Warum das größte Oppositionsblatt in Ungarn sterben musste
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Warum das größte Oppositionsblatt in Ungarn sterben musste

Die Welt schaut besorgt nach Westen, dorthin, wo Donald Trumps Populismus die liberale Demokratie infrage stellt. Derweil erfährt Ungarn, fast unbemerkt von einer breiteren Öffentlichkeit, weiter tiefe Einschnitte in die Pressefreiheit. Vor Kurzem musste die größte politische Tageszeitung Népszabadság schließen. Offiziell aus wirtschaftlichen Gründen. Doch unser ungarisches Partnerprojekt Direkt36 hat fünf Wochen recherchiert und herausgefunden: Politik spielte dabei eine wichtige Rolle.

Profilbild von von Bálint Fabók, András Pethö und András Szabó, Direkt 36

András Murányi spürte, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Er war seit mehr als einem Jahr Chefredakteur von Népszabadság (wörtlich: Volksfreiheit) und hatte den Generaldirektor des Verlags immer leicht erreichen können. Nicht so am Nachmittag des 7. Oktober.

An diesem Abend fand das WM-Qualifikationsspiel zwischen Ungarn und der Schweiz statt, und Murányi wollte erreichen, dass die Abgabefrist der Artikel für die nächste Ausgabe verlängert wird. Er wollte den Bericht über das Spiel auch in der nationalen Ausgabe bringen. Doch für die Fristverlängerung brauchte er die Zustimmung von Generaldirektor Balázs Rónai.

Als Rónai sich auch auf mehrere Anrufe hin nicht meldete, schickte ihm Murányi um 14.43 Uhr eine Nachricht. Er erklärte in der SMS, worum es ging, und erhielt als Antwort nur ein kurzes „okay“. Aber die Zustimmung zur Verlängerung der Abgabefrist fehlte. Deshalb schickte Murányi wenige Minuten nach 16 Uhr eine zweite SMS. Wieder keine Antwort. Die Zeitung bekam nicht die Erlaubnis, später anzudrucken.

Erst am nächsten Tag begriff Murányi, was geschehen war. Er war an diesem Samstagmorgen zu Hause und erhielt einen Anruf: Der Verlag hatte Népszabadság, Ungarns größter Oppositionszeitung, überraschend eingestellt. Murányi fand auch heraus, dass er Rónai deshalb nicht erreicht hatte, weil der mit der Entscheidung nicht einverstanden gewesen und schon am Freitag vom Posten des Generaldirektors zurückgetreten war.

Népszabadság war bis zu ihrem Ende am 8. Oktober 2016 die auflagenstärkste überregionale Tageszeitung Ungarns. Der Verlag Mediaworks erklärte die Einstellung der 60 Jahre alten Zeitung damit, sie habe seit Jahren finanzielle Verluste geschrieben. Die Mitglieder der Redaktion dagegen, die von der Schließung überrascht worden waren, vermuteten von Anfang an politische Gründe hinter diesem Schritt. Diese Version wurde von der Tatsache unterstützt, dass das Unternehmen Mediaworks – das etliche Zeitschriften herausgibt und somit eine ernstzunehmende Marktstellung hat – von einer regierungsnahen Gesellschaft mit direktem Draht zum ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán übernommen wurde.

Nachforschungen von Direkt36 ergaben, dass die Politik bei der Einstellung der Zeitung eine wichtige Rolle spielte. Fünf Wochen lang sprachen wir mit 30 Leuten, die als ehemalige oder derzeitige Mitarbeiter des Verlags oder als politische oder wirtschaftliche Akteure Einblick hatten, was mit der Zeitung geschah. Diese Gespräche konnten oft nur geführt werden, nachdem Anonymität zugesagt worden war. Es kristallisierte sich heraus, dass die Zeitung nicht nur unter dem generellen Zeitungssterben litt oder durch Fehlentscheidungen in eine Schieflage geraten war. Sie geriet auch in den Machtkampf von regierungsnahen Geschäftsleuten und den Ausbau des Medienimperiums von Orbáns rechtspopulistischer Fidesz-Partei.


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Es spricht auch für politische Einflussnahme, dass der Eigentümer vor Mitarbeitern stets abgestritten hatte, den Verlag veräußern zu wollen. Doch die Politikberichterstatter der Zeitung hatten seit Monaten Gerüchte aus Regierungskreisen gehört. Eine Quelle hatte noch einige Tage vor der Einstellung die Journalisten gewarnt, dass bald etwas mit dem Blatt passieren werde. Konkrete Hinweise gab es aber nicht, und so kam das Aus für die Redaktion völlig unerwartet. Besonders empört waren die Journalisten über den ihnen genannten Vorwand, die Redaktion werde lediglich umziehen. Doch sie durften nie in das neue Redaktionsgebäude hinein, ihre E-Mail-Konten wurden gelöscht, sie wurden schriftlich über die Einstellung der Zeitung informiert. Ein Mitarbeiter sagte: „Die haben uns mit dem Kopf in die Scheiße gedrückt.“

Heinrich Pecina

Heinrich Pecina

Der elegante Österreicher

In der Endphase der für Népszabadság hässlichen Entwicklung spielte ein österreichischer Geschäftsmann eine entscheidende Rolle. Heinrich Pecina war erst wenige Jahre zuvor auf dem Medienmarkt Ungarns erschienen. Der 66-Jährige macht seit langem Geschäfte in Osteuropa. In Ungarn war er lange nur wegen seinen Investitionen im Energiesektor, in der Chemieindustrie und im Bankensektor bekannt.

Im Jahr 2014 gab es eine Wende im Mediensektor. Sie führte dazu, dass er zum Eigentümer von Népszabadság und weiteren Zeitschriften wurde. Damals fusionierten Tochtergesellschaften der zwei großen ausländischen Verlage, Ringier und Axel Springer. Die ungarische Wettbewerbsbehörde stimmte nur unter der Auflage zu, dass die beiden sich von einigen ihrer Publikationen trennen. Hier kam Pecinas Gesellschaft ins Spiel, die Vienna Capital Partners, die diese Zeitschriften – darunter auch Népszabadság – kaufte.

Anfang 2014, nach der Bekanntgabe des Deals, stellte sich der österreichische Geschäftsmann den Mitarbeitern der gekauften Zeitschriften auch persönlich vor. Bei der Veranstaltung im Budapester Corvin-Theater versuchte Pecina – wie immer elegant gekleidet, mit gepflegtem Haar und korrektem Schnurrbart – die Mitarbeiter zu überzeugen, dass er ein verantwortungsvoller Eigentümer der Zeitschriften sein werde. Einer der Anwesenden zufolge hat er in seiner – auf Deutsch, mit Hilfe eines Dolmetschers gehaltenen – Ansprache besonders hervorgehoben, dass er wisse, welche wichtige Rolle die Zeitung auf dem ungarischen Medienmarkt spiele.

Seine Vorstellung überzeugte nicht. „Er hat sehr einfühlsam das Märchen präsentiert, es sei ein lang ersehnter Wunsch von ihm gewesen, ein ungarisches Medienportfolio zu haben. Aber es war absehbar, dass er zwei Wochen später das genaue Gegenteil mit demselben Enthusiasmus erzählen könnte”, schilderte einer der damaligen Mitarbeiter von Népszabadság seine Eindrücke. Ein anderer Teilnehmer sagte, Pecina habe erklärt, er sei schon deshalb als Investor qualifiziert, weil er jeden Morgen alle Zeitschriften lese, die man ihm bringe. „Wir haben darüber in den nächsten Tag immer wieder gelacht”, sagte der Journalist.

Zu dem Zeitpunkt, als Pecina ins Spiel kam, hatte Népszabadság ihre besten Tage längst hinter sich. Zwar sind alle gedruckten Tageszeitungen überall auf der Welt in einer schwierigen Lage. Doch Népszabadság, offizielles Verlautbarungsorgan während der sozialistischen Ära, war nach dem Regimewechsel noch für eine lange Zeit wirtschaftlich erfolgreich, verschuldete dann aber viele ihrer Probleme selbst. Seit Anfang der 90er Jahre war der Mehrheitseigentümer immer eine große ausländische Mediengesellschaft gewesen. Jedoch blieb über eine Stiftung die Nachfolgepartei der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei MSZMP, die MSZP, ebenfalls Eigentümer. Daneben hielt auch die Redaktion Anteile. Diese Garantien hatte sie sich während der erfolgreichen Jahre erkämpft. Doch gerade diese Konstellation erschwerte es den Mehrheitseignern in Krisensituationen, Änderungen bei dem Blatt durchzusetzen.

„Sie haben sich gut abgeschottet, deshalb konnte man nicht in die internen Strukturen eingreifen”, sagte ein früherer leitender Mitarbeiter des Schweizer Verlagshauses Ringier, das früher für längere Zeit Eigentümer von Népszabadság gewesen war. Aus seiner Sicht hat Ringier als Mehrheitseigentümer vergeblich versucht, die Zeitung zu reformieren. Aber die Redaktionsleiter hätten alles blockiert, ohne in der Lage zu sein, von sich aus Neuerungen durchzusetzen. Viele in der Redaktion hielten die Autonomie in bestimmten Fragen und die Präsenz der sozialistischen Partei als Eigentümer für wichtig. Sie sahen darin die Garantie, dass man – wie es einer von ihnen formulierte – „nicht alles mit der Zeitung machen kann”.

Bis also Pecina im Jahr 2014 als neuer Eigentümer auf der Bildfläche erschien, war die Zeitung wegen interner Grabenkriege deutlich geschwächt. Damals war es auch klar, dass die politisch wackelnde und ebenfalls mit schweren finanziellen Problemen kämpfende MSZP dem Blatt nicht helfen kann. Pecina versprach Weiterentwicklungen bei Népszabadság und der auf den Namen Mediaworks getauften Verlegergruppe. „Sein Mantra war immer, dass er Mediaworks zu einer der wichtigsten Mediengesellschaften Ungarns machen will“, sagte ein ehemaliger Mitarbeiter der Gesellschaft.

Am Anfang sah es auch danach aus. Die erste einschneidende Änderung bei Népszabadság kam im August 2014, mit dem neuen Chefredakteur. Marcell Murányi kam vom Boulevardblatt Blikk und stieß auf deutliches Misstrauen der Zeitungsmitarbeiter. Murányi stellte aber bald klar, dass er nichts an der linken, oppositionellen Stellung des Blattes ändern wolle, sich aber besser im Nachrichtenwettbewerb behaupten und mehr interessante Storys ausgraben wolle.

Mit dem Erscheinen des streng wirkenden, kahlköpfig rasierten, aber im Allgemeinen gutmütigen Murányi gab es auch einige unpopuläre Maßnahmen. Das Budget wurde signifikant gekürzt, statt 20 hatte die Zeitung nur noch 16 Seiten, und einem führenden Mitarbeiter zufolge wurden alle Gehälter um drei bis acht Prozent gesenkt. „Je höher das Gehalt war, desto mehr wurde es gekürzt”, sagte der Journalist. Mehrere Leute hätten deswegen die Redaktion verlassen.

Aber trotz der Kürzungen schienen Entwicklungen auf anderen Gebieten möglich. Murányi beförderte einige jüngere Mitarbeiter. Es gab auch Gespräche darüber, den Zeitungsinhalt online zu stellen. Doch trotz aller progressiven Schritte wurde die Redaktion schnell mit einer unbequemen Nebenwirkung des Eigentümerwechsels konfrontiert: Sie musste lernen, dass die Berichterstattung über bestimmte Themen unerwünscht war.

Zoltán Spéder, Viktor Orbán

Zoltán Spéder, Viktor Orbán

Die verbotenen Geschichten

Noch bevor Murányi kam, häuften sich Hinweise, dass die Angelegenheiten der FHB-Bank nicht zu tiefschürfend behandelt werden sollten. Abgedruckt werden sollten nur offizielle Erklärungen oder Kurznachrichten. Das überraschte die Journalisten nicht allzu sehr. Schließlich war bekannt, dass Pecina Anteile an der FHB besitzt. Ein Wirtschaftsjournalist sagte, zunächst habe man sich dagegen gewehrt und weiter über die Bank berichtet, aber dann habe Murányi deutlich gemacht, dass „die FHB und ihre Verbindungen tabu sind”.

Es gab aber noch eine andere Veränderung im Alltag der Redaktion, die viele mit Verwunderung und Besorgnis verfolgten. Anfang 2015 stellte der damalige Generaldirektor von Mediaworks, Attila Mihók, eine PR-Expertin Namens Júlia Beer den Leitern der Népszabadság und der ebenfalls zum Verlag gehörenden, landesweiten Wirtschaftszeitung Világgazdaság vor. Einem Teilnehmer des Treffens zufolge sagte Mihók über Beer, sie sei die Beraterin des Eigentümers und werde sich gelegentlich mit den Chefredakteuren unterhalten, um „einen besseren Informationsfluss” zwischen ihnen und dem Eigentümer herzustellen.

Zwar hat der als harter Leiter geltende Mihók es nicht ausgesprochen, dass ihn diese Entwicklung stört, man hat es laut Teilnehmern des Treffens aber aus seiner Körpersprache ableiten können. (Mihók selbst wollte sich zu unseren Fragen nicht äußern.) Auch aus Sicht der Journalisten war die Präsenz von Beer besorgniserregend. Viele empfanden es so, dass der Eigentümer Vienna Capital Partners (VCP) damit die Redaktionsfreiheit beeinflussen wollte. „Die VCP hat damit ein Trojanisches Pferd in das System geschoben. Sie wollte den Inhalt des Blattes viel stärker überwachen”, sagte ein ehemaliger Redaktionsleiter von Mediaworks.

Beer wird als Person beschrieben, die gut Kontakte herstellen kann. Sie erschien von diesem Zeitpunkt an oft in der Redaktion. Sie besprach regelmäßig mit den Chefredakteuren der politischen Zeitschriften von Mediaworks die laufenden Themen und machte auch Bemerkungen. Sie vermied aber den Eindruck, dass sie sich einmischen will.

„Júlia ist eine professionelle Kommunikationsexpertin. Ihre Mittel sind genau so professionel wie sie; sie kann ihre Nachrichten sehr gut einwickeln, sie benutzt die anspruchsvollsten Methoden”, sagte ein ehemaliger Leiter, der stets mit ihr in Kontakt stand. Sie gab nie direkte Anweisungen. Aber sobald sie wusste, dass es eine Mitteilung der FHB geben werde, lenkte sie die Aufmerksamkeit des Chefredakteurs darauf und fragte, wie die Thematik behandelt werde. Mit dieser Taktik leiste sie der Selbstzensur Vorschub.

Ein anderer Ex-Mediaworks-Mitarbeiter machte ähnliche Erfahrungen mit Beer, die immer Dinge „vorschlug“ oder „anzweifelte“, aber niemals Anweisungen gab. „Wieso müsst ihr euch immer mit diesen Sachen beschäftigen?“, fragte sie beispielsweise, wenn wieder das Thema FHB auftauchte. (Wir haben Beer besucht, sie hat aber auf unsere Fragen nicht geantwortet.)

Aber nicht nur die FHB war ein Tabu, auch alles, was im Zusammenhang mit dem damaligen Leiter der Bank, Zoltán Spéder, stand. Der pflegte lange Zeit ausgezeichnete Kontakte zur Regierung und stand auch während der Umstrukturierung der Spargenossenschaften mit dem Staat in engem Geschäftsverhältnis.

Pecina und Spéder waren nicht nur über die FHB verknüpft, informierten Kreisen zufolge kennen sich die zwei Geschäftsleute seit den 90er Jahren. „Ihr Verhältnis ist zwischen Geschäftsverhältnis und Freundschaft angesiedelt, sie unternehmen allerdings privat nichts zusammen“, sagte ein langjähriger Bekannter von Spéder. Der Banker lebe für seine Arbeit und sei nicht allzu gut in der Kontaktpflege.

Ein anderes Beispiel für die Spezialbehandlung Spéders: Als im Mai dieses Jahres die Nachricht kam, dass auch sein Name in den Panama Papers über Briefkastenfirmen steht, erhielt einer der Redakteure der Online-Ausgabe von seinem Vorgesetzten die Anweisung, das Thema nicht aufzugreifen. Doch das war gar nicht mehr nötig, die Selbstzensur hatte bereits gegriffen. „Ich habe schon selbst gewusst, dass es Probleme geben würde, falls ich dies ins Netz stellen würde”, erklärte der Redakteur. Er ignorierte die Nachricht einfach.

Einige Journalisten berichteten auch Direkt36 über die besondere Aufmerksamkeit, die Spéders größter Konkurrent im Bankensektor – OTP-Chef Sándor Csányi – genoss. Es gab einem Mitarbeiter zufolge manchmal Instruktionen, wonach der Verleger nichts dagegen hätte, negative Artikel über Csányi zu veröffentlichen. Ein Leiter der Redaktion sagte jedoch, dass man auch über Csányi „alles, auch Positives schreiben konnte”. Aber Pecina wollte über diese Artikel immer im Voraus Bescheid wissen.

Im Allgemeinen vermied die Redaktion tiefschürfende Berichte über Spéder. Aber in einem Fall entschied sich einer der Journalisten, eine Ausnahme zu machen. Das löste einen scharfen internen Konflikt aus.

Dies geschah kurz nachdem András Murányi zum Chefredakteur ernannt worden war. Er wurde im August 2015 angeheuert, nachdem der frühere Chefredakteur Marcell Murányi zurücktreten musste, weil er einen Verkehrsunfall mit tödlichem Ausgang verursacht hatte. Die Namensgleichheit ist kein Zufall, beide sind Brüder. Auch András Murányi hatte eine langjährige Erfahrung als Journalist und kannte Népszabadság gut. Er hatte immerhin 14 Jahre bei der Zeitung gearbeitet.

András Murányi war kaum länger als einen Monat Chefredakteur, als der interne Konflikt ausgelöst wurde. Die Geschichte fing mit einer Erklärung des Ministerpräsidenten am 09. September 2015 an. Damals kündigte die Regierung an, sie richte für die Verteilung eines Teiles der EU-Förderung ein Netzwerk ein. Dafür benötige sie Partner. Die Bank werde in einem öffentlichen Vergabeverfahren ausgewählt.

Der Leiter der Wirtschaftsredaktion der Népszabadság, Balázs Horniák, erinnerte sich an eine öffentliche Aussage von OTP-Chef Sándor Csányi, die er einige Monate zuvor getätigt hatte. Er hatte gemutmaßt, in einem solchen Verfahren werde die FHB der Gewinner sein.

Horniák entschied, einen Artikel darüber zu schreiben und nicht nur über die Regierungserklärung zu berichten, sondern auch auf die Csányi-Aussage zu verweisen und zu erklären, weshalb Spéder bei der Regierung so hoch angesehen ist. Der Artikel wurde am Abend fertig. Der Redakteur versuchte gar nicht erst, ihn in Druckversion zu bringen. Als Sektionsleiter hatte er direkten Zugriff auf die Online-Ausgabe der Népszabadság und lud dort den Artikel hoch: „Csányi: Ein Freund der Regierung wird bevorzugt.“

Der Artikel war erst wenige Stunden im Netz, als Horniák einen Anruf von András Murányi bekam, der ihn anschnauzte, ob er einen „Putsch“ gegen ihn plane. Warum habe er eine mehr als ein halbes Jahr alte Csányi-Aussage als Titel benutzt und ihn, den Chefredakteur, nicht vorher darauf aufmerksam gemacht, dass ein Artikel über ein so sensibles Thema erscheinen würde? Sie vereinbarten, sich am nächsten Tag noch einmal darüber zu unterhalten. Murányi ließ Horniák am Ende des nächsten Tages auch in sein Büro kommen. Er erklärte, zwar könnten sogar Nachrichten über heikle Themen erscheinen. Aber man müsse dem Eigentümer gegenüber loyal bleiben. Nachrichten, die mit ihm im Zusammenhang stünden, müssten nicht noch zugespitzt werden.

Das Verhältnis zwischen Horniák und Murányi war schon vor Erscheinen dieses Textes nicht allzu freundlich geweseb. Sie hielten fachlich nicht viel voneinander. Aber nach dem Csányi-Artikel wurde das Verhältnis noch frostiger. Schließlich erhielt Horniák am 30. September einen Brief, er möge sich am nächsten Tag für ein Gespräch bezüglich seiner Zukunft in der fünften Etage melden. In einem Gespräch, an dem auch Murányi teilnahm, bekam Horniák mitgeteilt, dass er gefeuert sei. Die offizielle Begründung lautete, die Wirtschaftsredaktion werde mit der Politikredaktion zusammengelegt. Der Artikel kam nicht zur Sprache. Sechs anderen Mitarbeitern wurde ebenfalls gekündigt, wegen Sparmaßnahmen.

Neben den Tabus in Bezug auf Spéder erhielten die Journalisten auch Instruktionen, vorsichtig mit János Lázár umzugehen, der das Büro des Ministerpräsidenten leitete. Lázár ist nach eigenen Angaben mit Spéder befreundet. Auch gab es geschäftliche Beziehungen zwischen den beiden, wegen der Zusammenarbeit zwischen der FHB und der Regierung. Allerdings waren die Anweisungen im Fall Lázár ebenso vage wie im Fall Spéder. „Sie haben uns gebeten, ihn vorsichtig zu behandeln, beispielsweise in den Überschriften. Ich habe gar nicht verstanden, wie die Anweisung konkret lautet und was ich den Kollegen sagen sollte”, erklärte ein Redakteur. Auf Nachfrage forderte Murányi ihn nur auf, „Lázár nicht unnötig anzugreifen“.

Der Redakteur stritt sich mehrmals mit Murányi darüber. Der sagte nach unseren Informationen wiederholt, dass es „wenig freie Medien gebe, und nirgendwo verfolge der Eigentümer keine eignen Interessen”. Dem Redakteur zufolge fügte Murányi hinzu, dies sei seiner Meinung nach hinnehmbar, „weil es eine Menge anderer Sachen gibt, über die wir schreiben können“.

Murányi sagte Direkt 36, es stimme, dass der Verleger über Lázár-Artikel vorab informiert werden wollte. Aber es habe keinen Fall gegeben, in dem für Lázár unbequeme Informationen nicht gedruckt worden seien. Allerdings kam es vor, dass auf Druck des Managements ein Artikel entschärft werden musste, wenn Lázár im Mittelpunkt stand. Einer dieser Artikel handelte von den Ausgaben der Politiker für Benzin. Lazar hatte die höchsten Benzinkosten. Das war insofern nicht überraschend, als Lázár viel in sein Heimatort Hódmezövásárhely pendelt, aber in der Originalfassung des Artikels war er trotzdem herausgehoben. Später wurde auf Ersuchen des Verlages Lázár aus der Überschrift genommen, der Artikel aber sonst nicht geändert.

Mehrere Journalisten sagten, es sei auch sehr wichtig, umsichtig mit den Informationen rund um Viktor Orbáns Familie umzugehen. Dies war aber ihrer Meinung nach teilweise nachvollziehbar, da es in der Tat nicht immer klar ist, was über Familienmitglieder, die kein Amt bekleiden, veröffentlicht werden soll.

Zu diesen Erwägungen gehört auch eine Geschichte, die in der Redaktion herumging: Victor Orbán habe Pecina um zwei Dinge gebeten: Er möge sich erstens bei ihm melden, falls er Mediaworks verkaufen wolle, und zweitens, er möge seine Familie außen vor lassen. Diese Geschichte haben mehrere Journalisten von András Murányi gehört, der die Information wiederum vom Management des Verlags bekommen hatte. (Weder Pecina und noch Orbáns Büro wollten sich dazu äußern).

Jedoch berichtete Népszabadság mehrmals über Ráhel Orbán und ihren Mann, István Tiborcz. Zum Beispiel berichtete im Oktober 2015 die Zeitung in ihren Kurznachrichten darüber, dass das Ehepaar auf einer Auktion für mehrere Millionen Forint Gemälde gekauft hatte. Nach dem Erscheinen des Artikels rief ein enger Berater des Eigentümers bei Murányi an und sagte, dass „Wien wütend” sei. Das bedeutete: Pecina war unzufrieden mit den Geschehnissen.

Murányi hielt dagegen, es sei eine begründete Frage, wovon Orbáns Tochter und ihr Ehemann den Kauf finanzierten. Auch sei diese Nachricht ein bisschen so, wie britische Medien über Prinz William und dessen Frau berichten. Murányi zufolge war der Berater erleichtert über diese Interpretation und sagte: „Gut, dann werde ich das Pecina auch so erklären.”

Das Team

Es gab einige verbotene oder mit Vorsicht zu behandelnde Themen, andererseits wurde aber auch ein schlagkräftiges Team für die Abdeckung wichtiger Themen aufgebaut. Dabei verließ sich der als schnodderig, aber belastbar beschriebene Murányi in erster Linie auf die jüngeren und von anderen Zeitschriften abgeworbenen Mitarbeiter.

Er ernannte einen jungen Journalisten der Népszabadság, den damals 31 Jahre alten Péter Petö, zu einem von drei stellvertretenden Chefredakteuren. Den gleichaltrigen Dániel Bita machte er zum Leiter der zusammengelegten Rubriken Politik und Wirtschaft. Im Herbst 2015 schloss sich einer der führenden Polit-Journalisten des Landes, M. László Ferenc, dem Blatt an, Mitte 2016 kamen dann der wegen seiner zahlreichen politischen Verbindungen bekannte József Spirk und der bekannte Wirtschaftsredakteur Roland Baksa. Alle drei hatten Erfahrungen im Online-Journalismus.

Murányi setzte auch Veränderungen in der Arbeitsorganisation durch. Er ermutigte die Redakteure, das Blatt nicht nur mit Tagesthemen zu füllen, sondern stattdessen vorauszuplanen und auch die Entwicklungen von wichtigeren Themen mitzuverfolgen. Im letzten Jahr wurde auch ein Team aufgestellt, das sich nur mit größeren Themen befasst hat und regelmäßig – in der Regel donnerstags – zusammen saß, um die wichtigsten Aufgaben zu besprechen. Das Team wurde von Petö geleitet, und neben Bita und den neuen Mitarbeitern der Online-Zeitschriften waren auch Gábor G. Varga und Anita Kömüves Mitglieder, die beide schon seit Längerem bei der Zeitschrift arbeiteten.

Dieses Team verfasste auch einige Artikel, mit denen es Népszabadság in den letzten Monaten gelang, nach langer Zeit wieder den Nachrichtenwettbewerb zu dominieren. Zum Beispiel wusste Roland Baksa aus diesem Kreis schon Monate, bevor es offiziell bekannt wurde, dass Notenbankchef György Matolcsy eine Geliebte hat. „Wir haben darüber gesprochen, ob dies überhaupt eine öffentliche Angelegenheit ist und wie wir damit umgehen sollten”, erinnerte sich Petö an die Story. Bei den Recherchen kam ans Licht, dass Matolscsys Geliebte ungewöhnlich hohe und gutbezahlte Jobs in der Bank bekommen hatte.

Die Mitglieder des Teams unterstützten sich auch gegenseitig. Spirk, der gute Kontakte zu Politikern hatte, ließ seine Quellen Hinweise gegenchecken, die seine Kollegen bekommen hatten. Die am Auslandsdesk arbeitende und fließend Englisch sprechende Anita Kömüves teilte mit ihren Kollegen ihre in den USA erlernten Fachkenntnisse und recherchierte, falls notwendig, in ausländischen Datenbanken.

Murányi war mit den Veränderungen zufrieden. Es freute ihn, dass die Redaktion lebhafter wurde: Die Journalisten trafen sich auch mal spontan, besprachen ihre aktuellen Themen und informierten sich gegenseitig. Besonders freute es den Chefredakteur, wenn die von Népszabadság aufgegriffenen Themen von anderen Zeitungen oder TV-Sendern übernommen wurden. Jeden Abend schaute er am Fernseher der Redaktion die Nachrichten von RTL, dem beliebtesten Sender in Ungarn, und jubelte, sobald Népszabadság erwähnt wurde. „Es gab auch in den Vormittagskonferenzen um 10.30 Uhr großes Lob, wenn wir am Vortag in den Nachrichten waren“, berichtete einer der Journalisten.

Unheilvolle Zeichen

Diese berufliche Dynamik wurde mit der Zeit noch stärker. Allerdings sorgten in der Zwischenzeit immer mehr die Nachrichten von einem möglichen Eigentümerwechsel bei Mediaworks bei den Journalisten für Beunruhigung. Die Redaktion hatte von Anfang an den Plänen Pecinas skeptisch gegenüber gestanden. Inzwischen war Unsicherheit dazugekommen. Im Frühling dieses Jahres gab es dann verstärkt Spekulationen, im Verlag stünden große Änderungen bevor.

Diese Informationen trugen vor allen die Politik- und die Medienjournalisten in die Redaktion, die von Insidern entsprechende Hinweise bekamen. Ferenc M. László wollte zum Beispiel Mitte Mai einen Artikel über zu erwartende Änderungen im Mediensektor schreiben, als ihm einer seiner Quellen bei einem Treffen in einem Kaffeehaus sagte, dass „das lustig sei, er müsse dann auch über sich selber schreiben”. László zufolge teilte ihm der Informant mit, dass die Zukunft von Népszabadság auch fraglich sei, denn es sei schon entschieden worden, dass Mediaworks an einen Fidesz-nahen Käufer gehen würde, irgendwann im Laufe des Jahres 2016.

Der Informant nannte den Käufer nicht, aber etwa zur gleichen Zeit wurden auch Murányi Informationen darüber zugetragen. Der Chefredakteur wurde noch im April von einem Geschäftsmann angerufen und informiert, dass nach seinem Wissen eine neu gegründete Firma namens Opimus Press Mediaworks kaufen werde.

Dieser Tipp erwies sich als richtig: Pecina verkaufte am 25. Oktober Mediaworks an diese – laut Medienberichten mit Lörinc Mészáros, dem Freund Viktor Orbáns verknüpfte – Gesellschaft, also einige Wochen nach dem Aus für Népszabadság. Ein halbes Jahr früher, als erste Spekulationen über Opimus auftauchten, hatte Pecina noch alle Gerüchte über einen bevorstehenden Verkauf gegenüber der Redaktion dementiert. Der Österreicher tat das auch noch im Juni bei einem seiner regulären Besuche am Firmensitz von Mediaworks.

Zu dieser Zeit gab es nicht nur brancheninterne Gerüchte über den Eigentümerwechsel, sondern auch schon einige – sich noch auf unbenannte Informanten bezogene – Zeitungsartikel. An einem Morgen im Juni schickte András Murányi die Links zu diesen Artikeln dem Management des Verlages und bat um Stellungnahme. Einige Stunden später rief ihn Júlia Beer an, er möge in die sechste Etage kommen, es gebe ein spontanes Treffen mit Pecina.

Der österreichische Geschäftsmann wird als ein äußerst disziplinierter Verhandlungspartner beschrieben, der nie plaudert und immer nur so viele Informationen herausgibt, wie es seinen Interessen dient. „Er beherrscht sich. Er hat nicht nur ein Pokerface, er kontrolliert auch seine Gesten. Er macht keine Grimassen, er spielt nicht mit seinen Haaren”, erklärte Murányi. Das sei auch bei dem Treffen im Juni so gewesen.

Der Österreicher begrüßte alle und fragte, ob sie Englisch sprächen. Als die Teilnehmer das bejahten, blieb er bei dieser Sprache. Er stempelte die Artikel als Gerüchte ab und erklärte, zu Gerüchten nehme er nicht Stellung. Dann versuchte er die Teilnehmer damit zu beruhigen, dass er erklärte, es sei sowieso nicht an der Tagesordnung, den Verlag zu verkaufen, sondern ihn zu erweitern. „Wir haben etwas gekauft”, sagte er. Obwohl er nicht verriet, worum es sich handelte, errieten viele der Anwesenden schon in diesem Moment, dass es sich um Pannon Lapok Társasága handelt, ein Unternehmen, das vier regionale Tageszeitungen besitzt. (Anfang Juli hat die Gesellschaft dann offiziell ihre Absichtserklärung über den Kauf an die Wettbewerbsbehörde eingereicht.)

Laut Murányi war Pecina bei dem Treffen im Juni so überzeugend, dass ihm niemand Fragen stellte. „Was er gesagt hat, passte in die interne Kommunikation des letzten Jahres der Gesellschaft, wo es immer hieß: Jeder soll sich beruhigen, egal, ob es Gerüchte gibt”, sagte der Chefredakteur.

Die Nachricht über das Treffen und die Informationen Pecinas verbreiteten sich schnell in der Redaktion, beruhigten aber die Gemüter nicht. Im Juni gab es nämlich auch andere Ereignisse, die die Journalisten mit Sorge beäugten. Zum Beispiel tauchte eine neue Kollegin, Andrea Pintér, in der vierköpfigen Rechtsabteilung von Mediaworks auf. Die Frau war mittleren Alters, kam aus dem Staatssektor, wo sie früher die Leiterin der Generaldirektion für öffentliche Vergabe und Versorgung war. Außerdem war sie auch bei der Ungarischen Nationalen Urlaubsstiftung aktiv, und laut ihrem LinkedIn-Profil arbeitet sie vor 2010 länger für internationale Mediengesellschaften.

Den Mitarbeitern ist nicht nur Pintérs beruflicher Hintergrund aufgefallen, sondern ihnen stach auch ihre Tätigkeit bei Mediaworks ins Auge. Im Juli sind nämlich die Juristen und die Vorstandsmitglieder in die vierte Etage umgezogen, wo auch die Redaktion von Népszabadság ihren Sitz hatte. Deshalb sahen mehrere Mediaworks-Mitarbeiter, dass Pintér sich regelmäßig und lange mit den Vorstandsmitgliedern unterhielt.

In der Redaktion wurde die Nachricht von Pintérs Auftauchen so interpretiert, dass ihre Tätigkeit im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Eigentümerwechsel stehen könnte. Diese Spekulation erwies sich schließlich als wahr. Die Juristin wurde nämlich später in den Mediaworks-Vorstand aufgenommen, als die regierungsnahe Opimus Press im Oktober die Firma gekauft hatte. Präsident des dreiköpfigen Vorstands wurde Gábor Liszkay, der seit langem eine wichtige Rolle im Medienimperium rund um die Regierungspartei Fidesz spielt.

Pintér sagte Direkt36, sie habe sich im Laufe des Sommers auf Ersuchen Pecinas hin Mediaworks angeschlossen, da sie über weitreichende Erfahrungen im Bereich des internationalen Medienrechts verfügt. Sie fügte hinzu, sie habe nichts mit der Schließung von Népszabadság zu tun, bestätigte aber, dass sie Liszkay seit Längerem kennt.

Neben dem Erscheinen von Andrea Pintér gab es im Sommer aus Regierungsquellen fortlaufend neue Informationen über den sich abzeichnenden Verkauf von Mediaworks. Er wurde zu einem Dauerthema unter den Journalisten. „Ich habe mehrmals gesehen, wie sich leitende Mitarbeiter in der Redaktion trafen und Informationen darüber austauschten, was zu erwarten war”, sagte ein Journalist einer anderen Abteilung über seine Kollegen aus der Politikredaktion.

In den Gerüchten, die die Redaktion im Sommer erreichten, war noch keine Rede davon gewesen, dass Népszabadság geschlossen oder auch nur zeitweise eingestellt werden sollte. Viele hofften, dass ihr Verbleib bei der Zeitung auch dann gesichert wäre, wenn Mediaworks möglicherweise an einen regierungsnahen Eigentümer gehe. András Murányi sagte zum Beispiel mehreren Journalisten, Népszabadság bleibe der Géza Hofi der heutigen Zeit. Er spielte damit darauf an, dass es auch während des Sozialismus eine Person gegeben hat, die freier als die anderen die damalige Führung kritisieren durfte.

Es erfüllte Murányi auch mit Hoffnung, dass ihn über einen Politjournalisten der Zeitung aus Orbáns Kreisen positive Äußerungen über den Reformkurs des Blattes erreichten. Man habe dem Journalisten gesagt, dass das Blatt „moderner und korrekter” geworden sei, und Orbán habe angeblich persönlich angemerkt, die Zeitung sei dynamischer geworden. Falls Orbán, der Vergleiche aus dem Sport mag, das wirklich gesagt hat, so Murányi, muss man das als eine positive Bewertung auffassen. Denn im Fußball – dem Lieblingssport des Ministerpräsidenten – gilt Dynamik als positiv.

Der Chefredakteur konnte sich durchaus auch einen schlechteren Ausgang vorstellen, nicht aber das Aus für die Zeitung. Mitten im Sommer fragte ihn ein Mitglied des Managements, was er als Worst-case-Szenario sehe. Er antwortete, das wäre die politische Umpolung der Zeitung, wobei das Blatt nicht nur die Mehrheit seiner Mitarbeiter, sondern auch seiner Abonnenten verlieren würde. „Die Leser haben schon wegen der Gerüchte über den Verkauf dauernd Kündigungsbriefe geschickt”, sagte Murányi.

Zumindest die im Frühjahr begonnene investigative Recherche wurde fortgesetzt. Um diesen Kurs beizubehalten, waren die führenden Mitglieder der Redaktion durchaus bereit, Konflikte mit dem Management durchzustehen. Dieses versuchte zum Beispiel im August 2016 einen Artikel über die Ausgaben von „Budapest 2024“ – zuständig für die Bewerbung Ungarns für die Olympischen Spiele – zu stoppen. Bita und Petö arbeiteten gemeinsam an diesem Text, nachdem sie sich eine ganze Weile mit dem Thema befasst hatten. Zuvor hatten sie bereits die Machbarkeitsstudie für Olympia in Budapest aufgetrieben.

Der Konflikt mit dem Management brach aus, als nach einem langen Briefwechsel „Budapest 2024“ endlich die angeforderten Informationen rausrückte. Chefredakteur Murányi deutete Petö zwar an, dass er Bedenken wegen des Themas habe. Er fügte aber auch hinzu, er unterstütze die Veröffentlichung des Artikels. Generaldirektor Rónai wollte persönlich mit Petö sprechen. Informierte Kreise berichteten, Rónai habe Petö erklärt, dass dieser Artikel einen großen Schaden für den Verlag anrichten würde. Er müsste während der bald beginnenden Olympischen Spiele in Rio de Janeiro auf eine große Summe an Werbeeinnahmen verzichten. Petö sagte daraufhin, falls der Artikel nicht erscheine, würden er und Bita kündigen.

Nach dem angespannten Gespräch eilte Petö zu Murányi. Der sagte seinem Stellvertreter, falls er und Bita kündigen würden, würde auch er gehen. Der Streit mit dem Management ging noch am selben Tag in einer anderen Sitzung weiter, an der auch Murányi und Petö teilnahmen. Man einigte sich auf einen Kompromiss: Der Artikel wird nicht vor den Olympischen Spielen veröffentlicht, sondern danach. Schließlich erschien er am 2. September auf der Titelseite.

Das Endspiel

Doch nicht nur die führenden Redakteure waren Druck ausgesetzt. Die Stimmung unter den Journalisten im Newsroom wurde immer schlechter wegen der Spekulationen über die Zukunft von Mediaworks. „Die Redaktion war Ende des Sommers sehr demoralisiert”, sagte eine Journalistin. Zu diesem Zeitpunkt habe es Abwerbeversuche mit dem Argument gegeben: „Eure Firma stirbt sowieso, kommt lieber zu uns.”

Auch András Murányi bekam immer schlechtere Nachrichten. Ende August sagte Rónai, seiner Meinung nach müsse die Redaktion einen Käufer für Népszabadság finden. „Ich fragte zurück, ob wir schon so tief in der Scheiße sitzen. Rónai antwortete, dass es nicht sicher sei, ob es in der neuen Konstruktion einen Platz für Népszabadság geben wird”, erinnerte sich Murányi. Er kontaktierte daraufhin „zwei Großinvestoren” und bat sie, das Blatt zu kaufen. Keiner der beiden glaubte, dass die Zeitung dichtgemacht wird. Sie sagten, sie hätten Angst vor der Regierung und wollten deshalb nicht in das Blatt investieren.

Im September erhielt der Chefredakteur konkretere Informationen über die Zukunft des Blattes. Eine Quelle, die er als regierungsnah beschrieb, steckte ihm, dass die regierungsnahe Zeitung Magyar Idök in die neue Zentrale ziehen werde, und „ihr werdet ausradiert”. Noch mehr Sorgen machte sich Murányi, als Rónai ihm mitteilte, seines Wissens nach werde der Verleger von Magyar Idök, Gábor Liszkay, der neue Leiter von Mediaworks sein.

Liszkay übernahm dann nach dem Verkauf von Mediaworks im Oktober tatsächlich die Leitung. Er hat in den vergangenen 20 Jahren eine entscheidende Rolle beim Aufbau und in der Leitung der Fidesz-nahen Medien gespielt. Lange war er Chefredakteur von Magyar Nemzet. Doch nachdem sich der Eigentümer des Blattes, Lajos Simicska, mit Viktor Orbán überwarf, kündigte er und begann damit, ein neues regierungsnahes Medienimperium aufzubauen.

In Regierungskreisen hieß es, Lizkay habe auch eine wichtige Rolle in der Übernahme von Mediaworks gespielt.

Diesem Informanten zufolge beschleunigte sich der Prozess dadurch, dass FHB-Bank-Manager Zoltán Spéder, der früher als ein Vertrauter der Regierung galt, in Ungnade fiel. Es wurden Ermittlungen in Fällen eingeleitet, die mit ihm in Zusammenhang stehen, es gab TV-Sendungen und Zeitungsartikel in regierungsnahen Medien, die ihn persönlich attackierten, und es wurden etliche für seine Geschäftsinteressen schädlichen Gesetze beschlossen. Die Schwächung Spéders machte deutlich: Egal, welchen Einfluss er über Mediaworks früher gehabt hatte, er wird diesen nicht mehr einsetzen können.

Die Vorbereitung der Übernahme ging schnell. Für den Kauf der Pannon Lapok Társasága erhielt Mediaworks zum Beispiel binnen eines Monats die Genehmigung von den zuständigen Behörden. Aber Lizkay habe nicht wirklich gewusst, was er mit Népszabadság machen sollte, hieß es aus informierten Kreisen.

Danach hatte Lizkay drei Szenarien in Erwägung gezogen: Eines war, das Blatt zu behalten und „eine kontrollierte, linke Zeitung daraus zu machen”. Dagegen sprach, dass das sicher zu internen Konflikten geführt hätte, außerdem hätte das Blatt weiter finanziert werden müssen. Die zweite Version war, das Blatt an einen linken Investor zu verkaufen, über den die Regierung kontrollieren könnte. Der Nachteil dabei: Vom Verkauf des Blattes war nicht viel Geld zu erwarten, und einen solchen Deal wollte Lizkay nicht. Die dritte Version war die Schließung. Dem regierungsnahen Informanten zufolge fiel diese Entscheidung erst kurz vor der Verkündung, eine Woche zuvor war es noch unklar, in welche Richtung es gehen soll. (Direkt36 stellte Liszkay mehrere Fragen dazu über Mediaworks, doch die Firma erklärte, dass er sich nicht dazu äußern möchte.)

Für eine Entscheidung in letzter Minute spricht auch die Art und Weise, wie Pecina sie dem Chef von Mediaworks, Balázs Rónai, mitteilte. In den zwei Tagen vor der am Samstag, den 8. Oktober 2016, verkündeten Einstellung haben Pecina und Rónai Informanten zufolge mindestens zweimal miteinander gesprochen. Am Donnerstag dinierten sie gemeinsam im Budapester Luxushotel „Gresham Palast“. Am Tag darauf trafen sie sich – unter mehr formalen Umständen – in einer Anwaltskanzlei, die schon oft für Mediaworks gearbeitet hatte.

Rónai hatte schon seit mehreren Monaten damit gerechnet, dass mit Népszabadság irgendetwas geschehen würde. Deshalb hielt er sein Kündigungsschreiben jetzt schon in der Hand. Bei dem zweiten Treffen wurde dann klar, dass Pecina einen Schritt plante, den Rónai nicht mitgehen wollte. Er sagte Pecina, er würde die Firma verlassen. Selbst bei diesem Treffen wurde nicht offen gesagt, dass das Blatt schon am nächsten Tag eingestellt wird (Wir haben Rónai mit einem detaillierten Fragebogen aufgesucht, er hat diesen aber nicht kommentiert).

In der Redaktion hatte niemand von diesen Entwicklungen auch nur eine Ahnung. Jeder bereitete sich auf den lange geplanten Umzug ins neue Hauptquartier vor. Am Freitag packten die Journalisten ihre Sachen in Kartons und versahen diese mit ihren ID-Nummern. Der Umzugsdienst sollte sie an die Tische im neuen Gebäude bringen.

Murányi war im ständigen Kontakt mit der Umzugsfirma. Es irritierte ihn, dass die Verschiebung der Abgabefrist nicht gebilligt wurde. Aber sonst war dieser Freitag ein normaler Arbeitstag wie jeder andere.

Der für die Zeitung des nächsten Tages verantwortliche Redakteur Péter Petö ging zusammen mit Dániel Bita und mehreren Kollegen der Politik- und Wirtschafts-Redaktion noch ein letztes Mal Mittagessen in ihr Stammlokal „Bistro Kompót“. Sie überlegten zusammen, wo sie wohl am neuen Standort essen könnten.

Petö und Bita hatten es mit dem Mittagessen nicht eilig. Für sie als Schlussredakteure begann die Arbeit erst richtig nach 16 oder 17 Uhr, nämlich dann, wenn die Artikel von den Journalisten und Rubrikleitern eintrudelten. Ab 21 oder 22 Uhr wurde es dann gewöhnlich ruhig in der Redaktion. Aber an diesem Tag blieben einige Journalisten nach ihrer Abgabe und ließen sich am Desk der Online-Ausgabe nieder. Sie machten ein paar Flaschen Wein auf, die sich in der Redaktion angesammelt hatten, und unterhielten sich. Im Hintergrund lief das Fußballspiel Ungarn – Schweiz. Petö und einige Kollegen gaben der Zeitung des nächsten Tages den letzten Schliff.

Die Umzugshelfer hatten die Küche schon vor Tagen leergeräumt. Deshalb tranken die Journalisten den Wein, ohnehin keine besonders gute Qualität, aus Plastikbechern. Die Spekulationen, wie es mit der Zeitung nach dem eventuellen Verkauf des Verlages weitergehen sollte, bedrückten die Mitarbeiter seit Längerem. Aber an diesem Tag drehten sich ihre Gespräche um private Angelegenheiten und darum, dass es beim letzten Umzug eine so große Feier gegeben hatte, dass noch Tage später alle darüber gesprochen hatten.

Diesmal gab es keine solche Party, und kurz nach halb elf war auch der Umtrunk vorbei. Petö übernachtete bei seinen Eltern im 50 Kilometer entfernten Hatvan: Sein Vater und Bruder waren in Budapest beim Spiel der Nationalmannschaft, und sie holten ihn gegen 23 Uhr mit dem Auto ab. Am nächsten Morgen weckte ihn der Leiter der Sportredaktion, Iván Hegyi, mit der Nachricht auf, es gäbe Probleme. Petös erster Gedanke war, dass er mit dem Artikel über das Spiel etwas falschgemacht hat. Doch Hegyi hatte ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, dass die Zeitung dichtgemacht wurde.

Petö entschloss sich, sofort nach Budapest zurückzufahren. Er nahm den Zug, und wenn er nicht gerade telefonierte, machte er sich Gedanken darüber, was wohl geschehen war. In seiner Verzweiflung kamen ihm die Tränen. Népszabadság war seine erste Arbeitsstelle gewesen, dort hatte er als Praktikant angefangen, dort wurde er zum stellvertretenden Chefredakteur. „Das war mein Leben”, sagte er. Zu Hause führte er Buch über die Zahl der Artikel, die er für Népszabadság schon geschrieben hatte. Er war bei über 1.000 angekommen - doch am 8. Oktober 2016 fand auch diese Serie ein Ende.


Fotos: Direkt36; Redaktion: Vera Fröhlich; Produktion: Esther Göbel.