Mit TV-Debatten ist es immer das gleiche: Die Kandidaten sind übertrainiert. Ihre Wahlkampf-PRler drehen jede Äußerung zu ihren Gunsten. Politiker in kleinen Parteien fühlen sich übergangen. Medien fragen mit Schnappatmung, wer denn nun „gewonnen“ hat – als ob „Sieger“ sein sinnvoller ist als die gerechte Darstellung und Vermittlung von Alternativen.
Die Zuschauer schalten trotz dieser Unzulänglichkeiten in Massen ein, wie der Kampf zwischen Hillary Clinton und Donald Trump zeigt. Die TV-Debatten in den USA werden vermutlich die meistgesehenen Sendungen aller Zeiten sein. Für Millionen Wähler sind sie die beste Gelegenheit, die Kandidaten im direkten Aufeinandertreffen zu beobachten und sich einen Reim auf sie machen. Kein Wunder, dass es bisher in fast 80 Ländern solche Duelle gab. Für die Zuschauer bleibt aber trotzdem vor allem eine Frage: Warum sind TV-Duelle unter Politikern eigentlich so wahnsinnig unbefriedigend?
Eine Frau, die das beantworten kann, ist Christine Cupaiuolo.
Fast ein Jahr lang hat sie sich TV-Duelle auf der ganzen Welt angesehen und ist nun eine Expertin, wenn es darum geht, wie diese mit Hilfe von Technik verbessert werden können. „TV-Debatten beeinflussen Wahlen massiv“, sagte sie bei „Rethinking Debates“, einer kleinen Konferenz zur Vorstellung ihrer Ergebnisse. Ihren Report hat der Democracy Fund finanziert, sie arbeitet bei Civic Hall, einem Zusammenschluss von New Yorker Institutionen, deren Ziel es ist, mehr Technologie in bürgerschaftlichen Prozessen einzusetzen.
Sie sieht Malawi als ein Beispiel. Dort fanden 2014 die ersten TV-Debatten in der Geschichte des Landes statt. Bei der Auftaktfolge waren acht von zwölf Kandidaten dabei, beim zweiten und dritten Teil dann schon elf - alle, bis auf den Amtsinhaber. Der bekam dann am Wahltag auch die Quittung und verlor.
Warum Würmer nerven
Neben solchen Positivbeispielen erzählte Cupaiuolo bei der Vorstellung ihres Berichts gleich zu Beginn auch von einem der größten Ärgernisse ihrer Arbeit: „Der Wurm.“ Dessen Pulsverlauf gibt es inzwischen bei vielen Debatten: Am unteren Bildschirmrand wird eine Linie eingeblendet, die nach oben und unten ausschlägt, je nachdem, ob das Publikum die Aussagen der Politiker mag oder ablehnt. Eine kleine Kontrollgruppe sitzt dazu in einem Nebenraum mit Reglern in der Hand, die sie hektisch nach links und rechts drehen können. Seit 1993 gibt es das System, erfunden hat es eine australische Firma.
Das Problem: Dieser Wurm ist zu leicht manipulierbar. In Neuseeland kam nach der TV-Debatte 2011 raus, dass sich Anhänger der Liberalen und der Grünen ins angeblich neutral bewertende Publikum geschmuggelt hatten. Außerdem sitzen in den Fokusgruppen oft nur einige Dutzend Menschen, jede Meinung sorgt für einen übermäßig starken Impuls – und psychologische Studien haben gezeigt, dass viele Bewerter sich stark von den eingeblendeten Meinungen der anderen beeinflussen lassen.
Idee 1
Bessere Live-Bewertung
UK - Bitte lächeln!
Wie es besser geht, zeigt beispielsweise die Einbindung des Studiopublikums bei einer CNN-Debatte in Großbritannien im Jahr 2015. Das konnte bei Fragen immerhin zwischen den drei Optionen Zustimmung, Ablehnung und Neutralität wählen, ausgedrückt in Smileys. Die Meinungen des Studiopublikums wurden als gigantische Smileys eingeblendet, und immer wieder stellten die Moderatoren Christiane Amanpour und Max Foster klärende Zwischenfragen an das Publikum. Wie das Lichtdesign aussah, zeigt ein Video der Produktionsfirma. So zeigte sich beispielsweise, dass sich knapp zwei Drittel ein Referendum über den Verbleib in der EU wünschten, etwas weniger als ein Drittel war dagegen (CNN-Clip hier).
„Die Zuschauer wurden mehr behandelt wie eingeladene Gäste anstatt nur als Juroren“, fasst Cupaiuolo zusammen. Bessere Fragen als ein einfacher Gut/Schlecht-Wurm ermöglichen aus ihrer Sicht gleich drei Dinge: Zum einen wird die Meinung des Publikums besser eingebunden. Zum anderen bekommen die Zuschauer eine Möglichkeit, die Diskussion zu beeinflussen. Und schließlich lassen sich mit solchen Tools Daten sammeln, die hinterher nach Parteipräferenz, Alter oder Geschlecht wieder ausgewertet können.
Idee 2:
Fragen? Fragen!
Taiwan – Fragen per Los
„Präsident, darf ich eine Frage stellen?“ – so hieß die Webseite, die Google zusammen mit Watchout auf die Beine stellte, einer nationalen Organisation in Taiwan. Jeder User konnte dort für die Präsidentschaftsdebatten 2015 eine Frage einreichen, andere konnten die Frage unterstützen. Fragen, die mehr als 1.000 Likes bekamen, waren im Lostopf für die Debatte, immerhin fünf schafften es in die Sendung. Doch auch auf der Plattform taiwan.wethepeople.tw beantworteten Politiker einige der anderen Fragen.
Frankreich – User bestimmen Themen
2012 konnten in unserem Nachbarland die Internet-User vor der TV-Debatte zur ersten Runde der Präsidentschaftswahlen über mögliche Themen abstimmen. Das Ergebnis zeigte, dass bei solchen Befragungen kein Quatsch rauskommt: Die Nutzer entschieden sich für Staatsschulden, Arbeitsmarktpolitik, Immigration und Atomkraft. Zusätzlich reichten sie mehr als 3.000 Fragen ein, zehn davon wurden während der Debatte gestellt.
Australien: Zwei Debatten waren blöd? Let’s do Facebook!
Noch krasser legte Premierminister Malcolm Turnbull aus Australien los: Zwei TV-Debatten hatten im Juni 2016 eher mittelmäßige Quoten und schlechte Kritiken hervorgebracht, also lud er seinen Herausforderer von der Arbeiterpartei zu einer dritten Debatte ein – auf Facebook live. Einige Fragen wurden aus den Facebook-Kommentaren direkt übernommen, und auch wenn das Video am Ende auf nur rund 800.000 Abrufe kam, so gelang Turnbull trotzdem ein wichtiger Punkt: Er wollte zeigen, wie schlecht es in Australien um die Breitbandversorgung bestellt ist. Tatsächlich posteten Hunderte Zuschauer Bilder ihres „buffernden“ Browsers während der Debatte. Buffering bedeutet „Zwischenspeichern“ oder „Puffern“. Damit ist die Ladezeit eines Videos gemeint, bis es wiedergegeben wird.
Cupaiuolos Empfehlung ist einfach: Mehr Fragen vom Publikum im Vorfeld sammeln. Mehr Fragen live stellen lassen, entweder im Studio oder zugeschaltet von daheim. Sie plädiert für moderierte Online-Plattformen, auf denen User Fragen nach transparenten Regeln einreichen, hoch- und runterwerten können.
Idee 3
Analyse von allen für alle
„Was ist eine TV-Debatte eigentlich?“, fragte sich David Birdsell, Dean des Baruch College, bei der „Rethinking Debates“-Konferenz. „Sind es wirklich nur die 90 Minuten oder geht es auch um das Davor und Danach, wenn die Leute beschreiben, was in der Debatte genau passiert?“ Sicher ist, dass auch die Nachbereitung von TV-Debatten mehr liefern kann als nur die immergleichen Sprüche, wer nun warum der Sieger sei.
Ein Weg zu lohnenderer Aufarbeitung seien auch hier neue Tools, findet Cupaiuolo. „Es geht darum, Informationen zu liefern, die Zuschauern zu einem besseren Verständnis verhelfen. Was braucht er? Worüber tauschen sich andere aus?“
UK - Endlich Strafen für Politiker auf der Flucht
Im Election Debate Visualization Project haben die Macher dazu zwanzig Karteikarten entwickelt. Wer im Stream auf der Seite die Sendung im Nachhinein ansieht, der kann aus differenzierten Bewertungen wählen wie: „Er/Sie hält uns für dumm“, „Bei dieser Aussage frage ich mich, warum ich überhaupt wählen soll“ oder „Das ist interessant“. Die anderen User können sehen, wie häufig die einzelnen Kommentare angeklickt wurden. „Die Idee dahinter ist, dass man Kandidaten im Nachhinein bestrafen kann, die auf die Frage nicht geantwortet haben“, erklärte Cupaiuolo.
Die Forscherin findet, dass auch im Nachhinein mehr getan werden muss: Mehr Transkripte der Debatten, zusammen mit Anmerkungen und Kontext. Videos zum Hintergrund diskutierter Themen.
Fazit: Her mit der Technik!
Ihr Gesamtfazit fällt ähnlich aus: „Es gibt weltweit nicht die eine Lösung, die sagt: So geht’s! Wenn Ihr diese Regeln befolgt, dann haben wir eine engagierte Debatte und werden alle Menschen zur Stimmabgabe motivieren.“ Doch trotzdem: Was sich hier in Summe eher wie kleine Innovationen liest, ist in den sonst so starren Politformaten eine Revolution.
Und Deutschland?
Ob man damit einem Donald Trump beikommt, sei dahingestellt – doch auch die Deutschen haben keinen Grund zum Übermut, denn auch hier kranken die TV-Duelle an ähnlichen Problemen wie in den USA: Maximal ein Dutzend Fragen passen in die 90 Minuten, und wenn ein Politiker keine Lust auf Antworten hat, dann wird es nichts. „Ich beantworte die Fragen so, wie ich mir das vorgenommen habe“, sagte Angela Merkel beim Kanzlerduell 2012 – und kam damit davon, weil ein Nachhaken kaum in die Logik der bestehenden Show passt.
Ein Rat: Abschalten!
„Die Medien müssen wieder mehr die Kontrolle über ihre Arbeit gewinnen“, schreibt Journalismus-Professor und Autor Dan Gillmor beim Atlantic. Er rät TV-Sendern angesichts Donald Trumps gigantischer Märchen zur Methode Peter Lustig: Abschalten. „Sendet das Programm zehn Minuten zeitversetzt.“ Ein Factchecking-Team könnte dann die Diskussion verfolgen und bei den größten Lügen den Kandidaten stumm stellen. Aus dem Off käme eine Stimme: „An dieser Stelle behauptet der Kandidat, dass … Tatsächlich stellt es sich folgendermaßen dar.“
Gillmor selbst weiß, wie unwahrscheinlich die Umsetzung dieser Vorschläge ist. In den USA hat Chris Wallace, Fox-News-Moderator des dritten Duells, gar angekündigt, bei offensichtlichen Lügen nicht einschreiten zu wollen. „Ich habe ja keinen Job bei der Wahrheitstruppe“, sagte er in einem Interview - möglicherweise übernehmen dank technischer Möglichkeiten mehr und mehr die Zuschauer seinen Job.
Redaktion und Produktion: Susan Mücke, Aufmacherbild: Jason D. Rowley from Noun Project.