Wie Marine Le Pen ihren Fremdenhass tarnt und sich als Verteidigerin der Moral verkauft
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Analyse: Wie Marine Le Pen ihren Fremdenhass tarnt und sich als Verteidigerin der Moral verkauft

Die Präsidentschaftskandidatin des Front National hat es geschafft, auch in der bürgerlichen Mitte Gehör zu finden. Statt plumpe rassistische Parolen zu verkünden, appelliert sie an den Nationalstolz der Franzosen und verkauft die Ausgrenzung von Ausländern als Überlebensstrategie. Wie schafft sie das? Ich habe mich wissenschaftlich mit dieser Frage beschäftigt und will Euch Le Pens Vorgehen in fünf Schritten erklären.

Profilbild von Analyse von Armin Ghassim

Es mag paradox erscheinen, dass Moral gerade in der Strategie einer fremdenfeindlichen Partei wie dem Front National eine zentrale Rolle spielen soll. Doch eben in ihrem moralischen Unterbau liegt wohl der Grund, weshalb Marine Le Pen und ihre Anhänger, vergleichbar mit der AfD in Deutschland, so immun gegen eine Argumentation über liberale Werte sind. Marine Le Pen hat den Front National nicht bloß durch eine moderate Rhetorik attraktiver für die gesellschaftliche Mitte gemacht, sondern, wie für die neuen Rechten typisch, durch ihren moralischen Diskurs zum Thema Einwanderung.

Wie hat sie das gemacht?

Schritt 1: Die nationale Identität betonen

Auf diese nationale Identität beruft Le Pen sich gern und immer wieder, genauso wie auf die stolze französische Tradition. In Kapitel 5 ihres Wahlprogramms fordert sie unter der Überschrift „Verteidigung der französischen Einheit und nationalen Identität“, dass alle öffentlichen Gebäude zu jeder Zeit die Flagge Frankreichs, die Trikolore, hissen sollen. Europaflaggen hingegen will sie nirgendwo mehr sehen. Zudem schlägt sie diverse Verfassungsänderungen vor, etwa den Grundsatz der „Verteidigung unserer Volksidentität“ und der „nationalen Priorität“. Als konkrete Beispiele nennt sie den Schutz der französischen Sprache und das Lehren der „nationalen Erzählung“ in Schulen.

Schritt 2: Auf die Ideologie der anderen zielen

Entscheidend ist nun, wer an der „Volksidentität“ teilhaben darf. Auch wenn sich der Grundsatz, „der Islam gehört nicht zu Frankreich“, – anders als die auf Deutschland gemünzte Aussage bei der AfD – nicht im Programm Le Pens finden lässt, ist ihr Verständnis davon, wer nicht zu Frankreich gehört, doch eindeutig. Zu der im vergangenen Sommer heiß geführten Burkini-Debatte sagte sie beispielsweise: „Frankreich ist nicht Burkinis am Strand. Frankreich ist Brigitte Bardot. Das ist Frankreich.“

Man muss sich dieses Zitat genau anschauen, um dessen Tragweite zu erkennen: Brigitte Bardot ist eine französische Schauspielerin aus den 1960er Jahren, die besonders mit attraktiven Bikini-Szenen am Strand berühmt wurde und in Erinnerung geblieben ist. Der maximale Kontrast, den Le Pen hier zieht, also Burkini gegen blonde Strandschönheit, hat zwei Funktionen: Erstens lässt er Burkinis als repräsentativ für Muslime erscheinen, völlig egal wie klein der Anteil muslimischer Frauen ist, die diesen Badeanzug tragen. Der Burkini symbolisiert in Le Pens Aussage den vermeintlich typischen Unwillen von Muslimen, sich zu integrieren, und erlaubt der Rednerin so, eine undurchlässige Grenze zwischen der französischen und muslimischen Identität zu ziehen. Zweitens ist die gealterte Brigitte Bardot heute eine offene Unterstützerin Le Pens. Gerade sie zur Repräsentantin Frankreichs zu erklären, lässt die Unterstützung des Front National als bestmögliche Vertretung französischer Identität erscheinen.

Bei Le Pen ebenso wie bei der AfD wird der Islam immer wieder als politische Ideologie attackiert, nicht die Muslime selbst. Dieser Fokus auf eine Ideologie anstelle von Menschen ist ein sehr effektives Mittel, sich gegen den Vorwurf der Diskriminierung abzusichern. Wenn aber Fundamentalismus als typisch für Muslime präsentiert wird, dann ist deren Ausgrenzung die logische Folge. Und damit hat Le Pen dann genau das erreicht, was sie will: Die Muslime als Menschen auszugrenzen – ohne, dass sie sich dabei „die Finger schmutzig“ gemacht hätte.

Schritt 3: Die Gefahr der Islamisierung heraufbeschwören

Ein Ausschluss von der nationalen Identität allein legitimiert rechtsextreme Politik heute aber noch nicht. Damit die eigene Agenda als moralisch erforderlich präsentiert werden kann, muss die ausgegrenzte Gruppe auch als Gefahr gelten. Zum einen betont Le Pen in diesem Zusammenhang natürlich immer wieder die Gefahr islamistischen Terrors. Interessanter aber, weil fundamentaler, ist die als existenziell gezeichnete Bedrohung der französischen Identität.

Le Pen erschafft durch ihre Rhetorik ein Bild, in dem Frankreich kurz vor der Übernahme durch Islamisten steht. 2015 verglich sie öffentliche Gebete von Muslimen mit der Besatzung Frankreichs durch die Nazis. Vor den Wahlen bekräftigte sie, man wolle „nicht unter dem Gesetz oder der Gefahr islamischen Fundamentalismus leben“. Sie führte aus, was Frankreich angeblich schon bald sehr konkret blühen könnte: „Geschlechterdiskriminierung in der Öffentlichkeit, Ganzkörperverschleierung, Gebetsräume am Arbeitsplatz, Gebete auf den Straßen und riesige Moscheen.“ Nur sie allein sei es, die verhindern wolle, dass „unsere Nation verschwindet und damit meine ich das Frankreich, in dem wir leben und das wir lieben“.

Schritt 4: Ein Wir-Gefühl der „Aufgeklärten“ schaffen

Das Frankreich, das „wir“ lieben, ist also Brigitte Bardot, so definiert es Le Pen. Während der Burkini repräsentativ für die angeblich typische, verengte Weltsicht steht, für die Geschlechterdiskriminierung und die religiöse Unterdrückung unter Muslimen, ist Frankreich mit seiner Geschichte der Aufklärung und Vernunft, der Freiheit und Lebensfreude eine kulturelle Einheit, die vor der vermeintlich homogenen und feindlichen muslimischen Kultur beschützt werden müsse. Attribute wie aufgeklärt oder vernünftig sind demnach auf ganze Gesellschaften und Kulturen generalisierbar und nicht persönliche Haltungen, die jeder einzelne Mensch verinnerlichen kann. Vereinfacht gesagt lautet die Botschaft also: Hier sind die Guten, nämlich wir – und dort die Bösen, nämlich die anderen.

Motiviert durch die Abgrenzung zum islamischen Fundamentalismus entsteht so eine Selbstdefinition im Licht von Freiheit und Gleichheit, die mit den offen faschistischen Wurzeln des Front National scheinbar nicht mehr viel gemein hat – und gerade das macht die Ideologie so anziehend: Je idealistischer das Bild der eigenen Identität, desto härter dürfen die Maßnahmen sein, diese zu schützen. Le Pen macht es somit auch für neue Wähler aus der bürgerlichen Mitte leicht, ihr zu folgen. Denn diese Wähler können sie unterstützen, ohne sich dabei schlecht fühlen zu müssen, hat Le Pen ihre faschistischen Ansichten doch gut getarnt: als Sorge und Fürsorgepflicht, das eigene Kulturgut zu bewahren.

Schritt 5: Die Diskriminierung als Notwendigkeit darstellen

Rechtsextremismus wird also nicht mehr offen rassistisch begründet, sondern durch den ausgestreckten Finger auf die Intoleranz der anderen. Wenn die eigene Gruppe als aufgeklärt, vernünftig und zivilisiert und die Fremdgruppe im Gegensatz dazu als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wird, ist es eine logische Folge, die Bekämpfung des Fremden als moralisch notwendige Selbstverteidigung zu verstehen.

Bei Pegida-Demonstrationen beispielsweise ist häufig die Wirmer-Flagge zu sehen, ein Symbol für die Gruppe um Graf von Stauffenberg und damit ein Symbol für den Widerstand gegen die Nazi-Diktatur. Auch wenn es schwer begreiflich ist: Die neuen Rechten verstehen sich als Verteidiger der Moral, nicht als deren Gegner.

Das ist die positive Annahme: Sie glauben ihrer eigenen Argumentation und sehen sich als Verteidiger des Guten. Die andere Annahme aber lautet: Der scheinbar ach so moralische Diskurs Le Pens und der „neuen Rechten“ dient nur als Rechtfertigung für eine viel banaler motivierte Form von Fremdenhass – einer Form, die sich letztlich eben nicht von der „alten“ Rechten unterscheidet.


Esther Göbel hat dabei geholfen, den Text zu erarbeiten; gegengelesen hat ihn Vera Fröhlich; das Aufmacherbild hat Martin Gommel ausgesucht (Quelle: Front National)