Schon klar, ihr seid keine Nahostexperten und wollt auch keine werden. Eigentlich interessiert euch nur eine Frage:
Der Krieg in Syrien begann vor fünf Jahren. Ich verstehe die ganzen Meldungen schon gar nicht mehr, und wichtig ist sowieso nur: Wann ist der Krieg denn endlich mal vorbei?
Diese Frage beschäftigt sehr viele Menschen, aber leider kann keiner von ihnen sie beantworten. Jedenfalls, wenn er sich nicht unglaubwürdig machen will. Was möglich ist: Wir können skizzieren, wie er enden könnte. Aber vorher müssen wir erstmal klären, was wir mit „Syrien“ meinen. Zurzeit gibt es nämlich sehr viele davon.
Bevor du anfängst: Zeig mir doch mal bitte, wo Syrien liegt?
Das Syrien, wie es noch auf den Landkarten eingezeichnet ist, liegt am Mittelmeer, vier Flugstunden von Berlin entfernt. Im Westen grenzt das ehemalige Bürgerkriegsland Libanon an, im Osten das aktuelle Bürgerkriegsland Irak, das 2003 von den USA besetzt wurde. Im Süden liegt das friedliche Jordanien sowie Israel, mit dem sich Syrien bis heute offiziell im Krieg befindet. Nördlich liegt die Türkei. Dass Syrien so nahe an aktuellen Konfliktherden liegt, ist sehr wichtig, um seine heutige Situation zu verstehen.
Wichtig ist auch, dass Syrien vor dem Krieg nicht gleichmäßig bevölkert war. Der Großteil der Einwohner lebte im Westen des Landes, nahe der Küste. Der weite Osten besteht zu sehr großen Teilen nur aus Wüste.
Okay. Bürgerkriegsländer als Nachbarn und mehr Menschen nahe der Küste. Verstehe. Was für ein Staat war Syrien bevor der Krieg begann?
Ganz offiziell gibt es in Syrien ein Mehrparteiensystem. Praktisch ist und war Syrien ein Einparteienstaat, in dem die sogenannte Baath-Partei seit ihrem Putsch 1963 regiert. Die Baath-Partei ist auf dem Papier eine nichtreligiöse, sozialistische Partei. Dementsprechend verfolgt sie Islamisten und stand der ebenfalls sozialistischen Sowjetunion politisch und militärisch während des Kalten Krieges nahe. Der Vorsitzende der Partei ist auch der Präsident Syriens. Er hat weitreichende Vollmachten, einem Diktator nicht unähnlich.
Okay, das meinte ich eigentlich gar nicht. Sondern ich wollte eher wissen, wie es sich so lebte in Syrien vor dem Krieg?
Ah! Okay… puh. Ich hätte schon Probleme, das für Deutschland in Worte zu fassen. Aber David Roberts hat prägnante Worte gefunden:
Syriens Gesellschaft ist eine der heterogensten des Nahen Ostens und doch sind seine Führer immer wieder an der Spitze einer radikalen, integrativen politischen Bewegung gewesen: des Arabischen Nationalismus. Es hat nette und gastfreundliche Bewohner, ist aber auch ein Polizeistaat, in dem ein Mensch ohne Prozess für immer eingesperrt werden kann. Deine syrischen Freunde sind Freunde fürs Leben, aber eine sonderbare fremdenfeindliche Strömung ist in dem Land spürbar. Syrer lieben Kultur und die Schönheit der Natur, aber die Hässlichkeit ihrer Städte und ihrer Architektur muss man gesehen haben, um sie zu glauben.
Besser wäre es, wenn du einfach ein paar Syrer fragst. Und sprich sie doch bei der Gelegenheit auch einmal auf Omar Suleyman an, auf diesen Sänger hier:
https://www.youtube.com/watch?v=Jlu1XyPexn8
Der hat einen unfassbaren Werdegang. Er startete als Hochzeitssänger in Syrien und hatte dort die unglaubliche Zahl von 500 Alben und Kassetten veröffentlicht, ehe ihn 2007 ein Plattenvertrag mit einem obskuren US-Label im Westen so bekannt machte, dass er nur wenige Jahre später beim weltberühmten britischen Glastonbury-Festival auftrat. Sein neues Album haben zum Teil die Berliner Techno-Titanen Modeselektor produziert. Die Pointe daran: Junge Syrer finden Suleyman jetzt nicht so richtig gut…
Äh, du schweifst ab…
Entschuldigung.
Schauen wir vielleicht einmal auf die Daten (immer von 2011, weil danach der Bürgerkrieg begann).
Das Bildungssystem ist konkurrenzfähig.
Aber die Menschen haben im Schnitt sehr wenig Geld.
Und bevor der Krieg begann, waren viele Syrer arbeitslos. Vor allem die jungen fanden keine Stelle.
Viele arbeitslose junge Männer, die sich langweilen…
Ganz genau. Sie werden die Reserve des kommenden Krieges bilden. Aber wichtig ist auch, dass es in Syrien viele verschiedene Religionen gibt.
Religion und Ethnie sauber zu unterscheiden, ist nicht immer ganz einfach, aber wir folgen mal der gängigen Methoden. In Syrien leben Araber, Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen. Schwirrt der Kopf? Es geht noch weiter: Assyrer, Aramäer und Palästinenser. Die beiden größten und für diesen Krieg wichtigsten Gruppen bilden die Araber und Kurden. Die Araber machen gut 90 Prozent der Bevölkerung von Syrien aus, die Kurden gut 9 Prozent. Die Kurden sprechen eine eigene Sprache („Kurdisch“) und werden immer wieder als das „größte Volk ohne eigenen Staat“ bezeichnet. Beide, Araber wie Kurden, sind zum größten Teil Muslime, und zwar sogenannte sunnitische Muslime. Es gibt auch noch schiitische Muslime.
Muss ich wissen, was einen Kurden von einem Schiiten und einem Sunniten und einem Alawiten unterscheidet?
Wenn du verstehen willst, warum in Deutschland Hunderttausende Flüchtlinge angekommen sind, solltest du das wissen, ja. Aber überhaupt: Der Islam ist eine Weltreligion mit mehr als 1,6 Milliarden Anhängern und die zwei wichtigsten Strömungen auseinanderhalten zu können, sollte drin sein. Oder etwa nicht?
Nun denn.
Der Unterschied zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen ist ein theologischer, das heißt, einer des Glaubens. Wie auch in anderen Religionen interpretieren die Anhänger des Islams einzelne Aspekte ihrer Religion auf unterschiedliche Weise. In diesem Fall ist der wichtigste Unterschied, nicht der einzige, aber der wichtigste Unterschied, dass sie unterschiedlicher Meinung sind, wer der legitime Nachfolger des Religionsgründers Mohammed ist. Die Sunniten wollten nach dessen Tod im Jahr 632 seinen Nachfolger frei bestimmen, während die Schiiten der Meinung waren, dass sein Nachfolger aus dessen Familie stammen sollte. Sie legten sich auf einen Cousin Mohammeds fest, Ali. Die Sunniten waren in der Mehrzahl und konnten sich durchsetzen, was die Schiiten aber nicht davon abhielt, trotzdem einen eigenen Nachfolger zu bestimmen. Im Laufe der nächsten Jahrhunderte entwickelten sich beide Strömungen auseinander: Sie dominierten verschiedene Herrschaftshäuser, Länder, Philosophien. Sie führten mehrmals Krieg gegeneinander. Was als ein Streit um Religion begann, ist heute eine Auseinandersetzung um Geld, Macht und Ansehen geworden. Über den legitimen Nachfolger von Mohammed redet eigentlich kaum noch jemand.
Ganz ehrlich: Das kann ich mir schon merken, aber wer von beiden die Schiiten und wer von beiden die Sunniten sind… damit habe ich immer Probleme.
Ganz ehrlich: ich auch. Da müssen wir jetzt durch.
(Wer eine Eselsbrücke kennt, bitte melden.)
Aber wenn ich die Grafik oben richtig lese, spielen die Schiiten ja gar nicht so eine große Rolle in Syrien. Die Alawiten sind wichtiger. Wen halten die für den Nachfolger von Mohammed?
Auch Ali. Aber: Sie sind keine Schiiten im klassischen Sinne. Ein Jahrtausend lang lebten sie als geheime Sekte, über die kaum ein Außenstehender Genaueres wusste. Bis sie Ende des 19. Jahrhunderts begannen, sich als Schiiten zu verstehen. Das ist wichtig, weil Alawiten die Elite Syriens stellen. Der derzeitige Regierungschef Baschar al-Assad ist ein Alawit, genauso wie viele seiner Getreuen im Militär und bei den Geheimdiensten.
Oh, die Sunniten bilden mit 74 Prozent die Mehrheit, aber die Minderheit von 13 Prozent regiert? Kann das gut gehen?
Stimmt, viele Sunniten sind verärgert, aber die Familie Assad baut im Laufe ihrer Herrschaft einen Polizeistaat auf, der seinesgleichen sucht in der Region. Mit harter Hand führt Hafiz al-Assad, Luftwaffengeneral und Vater von Baschar, das Land von 1970 bis 2000. Syrer werden systematisch benachteiligt, wenn sie die falsche Religion haben, verschwinden ohne Gerichtsprozess im Gefängnis, werden gefoltert und ermordet.