Amerika wird ein anderes Land sein …
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Amerika wird ein anderes Land sein …

... aber aus anderen Gründen, als die meisten glauben. Denn nicht nur Trump hat radikale Ideen, sondern auch Clinton. Ich habe mir angesehen, wie sie als erste Präsidentin regieren will.

Profilbild von Christian Fahrenbach
Reporter, New York

Es hat schon einmal so gut ausgesehen für Donald Trump, Anfang August: Nach seinem eigenen Parteitag hatte er im Umfragenschnitt sogar einen kleinen Vorsprung vor Hillary Clinton und vor allem in Europa wuchs die Skepsis: „Was, wenn er doch …?“ Dann kam eine Phase, in der Clinton in den Vorhersagen gut aufholte. Die Prognosemodelle bei der New York Times und Fivethirtyeight boten fast jeden Tag einen neuen Tiefstwert, wenn es um seine Siegeschancen geht – vereinzelt lagen sie nur noch bei rund 12 Prozent. Clintons Parteitag lief besser, sie hatte einen großen Sprung in vielen Umfragen gemacht. Doch Sorgen wegen ihrer Gesundheit und eine generell etwas diffusere Kommunikationsstrategie sorgten dafür, dass sie ihren Vorsprung verspielte. Aktuell steht es in etwa 60:40 bei Fivethirtyeight und 75:25 bei der Times. Clintons Sieg bleibt also die wahrscheinlichere Option.

Das wäre auch für uns einigermaßen beruhigend, denn im letzten Teil der Wahlserie hatte ich ja Clinton schon zur Siegerin ausgerufen. Dort hatte ich einige Gründe aufgezählt und versprochen, im nächsten Schritt Clintons Politik vorzustellen. Das ist aus zwei Gründen besonders interessant: Zum einen hat Clinton bereits einen extrem detaillierten Katalog mit Vorschlägen ausgearbeitet, was sich auch im absolut empfehlenswerten Interview mit vox.com zeigt. Aber auch auf ihrer Webseite geht es von A wie Addiction (also Drogen- und Suchtpolitik) über N wie National Security (Nationale Sicherheit) bis hin zu W wie Workforce Skills (Weiterbildung). Es ist beachtlich, wie konkret viele dieser Vorschläge bereits sind. Zum anderen kommen Factchecking-Seiten wie Politifact zu dem Ergebnis, dass Clinton in der Regel die Wahrheit sagt. Sie identifizieren etwa 13 Prozent Lügen, was wohl ein leicht unterdurchschnittlicher Wert sei, bei Trump sind es 55 Prozent. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir also davon ausgehen, dass diese Vorschläge tatsächlich beschreiben, woran Clinton arbeiten würde – was bei Trumps wechselhaftem Gefasel zu diesem Zeitpunkt schlicht nicht mehr möglich ist. Eine Einschränkung gibt’s aber noch, denn es ist unklar, ob es Clinton wird, dies auch alles durchzusetzen. In den Artikeln, die Wahlkampfversprechen mit ihren tatsächlichen Ergebnissen vergleicht, kommt sie etwas schlechter weg.

Blicken wir also auf Clintons Ideen in drei Abschnitten: Internationale Politik, Soziales und Innere Sicherheit, sowie Wirtschafts- und Finanzthemen.

Außenpolitik: Längst nicht so hart, wie man denkt

„Hillary is a Hawk!“ ist die häufigste Befürchtung, wenn es um Clinton geht. Sie sei ein „Falke“, also eine Politikerin, die anders als eine „Dove“ („Taube“) für massiven Militäreinsatz im Ausland stünde, Bodentruppen inklusive. Schon Barack Obama hatte viele Hoffnungen enttäuscht, weil er nicht nur auf Diplomatie gesetzt hat, sondern durchaus versuchte, durch Militäreinsätze mehr Macht durchzusetzen - nur eben eher mit anonymen und Kollateralschäden auslösenden Drohnen statt mit Bodentruppen. Clinton hatte einen US-Einsatz in Jugoslawien befürwortet, für den Irakkrieg 2003 gestimmt und eine Vergrößerung der Truppen im Irak 2007 und in Afghanistan 2009 unterstützt. Sie war für einen Militäreinsatz gegen Osama Bin Laden, in Libyen 2011 und wünscht sich ein entschiedeneres Auftreten im Syrienkrieg und gegen ISIS.

Möglich ist aber auch eine andere Erzählung: Als Außenministerin sorgte ihr Verhalten am Verhandlungstisch 2012 mit dem Iran dafür, dass auch die EU bei jenen Sanktionen mitmachte, die schließlich zum Atom-Deal führten – einem weitgehend als positiv bewerteten Abkommen. Auch als China im Südchinesischen Meer die Muskeln spielen ließ, suchte sie eher das Gespräch in Peking als eine militärische Lösung.

Gegen Wladimir Putin und Russland müsse man „standhalten“, sagte Clinton bereits, auch da vertritt sie eine härtere Linie als Donald Trump, dessen vielfältige Verbindungen mit Moskau mehr und mehr zum Problem für ihn werden. Angedeutet hat sie beispielsweise, dass sie sich im Kampf gegen russische Soldaten eher eine Bewaffnung der ukrainischen Rebellen vorstellen könne als Obama. In China will sie sich weiter für stärkere Frauenrechte einsetzen, das TPP-Freihandelsabkommen mit Ländern Asiens und der Pazifikregion hatte sie zunächst befürwortet, lehnt sie aber nun ab. Auch beim TTIP-Abkommen mit Europa heißt es eher vorsichtig, dass dies nicht besonders weit oben auf der Prioritätenliste Clintons stünde, schreibt USA Today.

Kommen wir zum us-amerikanischen Militärgefängnis Guantánámo auf Kuba. Noch heute nehmen es besonders viele Deutsche Barack Obama übel, dass er das auch wegen Folter häufig in die Schlagzeilen geratene Gefängnis nicht geschlossen hat. In acht Jahren ist es ihm aber immerhin fast gelungen. Insgesamt saßen seit 2002 rund 800 Häftlinge dort ein, häufig ohne regulären Prozess. Nach der Freilassung von 15 weiteren Inhaftierten Mitte August sind jetzt nur noch 61 Menschen dort eingesperrt. Die US-Regierung sucht nach Unterbringungsorten und will das Gefängnis dann schließen. Clinton will hier Obamas Politik fortsetzen, sagt sie auf ihrer Webseite.

Fazit also: Clintons Historie zeigt, dass sie an die Notwendigkeit von Militäreinsätzen glaubt, aber sie gibt wenig Anlass, Angst vor aggressiven Vereinigten Staaten mit breiten Truppenbewegungen zu haben. Hinzu kommt, dass es aktuell weniger Gründe für einen breiten Militäreinsatz gibt. Besonders in Syrien und im Kampf gegen IS sind Bodentruppen kaum eine Lösung, hier wird sie Barack Obamas Politik der Drohneneinsätze fortsetzen – und naturgemäß wird sie sich als Präsidentin auch um mehr Themen kümmern müssen als zuletzt im Außenministerium. Viele Beobachter glauben, sie wird eher innenpolitische Akzente setzen wollen.

Soziales: Netter zu Einwanderern, ein bisschen netter zu Studierenden

Mit der internationalen Politik verbunden ist die (möglicherweise ja auch für deutsche Betroffene wichtige ) Immigrationspolitik. Denn im Land leben elf Millionen illegale Immigranten, die Donald Trump ausweisen will – ohne, dass er bisher vorgelegt hat, wie – will sie einen „Path to Citizenship“, einen Weg zur Staatsbürgerschaft darlegen. Wer sich außer in Migrationsfragen nichts zu schulden hat kommen lassen, solle entgangene Steuern nachzahlen, Englisch lernen und dann rein ins US-System. Frauen und Kindern, die aus Mittelamerika vor Gewalt in die USA flüchten, will sie die Einwanderung erleichtern – Obama hatte diese Gruppen schnell wieder in ihre Heimat abgeschoben. Auch an der Grenze zu Texas soll nur schnell abgewiesen werden, wer eine Gefahr für die Sicherheit darstellt, schreibt vox.com.

Besonders die Vorwahl-Unterstützer des linken Bernie Sanders will Clinton mit ihren Ideen zur Studienfinanzierung überzeugen. Der Teufel steckt aber im Detail: Während Sanders „tuition free“ Hochschulen durch Steuererhöhungen wollte, mag Clinton nur „debt free“ versprechen, also nur „schuldenfrei“, nicht „gratis“. Ihre Idee ist, dass Familien gemäß ihrer Leistungsfähigkeit zahlen, vereinzelt erläuterte sie bereits, dass Studiengebühren in einer Höhe von zehn Stunden Arbeitszeit pro Woche erwartet werden könnten und die oft schlechteren Community Colleges kostenlos sein könnten. Das wäre vielerorts immer noch eine enorme Verbesserung angesichts von oft mehreren zehntausend Dollar Gebühren pro Semester. Bei bestehenden Krediten will sie die Zinsen senken, erläutert der Guardian.

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Wie auch Obama will Clinton im Strafrecht Erleichterungen für kleinere Delikte in der Drogenkriminalität. Seit einigen Jahren gibt es hier die größten Probleme im Justizsystem durch festgeschriebene Mindeststrafen, die Richter im Einzelfall nicht unterschreiten dürfen. Viele häufig privatwirtschaftlich betriebene Gefängnisse sind deshalb überfüllt, besonders häufig trifft es Schwarze. Schon Obama hat hier einige Hundert Inhaftierte begnadigt. Clinton möchte weitere Reformen, ebenso wie im Waffenrecht. Hintergrundchecks will sie verpflichtend einführen, Menschen mit psychischen Problemen sollen keine Waffen kaufen dürfen und die Polizei soll zu weniger Waffengewalt angehalten werden. Generell unterstützt sie aber die Todesstrafe.

Wirtschaft und Finanzen: Oben besteuern, unten Mindestlohn erhöhen

Obwohl Clinton oft eine große Nähe zur Wall Street nachgesagt wird, verfolgt sie in der Wirtschafts-, Finanz- und Arbeitsmarktpolitik eine beinahe sozialdemokratische Agenda. Den landesweiten Mindestlohn will sie auf 12 Dollar pro Stunde erhöhen.

Darüber hinaus wären ihr in vielen Fragen die Hände gebunden, denn große Teile der Sozialpolitik sind in den USA Sache der Bundesstaaten. Ein einheitliches Kindergeld wie bei uns hält sie deshalb für nicht praktikabel. Der Staat solle jungen Eltern aber besser bei der Kindererziehung unterstützen, findet sie. In den USA bedeutet das aber deutlich seltener als bei uns, dass tatsächlich Geld gezahlt wird.

Schon Bill Clinton hatte während seiner Amtszeit mit mehreren Reformen vorangetrieben, dass eher Kurse oder Sachgüter zur Verfügung gestellt werden. Von den Sozialhilfe-Leistungen in den USA fließen 75 Prozent in derartige Unterstützung, nur 25 Prozent zahlt der Staat tatsächlich als Finanzhilfen an arme Familien. Einen wirklich spannenden Hintergrund dazu, dass viele Bundesstaaten die Gelder auch für fragwürdige Leistungen wie Eheberatung für Mittelschichtspärchen ausgeben, hatte kürzlich der Podcast Reveal.

In der Gesundheitspolitik wird die Reform der Krankenversicherung sicher eine der größten Errungenschaften Barack Obamas bleiben. Inzwischen sind rund 90 Prozent der US-Amerikaner versichert und Clinton möchte diesen Wert noch weiter erhöhen, beispielsweise durch mehr Anreize für Firmen, ihren Mitarbeiter Versicherungen zu bieten. Wettbewerb unter den Versicherern soll vergrößert, die in den Vereinigten Staaten oft extrem hohen Zuzahlungen bei Medikamenten will sie senken, beispielsweise, indem Pharmaunternehmen Marketingausgaben nicht mehr von der Steuer absetzen können. Sie sollen mehr Geld in Forschung und Entwicklung neuer Medikamente stecken und durch mehr Generika die Preise senken, insgesamt also ein recht kleines Dankeschön, finden Beobachter.

Die USA würden derzeit den Maastricht-Kriterien nicht genügen: 9,3 Billionen US-Dollar Schulden hat das Land, das entspricht etwa 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eines Jahres - in der EU sind formell 60 Prozent erlaubt. Unter einer Präsidentin Clinton würde sich das nicht besonders ändern. In der Haushaltspolitik findet sie ein größeres Staatsdefizit in Ordnung, vor allem, wenn mehr in Infrastruktur investiert würde. Firmen, die Gewinne mit ihren Mitarbeitern teilen, sollen Steuererleichterungen bekommen, die Kapitalertragssteuer soll erhöht werden. Außerdem will sie Abschreibungen für extrem reiche Amerikaner erschweren, Steuerschlupflöcher schließen und die Höchststeuersätze für Einkommen über fünf Millionen Dollar von 39 auf 44 Prozent erhöhen - also allesamt sichere Wahlkampfklassiker bei Demokraten. Größere Veränderungen bei den Steuersätzen für mittlere und kleine Einkommen soll es aber keine geben, erzählte sie der New York Times.

In Summe bleibt also ein umfangreiches Paket an bereits durchdachten Forderungen und Vorschlägen. Nächster wirklich wichtiger Meilenstein für die Wahl am 8. November werden nun die drei TV-Debatten sein, die erste davon am 26. September. Damit Clinton dort gut abschneidet, suchen die Demokraten laut Politico derzeit einen Parteifreund, der ihr in Trainingsrunden die schlimmstmöglichen Vorwürfe an den Kopf wirft, Konfrontation mit dem Namen Monica Lewinsky inklusive.


Aufmacherbild: iStock; Redaktion: Theresa Bäuerlein; Produktion: Susan Mücke und Theresa Bäuerlein.