Namris Eltern mussten 1959 aus Tibet ins Ausland flüchten. Die chinesischen Besatzer schlugen den Volkaufstand der Tibeter blutig nieder. Tausende starben. Auch der Dalai Lama, das politische und religiöse Oberhaupt der Tibeter, floh nach Indien. Seitdem war er nicht mehr in Tibet. Für China ist er Staatsfeind Nummer eins.
Weltweit wird am 10. März an den tibetischen Volksaufstand von 1959 erinnert
Als Vorstandsmitglied des gemeinnützigen Vereins International Campaign for Tibet setzt Namri sich stark für eine Beendigung der chinesischen Besetzung und die politische Eigenständigkeit Tibets ein. Schon häufig hat er den Dalai Lama (und auch den Hollywoodstar und Vereinsvorsitzenden Richard Gere) getroffen. „Vieles, von dem, was der Dalai Lama sagt, finde ich gut“, erklärt er. Aber als ich ihn mit dem Zitatspiel „Dalai Lama oder Glückskeks“ konfrontiere, wird er doch nervös (ab 11:13 Min).
Anders als seine tibetischen Eltern wächst Namri zusammen mit seiner Schwester in einem wohlbehüteten Umfeld einer westdeutschen Kleinstadt nahe Bonn in den 80er Jahren auf. Der tibetische Einfluss hielt sich seiner Erinnerung nach in Grenzen.
„Zu Hause war es ein bisschen tibetisch, aber wir haben auch nicht in der Jurte gewohnt, sondern ganz klassisch in einer Reihenhaus-Neubausiedlung. Dort war die gute deutsche Mittelschicht – und wir mittendrin. Damals lebten vielleicht rund 110 tibetisch stämmige Menschen in ganz Deutschland – und wir kannten alle.“
Namri schätzt, dass es weltweit nur 150.000 Exil-Tibeter gibt. Zum Vergleich: Etwa so viele Einwohner hat Paderborn. Auch heute noch hört Namri folgenden Satz sehr oft, wenn er jemanden trifft: „Du bist der erste Tibeter, den ich kennenlerne.“
Befremdliche Blicke auf die Oma
Natürlich gab es damals in Rheinbach nahe Bonn auch manchmal befremdliche Blicke – die vor allem Namris Großmutter galten.
„Irgendwann fragte uns ein Nachbar, ob wir diese Person kennen würde, die jeden Vormittag eine Stunde lang unser Haus umkreist. Und das war wirklich so: Wenn man aus dem Küchenfenster geschaut hat, kam alle fünf Minuten meine Oma vorbei – in traditionell tibetischer Kleidung. Sie hat dabei gebetet.“ (ab 30:30 Min)
Aufruhr im Hause Dagyab gab es auch, wenn mal wieder „Pa“ auf dem Tisch stand, kleine trockene, von Hand geformte Bällchen aus Gerstenteig, gemischt mit Tee. Namri erinnert sich ungern.
„Ich habe es wirklich gehasst. (…) Wenn ich nach Hause kam und gefragt habe: Was essen wir? Und es hieß, es gibt diese gerollten Tsampa-Bällchen, dachte ich immer: Oh nein, das gibt’s nicht. Ich habe dann immer in die Schüssel geguckt und gezählt, wie viele Kügelchen ich verdrücken muss.“ (ab 25:00)
Reise nach Tibet endete in Schanghai
Überhaupt nicht lustig war die Erfahrung, die Namri machte, als er vor einigen Jahren versuchte, nach Tibet zu reisen. Seinem Vater wurde am Flughafen von Schanghai trotz gültigen Visums im deutschen Reisepass die Einreise nach China verwehrt. Zwei Uniformierte führten ihn wortlos ab.
„Er stieg in den Lift, drehte sich um, ich gucke ihn an und dachte: Okay, das ist vielleicht das letzte Mal, dass ich ihn sehe – Aufzug geht zu. Das war richtig schlimm. Seitdem hat er es nicht noch mal versucht, nach Tibet zu reisen.“ (ab 36:30 Min)
Während Namri gemeinsam mit seiner Schwester und Freundin noch auf der Suche nach seinem Vater war, saß der bereits notgedrungen im Flieger zurück nach Deutschland. „Ich würde mir wünschen, dass man frei nach Tibet reisen könnte“, sagt Namri. Er fing nach dieser Erfahrung an, Chinesisch zu lernen.
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Der Halbe-Katoffl-Podcast ist eine Gesprächsreihe mit Deutschen, die nicht-deutsche Wurzeln haben. Moderator ist der Berliner Journalist Frank Joung, dessen Eltern aus Korea kommen. Es geht um Themen wie Integration (gähn), Identität (ach ja) und Stereotypisierungen (oha) – aber eben lustig, unterhaltsam und kurzweilig. Anekdoten aus dem Leben statt Theorien aus dem Lehrbuch.
Bildredaktion: Martin Gommel; Foto: Flickr/Christopher Michel/
CC BY 2.0; Produktion: Vera Fröhlich