Dürfen wir vorstellen: Die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten
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Dürfen wir vorstellen: Die erste Präsidentin der Vereinigten Staaten

Das Rennen ist entschieden. Glauben Sie keinen Artikeln, die ein Kopf-an-Kopf-Rennen herbeischreiben.

Profilbild von Eine Wette von Christian Fahrenbach

Das hier wird eine Wette. Es sind noch knapp vier Monate bis zur US-Präsidentschaftswahl am 8. November und ich lege mich fest. Obwohl wir Journalisten gerne ein Kopf-an-Kopf-Rennen hätten und große Spannung herbeischreiben mögen, wird Hillary Clinton siegen. Die Kandidatin der Demokraten wird so deutlich gewinnen, dass es langweilig wird – obwohl genau das ja immer Donald Trump, der wahrscheinliche Präsidentschaftskandidat der Republikaner, für sich selbst vorhersagt.

Hier sind sechseinhalb Gründe, warum an Clinton kein Weg vorbeigeht.

1. Die seriöse Wahlforschung spricht komplett für Clinton

Wer in jüngster Zeit Zeitung gelesen hat, stieß vielleicht auf Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Rasmussen, wonach Trump erstmals seit längerem wieder vorne liegt. Solche Einzelumfragen sind in den USA problematisch: An ihnen nehmen häufig nur wenige hundert Menschen teil – diese hier war aber mit 1.000 befragten „Likely Voters“, also wahrscheinlichen Wählern, in Ordnung. Allerdings: Die Institute sind in den USA oft deutlich parteiisch. Wie auch in Deutschland, wo jahrzehntelang Allensbach den Ruf als CDU-Institut hatte und Forsa der SPD zugerechnet wurde, haben US-amerikanische Institute historische Präferenzen. Rasmussen ist seit längerem als republikanerfreundlich bekannt - einige Beispiele hat Wikipedia zusammengetragen. Reuters hat auf der anderen Seite oft Ausreißer-Umfragen zugunsten der Demokraten.

Klüger ist es, Seiten wie Real Clear Politics, 538 oder der Ratingagentur Moody’s zu vertrauen. Real Clear Politics bildet einen gewichteten Durchschnitt mehrerer Umfragen, in denen die Forscher auch die Parteilichkeit der Institute rausrechnen. Clinton führt seit Wochen mit fünf bis sieben Prozentpunkten Vorsprung. Oft heißt es, dass in den USA auf beiden Seiten je 45 Prozent der Wähler von vornherein festgelegt sind und nur um die zehn Prozent in der Mitte gekämpft werden muss – sieben Prozent Vorsprung sind da ziemlich viel.

Seit der Präsidentschaftswahl 2012 ist Nate Silver der berühmteste Statistiker der Welt. Denn während damals viele große Umfrageinstitute einen Romney-Sieg vorhersagten, legte er sich fest: Obama gewinnt. Heute ist er Chef von FiveThirtyEight.com, einer Sport- und Politik-Datenseite, die vor kurzem ihr laufend aktualisiertes Prognosemodell zur Wahl veröffentlichte. Die Redakteure berechnen nicht nur Umfrageschnitte für jeden Bundesstaat, sondern auch eine allgemeine Wahrscheinlichkeit, wer die Wahl wohl für sich entscheiden kann. Clinton kommt auf knapp 80 Prozent.

2. Das Wahlverfahren hilft Clinton

In nationalen Umfragen sieht es wieder ein klein wenig enger aus, und Umfragen können kippen. Aber das landesweite Gesamtergebnis, „Popular Vote“ genannt, ist unwichtig. Stattdessen zählt das Ergebnis der Wahlleute, der „Electoral Vote“. Jeder Bundesstaat entsendet eine zuvor festgelegte Anzahl Delegierter zur formalen Präsidentschaftswahl. Vom Ablauf her ist das vielleicht am ehesten mit unserer Bundespräsidentenwahl vergleichbar. In den Bundesstaaten gilt dabei das „Winner Takes All“-Prinzip. Heißt: Wer den Bundesstaat gewinnt, und sei es auch nur mit einer einzigen Stimme Vorsprung, der bekommt alle Wahlleute dieses Staates zugesprochen.

FiveThirtyEight.com veröffentlicht deshalb auch diese proportionale Karte der USA, hier als dritter Punkt in der Mitte des verlinkten Artikels. Jeder Punkt entspricht dabei einem Wahlmann. Was auffällt: Der mittlere Westen – also der Teil, in dem Trump besonders stark ist – ist recht bevölkerungsschwach und dementsprechend unbedeutend. Clinton hingegen ist im dichter bevölkerten Nordosten stark, erkennbar an der tiefblauen Färbung dort.

Für Clinton spricht zudem eine einfache Formel:

Sieg = 1992 + Florida

Allein die Bundesstaaten, in denen Demokraten die letzten sechs Wahlen seit 1992 immer gewonnen haben, entsprechen bereits 242 Wahlleuten. Kann Clinton dann noch Florida mit seinen 29 Delegierten für sich entscheiden, ergibt das 271 Wahlleute, 270 sind nötig für den Sieg.

Das sind gute Nachrichten für die Demokratin, denn in den letzten vier Jahren ist in Florida der Anteil an Latinos gewachsen. Clinton schlägt für illegale Immigranten einen Weg zur Staatsbürgerschaft vor und will sie ins US-amerikanische Steuersystem holen. Trump hingegen hat Mexikaner als Vergewaltiger beschimpft, will die berüchtigte Mauer zum Nachbarn im Süden und hielt den Richter in einer Zivilklage gegen seine Trump-University für parteiisch, weil dieser mexikanische Vorfahren hat. Schon der gemäßigte Mitt Romney konnte 2012 laut Pew Research gegen Barack Obama landesweit nur 27 Prozent der Latino-Stimmen erringen.

3. Clinton hat überall im Land die bessere Wahlkampagne

Selbst wenn Florida schiefgeht, hat Clinton einige Sicherheitsnetze. Gut sieht es für sie beispielsweise auch in Pennsylvania und Ohio aus. Gewinnt sie diese beiden Staaten mit 20 und 18 Wahlleuten, hätte sie auch mehr als 270 Stimmen. Natürlich weiß Clinton das alles. Sie hat bereits eine robuste Wahlkampfmaschinerie in diesen drei Kern-Bundesstaaten aufgebaut. Allein im Elf-Millionen-Einwohner-Staat Ohio beschäftigen sie und die Demokraten 150 Vollzeit-Mitarbeiter.

Zum Vergleich: Auf Trumps Gehaltszettel stehen in den gesamten USA 70 Leute. Trump behauptet, dieser Unterscheid sei nicht relevant. Im Gegenteil, eine kleine Mannschaft sei sogar eine Stärke, findet er. Seine Kandidatur hängt aber massiv davon ab, wie viele Unzufriedene er tatsächlich zur Stimmabgabe bewegen kann – und bisher war das in den USA immer auch eine Frage der 1:1-Kommunikation vor Ort.

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Hinzu kommt: Clinton hat deutlich mehr Geld. Laut jüngsten Zahlen hat sie rund 42,5 Millionen Dollar in ihrer Wahlkampfkasse, Trump kommt nur auf 1,3 Millionen. Barack Obama hat für seine Wiederwahl 2012 geschätzt rund 600 Millionen Dollar ausgegeben. Trump behauptet zwar immer, dass er jederzeit aus seinem eigenen sagenhaften Reichtum nachschießen könnte, aber Beobachter fragen sich, warum er genau das nicht tut. Seine Kampagne liegt auf der Intensivstation.

Trump warb sogar bei ausländischen Freunden um Geld, obwohl deren Spenden laut US-Wahlgesetz verboten sind. Clinton hat aber nicht nur das Geld, um die nötigen Spots zu schalten, auch inhaltlich dürften sich die negativen TV-Clips gegen Trump praktisch von alleine zusammenschneiden. All das wird keine Hardcore-Fans umstimmen, aber es könnte einige der Wähler überzeugen, die aktuell noch mit einer Trump-Stimme aus Protest liebäugeln.

4. Clinton hat wichtige Unterstützer

Deutlich besser ist da die Ausgangslage von Clinton. Ihr muss es lediglich gelingen, die Menschen zu überzeugen, die auch in den letzten beiden Wahlen Barack Obama unterstützten. Am besten geht das natürlich mit Obama selbst. Seit einigen Tagen kämpft er sichtbarer für sie, ohnehin nennen einige Clintons Kandidatur „Obamas dritte Amtszeit“. Zudem hilft auch hier ein Blick in die Geschichtsbücher. Traditionsgemäß hilft ein hoher Umfragewert eines scheidenden Präsidenten dem neuen Kandidaten der eigenen Partei, beziehungsweise der Kandidatin.

Eine Ausnahme gab es: Al Gore hat nicht von hohen Clinton-Werten profitiert, aber er grenzte sich auch im Wahlkampf wegen der Lewinsky-Affäre deutlich von Bill Clinton ab. Hinzu kommt, dass die meisten Experten vorhersagen, dass Fans des chancenlosen Demokraten Bernie Sanders in Massen für Clinton stimmen werden.

5. Donald Trump bleibt Donald Trump

Die Schwäche Trumps spricht für einen Sieg Clintons. Der Juni war dabei der bisher verheerendste Monat für seine Kandidatur. Neben dem inzwischen üblichen Grundrauschen katastrophaler Tweets und beleidigender Reden hat vor allem ein Ereignis den Wahlkampf bestimmt: das Attentat auf einen Nachtclub in Orlando in Florida.

Immer wieder hat das Demokratenlager Angst vor einem Terroranschlag, der das Blatt in Richtung des republikanischen Kandidaten wendet. Doch der Juni bewies, dass Trump eben nicht von einer extremen Tat profitieren kann. Sein erratisches Verhalten und wirre Forderungen nach einem Einreiseverbot für Muslime aus allen Staaten, die jemals ein Terrorproblem hatten, haben gezeigt, wie wenig er solchen Extremsituationen gewachsen ist. Wähler konnte er so nicht anlocken – und würde dies wohl auch nicht bei einem noch größeren Anschlag von außen tun. Dafür sind seine Forderungen viel zu chaotisch.

Die Idee von einem starken Trump in der Krise ist damit genauso eine Mär wie sein Versprechen, zur einigenden Kraft zu werden, wenn seine Kandidatur erst einmal feststeht. Immer noch schießt er gegen Parteivordere, immer noch stehen ihm Eitelkeit und Ego im Weg, es gibt keinerlei Zeichen für Charakteränderungen. Wie will er in vier Monaten sein über Jahrzehnte entstandenes mediales Bild so verändern, dass ihm Leute plötzlich vertrauen, die es bisher nicht tun?

6. Clinton ist eine der erfahrensten Kandidaten der Geschichte

Neben der Positionierung durch Abgrenzung gibt es aber durchaus auch Punkte, die für Clinton selbst sprechen. Sie bringt drei Jahrzehnte Wahlkampferfahrung, Arbeit als Senatorin, First Lady und Außenministerin mit – kein Wunder, dass Barack Obama aktuell immer wieder betont: „Niemand war je besser für dieses Amt geeignet.“

Positiv für die 68-Jährige ist auch, dass ihre Skandale weiter abklingen dürften. Der nur teilweise legale Einsatz eines privaten E-Mail-Servers wird nicht weiter strafrechtlich verfolgt und in den Anhörungen zum Attentat auf die US-Botschaft in Bengasi hat sie sich großartig geschlagen. In beiden Fällen werden sich die Republikaner um weitere Öffentlichkeit für die Themen bemühen, aber es wird ihnen deutlich schwerer fallen als wenn es langwierige Verfahren gegeben hätte.

6 1/2. Bei der Vize-Wahl kann Hillary nicht verlieren

Der Vizepräsident soll helfen, eigene Schwächen auszugleichen. Das Bild Clintons ist aber bereits so stark gefestigt, dass ihre Auswahl nahezu egal ist. Fällt sie eine mutlose Entscheidung, beispielsweise für den eher blassen Ex-Gouverneur von Virginia, Tim Kaine, wird sie das keine Stimmen kosten. Eine engagiertere Wahl wie zum Beispiel die fortschrittliche Elisabeth Warren könnte sie aber möglicherweise mit der Parteilinken versöhnen und diese zusätzlich zur Stimmabgabe motivieren.

Es müsste viel zusammenkommen, damit Clinton die Wahl noch verliert. Ich gehe also eine Wette ein – eine besonders riskante ist es nicht.


Illustration: Sibylle Jazra für Krautreporter.