Arschknapp
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Arschknapp

Nie zuvor in meinem 31-jährigen Leben hat mich eine Wahl so bewegt wie diese Präsidentschaftswahl in Österreich. Ich habe mitgefiebert, gehofft, Angst gehabt – auch weil das Ergebnis für mich als Auslandsösterreicher wirtschaftlich wichtig ist. Ein persönlicher Kommentar.

Profilbild von Dominik Ritter-Wurnig

Bis zum letzten Moment war es arschknapp. Noch am Sonntagabend lag der rechtsextreme Kandidat Norbert Hofer nach den ausgewählten Stimmen in den Wahllokalen vorne. Gemeinsam mit Freunden und Familie verfolgte ich in meiner Neuköllner Wohnung die Wahl. Fast blieb uns der Käsekrainer im Rachen stecken, doch wir alle hofften auf die Stimmen von Menschen wie uns. Diesmal waren wir Auslandsösterreicher das Zünglein an der Waage. Hier in Berlin kenne ich keinen einzigen Österreicher, der nicht mit Haut und Haar gegen Hofer ist.

Spannung am Nachmittag

Das Arbeiten im Büro am heutigen Tag war nahezu unmöglich. Geht es sich aus oder nicht? Wird Österreich einen Präsidenten haben, der gerne mit seiner Pistole schießt, für den Muslime nicht zu Österreich gehören, der mehr Österreich und weniger Europa will? Einer, der einer deutschnationalen Burschenschaft angehört, der sich plötzlich - aus Angst vor muslimischen Männern - um Frauenrechte sorgt, und für den die AfD-Vorsitzende Frauke Petry offene Bewunderung hegt? Aber vor allem wäre ein Bundespräsident Norbert Hofer der Österreicher, auf den ich im Ausland beständig angesprochen würde. Einer, für den ich mich seine komplette Amtszeit von sechs langen Jahren rechtfertigen müsste. Einer, der mir und dem österreichischen Image schadet. Einer, der Kopfschütteln auslöst. Einer, der Österreicher unsympathisch macht.

https://www.youtube.com/watch?v=gc6qgqVh9DE

AfD-Sprecherin Frauke Petry im Videointerview mit der österreichischen Onlinezeitung derstandard.at bei der Wahlparty für Norbert Hofer am 22.Mai 2016.

Oder wird es doch der knorrige Alexander Van der Bellen? Der absolute Liebling meiner Peer-Group, für den ich mich aber eigentlich nie wirklich erwärmen konnte: Professorales Gehabe, langsames Sprechen und oft Positionen, die mir viel zu wirtschaftsfreundlich sind. Aber immerhin, einer der sich über viele Jahre in der Politik etwas Menschliches, Authentisches, Unabgeklärtes erhalten hat. Einer, dem man im Wahlkampf stets anmerkte, wie er diese „Zeit der fokussierten Unintelligenz“ (Zitat vom Wiener Bürgermeister Michael Häupl) zutiefst hasst. Einer, der mir und meiner Art zu leben viel näher ist als der völkische Hofer: urban, international, zuversichtlich, unaufgeregt und gebildet.

Plötzlich wird es spannend: Der Innenminister gibt um 15 Uhr das Endergebnis bekannt, heißt es in den Eilmeldungen. Eine Sondersendung im österreichischen Fernsehen ist angekündigt. Ich kann mich nicht von meinem Schreibtischsessel (Stuhl) lösen, schalte zwischen Livestream, Twitter, WhatsApp und Facebook hin und her. Die Livestreams und Internetseiten der wichtigsten Nachrichtenseiten brechen immer wieder zusammen. Ein halbes Land wartet an diesem Nachmittag. Ich tausche mit der Familie SMS aus, verfolge Gerüchte auf Twitter und raste fast aus beim Vorprogramm zur Sondersendung beim Fernsehsender ORF2: Die Soap „Julia – Wege zum Glück“ macht mich und die österreichische Twitteria wahnsinnig. Eine Verzögerung jagt die nächste. 15.15, 15.45, 16.00 Uhr. Statt endlich das Wahlergebnis zu erfahren, bin ich gezwungen, eine Uraltfolge „Weißblaue Geschichten“ mit Gustl Bayrhammer zu schauen. Verflucht sei das österreichische Nachmittagsprogramm.

https://twitter.com/extra3/status/734747009232609282

Hofer gesteht Niederlage ein

Kurz bevor der Innenminister vor die Kameras tritt und trocken das Ergebnis runterrattert, tauch ein Facebook-Posting von Hofer aus. Er gesteht die Niederlage ein, informiert von seinen Wahlbeobachtern hat er schon früher die Aussichtslosigkeit erkannt. Ein letztes Mal bekommt er noch die geballte Aufmerksamkeit, bevor er nun wieder in die zweite Reihe der FPÖ und damit in die dritte Reihe der österreichischen Politik abtauchen wird. Ein Trost, zumindest für ihn: Er ist trotzdem Präsident – Dritter Präsident des Nationalrats (österreichisches Parlament). Bleibt die Frage, ob er sich damit zufriedengeben wird oder ob er nicht bald am Thron seines FPÖ-Obmannes Heinz-Christian Strache sägen wird?

Als der knappe Wahlsieg Van der Bellens endlich bekannt gegeben wird, macht sich Erleichterung in mir breit. Es ist nicht so gekommen wie befürchtet. Anders als an vielen Wahlabenden davor war die FPÖ diesmal nicht stärker als erwartet, die Grünen nicht schwächer als erhofft. Österreichs neuer Bundespräsident heißt Alexander Van der Bellen. Ein Flüchtlingskind, ein Atheist, ein Grüner – all das wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Klar, Van der Bellen galt in den Umfragen als Favorit, dennoch ist es überraschend, dass die konservativen Österreicher ihm vertrauen.

Der designierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen gibt sich in seiner ersten Pressekonferenz betont staatsmännisch.

Der designierte Bundespräsident Alexander Van der Bellen gibt sich in seiner ersten Pressekonferenz betont staatsmännisch. Bild: Screenshot/ORF Livestream

Vorteil Wurnig

Dass die Entscheidung so ausgefallen ist, hat aber auch handfeste Vorteile für mich, das gebe ich offen zu. Vor knapp einem Jahr bin ich von Wien nach Berlin gezogen. Klar, ich liebe Berlin - aber ein Motiv für meinen Umzug waren auch die besseren Jobchancen in der deutschen Hauptstadt gewesen. Ich bin Digitaljournalist, will an innovativen und internationalen Projekten mitarbeiten, den Journalismus der Zukunft mitformen. All das ist in Wien nicht möglich, wo es in den letzten Jahren merklich provinzieller wurde. Die „Freunderlwirtschaft“ – also das Zuschanzen von Posten, Ämtern, Wohnungen und Privilegien an Parteifreunde – erlebt ein Comeback, nachdem es in den 1990er Jahren bereits nahezu verschwunden war.

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Die Regierung war bis vor kurzem von Ideen- und Ratlosigkeit zerfressen, Missgunst und Hass breiteten sich aus. Auf diese Weise ist es nicht möglich, eine florierende digitale Wirtschaft und Kultur aufzubauen. In diesem Umfeld wurden Ideen und Innovationen eher erstickt als gefördert. Vielleicht hätte auch Hofer die eine oder andere positive Veränderung anstoßen können. International in erster Linie als Rechtspopulist wahrgenommen, wäre es für ihn allerdings kaum möglich gewesen, Werbung für sein Land zu machen und Investoren anzulocken. Statt Neues aufzubauen, wäre Präsident Hofer vor allem damit beschäftigt gewesen, Althergebrachtes zu verteidigen. Schon jetzt hat Österreich ein Braindrain-Problem; mit dem Anti-Modernisierer Hofer wäre das nicht besser geworden.

Mutig in die neuen Zeiten

„Mutig in die neuen Zeiten“ heißt eine Zeile aus der österreichischen Bundeshymne, die auch Van der Bellen als Wahlkampfslogan ausgewählt hat. Nun muss er zeigen, ob er das umsetzen kann. Was vor einem Monat noch kaum vorstellbar war, ist nun Realität. Österreich hat nicht nur als erstes westeuropäisches Land einen grünen Staatschefs, auch der neue Regierungschef Christian Kern spricht neue Töne. Man soll den Tag zwar nicht vor dem Abend loben; das Land steht vor vielen Problemen, die nun nach einer Lösung verlangen (die Flüchtlingsfrage, die steigende Arbeitslosigkeit, die schwächelnde Konjunktur). Bei meinem Besuch in Wien in der vergangenen Woche habe ich aber erstmals seit Jahren wieder Optimismus bei den tatenhungrigen Digital Natives gespürt. Schau ma mal!


Aufmacherbild: Alexander van der Bellen bei einer Wahlkampfveranstaltung in Wien; Foto: Dominik Wurnig.