Was sagen die Umfragen?
Laut der letzten Umfrage der Meinungsforschungsfirma YouGov, veröffentlicht am 17.Juni 2016, liegt das „Remain“-Lager einen Prozentpunkt vor den EU-Austrittsbefürwortern „Leave“. Doch die Umfrage hat wenig Aussagekraft, da der Vorsprung innerhalb der Schwankungsbreite liegt und 13 Prozent sich nicht erklärt haben.
In der aktuellen Umfrage sprechen sich 44 Prozent für “Remain” aus, 43 Prozent für “Leave”. Bild: Screenshot www.yougov.co.uk/
Auch der Blick auf vorangegangene Umfragen zeigt, dass man diesen nicht zu viel Vertrauen schenken sollte. In einer YouGov-Umfrage vom 12./13.Juni liegen die Austrittsbefürworter noch rund sieben Prozentpunkte vor den „Remain“-Befürwortern.
Die EU-Austrittsbefürworter (Leave; grün eingefärbt) haben in den letzten Monaten viel von ihrem Vorsprung gegenüber den EU-Mitglied-bleiben-Wollenden (Remain; blau eingefärbt) eingebüßt. Bild: Screenshot www.yougov.co.uk/
Die Volatilität, also die Schwankung der Ergebnisse bei den Umfragen ist extrem hoch, wie die vielen Zacken in der Kurve zeigen. Das macht auch ein Blick auf vorhergehende Umfrageergebnisse deutlich:
Nur zwei Tage davor lag das “Leave”-Lager nur einen Prozentpunkt vor “Remain”. Bild: Screenshot www.yougov.co.uk/
Nicht einmal eine Woche davor lag „Remain“ auf einmal in den Umfragen vorne:
Am 6.Juni lag in der Umfrage von YouGov die EU-Bleibe-Kampagne knapp vorne. Bild: Screenshot www.yougov.co.uk/
Auch wenn viele Medien anderes behaupten: Seriöse Vorhersagen über den Ausgang der Abstimmung am 23.Juni lassen sich auf Grund der Umfragen nicht treffen. Sicher ist nur, dass es eine knappe Abstimmung sein wird und viele Wähler noch unentschlossen sind. Die Entscheidung wird auch davon abhängen, wie viele Menschen und aus welchen Gruppen (Unter- vs. Oberschicht, alt vs. jung) zur Wahl gehen werden. Mit dem YouGov-Simulator lassen sich verschiedene Varianten durchspielen.
Wie sehen verschiedene soziale Gruppen die Abstimmung?
Zu diesem Zweck habe ich mir die ungewichteten Rohdaten YouGov-Umfrage vom 12. und 13. Juni näher angesehen. Insgesamt wurden 1905 erwachsene Briten befragt.
Wenig überraschend, sind die Anhänger der EU-kritischen UKIP nahezu geschlossen für einen Austritt, aber auch die Wähler des Konservativen Premierminister David Cameron (er selbst ist für „Remain“) sind mehrheitlich für „Leave“. Labour- und LibDem- Anhänger wollen eher für den Verbleib in der EU stimmen.
Während es zwischen den Geschlechtern nur geringe Unterschiede gibt, sieht es bei den Kategorien Alter und Klasse anders aus. Junge und höhere Schichten wollen eher in der Europäischen Union bleiben. Schottland – traditionell eher Labour-lastiger und pro-europäischer als der Rest des Landes – ist genauso wie London eher für „Remain“. Der Rest des Landes für „Leave“.
Dreht sich der Wind? Die Wettanbieter sagen „Ja“
Bild: Screenshot https://www.bet-at-home.com/ 20.6.2016
Bild: Screenshot www.williamhill.com/ 20.6.2016
Bild: Screenshot www.bwin.com/ 20.6.2016
Die drei großen Wettanbieter halten eine Mehrheit für den Verbleib in der EU für wahrscheinlicher. Zwischen 1,22 und 1,30 Euro bekommt man für einen gewetteten Euro bei „Remain“ und zwischen 3,20 und 3,80 Euro, wenn man sein Geld auf „Leave“ setzt.
Suchtrends bei Google sagen „Nein“. „Leave“ ist vorne.
Das Suchinteresse für den Brexit und verwandte Fragen ist hoch - auffällig ist aber, dass mehr Informationen zum Ausscheiden aus der EU gesucht werden. Das sagt zumindest die Grafik von Google aus, die Suchanfragen in Großbritannien auswertet. Doch im Vergleich zum König Fußball ist das Interesse schwindend. Das mag man bedauerlich finden, ist aber ein bekanntes Faktum: Unterhaltung (und dazu zählt Fußball) ruft oft mehr Interesse hervor als schnöde Politik.
Man kann sich auch nur wundern, wieso die wichtigste europäische Abstimmung der letzten Jahre gerade jetzt stattfindet. Normalerweise nutzen Regierungen große Fußballturniere, um unliebsame Entscheidungen ohne großes Aufsehen durchzubringen.
Sehen sich die Briten nicht als Europäer?
Nein. Zumindest vereinfacht gesagt, muss die Antwort so lauten. Während viele Deutsche einigermaßen stolz auf Europa und die Europäische Union sind, wird das im Vereinigten Königreich kaum so gesehen. Das spiegelt sich auch im Sprachgebrauch: Von Europa wird in UK wie von einem anderen Ort gesprochen, dem man sich auch geografisch nicht zugehörig fühlt. Undenkbar wäre es auch für die meisten Briten, dass die wichtigsten Gebäude – so wie beispielsweise der deutsche Bundestag – mit EU-Fahnen beflaggt wäre.
In Zahlen ausgedrückt sieht man das auch in der Eurobarometer-Umfrage der EU-Kommission. Nirgendwo in der EU sehen sich mehr Menschen ausschließlich als Bürger ihres Landes und nicht auch als Europäer.
Wieso das Vereinigte Königreich mit diesem Selbstverständnis außerhalb der EU besser aufgehoben ist, erklärt Krautreporter Sebastian Esser hier.
Welchem Land würde ein Brexit am meisten schaden?
Die Wirtschaftsratingfirma S&P Global Ratings (früher Standard & Poor’s) hat mit dem Brexit Sensitivity Index versucht auszurechnen, welchen Ländern ein britischer Austritt wirtschaftlich am meisten schaden würde. Grundlage dafür bilden die wirtschaftliche Verflechtung, Import-Export-Daten, finanzielle Forderungen, ausländische Direktinvestitionen und Migration.
Irland wäre weltweit das Land, das mit den größten wirtschaftlichen Auswirkungen im Falle eines Brexit rechnen müsste. Screenshot British Sensitviity Index
Irland hat geografisch und historisch bedingt engere Verbindungen zum Vereinigten Königreich als jedes andere Land. Malta, Luxemburg, Zypern und die Schweiz wären insbesondere als Finanzplätze vom Brexit betroffen. Außerdem ziehen die Mittelmeerinseln Malta und Zypern bisher viele britische Touristen und Rentner an.
Was passiert, wenn die Mehrheit für den EU-Austritt stimmt?
Den möglichen Ablauf zeigt diese Grafik: