger umtreibt. Falls dir das zu mühsam ist: In meinem nächsten Newsletter werde ich zusammenfassen, was ich gelernt habe. Hier abonnieren.
4. AfD wählen
Die AfD ist die einzige Partei, die mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit in der Opposition landen wird. Denn niemand will mit ihr koalieren. Damit ist ein Kreuz für die AfD auch ein Kreuz gegen die anderen Parteien. Allerdings ist nicht sicher, ob diese klare Positionierung auch in wirklich effektiver Oppositionsarbeit (vgl. „Die Linke wählen”, Punkt 5) münden kann. Denn die Kandidaten der AfD haben noch keine Erfahrung mit dem Bundestag und den Werkzeugen der parlamentarischen Arbeit. Den Großteil der Legislaturperiode werden sie damit zubringen, die Spielregeln zu lernen. Und dann ist auch schon wieder Wahlkampf.
AfD wählen signalisiert also Protest, aber der muss nicht effektiv sein. Dieses Signal kostet dich einen Kompromiss, über den du dir im Klaren sein solltest. Du machst dein Kreuz bei einer im Kern neoliberalen Partei, die aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen und unsere Parlamente entmachten will. Bei einer Partei, in der führende Mitglieder völkisch-nationale Ideen propagieren, die – falls sie umgesetzt werden – dazu führen, dass Deutschland zweigeteilt wird in “echte Deutsche” und alle anderen.
5. Die Linke wählen
Die Linkspartei ist die wahrscheinlich profilierteste Oppositionspartei in Deutschland. Sie hat aber auch noch nie im Bund regiert. In den vergangenen vier Jahren bildete die Linkspartei zusammen mit den Grünen eine sehr kleine Opposition im Bundestag. Gemeinsam setzten die beiden Parteien mehrere für die Regierung unangenehme Untersuchungsausschüsse ein, etwa den zur BND-NSA-Affäre, der ans Licht brachte, dass auch der deutsche Geheimdienst ständig Gesetze gebrochen hat. Die Abgeordneten der Linkspartei stellten in den vergangenen vier Jahren tausende kleine Anfragen und konnten so auf bestimmte Themen (zum Beispiel Aufrüstung, Rechtsextreme) immer wieder aufmerksam machen. „Wie aus einer kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorging …”, ist ein Satz, den man in den letzten Jahren öfter von den Sprechern der Tagesschau zu hören bekam.
Aber: Da die CDU/CSU nicht mit der Linkspartei regieren will (und die Linkspartei nicht mit der CDU/CSU), wäre die einzige Chance ein Bündnis mit den Grünen und der SPD. Rot-Rot-Grün ist nach Stand der derzeitigen Umfragen meilenweit von einer Mehrheit entfernt. Zudem ist die Sympathie für dieses Bündnis bei SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz inzwischen wieder abgekühlt. Dass es doch noch dazu kommen wird, ist sehr unwahrscheinlich.
Eine Stimme für die Linke wäre deswegen, klar, eine Stimme für die Linke, aber auch eine gegen eine Regierung unter Führung von Angela Merkel. Sie könnte aber dazu führen, dass eine große Koalition wahrscheinlicher wird, weil sie eine andere Koalitionsoption eine Spur unwahrscheinlicher werden lässt: Schwarz-Gelb-Grün.
An dieser Stelle kurz der Hinweis: Ich stelle hier Vermutungen an, die sich als richtig herausstellen können oder auch nicht. Es besteht die reelle Chance, dass du „taktisch wählst” – so nennt man das – und am Ende ein völlig anderes Ergebnis bekommst, als du wolltest.
6. Taktisch wählen als CDU- oder SPD-Sympathisant
Taktisch wählen heißt: Seine eigentliche Vorliebe zurückzustellen, um ein bestimmtes Ergebnis wahrscheinlicher zu machen. Das ist vor allem eine Option für Wähler, die mit der CDU/CSU oder SPD ganz zufrieden sind, aber keine große Koalition mehr wollen.
Gerade lassen die Umfragen vermuten, dass nur zwei Regierungen möglich sind: eine große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen. Wer die große Koalition nicht will, muss also das andere Bündnis wahrscheinlicher machen. Es gibt nur ein Problem: Weder Grüne noch FDP noch die Union finden Jamaika besonders gut. Währenddessen hat Martin Schulz schon Bedingungen für eine mögliche Koalition genannt, die die Union im Zweifel sicher gerne erfüllen würde (und politisch auch könnte), wenn dafür die große Koalition weiterbestünde. Eine Stimme für die CDU/CSU oder die SPD wäre also eine für genau diese Variante.
Es ist vertrackt, und dem taktischen Anti-Groko-Wähler, der SPD oder die Union gut findet, bleibt nur die Wahl zwischen Grün oder Gelb. Denn nur so stärkt er das Jamaika-Bündnis. Er müsste darauf hoffen, dass die SPD-Parteibasis gegen eine neue große Koalition rebellieren wird und Jamaika dann als einzige Option übrigbleibt; das ist gar nicht so unwahrscheinlich. 2013 gelang es dem damaligen SPD-Chef Sigmar Gabriel nur mit Mühe, seine Partei hinter ein Bündnis mit der Union zu bringen.
Allerdings gibt es natürlich zwischen den Zielen der FDP und denen der Grünen Unterschiede. Mit der FDP könnte die Union sich inhaltlich eher einigen als mit den Grünen. Außerdem stehen die Liberalen in den Umfragen bereits besser da. Der taktische Anti-Groko-Wähler könnte darauf spekulieren, dass die FDP noch besser abschneiden wird, als es die derzeitigen Umfragen vermuten lassen, und so plötzlich Schwarz-Gelb möglich wird. Das ist nach derzeitigem Stand auf jeden Fall wahrscheinlicher als Schwarz-Grün.
„Taktisches Wählen” ist von allen sechs Varianten die risikoreichste und sie ähnelt dem Nicht- und Ungültig-Wählen, weil das Signal, das du senden möchtest, untergehen könnte. Aber sicher ist: Eine Stimme für die FDP oder die Grünen macht eine große Koalition unwahrscheinlicher und wäre aus taktischer Anti-Groko-Sicht besser als eine Stimme für die Linkspartei.
Danke an alle, die bei der Umfrage mitgemacht haben. Ich konnte durch euch viel lernen. Ihr habt mir mit eurer kleinen Zeitspende sehr weitergeholfen!
Bei der Erarbeitung des Artikels hat Theresa Bäuerlein geholfen; gegengelesen hat Vera Fröhlich; das Aufmacherbild hat Martin Gommel ausgesucht (iStock / Dmitrii_Guzhanin)