Die größten Schlagzeilen hat die AfD immer dann gemacht, wenn sie Menschen mit Migrationshintergrund angriff. Etwa als der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke über einen vermeintlich typisch „afrikanischen Ausbreitungstyp“ sinnierte, als Alexander Gauland, Spitzenkandidat für die Bundestagswahl, befand, dass „die Leute“ den schwarzen Fußballnationalspieler Boateng nicht als Nachbarn haben wollten, oder als der Parteivorsitzende Jörg Meuthen beim Parteitag in Köln kurzerhand mitteilte, dass man Deutsch-Sein am Aussehen erkennen könne: „Ich sehe nur noch vereinzelt Deutsche in unserem Land.“
Aber die Aufregung über kalkulierte rassistische Entgleisungen verdecken, was die Partei mit Deutschland vorhat. Die AfD will das komplette politische System umbauen und so die Spielregeln ändern, nach denen wir in diesem Land zusammenleben. Gleichzeitig arbeitet sie daran, neue Frontlinien zu etablieren, zwischen „denen“ und „uns“, die sie immer wieder nutzen kann, um die Öffentlichkeit in unsachliche, gefühlsgetriebene Debatten zu zwingen, bei denen es kein Grau mehr gibt, sondern nur noch schwarz und weiß. Wer all das zusammenzählt, erhält ein System, das viel autoritärer ist als das System, das wir heute haben. Die AfD wird die erste autoritäre Partei sein, die in den deutschen Bundestag einzieht.
Die AfD ist keine „Nazi-Partei“
Mit diesem Text laufe ich nun Gefahr, genau das zu tun, was der AfD nützt. Sie von oben herab mit Labels zu versehen und dabei selbst die Dinge nicht genau auseinanderzuhalten. Die Mitglieder der Partei pauschal schlechtmachen, wo es eigentlich eine sachliche Auseinandersetzung brauchen würde. Ich will diese Gefahr vermeiden, in dem ich genau herleite, wie ich zu meinem Schluss komme.
Worum es mir nicht geht: zu zeigen, dass die AfD eine Partei voller „Nazis“ ist. Dieser Begriff fällt immer wieder in diesem Zusammenhang, aber er vernebelt den Blick und macht es den AfD-Mitgliedern unnötig leicht, in eine Opferrolle zu schlüpfen. In meinem Text über die neuen Rechten habe ich gezeigt, wer oder was wirklich ein Nazi ist: „Ein Nazi ist ein Nationalsozialist. Der Nationalsozialismus (NS), angeführt von Adolf Hitler, hörte mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges offiziell auf zu existieren. Wer auch nach dem Krieg nationalsozialistischen Ideen treu blieb, war ein Altnazi.“ Und wer heute noch dem Nationalsozialismus anhängt, obwohl er ihn nie erlebt hat, ist ein Neo-Nazi.
Die AfD ist keine Partei solcher Neo-Nazis. Niemand in der Führungsriege verherrlicht beständig die NS-Zeit. Die Hitler-Attentäter um Stauffenberg gelten in der Partei sogar als Helden, weil sie versucht haben, den Tyrannen zu töten – und weil Claus Schenk Graf von Stauffenberg ein neues konservatives Deutschland auf den Trümmern des Hitler-Regimes bauen wollte.
Genau hinzusehen, hilft bei der Gegenwehr
Diese Grauschattierung anzuerkennen, ist wichtig. Denn die Gesellschaft fordert zu Recht immer wieder von den rechtsnationalen Politikern der Partei zu differenzieren, wenn es um Muslime und andere Minderheiten geht. Das Gleiche sollte die Gesellschaft auch mit den Rechtsnationalen tun. Das ist nicht nur eine Frage der Political Correctness. Es wird der offenen Gesellschaft bei ihrem Kampf gegen eine immer autoritärer werdende AfD nützen. Denn diejenigen, die sich der Partei nur zugewandt haben, weil sie es satthatten, dass alle in ihren Augen das Gleiche dachten, sagten und taten, die der „Alternativlosigkeit“ der deutschen Debatten etwas entgegensetzen wollten, werden es honorieren, wenn jemand bereit ist, genau hinzuschauen und nicht jeden als Nazi verunglimpft, der die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung kritisiert.
Diese Menschen gehören zu jenen bürgerlichen Schichten, um die gerade in der AfD angeblich sehr viel gerungen wird. Sie sind konservativ, aber auch demokratisch. Die Rhetorik von Björn Höcke lehnen sie genauso ab wie den vermeintlichen Rechtsbruch der Bundesregierung im Flüchtlingsherbst, als sie hunderttausende Menschen aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern aufnahm. Nicht die Rechtsradikalen würden der AfD am Ende zur Macht verhelfen, sondern diese sogenannten besorgten Bürger. Deren Wunsch, einfach nur sagen zu können, was sie wollen, können die Mächtigen der Partei ausnutzen, um sich noch mehr Einfluss zu verschaffen.
Der FAZ-Journalist Justus Bender hat in seinem Buch „Was will die AfD?“ die Dynamik dieser Partei auf den Punkt gebracht. Er schreibt, dass genau in diesem Wunsch nach Freiheit der Samen eines Systems liegt, das auf Gewalt setzt: Wenn also jede rhetorische und politische Mäßigung als Zumutung empfunden wird, werden alle Faktoren ausgeschaltet, die sonst mäßigend wirken könnten: nüchterne Beamte, die politische Vorschläge pragmatisch auf ihre Machbarkeit hin überprüfen; Journalisten, die kritische Fragen stellen; das parlamentarische System, Regeln des Anstands und das Existenzrecht politischer Gegner. Bender schreibt: „Die AfD will die Bürger von der Zumutung erlösen, nicht jederzeit über alles selbst bestimmen zu können – und zwar ganz so, wie sie es wünschen, ohne auf moralische oder praktische Einwände hören zu müssen.“ Dazu müsse sie auf autoritäre Mittel zurückgreifen.
In meinen Augen gibt es sieben Indizien, die dafür sprechen, dass die AfD tatsächlich einen autoritären Kern hat:
1. Sie will weitreichende Volksabstimmungen einführen
Volksabstimmungen haben für Politiker einen Vorteil. Sie brechen hochkomplexe Sachverhalte auf eine einfache Entscheidung herab: Ja oder Nein. Diese Entscheidung lässt sich vergleichsweise leicht manipulieren. Ein gutes Beispiel war das Verfassungsreferendum in der Türkei. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verkaufte die Wahl nicht als eine, bei der es um die Verfassung der türkischen Republik ging, sondern um ihn. Die Wahl sollte eine Abstimmung für oder gegen ihn sein – und diese Strategie ist aufgegangen.
Es wirkt wie ein Widerspruch, autoritäre Tendenzen ausgerechnet mit einem urdemokratischen Werkzeug wie der Volksabstimmung erklären zu wollen. Aber das ist es bei genaueren Hinsehen nicht. Denn die AfD will Volksabstimmungen nutzen, um das parlamentarische System, das wir gerade haben, auszuhebeln. Sie will, so steht es in ihrem Grundsatzprogramm, das deutsche Volk „ohne Einschränkung über jegliche Themen direkt“ abstimmen lassen. Grundgesetzänderungen sollen nur noch mit einer Mehrheit in einer Volksbefragung möglich sein, genauso wie der Abschluss relevanter völkerrechtlicher Verträge. Der AfD ist dabei die Forderung nach weitreichenden Volksabstimmungen so wichtig, dass sie „nicht verhandelbarer Inhalt jeglicher Koalitionsvereinbarungen“ ist. Durch Volksabstimmungen wäre es möglich, am Parlament vorbei zu regieren. Eine AfD-Regierung müsste sich dann nicht dem mühsamen parlamentarischen Prozess aussetzen und mit den Bundesländern und den Politikern anderer Parteien in den Ausschüssen um Formulierungen ringen. In Streitfragen könnte sie dann immer wieder auf „den Volkswillen“ verweisen, der sich ja im Referendum gezeigt habe.
Grundsätzlich sind Volksabstimmungen natürlich nicht gefährlich. Sie sind ein wichtiges Korrektiv für die Parlamente. Nur können sie ebenso gut ein Instrument der Gewalt werden. Volksabstimmungen können genau das erschaffen, was die AfD-Mitglieder angeblich ablehnen: eine Tyrannei. Es wäre eine Tyrannei der Mehrheit, unter der jeweils die Minderheiten zu leiden hätten. Dafür spricht, dass die AfD keinerlei Mäßigung zeigt, wenn es um ihre Gegner geht.
2. Die AfD spricht ihren politischen Gegnern die Daseinsberechtigung ab
Auf dem Parteitag in Köln war wieder deutlich zu hören, was die AfD von ihren politischen Gegnern hält. Der Parteivorsitzende Jörg Meuthen sprach den Demonstranten vor dem Tagungshotel kurzerhand ihr Recht auf Versammlungsfreiheit ab, als er sie „Antidemokraten“ nannte und die Politiker anderer Parteien „Figuren“, mit denen die AfD „niemals“ Koalitionen eingehen werde. Der neue Spitzenkandidat Alexander Gauland ging im vergangenen Jahr noch weiter und bezeichnete Angela Merkel als „Kanzler-Diktatorin“. Mit diesen Bezeichnungen entfernt die AfD ihre Gegner rhetorisch aus dem System. Sie impliziert damit: Für diese Menschen gelten die Regeln des demokratischen Zusammenlebens nicht mehr.
3. Die AfD behauptet, den „Volkswillen“ zu repräsentieren
Die scharfen Angriffe auf Gegner sind nicht nur politische Taktik. Mit dieser Diagnose würde man den Charakter der AfD fehldeuten. Die Methode, auf die völlige politische Herabsetzung des Gegners zu zielen, kommt deswegen gut an, weil viele AfD-Anhänger und Funktionäre glauben, dass nur sie „das Volk“ repräsentierten. Sie zeichnen das Bild einer machtbesessenen Elite, die sich von den einfachen Leuten entfernt hat. In ihrem Grundsatzprogramm steht, „heimlicher Souverän in Deutschland“ sei „eine kleine machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien“. Nur das „Staatsvolk“ der Bundesrepublik Deutschland könne „diesen illegitimen Zustand“ beenden. Die AfD bringt hier „das Volk“ in Stellung gegen die Regierung, die angeblich nicht mehr zum Volk gehöre. Das Nützliche für die AfD ist, dass der Begriff „Volk“ dehnbar ist. Gegen eigentlich jeden lässt sich diese anonyme, nicht greifbare Masse von Menschen in Stellung bringen, im Zweifel auch gegen die eigenen Parteifreunde. Es reicht zu behaupten, dass diese oder jene Person nicht Teil des „Volks“ sei.
4. Ihre Forderungen und ihre Führung werden immer radikaler
Deswegen ist die Entwicklung der AfD so erschreckend. Sie begann als eine „Professorenpartei“, die der Euro-Rettungspolitik der Bundesregierung etwas entgegensetzen wollte, nämlich eine nationalstaatliche Alternative. Sie sah in den Hilfspaketen für die anderen europäischen Länder einen Gesetzesverstoß. Heute spielt der Euro zwar im Grundsatzprogramm noch eine große Rolle, aber in den öffentlichen Auftritten will die Partei vor allem mit islam- und ausländerfeindlicher Rhetorik punkten. Sie behauptet, dass Muslime per se unpatriotisch, christenfeindlich und antidemokratisch seien. Was mitschwingt: Sie können nicht Teil des „Volks“ sein. Was aber passiert mit jemanden, der nicht Teil des „Volks“ ist? Diese Frage ist bisher nur eine theoretische, weil die AfD nicht an der Macht ist. Aber wäre sie es, würde sie schnell bitterernste Realität werden.
Keine andere Person symbolisiert die Radikalisierung der AfD deutlicher als Meuthen, der auch Fraktionschef in Baden-Württemberg ist. Als die Partei den VWL-Professor 2015 zum Bundessprecher machte, sagte dieser, er wolle „ein Gegengewicht zu den Rechtskonservativen im neuen Parteivorstand“ bilden wolle. Davon ist heute nichts mehr zu sehen. Vor den am Barbarossa-Denkmal versammelten Nationalkonservativen der Partei bekundete er im vergangenen Juni, dass er nicht gern als „Liberaler“ bezeichnet werden wolle. Auf dem Parteitag in Köln hielt er eine Rede, die mit ausländerfeindlichen und hurra-patriotischen Untertönen gespickt war.
5. Führende Köpfe der AfD orientieren sich an Denkern, die die parlamentarische Demokratie ablehnen
Einer der Säulenheiligen der AfD ist der Philosoph Carl Schmitt. Auf ihn berufen sich die gebildeteren Mitglieder der Partei immer wieder. Der 1888 geborene Westfale Schmitt wurde berühmt, weil er alles Liberale ablehnte und Parlamente verteufelte. In meinem Artikel über die neuen Rechten ordnete ich Schmitt so ein: „Er lehnt die Vertretung der Bevölkerung durch gewählte Repräsentanten ab, weil diese unfähig seien, den ‘Willen des Volkes’ zu kanalisieren.“
6. Die AfD distanziert sich nicht von Rechtsradikalen
Als die AfD noch eine sehr junge Partei war, achteten die Mitglieder sehr genau darauf, wer sich ihnen anschließen durfte. Sechs Monate vor seinem Sturz behauptete der damalige Parteivorsitzende Bernd Lucke noch: „Wenn wir einen Rechtsradikalen finden, kriegt der ein Parteiausschlussverfahren.“ Diese Behauptung war damals schon angreifbar. Heute ist sie völlig unhaltbar geworden. Drei Beispiele (von vielen) machen das klar: Erstens ist Björn Höcke noch immer Mitglied der Partei, obwohl er im Winter eine offen rechtsradikale Rede hielt, in der er unter anderem eine sehr vielsagende Trennung zwischen Juden auf der einen und Deutschen auf der anderen Seite aufmachte. Zweitens ist der Vorsitzende des hessischen Landesverbandes ein Mann namens Peter Münch, der in den 90er Jahren wichtige Posten in der Partei „Die Republikaner“ bekleidete. Diese Partei hat der Verfassungsschutz beobachtet, sie galt als rechtsextrem. Drittens hat der bayerische Landesvorsitzende Petr Bystrom sich mehrmals lobend über die Identitäre Bewegung geäußert; auch das eine rechtsextreme Organisation. Irgendwie geartete Konsequenzen gab es für ihn dafür nicht.
7. In der Partei regiert der Dolch
In keiner anderen Partei agieren die Mitglieder so brutal, nicht zuletzt im Umgang mit ihren Vorsitzenden, die regelmäßig öffentlich vorgeführt werden. Es ist, als könne die Partei nicht ertragen, dass überhaupt jemand Macht hat und führt. Darin liegt eine gewisse Logik. Denn in der Partei zeigt sich so schon im Kleinen, was im Großen in anderen Ländern passiert, wie in den USA mit Donald Trump oder in der Türkei mit Erdogan. FAZ-Journalist Justus Bender dazu: „Ist der Populist gewählt, bedeutet das eine Zäsur für die Dynamik seiner Bewegung. Nicht andere, er selbst ist nun die politische Elite, von der er zuvor gesagt hatte, sie sei an allem Unheil schuld. Um zu verhindern, dass sich die Aggressivität seiner eigenen Bewegung gegen ihn richtet, muss der Populist also gegen Eliten vorgehen, die außerhalb der Politik stehen.“
Die AfD ist eine autoritäre Partei. Das in meinen Augen Schlimmste daran ist: Manche AfD-Anhänger haben diesen Zusammenhang selbst noch nicht begriffen. Denn wer der AfD vorwirft, dass sie undemokratisch und autoritär sei, erntet Beleidigungen – aber auch ernsthafte Empörung ihrer Mitglieder und Sympathisanten. Sie glauben, dass doch gerade sie es seien, die die Freiheit verteidigten und so auch die Demokratie. Sie verweisen auf ihre Mitgliederbefragung, die basisdemokratischer sei als vieles, was die anderen Parteien machten. Wer diese Empörung für eine Masche hält, macht einen Fehler, der Analyse und Gegenwehr erschwert. Letztlich liegt darin auch eine gewisse Tragik: AfD-Mitglieder denken, sie kämpften für die Freiheit. Dabei halten sie dem Tyrannen die Steigbügel.
Erarbeitet mit Theresa Bäuerlein; Gegengelesen von Vera Fröhlich; Martin Gommel hat das Aufmacher-Foto von Alexander Gauland ausgewählt (Flickr/Metropolico/__CC BY-SA 2.0)