Welche Texte mir geholfen haben, die neuen Rechten zu verstehen
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Welche Texte mir geholfen haben, die neuen Rechten zu verstehen

Die Sympathie für Russland, was die DDR mit Pegida zu tun hat und wieso man auch mal in die USA schauen sollte – bei der Recherche zu den neuen Rechten habe ich aus diesen Texten viel gelernt.

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Politik- und Klimareporter

„Wollt ihr die Blutsnation?“ (Volker Weiß, Die Zeit)

Warum schauen so viele neue Rechte nach Russland? Warum hegen sie Sympathien für den russischen Präsidenten Wladimir Putin? Das sind spannende Fragen, die ich in meinem Text außen vor gelassen habe, weil er sonst noch einmal zehn Prozent länger geworden wäre. Antworten darauf lassen sich in dem Beitrag von Volker Weiß finden. Es wird klar, dass die Russlandliebe deutscher Konservative ein historisches Phänomen ist, das bis weit in das 19. Jahrhundert zurückreicht, als der Zar und Österreich-Ungarn die Schutzmächte derjenigen waren, die die Französische Revolution und ihre Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verteufelten. Das Putin’sche Russland ist auch heute ein Gegenmodell zum vermeintlich rationalistischen, globalisierungsversessenen Westen, der angeführt wird von den USA. Vom gleichen Autor stammt auch das lesenswerte Buch „Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten - Von Spengler bis Sarrazin“.


„Die Flüchtlinge werden zur Projektionsfläche der Krise“ (Alex Rühle, Süddeutsche Zeitung)

Es ist etwas mehr als ein Jahr her, seitdem Pegida die Stammtische und Schlagzeilen dieses Landes erobert hat. Ich erinnere mich noch, wie ich letzte Weihnachten in meiner Geburtsstadt Gera mit Freunden in einer Kneipe saß und wir stundenlang über diese Bewegung redeten. Wir waren beunruhigt, denn wir kannten diese Leute, kannten dieses Milieu, das da auf die Straße ging, und vermutlich konnten wir auf eine gewisse Art auch nachvollziehen, warum sie auf die Straße gingen - ohne Verständnis für ihre Parolen zu haben. Was aber niemanden am Tisch gelang, war in Worte zu fassen, was uns an diesen Demonstrationen so bekannt vorkam. Was trugen die Pegidisten auf die Straße, das uns so nahe war? Wir wussten, es musste was mit dem Mauerfall zu tun haben, mit dieser Wende, diesem krassen Einschnitt, den jeder von uns zu spüren bekam, obwohl sich keiner von uns an ihn erinnert. David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Magdeburg fast in diesem Interview unsere Ahnung in Worte. In sehr abstrakte, kühle Worte - zugegeben – aber äußerst treffende:

Die Debatte um Flüchtlinge, den Islam und den Kontrollverlust der Politik schlägt in der Wahrnehmung bestimmter ostdeutscher Milieus ungefiltert auf die Frage nach der Legitimität des politischen Systems durch. Die Politik wird als handlungsohnmächtig wahrgenommen. Diese Handlungsohnmacht wird von den Demonstranten in Dresden und anderswo mit der Agonie-Phase der DDR gleichgesetzt. Sie spüren, dass sich Politiker in Phrasen flüchten. Dass sie ihre eigene Ratlosigkeit in der Flüchtlingsdebatte weg reden.


„The Great Republican Revolt“ (David Frum, The Atlantic)

Was hat ein Text über Donald Trump und die republikanische Partei in den USA in dieser Liste zu suchen? Sie sollten ihn lesen, weil er mit bestechender Klarheit eine Konfliktlinie freilegt, die auch in Deutschland existiert: die ökonomische und kulturelle zwischen den (wirtschaftlichen) Eliten und dem Rest der Bevölkerung, vor allem in der Mittelschicht. Während es den einen immer besser zu gehen scheint, geht es den anderen immer schlechter. Das macht Teile der US-Mittelschicht so wütend, dass sie lieber Donald Trump unterstützen, der so wütend ist wie sie, als wieder einmal einen Kandidaten, der vom Establishment der Partei mit viel Geld lanciert wurde.


“neue rechte” (der rechte rand – magazine von und für antifaschistinnen)

Als ich den Tipp zu diesem Heft bekommen habe, war ich skeptisch: Wenn ein „Magazin von und für Antifaschistinnen“ über die neue Rechte schreibt, erwarte ich mit Meinung getränkte Artikel, politischen Pamphlete und rhetorische Spitzfindigkeiten. Was ich aber darin gefunden habe: Artikel, die in der Mehrheit sachlich und gut recherchiert waren.


„Die letzte Stunde der Wahrheit. Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss“ (Armin Nassehi, Murmann)

Aus diesem Buch habe ich ausführlich in meinem Text zitiert, einige Kerngedanken habe ich direkt von Nassehi übernommen. Es ist ein theoretisches Buch. Nassehi beschreibt mit den Worten eines Soziologen, was rechts und links heute noch bedeuten und dass sie tatsächlich noch etwas bedeuten. Diese Erkenntnis ist wichtig. Er geht aber noch weiter und seziert die Argumentationsstränge von rechts und links, sieht in ihnen Antworten, die vor allem der Komplexitätsreduktion in dieser unübersichtlichen Welt dienen und hält ihnen sein eigenes Modell der „verteilten Intelligenz“ entgegen. Am Ende wirft er en passant noch eine spannende Idee in den Raum, um die parlamentarische Demokratie zu reformieren. Er plädiert für eine dritte Kammer aus Experten, eine Art Lobbyisten-Parlament. Denn „wir wissen aus Forschungen über Gremienethik, dass in dem Moment, in dem Kritiker unterschiedlicher Couleur nicht mehr alleine sprechen und ihre Statements unabhängig voneinander formulieren, aus glühenden Moralisten mit unbedingten Standpunkten vernünftige Sprecher werden, die sich auf ihr sichtbares Gegenüber einstellen“.


„Im Heimat-Hochsitz“ (Lenz Jacobsen, Zeit Online)

Dieser Text ist eigentlich nichts Besonderes. Lenz Jacobsen trifft einen Mann, der regelmäßig bei Pegida mitläuft. Und doch ist der Text bemerkenswert, denn das Aufeinandertreffen von Journalisten und Pegida-Demonstranten verläuft sonst häufig konfrontativ – und kommt oft genug gar nicht zustande. Diesen Text aber kann man mit Gewinn lesen; ich bin dem Pegidisten nicht emotional, sonder rational näher gekommen. Der Text hat mir geholfen, sich in seine Position hineinzuversetzen. Mehr kann Journalismus nicht leisten. Zusätzlich empfehle ich Ihnen diesen Text vom gleichen Autor. Darin kommentiert er die Änderungen zur Parteienfinanzierung, die den Goldhandel der AfD unrentabel machen. Das Thema ist nicht so wichtig, sondern eher der Stil des Artikels. Jacobsen argumentiert ruhig, nah am Thema und ohne falsche Polemik, er zieht die AfD so in eine Diskussion hinein, die nicht mit Parolen geführt werden kann, sondern nur mit Argumenten. Er nimmt die AfD ernst, ohne sich mit ihr gemein zu machen. Wenn alle so argumentieren würden, hörten sich die Debatten in Deutschland anders an.


„Junge Freiheit“ (Zeitung) & „Sezession“ (Blog)

Diese Tipps sind offensichtlich, aber an dieser Stelle vielleicht nicht selbstverständlich. Um die neuen Rechten zu verstehen, hat es mir geholfen, ihre Medien zu lesen.


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