Politiker verfolgen dich im Internet (jedenfalls versuchen sie es)
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Politiker verfolgen dich im Internet (jedenfalls versuchen sie es)

Können Parteien mit extrem personalisierten Facebook-Anzeigen unsere Wahlentscheidung manipulieren? Seit der US-Wahl haben viele Angst davor. Nach meiner Recherche habe ich einen Rat: Cool bleiben.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Wie konnte das passieren?

Nachdem die US-Bürger Donald Trump zum Präsidenten gewählt hatten, stellte sich die halbe Welt diese Frage. Ein Schweizer Magazinartikel gab eine sehr einleuchtende Antwort: Datenspezialisten hatten Trump mit einer komplexen, neuen Werbetechnologie zum Sieg verholfen. Das passte in das Weltbild vieler Menschen. Sie dachten sich: „Trump konnte nur gewinnen, weil er seine Wähler manipuliert hatte.“ Und sie teilten den Text hunderttausendfach.

Kleines Problem daran: Bis heute gibt es keinen einzigen stichhaltigen Beleg, dass diese Methode so effektiv war, wie behauptet. Grundlegende Fakten in dem Artikel stimmen nicht.

“Fake News”, “Echokammern” und “Filterblase” gehören seitdem trotzdem zum Grundwortschatz vieler Deutscher, die sich für Politik interessieren. Es stand plötzlich dieses Wort im Raum, so fies, so unanständig: Manipulation, der Wähler und im Grunde auch der Wahlen selbst. Und dem Wort folgten diese ganzen Fragen: Kann ich auch manipuliert werden? Wenn ich manipuliert werden kann, können dann alle manipuliert werden? Wer darf solche Macht haben? Kann Facebook Wahlen entscheiden? Und diese letzte Frage, die eigentlich eine Drohung war: Hält unsere Demokratie das aus?

In Deutschland tauchen die gleichen Fragen wieder auf. FDP-Spitzenkandidat Christian Lindner hat schon bewiesen, dass sich mit einem geschickten Auftritt in den sozialen Medien Stimmungen verstärken lassen. Erst kam die Aufmerksamkeit, dann kamen die Wähler. Seine Partei zog im Mai 2017 mit einem Fabelergebnis von 12,6 Prozent in den Landtag von Nordrhein-Westfalen ein. Dass sie in den Bundestag kommt, gilt nach Stand der Umfragen im Augenblick (August 2017) als sicher. Die Budgets für den Digitalwahlkampf wachsen. Aber im Grunde weiß niemand, was die Teams der Politiker da treiben. Gleichzeitig gibt es, anders als bei Fernsehwerbung, keine zentrale Aufsicht, die sich das genauer anschaut. Und dennoch können wir cool bleiben, zumindest in diesem Wahlkampfjahr. Das kann ich nach dieser Recherche sagen.

Die CDU baut mit einer neuen App eine Wahl-Datenbank auf

Denn bisher sind die Online-Wahlkämpfe der deutschen Parteien noch lange nicht so hochgerüstet wie die ihrer amerikanischen Kollegen. Sie nutzen zwar alle Möglichkeiten, die sich bieten. Sie haben Wahlkampf-Apps, posten bei Facebook und Twitter, verschicken Newsletter und Whatsapp-Nachrichten mit Argumentationshilfen. Aber schon die Größe der Online-Teams zeigt, dass die deutschen Parteien nicht so große Kampagnen haben. Bei der Linkspartei arbeiten da etwa neun Mitarbeiter, bei der SPD zehn. Die FDP investiert zehn Prozent ihres Budgets, die Linkspartei sieben Prozent. Der Politikberater Martin Fuchs schätzt, dass die beiden großen Parteien SPD und CDU jeweils insgesamt 20 Millionen Euro zur Verfügung haben. Zehn Prozent davon sollen in die Internet-Werbung fließen. Zum Vergleich: Hillary Clinton hat 60 Millionen Dollar ausgegeben, nur für Fernsehwerbung, nur in den Vorwahlen, also als sie noch nicht einmal Kandidatin war.

Doch diese Zahlen führen in die Irre, wenn man verstehen will, wie die Datenanalyse den Online-Wahlkampf beeinflusst. Denn das Versprechen personalisierter Anzeigen ist ja gerade, dass man mit wenig Geld sehr viel erreichen kann. Die These: Dadurch, dass jeder Wähler individuell angesprochen werden kann, sind die Anzeigen effektiver. Das ist die Idee hinter dem sogenannten Micro-Targeting.

Sind unsere Wahlen nicht mehr frei?

Um einen wirklich guten Eindruck der Online-Wahlkampagnen zu bekommen, müsste man also herausfinden, wie die Parteien dieses Werkzeug nutzen. Die Grünen haben versprochen, ihre Facebook-Anzeigen auf ihrer Homepage zu veröffentlichen. Aber das Interessanteste veröffentlichen auch sie nicht: nämlich welchen Wählern sie welche Werbung zeigen wollen. Diese Frage verbirgt sich hinter unseren Diskussionen um Big Data: Können Wähler durch „die richtige Ansprache“, wie es im Werbedeutsch heißt, so stark und aggressiv beeinflusst werden, dass die Grundsätze der freien Wahlentscheidung nicht mehr gelten?

In den USA schnitten die Republikaner um Donald Trump zum Beispiel ihre Werbeanzeigen auf Clinton-Anhänger zu. Aber nicht, um sie von Donald Trump zu überzeugen, sondern um die Wähler dazu zu bringen, zu Hause zu bleiben und nicht zu wählen. Sie versuchten gar nicht erst, ihren eigenen Mann in ein gutes Licht zu rücken, sie wollten nur ihrer Kontrahentin schaden. So erinnerten sie zum Beispiel idealistische Linke daran, dass Clinton sich für das pazifische Freihandelsabkommen einsetzte, oder schwarze Wähler daran, dass sie sich in den 1990er Jahren mal negativ über afro-amerikanische Männer geäußert hat.

Werbung genau auf solche Gruppen zuzuschneiden, ist auf Facebook einfacher als man denkt. Denn die Nutzer dort liken bestimmte Seiten, klicken bestimmte Artikel an und formen so „Interessens“-Kategorien, die die Internet-Firma wiederum an ihre Werbekunden weitergeben kann. Ein Beispiel: Um idealistische US-Linke in Florida zu finden, könnte es schon reichen, die Interessen „Bernie Sanders“ (das war Clintons linker Gegenkandidat in den Vorwahlen) mit dem Wohnort zu kombinieren.

Deutschland ist besonders

Menschen definieren sich über Gruppen – und diese Gruppen entwickeln, ob sie das wollen oder nicht, bestimmte Merkmale, die ein kluger Werber nutzen kann, um die richtigen Menschen zu erreichen. Das Prinzip ist nicht neu, es wird schon lange eingesetzt: Medien, die ihren Werbekunden eine „spitze Zielgruppe“ anbieten können, können höhere Preise für die Anzeigen verlangen. Oder konkret: Ein Medium über Hunde ist für Tierfutterhersteller ein besseres „Werbeumfeld“ als ein Nachrichtenmagazin.

Aber in den USA können die Parteien noch mehr. Denn dort sind die Wählerregister frei zugänglich. Das heißt: Die Parteien wissen, wer bei den letzten Wahlen gewählt hat, wo diese Person wohnt und wie sie heißt. Hat sie zudem bei der Registrierung noch angegeben, welcher Partei sie zuneigt, lassen sich sehr konkrete Schlüsse über die Wahlentscheidung ziehen. Diese individuellen, politischen Informationen können die Parteien mit anderen Daten verbinden, zum Beispiel den Profilen von Rabatt-Karten, Kredit-Instituten und anderen Datenhändlern, zu denen auch große deutsche Medien wie die Wochenzeitung Die Zeit gehören. So erhalten die Werber sehr gute, sehr detaillierte Profile der einzelnen Wähler. Aber: In Deutschland ist all das nicht möglich.

Wähler müssen sich hier nicht vor der Wahl registrieren. Es gibt also auch keine entsprechenden Datenbanken. Zwar veröffentlichen die Bezirkswahlämter nach den Abstimmungen detaillierte Ergebnisse, daraus lassen sich aber nur Schlüsse für den ganzen Häuserblock beziehungsweise Straßenzug ziehen. Mit diesen Daten ist es nicht möglich, einzelne Wähler zu identifizieren, und schon gar nicht, sie danach gezielt auf Facebook oder Instagram anzusprechen. Jeanette Hofmann erforscht am Berliner Wissenschaftszentrum und an der FU Berlin Internetpolitik. Sie sagt: „Man kann in begrenztem Umfang Daten dazukaufen, von der Post zum Beispiel“, aber die seien in der Regel auch nicht so reichhaltig, dass sich mit ihnen individuelle Profile erstellen ließen.

Und selbst, wenn es diese Daten gäbe … Deutschland hat strenge Datenschutzgesetze, die bestimmte Dinge schlicht verbieten. Personenbezogene Daten zum Beispiel dürfen in Deutschland nur mit schriftlicher, persönlicher Einwilligung der Betreffenden erhoben und verarbeitet werden. Handelt es sich bei diesen Daten um Informationen über die Gesundheit, die Ethnie, die Gewerkschaftszugehörigkeit, die politische Meinung oder andere sensible Bereiche, muss sich die Einwilligung ausdrücklich darauf beziehen. Der Unterschied zu den Wählerregistern in den USA könnte nicht größer sein.

Die Parteien könnten auch in Deutschland sehr effektive Werbung schalten

Aber Unternehmen wie Facebook haben diese Daten natürlich. Oder anders gesagt: Die Nutzer der Social-Media-Plattformen schenken den Konzernen ihre Daten, im Gegenzug bekommen sie die Möglichkeit, sich zu vernetzen, sich zu informieren und unterhalten zu werden. In einer kleinen Studie haben sich fünf Wissenschaftler angeschaut, was heute in Deutschland völlig datenschutzkonform möglich wäre.

Durch Analyse der Like-Daten konnten sie 150.000 deutsche Wechselwähler verschiedener Parteien auf Facebook identifizieren. Wechselwähler sind für Wahlkämpfer eine wichtige Gruppe, schließlich gibt es hier eher die Möglichkeit, neue Wähler zu gewinnen, als wenn man loyale Stammwähler anderer Parteien ansprechen müsste. Aber, schränken die Forscher in ihrem Fazit ein: „Die Gruppe der Leute, die sich auf Facebook zu politischen Themen äußert, ist nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung, die Art der Äußerungen online ist nicht einfach mit einer politischen Meinungsäußerung gleichzusetzen (ein Like ist keine Wählerstimme).“

Außerdem gibt es gerade in Deutschland noch ein anderes Phänomen: Sehr wenige Nutzer posten vergleichsweise viel. Meine Freunde zum Beispiel sagen mir oft, dass ich mit der Einzige in ihrem Facebook-Stream bin, der etwas zu Politik postet. Das überrascht mich meistens, weil es von Menschen kommt, die noch nie meine Posts kommentiert oder gelikt haben, also von Menschen von denen ich gar nicht wusste, dass sie meine Sachen sehen und lesen. Für die Wahlkämpfer wäre ich persönlich vergleichsweise leicht zu erfassen. Aber was ist mit meinen Freunden, die auch alle wählen gehen? (Hoffe ich zumindest.) „Gerade weil eine Mehrheit der Nutzer in den sozialen Netzwerken eigentlich sehr wenig aktiv ist, besteht die Gefahr, dass sich die Politik auf die Gruppe konzentriert, die die meisten Daten hinterlässt, auch wenn das nicht repräsentativ ist“, schreiben die Forscher in ihrer Studie.

Online-Werbung ist für die deutschen Parteien gerade noch ein bisschen so, als würden sie einen Sack voller Samen in großer Höhe über der Landschaft ausleeren. Dass die Samen irgendwo landen und ein paar von ihnen auch aufgehen, ist sicher. Aber wie viele es sind und wo sie landen, wissen sie nicht. In den USA hingegen fahren – um im Bild zu bleiben – Sämaschinen über die Felder.

Die Parteien bereiten 2017 schon die Bundestagswahl im Jahr 2021 vor

Die Parteien wissen das. Deswegen beginnen sie in diesem Wahlkampf eine Arbeit, die sich erst in den nächsten Wahlkämpfen richtig auszahlen wird. Sie erstellen Datenbanken über ihre Wähler. Ganz vorne dabei: Angela Merkels CDU. Die hat eine App für ihre Wahlkämpfer veröffentlicht, die sie bei der Planung ihres Haustürwahlkampfes unterstützt. Dort, wo die Wahrscheinlichkeit am höchsten ist, auf CDU-Wähler zu treffen, sollen die Unions-Anhänger ihre Haustürwahlkämpfe, Flyer-Aktionen und Infostände konzentrieren. Glaubt man der CDU, dann funktioniert die App. Angeblich soll das Ergebnis in jenen Wahlkreisen um zwei bis zweieinhalb Prozentpunkte höher sein, wo sie eingesetzt wird.

Aber die Steuerung und Motivation der Wahlkämpfer ist nur ein Effekt der Software. Denn die Unterstützer können mit der App eintragen, wo Türen geöffnet wurden, was die Menschen dahinter von der CDU halten, wie alt sie sind und welches Geschlecht sie haben. Diese Daten werden blockweise erhoben, im Einklang mit den Datenschutzgesetzen, heißt es bei der CDU. Aber sie sind trotzdem sehr wertvoll. Denn die Partei weiß während des Wahlkampfs sehr genau, wie sich die Stimmung „auf der Straße“ entwickelt und hat für den nächsten Wahlkampf eine viel bessere Datenbasis, um ihre Kampagnen weiterzuentwickeln. Politikberater Fuchs, spezialisiert auf digitale Kampagnen, sagt: „Die App ist auf vielen Ebenen klug.“ Denn zwar hätte es schon immer Apps gegeben, genauso wie den Haustürwahlkampf, aber nun werde das zusammengeführt. Das sei ein „Riesenvorteil“: „Die Wahlkämpfer können zurücksenden, wie gerade die Lage ist. Wodurch wiederum die Online-Werbung angepasst werden kann.“

Ein hypothetisches Beispiel: Die CDU-Wahlkämpfer bekommen mit, dass sich ihre Stammwählerschaft nahe der großen deutschen Autofabriken immer mehr darüber ärgert, wie die Regierung die Diesel-Krise handhabt. Einige von ihnen wollen dieses Jahr deswegen gar nicht wählen gehen. Die CDU-Zentrale könnte nun für ihre Facebook-Fans in Wolfsburg (VW), Ingolstadt (Audi), Sindelfingen (Daimler) oder Rüsselsheim (Opel) Anzeigen schalten, um sich in ein besseres Licht zu rücken.

Müssen wir diese Werbung wirklich regulieren?

Aber mein Beispiel zeigt schon: Ganz so einfach ist das alles noch nicht. Wie müsste denn diese Anzeige aussehen, dass sie wirkt? Was müsste da stehen? Und überzeugt das die Leute dann wirklich? Die Forscherin Jeanette Hofman sagt: „Wenn Sie auf ihre eigene Erfahrung mit Werbung schauen, dann wissen Sie ja, dass Sie da nicht völlig hirnlos drauf reagieren.“

Hofmann glaubt nicht, dass es für Online-Werbung der Parteien neue Regeln und Gesetze bräuchte. Bei Fernsehwerbung zum Beispiel kontrollieren Landesmedienanstalten ganz genau, dass jede Partei nur so viel Sendezeit bekommt, dass die Chancengleichheit gewahrt bleibt. Das braucht es im Netz aber laut Hofmann nicht.

Martin Fuchs wiederum, der Politikberater, sieht das ein bisschen anders. Er hält zwar auch nichts von neuen Gesetzen, findet aber, dass die Öffentlichkeit wenigstens erfahren sollte, welche Anzeigen die Parteien welchen Personengruppen zeigen. Deswegen hat macht er bei der Initiative #PolitikAds mit. Ins Leben gerufen hat sie die Schweizerin Adrienne Fichter. Gemeinsam mit der britischen NGO “Whotargetsme” und der Webseite Buzzfeed wollen die beiden die Wahlanzeigen der Parteien dokumentieren. Die Frage stehe im Raum, so Fuchs, wie Online-Wahlkämpfe die Meinung der Bürger beeinflussen. Und um diese zu beantworten, müssten wir erst einmal verstehen, was genau da passiert. „Daraus ist PolitikAds entstanden, nicht aus der These heraus, dass das irgendwie böse sei.“

Fuchs weist mich auf ein schönes Beispiel hin. Die Linkspartei in Sachsen benutzt Facebook-Anzeigen, um eine ganz spezielle Gruppe von Politikinteressierten zu erreichen: AfD-Wähler. Thomas Dudzak von den Linken erklärt das Prinzip: Man habe geschaut, bei welchen Themen AfD-Sympathisanten und Linkspartei-Wähler Gemeinsamkeiten haben. Wenn die AfD Sachsen oder Frauke Petry sich zu Wort gemeldet haben, hat die Linkspartei mit eigenen Anzeigen für diese Zielgruppe darauf reagiert. Dudzak sagt: „Mit zielgerichteter Online-Werbung können wir das machen, was eigentlich jede Partei will: Leute einbinden, die man eigentlich nicht erreichen kann.“


Dominik Wurnig hat mitgeholfen, den Artikel anzufertigen. Vera Fröhlich hat gegengelesen. Martin Gommel hat das Titelfoto ausgesucht (iStock / uschools)