Die internationale Gemeinschaft muss akzeptieren, dass Nordkorea Atomwaffen hat, und lernen, mit dieser Situation umzugehen. Dafür gibt es gleich drei Gründe:
- Nordkorea wird sein Atomprogramm um keinen Preis aufgeben.
- Die vom UN-Sicherheitsrat verhängten Wirtschaftssanktionen brachten Nordkorea nicht dazu, von seinem Atomkurs abzuweichen.
- Eine atomare Abrüstung militärisch erzwingen zu wollen, birgt das hohe Risiko, dass der Konflikt eskaliert und es einen Krieg gibt.
Die Trump-Regierung scheint die ersten beiden Punkte ähnlich zu beurteilen. Allerdings hat sie eine andere Sicht, wenn es um die Drohung mit oder die Anwendung von militärischen Mitteln geht – mit dem Ziel, Nordkorea endlich zu bändigen.
Ist das Ende der „strategischen Geduld“ erreicht?
Nordkorea hat seinen fünften Atomtest im September 2016 durchgeführt. Im Juli 2017 dann zündete das Land eine Rakete, die das Gebiet der USA erreichen kann.
Diese Tests wurden unternommen, weil es Fortschritte in der Entwicklung des Atomwaffenprogramms gab. Diese Tests sollten aber auch den Unmut über die jährlichen Militärmanöver der USA mit Südkorea ausdrücken und testen, wie weit man bei der neuen Trump-Regierung gehen kann.
Als Reaktion verdoppelten die USA die Drohgebärden und die militärischen Muskelspiele. Während seines Besuchs in Südkorea Mitte März sagte US-Außenminister Rex Tillerson, „die strategische Geduld“ mit Nordkorea habe ein Ende. Es seien deshalb „alle Möglichkeiten auf dem Tisch“, um das Land von seinem Atomkurs abzubringen.
Und Donald Trump schrieb auf Twitter:
https://twitter.com/realdonaldtrump/status/851767718248361986
„Nordkorea sucht Ärger. Wenn China helfen würde, wäre das großartig. Wenn nicht, lösen wir das Problem ohne sie. USA“
In der Vergangenheit haben die Vereinigten Staaten Tarnkappenflugzeuge (Stealth Fighter) und andere Bomber auf die koreanische Halbinsel verlegt – um Nordkorea die Konsequenzen weiterer Provokationen vor Augen zu führen. Trump hat jedoch einen ganzen Flugzeugträgerverband in Marsch gesetzt, was deutlich mehr als eine Drohung ist.
Nach den US-Luftangriffen gegen das Assad-Regime in Syrien bleibt der nordkoreanischen Regierung nicht anderes übrig, als die Bedrohung ernst zu nehmen. Das Risiko einer Eskalation hin zu einem regelrechten Krieg ist deutlich gewachsen.
Gezielte Luftangriffe
Gezielte „chirurgische“ Luftangriffe, ähnlich wie in Syrien – das können sich die USA auch in Nordkorea vorstellen. Dieser Vorschlag ist nicht neu.
Bereits im Juli 2006 schlugen die ehemaligen Beamten im Verteidigungsministerium Ashton Carter und William Perry vor, die USA könnten weitere Raketentests verhindern und eine starke Botschaft an die nordkoreanische Führung senden, wenn sie die Startplattformen ihrer Raketen gezielt angreifen würden. Dieser Vorschlag wurden nie aufgegriffen, weil ein Vergeltungsschlag Nordkoreas als wahrscheinlich galt.
Raketenanlagen anzugreifen ist eine Sache. Die Bombardierung der Atomanlagen Nordkoreas ist ein anderer Vorschlag. Aber damit gezielte Luftschläge erfolgreich sind, müssen die USA sicher sein, dass die entscheidenden Anlagen wirklich zerstört werden.
In der frühen Entwicklungsphase konzentrierte sich das nordkoreanische Atomprogramm auf die Reaktoren und die Aufbereitungsanlagen in Yongbyon. Seitdem wurden mehrere verborgene Abläufe im nordkoreanischen Kernbrennstoffkreislauf aufgedeckt oder absichtlich vom Kim-Regime preisgegeben.
Die „Kronjuwelen“ des Atomprogramms - die Bomben selbst und die Vorräte an spaltbarem Material - dürften tief in geheimen, bewehrten, unterirdischen Anlagen verborgen sein, geschützt vor Luftangriffen. Wenn es jemals gute Chancen für gezielte Luftangriffe gegeben hat, dann in der Frühphase des Atomprogramms.
Bei erfolgreichen Luftangriffen auf kerntechnische Anlagen besteht die Gefahr eines giftigen radioaktiven Niederschlags, der die umliegenden Regionen sowohl innerhalb Nordkoreas als auch in den Nachbarländern verseucht. Dieses Fallout-Risiko war lange einer der Gründe, Luftangriffe gegen Nordkorea als militärische Option auszuschließen.
Darüber hinaus sind gezielte Luftschläge gegen die nordkoreanische Führung denkbar. Also der Versuch, das Kim-Regime tödlich zu verwunden und die Abrüstung von Atomwaffen durch Führungswechsel zu erreichen.
Dafür gibt es einen Präzedenzfall: den Angriff auf den Irak im Jahr 2003. US-geführte Streitkräfte zielten auf Präsidentenpaläste, Regierungsgebäude und andere „Gelegenheitsziele“ und versuchten, Saddam Hussein zu beseitigen und den Abschluss der Invasion voranzutreiben.
Nehmen wir theoretisch einmal an, mit einem Luftschlag sei Diktator Kim Jong-un getötet worden. Hat die Trump-Regierung einen Notfallplan für ein Nordkorea nach Kim?
Es gibt das klare Risiko einer schleichenden Ausweitung der Militärmission, sollten die USA in die erweiterte Befriedung und den Aufbau einer Nation hineingezogen werden. Die Erfahrung im Irak sollte zur Vorsicht mahnen, einen Regimewechsel mit Gewalt herbeizuführen, wenn es keinen Friedensplan gibt.
Die Eskalation zu einem richtigen Krieg
Nehmen wir weiter einmal an, dass Kim einen gezielten Angriff überlebt. Die Strategie der nordkoreanischen Führung war jahrzehntelang die antiamerikanische Propaganda. Deshalb scheint die Eskalation zu einem vollen Krieg unausweichlich, sollte Nordkorea angegriffen werden.
Dies ist einer der Gründe, warum Südkorea in den vergangenen beiden Jahrzehnten nicht gegen nordkoreanische Provokationen vorgegangen ist – nicht einmal gegen Angriffe wie das Bombardement von Yeonpyeong-do und das Versenken der südkoreanischen Seekorvette Cheonan.
Die südkoreanische Hauptstadt Seoul kann wegen ihrer Nähe zur entmilitarisierten Zone leicht von Nordkorea aus angegriffen werden. Sie kann praktisch nicht gegen Artillerie und Raketen verteidigt werden. Ist die Trump-Regierung bereit, eine Eskalation des Konflikts zu riskieren, die das Leben von Millionen von Südkoreanern in Seoul und Umgebung gefährden würde?
Es ist nur schwer vorstellbar, dass die Allianz USA-Südkorea eine solche Katastrophe aushalten würde – vor allem, wenn die Krise durch eine ungeschickte amerikanische Intervention ausgelöst wurde.
Eine Eskalation des Konflikts wäre eine Katastrophe für die Region. Man muss sich nur die humanitäre Tragödie und die menschenverachtende Politik gegenüber den syrischen Flüchtlingen vor Augen führen und sie auf Nordostasien übertragen. Hat die Trump-Regierung einen Plan, was im Fall eines Kriegs mit den Flüchtlingen auf der koreanischen Halbinsel passieren soll?
Das ist das Albtraum-Szenario für die chinesische Regierung. Es ist einer der Hauptgründe für deren fortgesetzte – wenn auch zunehmend halbherzige – Unterstützung des Kim-Regimes. Es ist auch der Grund, warum China ein Veto gegen jede Resolution einlegt, die dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt wird und militärische Aktionen gegen Nordkorea zum Ziel hat.
Warum die Abschreckung die Oberhand gewonnen hat
Die Vorstellung, im Fall Korea könnte ein gezielter Luftschlag eingesetzt werden, ist eine Illusion. Es gibt einen guten Grund dafür, dass sich mehrere US-Präsidenten auf eine Strategie der Abschreckung gegenüber Nordkorea eingelassen haben. Allen möglichen militärischen Optionen ist eines gemeinsam: ein inakzeptabel hohes Risiko.
Nordkorea ist in der Lage, als Vergeltung konventionelle Waffen oder Massenvernichtungswaffen gegen Ziele in Südkorea und Japan einzusetzen. Nordkoreas Fähigkeit, Südkorea anzugreifen, hat dazu beigetragen, ein Gleichgewicht der Abschreckung auf der koreanischen Halbinsel seit dem koreanischen Waffenstillstand im Jahre 1953 zu bewahren.
Während die USA von der Terrorbekämpfung eindeutig Vorteile hat, erzielte die Abschreckung in Korea ein grobes Gleichgewicht. Als der stärkere Akteur müssen die USA dort nicht aggressiv handeln, um dieses Gleichgewicht zu bewahren und die regionale Stabilität zu bewahren.
Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass Experten in eher oberflächlichen Analysen die Bedrohung durch Nordkoreas Atomwaffen übertrieben haben, weil sie von einer Irrationalität des Kim-Regimes ausgingen. Eine sorgfältigere Analyse des tatsächlichen Verhaltens der Führung widerlegt diese Annahme.
Das übergeordnete Ziel, das die nordkoreanische Außenpolitik verfolgt, bleibt das Überleben des Regimes und eine ewige Kim-Familiendynastie. Dabei sieht Nordkorea harte militärische Macht als das einzige zuverlässige Mittel an, um seine Sicherheit in einem angeblich feindlichen Umfeld zu garantieren.
Nordkoreas Atomwaffen und Raketensysteme sind die ultimativen praktischen Ausdrücke dieser Weltanschauung. Aber was noch wichtiger ist: Sie sind, international gesehen, der einzige wirkliche Machthebel der nordkoreanischen Führung.
Trumps Außenpolitiker täten ein Gutes, ihre Logik der Eskalation noch einmal zu überdenken. Ein Atomangriff gegen die USA oder seine regionalen Verbündeten macht für Nordkorea wenig Sinn. Aus dieser Perspektive betrachtet, bewahrt eine strategische Zurückhaltung auf US-Seite, die auf Abschreckung basiert und unnötige einseitige Muskelspiele unterlässt, eher die regionale Stabilität.
Im Jahr 2002 erklärte der nordkoreanische Experte Victor Cha, dass Nordkorea höchstwahrscheinlich Atomwaffen einsetzen würde, falls es in eine Ecke getrieben wird und die Fortsetzung des Kim-Regimes direkt bedroht ist. Beunruhigend ist, dass Trump durch den Einsatz des “USS Carl Vinson“-Kampfverbands die Wahrscheinlichkeit erhöht hat, dass genau dieses Szenario eintritt.
Diesen Artikel veröffentlichte in Englisch The Conversation. Hier könnt Ihr den Originalartikel lesen. Übersetzt hat den Text Vera Fröhlich. Das Bild (gemeinfrei) des Flugzeugträgers hat Martin Gommel ausgesucht.
