Warum Verkehrsbetriebe keine politischen Witze machen sollten
Nachrichten, erklärt

Analyse: Warum Verkehrsbetriebe keine politischen Witze machen sollten

Die Berliner Verkehrsbetriebe haben mich mit ihren Witzen schon oft zum Lachen gebracht. Jetzt aber ist es mir im Hals steckengeblieben. Wie Weltanschauungs-Marketing uns zu täuschen versucht.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Mein Liebling ist: „Weine nicht, wenn der Regen fällt, Tram, Tram.“ Dieser Spruch steht in ziemlich großen Buchstaben auf einer Berliner Straßenbahn, und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, muss ich grinsen und bekomme einen Ohrwurm.

Der Spruch ist Teil einer großen Marketing-Kampagne der Berliner Verkehrsbetriebe, kurz BVG. Falls Sie nicht während der letzten zwei Jahre gerade den Südpol in einer ausgedehnten Expedition erkundet haben, haben Sie auch als Nicht-Berliner schon von dieser Kampagne gehört. „Is mir egal“ – das Video mit dem Pferd in der U-Bahn wurde ein viraler Hit im deutschsprachigen Netz. Wir hier in Berlin freuen uns auch immer wieder über jahreszeitlich passende Plakate, kürzlich etwa eines, das eine leere U-Bahn zeigte und überschrieben war mit: „Helaaf! Karnevalszeit! Hier eine U-Bahn mit Leuten, die das in Berlin interessiert.“

Werbung hat hier eine Grenze überschritten – das schadet uns allen

Als aufgeklärter Konsument wusste man schon immer, dass das alles nur cleveres Marketing ist, aber es war witzig und damit auch okay. Gestern aber ist die BVG-Kampagne von dem schmalen Grat abgerutscht, auf dem sie sich mit ihren ironisch-coolen Sprüchen bewegt. Denn es ging nicht um rührige Schlagermusik oder ein paar Kalauer auf Kosten traditioneller rheinländischer Riten. Es ging um Politik.

Die soll laut BVG bei ihrer Guerilla-Werbung eigentlich Tabu sein, und dennoch hat das Social-Media-Team sie für sein Marketing eingesetzt. Was es dabei getan hat, steht stellvertretend für einen Wahn, der das ganze Land befallen zu haben scheint: Menschen ständig wegen ihrer Weltanschauung persönlich zu attackieren.

Auf dem sozialen Netzwerk Twitter hatte die BVG den Berliner AfD-Politiker Gunnar Lindemann angetwittert. Lindemann sitzt im Verkehrsausschuss des Berliner Senats und ist damit auch für den Nahverkehr in der Hauptstadt zuständig. Dem fühlt er sich scheinbar so stark verbunden, dass er es immer wieder der Welt mitteilen muss, wenn er mit Bus und Bahn sein Ziel erreicht, in Tweets wie diesen etwa:

https://twitter.com/AfDLindemann/status/839729163187683328

Die BVG suchte sich nun diese Tweets raus und antwortete:

Die Aktion wurde wieder ein Hit. Sehr viele Medien griffen sie auf und gaben der BVG kostenlose Werbung im Gegenwert von vielen tausend Euro, um selbst ein paar Klicks für ihre Webseiten abzubekommen:

Zum Beispiel Die Welt:

Oder der Stern:

Zeit Online:

Selbst Bild amüsierte sich:

Diese Medien verniedlichen die Aktion als „freche Tweets“, „trollen“ oder „lustige Sprüche“.

Aber was ist hier wirklich passiert?

Ein Staatsbetrieb greift einen Oppositionspolitiker an, um sich bei einem bestimmten Teil der Bevölkerung beliebt zu machen. Da ein paar Zweifel zu bekommen, ist vielleicht nicht die schlechteste Idee. Die BVG ist eine sogenannte Anstalt des Öffentlichen Rechts und untersteht damit direkt der rot-rot-grünen Regierung Berlins. Jahrelang mussten die Bürger Berlins den Betrieb mit Hunderten Millionen Euros stützen.

Vielleicht geht es der BVG mit dieser Aktion nur darum, ein Bewusstsein für Rassismus zu schaffen, also um einen wirklich ehrbaren Zweck. Ich habe beim Social-Media-Team der BVG via E-Mail nachgefragt.

Erste Frage: Hat sich der AfD-Politiker Lindemann in der Vergangenheit rassistisch über die Herkunft der Fahrer des ÖPNV geäußert?

Wenn Lindemann das getan hätte, träfe die Häme den Richtigen. Dann würde das Social-Media-Team hier für seine Fahrer in die Bresche springen und sie gegen verletzende Kritik verteidigen. Aber das Social-Media-Team konnte keinen Fall nennen, in dem Lindemann die Fahrer der BVG angegriffen hatte.

Zweite Frage: Gibt es ähnliche unprovozierte Aktionen auch bei Politikern anderer Parteien? Etwa bei dem ehemaligen Berliner Innensenator Frank Henkel, der im vergangenen Sommer die populistische Burka-Verbotsdebatte losgetreten hatte, um eine Wahl zu gewinnen? Auch hier konnte mir das Social-Media-Team kein Beispiel nennen.

Der BVG geht es nicht um Anti-Rassismus, sondern darum, von den eigenen Problemen abzulenken

Dabei ist wichtig zu wissen: Die BVG war bis zum Januar 2015 kein Darling der Berliner. Geschichten über unfreundliche Busfahrer, die alte Mütterchen im Regen stehen lassen, über versiffte U-Bahn-Wagen und rabiate Kontrolleure gehörten zur Folklore der Stadt wie der Techno-Club Berghain und Currywurst. Dieses Bild wollte die BVG drehen, mit einer Kampagne, die dieses schlechte Image ironisch bricht. Das Social-Media-Team der BVG schrieb mir dazu: „Über den Twitter-Kanal der BVG-Kampagne sind wir in einem teilweise recht launigen Dialog mit unseren Kunden.“ Die Erfahrung habe gezeigt, dass die Berliner das abkönnten und schätzen würden.

28 Branchenpreise und Hunderttausende Likes später muss man sagen: Die Kampagne ist ein voller Erfolg. Die BVG hatte der Social-Media-Agentur hinter der Kampagne weitgehend freie Hand gelassen, aber laut der Zeitschrift Brand Eins eine Bedingung gestellt: „Politik vermeiden.“

Die Aktion dient also nicht dazu, die Menschen für die Benachteiligung von Minderheiten zu sensibilisieren. Sie ist ein unprovozierter Angriff auf den Politiker einer Partei, über die gerade sehr viel diskutiert wird. Es ist nichts weiter als: Marketing.

Versuchen Sie sich einmal vorzustellen, wie einer der 5.000 Menschen, die mit ihrer Stimme Gunnar Lindemann in das Berliner Parlament gewählt haben, diese Aktion sehen? Sehen sie darin „freche Tweets“ und „trollen“ oder nur eine weitere Aktion der Politik- und Medienelite, die ihre Meinungen und Vertreter niedermachen will, koste es was es wolle? Wie würden Sie die Aktion bewerten, wenn in Berlin die AfD regieren würde und ein Politiker der Grünen oder SPD das Ziel gewesen wäre?

Nun ist mir ausgerechnet dieser AfD-Politiker sympathischer als die BVG

Die BVG stellt sich auch gegen die AfD-Wähler, die genauso Bürger Berlins und Kunden sind wie die Menschen, die die neuen Rechten verabscheuen. Auch AfD-Wähler haben ein Recht darauf, von ihrem Verkehrsbetrieb ans Ziel gebracht zu werden, ohne sich dabei veralbern zu lassen. Die BVG wirbt schließlich mit dem Spruch: „Weil wir dich lieben.“ Bisher zeigt die Aktion aber vor allem: Die BVG liebt sich selbst.

Warum ich so darauf herumreite: Die BVG ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren hat es sich in Deutschland eingebürgert, Menschen zu verhöhnen, weil sie eine andere Weltanschauung haben. Das passiert rechts wie links und ist der Hauptgrund dafür, dass wir keine sachlichen Debatten mehr führen können. Jeder ist ja nur noch damit beschäftigt, die Verletzungen zu rächen, die ihm persönlich als Mensch zugefügt worden, weil er das angeblich Falsche denkt. Und diese Unsitte setzt der Staatsbetrieb BVG ein, um eine pseudo-politische Marketing-Soße über seine eigenen Probleme zu gießen.

Denn es ist ja nicht so, dass das schlechte Image und die Pflege des eigenen Egos wirklich die drängendsten Aufgaben der BVG wären. Ihre Busse und Bahnen kommen ständig zu spät, die Preise steigen fast jedes Jahr und wenn es die Fahrer Hakan, Tarek und Dschamal aus den BVG-Tweets wirklich gäbe, würden sie für ziemlich miserable Bedingungen arbeiten: in ausgelagerten Gesellschaften, bei niedrigem Lohn, auch dann, wenn sie krank sind. Als der AfD-Politiker Gunnar Lindemann die Provokation der BVG sah, twitterte er deswegen das einzige Richtige: „Herzlichen Dank an Hakan. Allzeit gute Fahrt.“

Und das also, liebe BVG, habt ihr mir mit eurer Aktion eingebrockt: dass ich einen Typen, der Flüchtlinge gegen Arme ausspielt, sympathischer finde als euch.


Redaktion: Sebastian Esser; Produktion: Vera Fröhlich; Aufmacherfoto: Screenshot BVG-Video.