Donald Trumps Angriff auf Deutschland, verständlich erklärt

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Donald Trumps Angriff auf Deutschland, verständlich erklärt

Warum hat der US-Präsident Deutschland attackiert? Hat er vielleicht sogar recht? Und was haben kaputte Schultoiletten damit zu tun? Krautreporter gibt Antworten.

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Politik- und Klimareporter

1. Was hat Donald Trump gesagt?

Trump drohte schon vor seinem Amtsantritt damit, Strafzölle auf deutsche Waren zu erheben. Er nahm vor allem die deutschen Autobauer aufs Korn: „Wenn man durch die 5th Avenue [in New York] geht, hat jeder einen Mercedes-Benz vor seinem Haus stehen, stimmt’s? Tatsache ist, dass sie [die Deutschen] den USA gegenüber sehr unfair waren.“ Er will darauf reagieren, indem er Strafzölle erhebt: „Sie können Autos für die USA bauen, aber sie werden für jedes Auto, das in die USA kommt, 35 Prozent Steuern zahlen.“ Donald Trumps Handelsberater ging vor ein paar Tagen noch weiter ins Detail. Er sagte, dass Deutschland eine „völlig unterbewerte Währung“ nutze, um die USA und seine EU-Partner auszunutzen. Beim Treffen der EU im Mai legte er nochmal nach und nannte die Deutschen „böse, sehr böse“.

2. Warum soll ich mich dafür interessieren?

Weil die USA ein sehr wichtiger Handelspartner Deutschlands sind. 2016 umfasste der Handel Waren im Wert von 165 Milliarden Euro. An diesem Handel hängen sehr viele Arbeitsplätze. Ist dieser Handel gefährdet, sind auch die Arbeitsplätze gefährdet. Dass das Ganze nicht nur eine theoretische Frage ist, hat sich schon gezeigt. Es wurde bekannt, dass sich sowohl die US-Regierung als auch die EU-Länder auf einen Konflikt einstellen.

Außerdem bietet die Kritik von Trump einen guten Anlass, ein paar grundsätzliche Sachen über Deutschland zu verstehen: Wie wir Geld verdienen. Was das für unsere Freunde in Europa bedeutet. Und sogar wie wir uns selbst sehen.

3. Okay. Was meint Donald Trump genau mit seiner Kritik?

Trump missfällt es, dass Deutschland so viel exportiert, also Waren „Made in Germany“ ins Ausland verkauft. Deswegen auch sein Fokus auf deutsche Autos. Sie sind das sichtbarste Symbol für die Exportstärke der Bundesrepublik. Ihm geht es um ein spezielles Problem: dass Deutschland nicht gleichzeitig auch sehr viele Waren aus dem Ausland kauft, vor allem natürlich aus den USA. Trump formuliert es so, am Beispiel der amerikanischen Automarke Chevrolet: „Wie viele Chevrolets sehen Sie in Deutschland?“, fragt er. „Nicht allzu viele, vielleicht gar keine, man sieht dort drüben gar nichts, es ist eine Einbahnstraße.“


Hinweis: In den Anmerkungen gehe ich noch mehr in die Tiefe. Klicke einfach auf die kleine Sprechblase. Sie sind aber nicht unbedingt nötig, um den kompletten Text zu verstehen.


Trumps Aussagen passen zu seinen Wahlkampfauftritten. Vor zehntausenden Menschen hatte er immer wieder betont, dass die USA beim Handel einen „bad deal“ bekämen. Er meinte damit nicht nur die vielen verschiedenen Handelsabkommen, die den US-Arbeitern angeblich Jobs gestohlen hätten. Sondern eben auch Deutschland, das in seinen Augen auf den Rücken der USA viel Geld verdient.

Was er kritisiert, haben vor ihm schon viele andere kritisiert, allerdings in nicht ganz so schrillen Tönen. Hier ist eine unvollständige Liste der Kritiker:

  • Barack Obama, der ehemalige Präsident der USA
  • Die EU-Kommission
  • Die Regierung von Frankreich
  • Die Regierung von Italien
  • Die Regierungen von sehr vielen anderen europäischen Ländern
  • Der Internationale Währungsfond IWF
  • Nobelpreisträger Paul Krugman
  • Nobelpreisträger Joseph Stiglitz
  • Circa ein Dutzend andere Nobelpreisträger

Inzwischen hat selbst der Cheflobbyist der deutschen Industrie gegenüber der Süddeutschen Zeitung eingeräumt: „Wenn ein Land dauerhaft extrem hohe Überschüsse ausweist, dann muss es sich auch einmal fragen, was es selbst dazu beitragen kann, dass die Sache nicht aus dem Ruder läuft.“

Sie alle kritisieren auch, wie der deutsche Handel abläuft. Sie kritisieren den „Exportüberschuss“ der Bundesrepublik.

4. Was ist ein Exportüberschuss?

Das bedeutet, dass ein Land mehr Waren und Dienstleistungen ins Ausland verkauft als es von dort einkauft. In Deutschland betrug dieser Überschuss 2015 gut 250 Milliarden Euro. So ein Überschuss gehört inzwischen zu Deutschland wie der Biergarten zu München. Das letzte Mal, als die Deutschen mehr aus dem Ausland kauften als selbst dorthin verkauften, war die Bundesrepublik gerade einmal zwei Jahre alt. Das war 1951.

5. Wozu führt ein Exportüberschuss?

Um das zu verstehen, gehen wir Schritt für Schritt die Handelskette entlang.

Beginnen wir in Deutschland: Der Export schafft hier Arbeitsplätze und füllt die deutschen Bankkonten, vor allem der Unternehmen. Dieses zusätzliche Geld legen deutsche Anleger, Banken und Versicherer an, sehr oft im Ausland – weil dort ja auch das Geld benötigt wird, um ihre Produkte zu kaufen. Sie geben anderen Staaten Kredite, finanzieren Bauvorhaben oder suchen sich andere Anlagemöglichkeiten.

Wichtig: Das Geld, das Deutschland durch seine Exporte verdient, legt es sehr oft wieder im Ausland an.

Bis auf vier Ausnahmen (z. B. die Niederlande) kaufen die Länder des Euro-Raums mehr deutsche Waren ein als sie wiederum nach Deutschland verkaufen. Um diese Einkäufe zu bezahlen, nutzen sie „deutsches Geld“, das ihnen über das Zentralbankensystem zufließt.

Mit einem Beispiel ist das leicht zu verstehen: Wenn ein deutscher Maschinenbauer eine Anlage für 100.000 Euro nach Spanien verkauft, dann überweist der spanische Kunde 100.000 Euro nach Deutschland. Dessen Bank meldet die Überweisung automatisiert an die spanische Zentralbank, genauso macht es auch die deutsche Bank des deutschen Maschinenbauers. In der Bilanz der spanischen Zentralbank entsteht nun ein Minus von 100.000 Euro, da das Geld ja aus dem Land abgeflossen ist. Bei der Bundesbank entsteht ein Plus über die gleiche Summe. Beide Banken melden es an die Europäische Zentralbank, die hier als Vermittler agiert. Das geschieht für jeden transnationalen Handel im Euro-Raum, und unter dem Strich stehen Schulden bzw. Forderungen. Die deutsche Bundesbank hält 800 Milliarden Euro Forderungen gegenüber den Zentralbanken anderer Euro-Länder.

Wichtig: Mit dem ausgeborgten deutschen Geld kaufen die ausländischen Handelspartner noch mehr deutsche Waren.

Güter, die andere Länder aus Deutschland einführen, müssen sie selbst nicht mehr herstellen. Also entstehen auch nicht die dazugehörigen Arbeitsplätze. Zwar könnten sich theoretisch zwei Länder, die sehr viel miteinander handeln, jeweils so stark spezialisieren, dass unter dem Strich durch den Handel Jobs in beiden Ländern entstehen, aber das ist bei Deutschland nicht der Fall. Es kauft ja nicht so viel bei seinen Handelspartnern ein beziehungsweise kauft Deutschland simple Rohstoffe wie Öl oder Aluminium und verarbeitet sie zu höherwertigen Produkten wie Autos.

Wichtig: Bei den Handelspartnern fehlen durch die einseitigen deutschen Exporte Arbeitsplätze.

Daraus speist sich die Wut von Donald Trump. In seiner Antrittsrede als US-Präsident beschrieb er ein Amerika, in dem „verrostete Fabriken wie Grabsteine in der Landschaft stehen“. Fabriken, in denen niemand mehr arbeitet. Trump meint: Daran ist Deutschland schuld. Ähnliches wirft er auch China vor.

6. Warum hat Deutschland einen Exportüberschuss?

Die Bundesregierung und die deutsche Industrie betonen, dass Deutschland vor allem deswegen so viel exportiert, weil es Produkte herstellt, die sehr begehrt sind. Auf den Punkt brachte diese Haltung Sigmar Gabriel, der als Wirtschaftsminister auf die Trump-Aussagen antwortete: „Die müssen bessere Autos bauen in den USA. Dann haben die auch eine Chance bei uns.“ Dafür bekam er sehr viel Beifall aus Deutschland.

Diese Antwort ist allerdings wohlfeil. Denn Deutschland kann so viel exportieren (und Amerika so wenig), weil die immer wieder zitierten „Rahmenbedingungen“ für die Bundesrepublik deutlich günstiger sind. Drei Punkte sind dabei entscheidend:

Wie viel ein Big Mac kostetUrsache Währung

Trumps Handelsberater Peter Navarro kritisierte Deutschland für seine „unterbewertete Währung“. Er meinte damit, dass der Euro gemessen an der deutschen Wirtschaftsstärke zu billig sei. Bevor ich erkläre, wie eine Währung zu billig sein kann, will ich die Folge einer zu billigen Währung erklären.

Nehmen wir mal nicht wieder ein Auto als Beispiel, sondern eine Geschirrspülmaschine aus Deutschland, von Miele oder Bosch oder Siemens. Für so eine Maschine bezahlt man aktuell ca. 500 Euro. Ist viel Geld. Da denkt jeder zweimal darüber nach, ob es nötig ist. Was aber passiert, wenn Sie einen Rabatt erhalten? Über fünf Prozent? Über zehn Prozent? Wenn Ihnen die ganze Mehrwertsteuer von 19 Prozent erlassen werden würde? Und der Preis dann nochmal ein bisschen nach unten gehen würde? Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie zugreifen, steigt deutlich. Das sind schließlich 100 Euro, die Sie dann sparen würden. Und was würde passieren, wenn nicht nur die Geschirrspüler mehr als 20 Prozent billiger „als normal“ wären, sondern auch die deutschen Waschmaschinen, Werkzeuge und eben Autos? Wenn einfach alles aus Deutschland mit einem satten Rabatt käme? Sie würden mehr deutsche Waren kaufen. Und das ist in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich passiert. Quasi ab Werk gab es für die Bürger mancher Länder einen Rabatt auf deutsche Produkte (ohne dass irgendjemand den Händler bezirzen musste). Und das liegt an unserem Euro.

Wie eine Währung „zu billig“ sein kann, will ich nun erklären. Dieser Mechanismus ist entscheidend, um die Kritik der USA zu verstehen. Bleiben Sie also dran!

Währungen sind Handelswaren wie alles andere auch: Sie werden gekauft und verkauft. Jeder, der schon einmal im Ausland Geld gewechselt hat, hat mit einer Währung gehandelt. Und alles, was gehandelt wird, hat einen Preis. Dieser Preis ist der Wechselkurs einer Währung. Er zeigt an, wie viel eine Währung wert ist. Wenn ich aktuell 1 Euro kaufen will und Dollar habe, muss ich dafür 1,08 Dollar zahlen.

Im Währungshandel kann es wie auf dem Flohmarkt sein. Manchmal sind Sie vollauf zufrieden mit ihrem Kauf und manchmal fühlen Sie sich über den Tisch gezogen. Sie glauben, zu viel für diesen total schnieken, antiken Beistelltisch auf dem Flohmarkt gezahlt zu haben. In dem Fall war der Tisch überbewertet. Manchmal aber, und das ist bei Ihnen natürlich ausschließlich der Fall, schaffen Sie es durch ausgefuchste Verhandlungsführung den Tisch für weniger als anderswo zu erstehen. Dann ist er unterbewertet.

Um festzustellen, ob eine Währung unterbewertet ist oder nicht, brauchen wir knapp 200 Big Macs, ein Big Mac aus jedem Land der Erde. Experten des britischen Magazins The Economist hatten sich nämlich überlegt, wie sie zeigen können, dass eine Währung zu billig und die andere zu teuer ist. Dafür mussten sie eine Ware finden, die es in jedem Land der Welt gibt und deren Preis somit vergleichbar ist: the Big Mac.

Sie haben sich nun angeschaut, was der Burger in den USA kostet, in Deutschland, in China und in allen anderen Ländern, jeweils in lokaler Währung. Dann haben sie die aktuell gültigen Wechselkurse angelegt. Wenn ein Wechselkurs 100 Prozent korrekt wäre, müssten Sie und ich mit unseren Euros überall auf der Welt die gleiche Zahl an Big Macs kaufen können. Aber, nun ja. In Deutschland kostet ein Burger 3,80 Euro. Dafür bekomme ich in Russland ungefähr drei und in den USA könnte ich für diese Summe mit viel Überredungskunst auch einen Ganzen bekommen – wenn ich die Angestellten irgendwie überzeugen kann, mir einen 20-prozentigen Rabatt zu geben. Und in der Schweiz wird selbst unser überbordendes rhetorisches Talent nicht weiterhelfen. Das liegt nicht nur an den sehr korrekten Schweizern selbst. Sondern auch an deren völlig überbewerteter Währung. In Zürich bekommen wir noch nicht einmal einen halben Big Mac. (Aber immerhin: Ein halber Big Mac wäre immer noch ein ganzer Hamburger.)

Gemessen an diesem sogenannten Big-Mac-Index ist der Euro für Deutschland zu billig und damit sind es auch die deutschen Güter und Dienstleistungen. Auf dem Berliner Kurfürstendamm einkaufen zu gehen, erscheint da gleich deutlich attraktiver als auf der 5th Avenue in New York.

Das Hartz-IV-Monster frisst das Gehalt und damit die ImporteUrsache Löhne

Aber es ist gibt noch mehr Gründe, warum Deutschland ständig Exportüberschussweltmeister wird. Einer davon sind unsere Löhne. Der Mechanismus hier: Wenn die Löhne niedrig sind, kostet es weniger, ein Produkt herzustellen. Also kann es auch billiger verkauft werden. Wenn etwas billiger ist, wird es in der Regel häufiger gekauft.

Die Löhne sind in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nur langsam gewachsen, manchmal sogar gesunken. Woher das kommt, weiß ich nicht sicher. Ich weiß es deswegen nicht sicher, weil es auch alle Experten nicht sicher wissen. Zwei Dinge dürften aber eine Rolle spielen: Erstens war Deutschland in den ersten sechs, sieben Jahren dieses Jahrhunderts wirtschaftlich gesehen ziemlich schwach. In so einer Situation, wenn die Unternehmen wenig verkaufen, ist es natürlich schwieriger für Arbeitnehmer, mehr Lohn und Gehalt zu verlangen. Zweitens, entstanden durch die Sozialreformen der Agenda 2010 („Hartz IV“) zwar mehr Jobs, aber diese Jobs sind oft viel schlechter bezahlt als andere. Sie sind Niedriglohnjobs.

Allerdings sind die Löhne gerade in den exportstarken Branchen auch stark gestiegen. Diese Industriezweige haben sich also bis zu einem gewissen Grad abgekoppelt von den anderen Bereichen der deutschen Wirtschaft. Diese Entwicklung führen auch die Arbeitgeber immer wieder an, wenn sie begründen wollen, warum Deutschland eben keinen unfairen Vorteil habe und allein wegen seiner tollen Produkte so einen Überschuss erziele. Aber das Argument der Unternehmen greift nicht. Denn drei von vier Deutschen arbeiten in Branchen, die nicht sehr viel exportieren, vor allem im Dienstleistungsbereich, also zum Beispiel als Erzieher, Verkäufer oder Sekretäre, und da verdienen Deutsche eher wenig, wenn man das mit dem Ausland vergleicht. Wer wenig verdient, kauft auch weniger ein, zu Hause - wie im Ausland. Deutschland importiert also wenig, was, wenn gleichzeitig die Verkäufe stabil bleiben, dazu führt, dass ein Exportüberschuss entsteht.

Allerdings hat sich die Situation etwas verbessert. Die Löhne steigen in Deutschland wieder.

Die schwarze Null muss stehenUrsache Staat und Unternehmen

Aber nicht nur die Bürger könnten mehr Geld ausgeben, auch der Staat könnte es. Er ist sogar, weil er auf einen Schlag sehr viele Milliarden Euro bewegen kann, sehr wichtig. Allerdings agiert er wie die Bürger: Er investiert zu wenig. Im Vergleich mit so gut wie jedem anderen Industrieland der Erde gibt der deutsche Staat zu wenig für neue Brücken, Straßen, bessere Universitäten, Datenbanken und Schulen aus. Und das, obwohl die Steuereinnahmen gerade so hoch wie noch nie sind. Bei den deutschen Unternehmen sieht die Situation ganz ähnlich aus: solide Gewinne, kaum Investitionen.

Dafür stehen sie mit ihrem NamenUrsache Mittelstand und Exportförderung

Zuletzt: Natürlich kann Deutschland heute auch deswegen so viel exportieren, weil es schon früher immer viel exportiert hat. Der berühmte deutsche Mittelstand hat sich in tausenden Nischen des Weltmarktes eingerichtet, da die Spitze errungen und verteidigt sie durch Erfindergeist, Qualität und Flexibilität. Den Exporterfolg Deutschlands nur auf die Währung, die Löhne und die Investitionen zu schieben, greift sicher zu kurz. Diese Faktoren sind aber ausschlaggebend.

7. Hat der Exportüberschuss auch negative Folgen für Deutschland?

Ja. Und zwar in dem Sinne, dass die Deutschen ihn wortwörtlich damit bezahlen, dass ihre Löhne zu niedrig sind, ihre Brücken zerfallen und ihre Arbeitgeber deren Zukunftsfähigkeit aufs Spiel setzen. Allerdings spüren wir diese Folgen kaum in unserem Alltag. Der Zusammenhang zwischen Exporterfolg und Schultoiletten, die wegen Baufälligkeit gesperrt werden müssen, ist schwer zu fassen. Aber er existiert. Machen Sie sich das das nächste Mal bewusst, wenn sie in einer Schule sind.

Deutschland leidet auch politisch unter seinem Exportüberschuss. Unter der neuen Regierung Trump könnte dieser dazu führen, dass sich die Beziehungen zu dem wichtigen Partner USA dauerhaft verschlechtern. In Europa streitet sich die Bundesregierung zudem wegen des Überschusses immer wieder mit ihren Partnern in Paris und Rom und London. Die hohen deutschen Exporte und die sehr niedrigen deutschen Investitionen sind einer der Hauptgründe dafür, dass die Euro-Krise bis heute nicht beigelegt ist.

8. Wie hängt das jetzt mit der Euro-Krise zusammen?

Was zwischen den USA und Deutschland im Handel abläuft, passiert im kleineren Maßstab mit fast jedem anderen Euro-Land auch: Deutschland verkauft viel mehr als es einkauft. Das führt zu Ungleichgewichten im Euro-Raum, die ein Auslöser der Euro-Krise waren. Denn damit Deutschlands Partner dessen Waren kaufen konnten, haben sie sich verschuldet. Die Schulden von Ländern wie Griechenland, Spanien oder Italien haben natürlich auch noch andere Ursachen, aber der Handel mit Deutschland spielt eine wichtige Rolle. Deutschland hat sich vor der Euro-Krise verhalten wie ein sehr unverantwortlicher Gastwirt. Anstatt seinem schon völlig berauschten Gast ein Wasser hinzustellen und ein Taxi zu rufen, hat es Glas nach Glas gezapft und den Gast ins Delirium geschickt. Das hat zu einer europaweiten Krise geführt, die wir bis heute spüren. Deutschland spürt es, weil es nicht mehr so viele Waren in Europa absetzen kann wie es gewohnt ist.

Die Euro-Krise hat aber noch einen zweiten Effekt. Dank ihr kann sich Deutschland sehr günstig Geld leihen. Bis die Krise begann, haben Anleger auch Ländern wie Italien freimütig Kredite gewährt. Sie wollten an den Zinsen verdienen. Als aber die Gefahr stieg, dass diese Länder ihre Schulden nicht mehr bedienen konnten, haben die Anleger Alternativen gesucht. Und was war eine sichere Bank? Deutschland!

Ein sehr wichtiger Käufer deutscher Kredite ist die Europäische Zentralbank. Sie versucht, die Schuldenkrise mit allen Mitteln zu „lösen“, die ihr zur Verfügung stehen. Sie kauft die Schulden von Unternehmen und Euro-Staaten auf und will damit erreichen, dass alle diese Akteure wieder mehr investieren. Darin liegt aber auch eine gewisse Tragik. Denn je mehr sie kauft, desto mehr Euros kreisen im Markt, desto weniger wert ist jeder einzelne Euro und desto attraktiver ist es, deutsche Waren zu kaufen und den Exportüberschuss zu verschlimmern.

9. Was kann Deutschland tun, um das Problem zu lösen?

Zunächst, was Deutschland nicht tun kann: einfach einen neuen Wechselkurs festlegen. Würden die Regierungen das einfach beschließen, würden sie sich von einem zentralen Prinzip unserer Wirtschaftsordnung verabschieden. Das wurde zu anderen Zeiten auch schon gemacht. Aber heute eben nicht. Deutschland kann auch nicht einfach seinen Unternehmen befehlen, weniger ins Ausland zu verkaufen. Das wäre Planwirtschaft und wie die ausgeht, haben wir im 20. Jahrhundert gesehen.

Deutschland muss anders vorgehen, dann kann es den Angriffen von Donald Trump den Wind aus den Segeln nehmen und gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass auch die europäischen Freunde wieder auf die Beine kommen. Deutschland könnte mit Reformen den Niedriglohnsektor verkleinern, den Mindestlohn erhöhen und den Kampf von Gewerkschaften für höhere Löhne unterstützen. So sollten die Löhne in allen Branchen steigen und damit auch der private Konsum. Deutschland müsste außerdem selbst Schulden aufnehmen und in seine zerfallende Infrastruktur investieren, durch Steuererleichterungen den Konsum der Bürger fördern und mit Reformen die Unternehmen dazu bringen, mehr zu investieren.

Die von Angela Merkel zitierte schwäbische Hausfrau würde jedenfalls anders handeln, wenn sie das Finanzministerium führte und tatsächlich so viel von Geld verstünde wie immer behauptet wird. Eines Tages geht sie zu ihrer Bank und ihr Berater macht folgendes Angebot: „Frau Schmidt, ich gebe Ihnen einen Kredit über 5.000 Euro!“ „Wozu? Brauche ich nicht. Will ich nicht“, sagt Frau Schmidt. „Wenn Sie diesen Kredit nehmen, Frau Schmidt, dann schenke ich Ihnen noch 50 Euro, einfach so. Die brauchen Sie nicht zurückzahlen!“ Würde Frau Schmidt dann das Geld nehmen? Natürlich! Die kann ja rechnen! Selbst wenn sie nichts tut, verdient sie immer noch 50 Euro. Aber was, wenn sie das Geld investiert, vielleicht in die Bildung ihrer Enkel, in Aktien, in irgendetwas, von dem sie denkt, dass sich das lohnen könnte? Dann bekommt sie sogar noch mehr als 50 Euro wieder raus.

Diese Frau Schmidt ist wie der deutsche Staat. Nur dass der deutsche Staat solche Angebote gerade ablehnt, aus Prinzip. Deutschland könnte sich gerade Geld leihen und dafür sogar noch Geld bekommen. Tut es aber nicht.

10. Wenn ihre Politik so viele Probleme schafft und nicht löst, warum ändert die Bundesregierung sie dann nicht?

Was ich oben beschreibe, wird von sehr, sehr vielen Ökonomen so gesehen, aber eben nicht von allen. Einige argumentieren, dass Deutschland mit seiner Politik richtigliege. Die Bundesregierung selbst rechnet sich derweil die Welt schön.

Am Ende ist es eine politische Frage. Und das ist vielleicht auch eine wichtige Erkenntnis: Wirtschaft ist immer Politik. Ob sich ein Staat in die Wirtschaft einmischen sollte oder nicht, ist eine Frage der Politik und der Ideologie. Man kann da nicht irgendwie ein „richtiges“ Ergebnis ausrechnen.

Drei Dinge halten die Bundesregierung davon ab, ihre Politik zu ändern.

Erstens, ein Prinzip. Wer Schulden aufnimmt, muss sie auch zurückzahlen. Egal, was die Kosten sind. Die gleiche Denke äußert sich in der Schuldenbremse, die Bund, Ländern und Kommunen vorschreibt, dass sie neue Schulden nur noch in absoluten Ausnahmefällen aufnehmen dürfen. Deswegen will Finanzminister Wolfgang Schäuble keine neuen Schulden aufnehmen.

Zweitens, die ganz konkrete Politik. Schulden aufzunehmen, um damit anderen Euro-Ländern zu helfen und damit mittelfristig auch wieder den Exportüberschuss abzubauen, ist ein Tabu für die deutschen Konservativen. Es war der vermeintliche Rechtsbruch der Griechenlandrettung, der die Initialzündung für die Gründung der AfD gab. Auch viele Mitglieder der CDU haben nur sehr zähneknirschend diesen Hilfen zugestimmt. Mit ihnen eine komplett andere Wirtschaftspolitik zu machen, wäre nicht einfach, auch wenn diese neue Politik dabei helfen würde, die EU zu stärken – was die traditionell pro-europäische CDU gutheißen müsste.

Drittens, das Gefühl. „Wirtschaft“ ist für uns Deutsche mehr als ein Mittel zum Zweck. Es ist Quell unseres Stolzes. Exportieren wir viel, fühlen wir uns stark. Exportieren wir wenig, fühlen wir uns schwach. Das Wirtschaftswunder der 1950er Jahre ist das Fundament dieser Republik. Damals gab es das, was heute alle wollen: Wohlstand für alle. Diese Zeit war stilprägend. Sie gibt uns Halt, sie gibt uns eine Antwort auf die Frage: Wer bist du? Wer Deutschlands Exportüberschuss kritisiert, kritisiert uns. Wir nehmen solche Kritik persönlich. Genauso wie den Erfolg. Den schreiben wir nur uns selbst zu, obwohl es sehr viele andere Gründe für ihn gibt, wie dieser Text gezeigt hat.

11. Wenn Deutschland etwas ändern würde: Wie fände das denn Donald Trump? Wäre er damit zufrieden?

Wenn es dazu führen würde, dass sich die Ungleichgewichte in Europa verschieben würden, fände er das wahrscheinlich gut. Aber weil er Handel als einen Boxkampf betrachtet, bei dem es nur einen Gewinner geben kann, fände er es letztlich schlecht. Denn die EU ist heute schon der größte Wirtschaftsraum der Erde. Würde Deutschland einen Schwenk in der Wirtschaftspolitik vollführen, könnte es bald keine Euro-Krise mehr geben. Die EU-Mitgliedsstaaten hätten dann die Freiheit, wieder das zu tun, was sie am besten können: Handeln. Und das mag Donald Trump nicht. Das hat er selbst gesagt: „Schauen Sie, zum Teil wurde die Union gegründet, um die Vereinigten Staaten im Handel zu schlagen, nicht wahr? Also ist es mir ziemlich egal, ob sie getrennt oder vereint ist, für mich spielt es keine Rolle.“


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Redaktion: Esther Göbel, Dominik Wurnig; Produktion: Vera Fröhlich; Aufmacher-Foto: Gage Skidmore (CC BY-SA 2.0). Vielen Dank an alle, die mir vor der Recherche ihre Fragen geschickt haben!