Sollte Deutschland Panama sanktionieren?
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Sollte Deutschland Panama sanktionieren?

Politiker diskutieren, was Staaten gegen Steueroasen tun können. Um Druck auf Kriegsverbrecher und Möchtegern-Atommächte auszuüben, sind Sanktionen ein manchmal wirksames Mittel. Warum nicht auch gegen Staaten voller Briefkastenfirmen? Ein Gespräch mit dem Sanktionsforscher Christian von Soest.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

Ein neuer Bericht der NGO Oxfam kommt zu dem Schluss, dass die 50 größten US-Firmen 1,6 Billionen Dollar beiseite geschafft haben sollen - völlig legal. Steuerhinterziehung ist ein globales Problem, auf das die reichen Länder der Welt mit immer neuen schwarzen Listen und Vorstößen reagieren, die alle etwas gemeinsam haben: Sie beruhen auf Freiwilligkeit; Druck entsteht allein durch die Benennung von Ländern, die nicht den internationalen Transparenzregeln folgen. Niemand zwingt sie. Geht es nach Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, dem Star-Ökonomen Thomas Piketty und dem EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici könnte sich das das bald ändern. Sie bringen Sanktionen gegen Steueroasen ins Spiel. Ich habe mit Christian von Soest, der am German Institute of Global and Area Studies in Hamburg (GIGA) ein Forschungsprojekt zu internationalen Sanktionen leitet, über die Chancen dieses Vorschlages gesprochen.


Panama zeigte sich bisher unkooperativ, wenn es darum ging, die Steuerflucht zu bekämpfen. Es hatte sogar eine explizite diesbezügliche Zusage wieder zurückgenommen. Von verschiedenen Seiten kam der Vorschlag, Sanktionen zu verhängen. Ist das ein neuer Vorschlag?

Sanktionen gegen Steueroasen sind ein neuer Vorschlag. Aber in der Vergangenheit gab es immer wieder Sanktionen, die aus wirtschaftlichen Gründen erlassen wurden. Beispiele sind die Strafen gegen Kuba und den Iran. Die USA haben Sanktionen verhängt gegen die jeweils neuen Regime, gegen Castro und die Revolutionsregierung im Iran, auch weil beide Eigentum verstaatlicht haben, das US-Firmen und US-Bürgern gehört hat.

Wie haben Iran und Kuba darauf reagiert?

Die Beziehungen haben sich dramatisch verschlechtert. Es gibt zwar Gegensanktionen, aber natürlich war der Hebel der USA sehr viel stärker als derjenige von Kuba und Iran. Bei Sanktionen gegen Steueroasen kommt es darauf an, wie die Kräfte verteilt sind. Wenn wir die Schweiz als Steueroase ansehen und Sanktionen gegen sie verhängen, wären die damit verbundenen Kosten sehr, sehr hoch, weil es sehr viele Anleger gibt, die ihr Geld dort haben. Man müsste ganz genau überlegen, wie die Sanktionen aussehen sollten und welche Konsequenzen die Sanktionen auch für die eigene Wirtschaft haben. Die Schweiz ist „systemrelevant“.

Es wird oft gesagt, dass allein die Drohung mit Sanktionen extrem wirkungsvoll sein kann. Das hat man wiederum in der Schweiz beim Bankgeheimnis gesehen: Die Schweizer Regierung hatte sich lange gewehrt, es aufzuweichen, weil darauf das Geschäftsmodell der Banken in der Schweiz beruhte. Aber der massive öffentliche Druck und der „Schatten der Sanktionen“ haben ihre Haltung geändert. Heute kooperiert die Schweiz weitestgehend.

Gibt es aktuell Sanktionen, die wirtschaftspolitische Ziele haben?

Es gibt Handelskonflikte bei der Welthandelsorganisation, bei der WTO. Das heißt zum Beispiel: Ein Land blockiert den Zugang von bestimmten Gütern aus, sagen wir mal China, oder räumt bestimmte Handelspräferenzen, also „privilegierten Zugang“ mit niedrigen Zöllen, einem anderen Land nicht ein. Im Gegenzug folgen Strafzölle. Das kann man auch als Sanktionen bezeichnen, als eine Bestrafung.

Auch hier hat man in der Regel eine Asymmetrie zwischen den beiden Seiten: Die eine Seite ist stärker, hat mehr wirtschaftliche und politische Kraft als die andere.

Ist das ein generelles Merkmal von Sanktionen: Gibt es immer einen Starken und einen Schwachen?

Es ist in der Regel so, dass derjenige, der sanktioniert, stärker ist. Es ist kein Zufall, dass die USA international bei Weitem am aktivsten sind. Die USA fokussieren auch nicht nur Staaten, sondern auch Firmen. Im Zusammenhang mit den Iran-Sanktionen haben sie eine Strafe ausgesprochen gegen PayPal. Der Vorwurf: PayPal habe nicht genau überprüft, ob die Sanktionen eingehalten werden.

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Es gibt einige Länder, die Sanktionen gegen die USA erlassen haben. Aber gibt es Länder, die wirksame Sanktionen gegen die USA erlassen haben?

In Handelsfragen sicherlich. Aber bei den Steueroasen gibt es auch ein politisches Moment, denn die Regulierung soll sich ändern. Es geht im Kern nicht um ein ökonomisches Element. Ich kenne kein prominentes Beispiel, in denen Sanktionen gegen die USA erfolgreich gewesen wären. Dafür müsste man in der Geschichte sicher weiter zurückgehen.

Das führt uns zu einem weiteren Problem bei Sanktionen gegen Steueroasen. Viele von denen sind keine unabhängigen Staaten. Man muss sich den rechtlichen Status dieser Gebiete anschauen. Bei Panama ist das einfach. Aber bei Territorien, die zum Beispiel Großbritannien gehören, wird es richtig schwierig mit den Sanktionen. Die Briten wehren sich schon gegen die harte Regulierung des Finanzsektors – unterhalb der Schwelle von Sanktionen. Deswegen bin ich nicht sicher, in wie weit die EU in der Lage wäre, diese Sanktionen auch auszusprechen.

Bei den Enthüllungen der Panama Papers stand eine bestimmte Kanzlei, Mossack Fonseca, im Mittelpunkt. Ist es denkbar, die Vorstände und Geschäftsführer solcher und ähnlicher Kanzleien zu sanktionieren? Wie effektiv wären solche Sanktionen?

Generell gilt die Regel, dass Finanzsanktionen äußerst effektiv sind, nicht im Sinne einer Verhaltensänderung, sondern in dem Sinne, dass sie gut durchsetzbar sind. Offizielle Finanztransaktionen kann man sehr gut kontrollieren - das ist nicht wie etwa bei Kleinwaffen, die man gut schmuggeln kann. Größere Finanzgeschäfte laufen immer über Banken.

Aber es gäbe zwei Probleme, wenn man die Personen der Kanzleien auf die Liste setzen will: Erstens werden viele von denen, die auf den Sanktionslisten stehen, klagen. Oft sagen sie, dass es nicht begründet oder nicht nachgewiesen werde, warum sie auf der Liste stehen. Vor europäischen Gerichten haben schon deswegen schon manche Kläger Recht bekommen. Zweitens, wenn man nur die Mitarbeiter der Anwaltskanzlei aus Panama auf die Liste setzt, reicht das das vielleicht nicht aus. Denn man will ja eigentlich die Länderregulierung beeinflussen. Man will, dass Panama und andere Steueroasen Standards einführen, um zu verhindern, dass dort Geld geparkt werden kann. Dafür musst man Druck auf die Regierungen ausüben.

Wann ist die Gelegenheit günstig, Sanktionen zu erlassen?

Am Anfang steht in der Regel ein starkes auslösendes Moment. Das ist jetzt gegeben, wobei die Aufmerksamkeit schon wieder nachlässt. Außerdem versuchen die Sanktionierer, die eigenen Kosten niedrig zu halten, und der Druck im eigenen Land muss hoch sein. Das sind die drei wichtigsten Faktoren.

Was sind denn Sanktionen wert, wenn sie gegen Staat A verhängt werden, aber nicht auch gegen Staat B, der im Grunde das gleiche macht? Etwa, wenn der Westen Panama sanktioniert, aber keine Handhabe gegen den Bundesstaat Delaware in den USA hat?

Eine zentrale Erkenntnis der Sanktionsforschung lautet: Sanktionsentscheidungen sind immer auch strategisch. Heißt: Bei schwachen Ländern, bei denen keine großen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen bestehen, wird ein Sanktionierer eher Druck ausüben.

Wir reden über Sanktionen ja immer nur im Kontext mit sicherheitspolitischen oder hier auch wirtschaftspolitischen Zielen. Gibt es eigentlich Sanktionen, die noch etwas anderes erreichen wollen? Vielleicht welche mit ökologischen Zielen?

Nein, die gibt es noch nicht – obwohl Konstellationen denkbar sind, in denen sie angewandt werden. Solche Fälle werden gerade in der Forschung diskutiert. Außerdem gibt es natürlich noch die Sanktionen, die die Stärkung von Menschenrechten und Demokratie zum Ziel haben. Im Iran laufen die Nuklear-Sanktionen aus, aber jene, die sich auf Demokratie und Menschenrechte beziehen, sind noch immer in Kraft und wurden sogar gerade verlängert.

Lehnen wir uns zurück. Schauen wir auf das ganz große Bild: Im Vergleich zur Welt vor 50 Jahren. Sind Sanktionen beliebter geworden?

Ja, sowohl bei den USA als auch bei der EU. Und das gilt auch für die Sanktionen des UN-Sicherheitsrates. Die 1990er Jahre hat man die „Sanktionsdekade“ genannt, weil nach dem Ende des Kalten Krieges die Blockade des Sicherheitsrates aufgelöst war. Aber Sanktionen gegen Steueroasen wären außerhalb des Mandats der Vereinten Nationen, weil sie eigentlich nur nach Kapitel 7 der UN-Charta Sanktionen erlassen, die den Schutz von internationalen Frieden und Sicherheit zum Ziel haben.

Sind Sanktionen ein Schritt hin zu einem global funktionierenden Rechtssystem?

In bestimmten Bereichen sind sich die Staaten einig, bei der Terrorbekämpfung etwa, bei den Al-Qaida-Taliban-Sanktionen. Die begannen als sogenannte Afghanistan-Sanktionen während die Taliban noch an der Macht waren. Alle Staaten, außer damals Afghanistan, waren sich einig, dass das eine Bedrohung für die eigenen Interessen bedeutet. Wenn sich die Staaten bedroht sehen, egal, ob demokratisch oder nicht demokratisch, dann ist es durchaus möglich, dass sie sich zusammentun.

Wenn es aber um Demokratie geht, kann man sicher nicht davon sprechen, dass sich eine Normengemeinschaft bildet. Die russische Regierung sagt: Alle Sanktionen, die nicht vom UN-Sicherheitsrat ausgesprochen werden, sind illegal – wobei sie sich nicht scheuen, selbst Druck auszuüben. Ähnlich im Fall von China. Kollegen haben eine Studie durchgeführt: Was passiert, wenn eine Regierung den Dalai Lama empfängt, ein Verhalten, das die chinesische Regierung ablehnt? Die Kollegen haben festgestellt, dass in den ersten zwei Jahren nach einem solchen Besuch der wirtschaftliche Austausch zwischen China und dem Gastland sinkt. Das sind Sanktionen, die nur nicht so heißen.

Dass sich die Nationalstaaten bei Terrorismus zusammentun, ist sehr interessant. Das kennt man ja aus der Gruppenpsychologie, wo sich vermeintlich ähnliche Individuen zusammentun gegen das als gefährlich wahrgenommene Fremde.

Eigentlich sind die Steueroasen für die meisten anderen Staaten, die keine Steueroasen sind, also mehr Steuern fordern, negativ. Ihnen gehen Einnahmen verloren. Jedoch sind gerade diejenigen, die diese Steueroasen nutzen, Mitglieder der ökonomischen und politischen Elite aus jenen Ländern ist, die eigentlich geschädigt werden. Denken wir nur an den britischen Premier Cameron oder Islands jetzt ehemaligen Ministerpräsidenten Gunnlaugsson. Wie weit würden diese Eliten gehen? Würden sie ihre eigenen Interessen zurückstellen, um das Gemeinwohl zu fördern?


Redaktion Esther Göbel; Foto: Rico Grimm.