An Heiligabend veröffentlicht Jürgen Todenhöfer ein Bild von sich auf seiner Facebook-Seite. Man sieht ihn da, wie er einen Spieß in die Flanke eines riesigen, gebratenen Ochsens rammt und selig lächelt. Vier Kinder sind auch auf dem Bild, zwei Männer, es sind Flüchtlinge, die gerade in einer Münchner Unterkunft leben. Den Ochsen hat Todenhöfer mitgebracht, weil die meisten Flüchtlinge weit weg von der Heimat einsam sind. Zwei Minuten später kommentiert einer seiner Fans: „Schöne Weihnachten Herr Todenhöfer. Sie leben den Sinn von Weihnachten wirklich. Sie sind ein wunderbarer Mensch mit einem großen Herz“. 260 Menschen liken den Kommentar. Es folgen Posts zum Terrorfehlalarm in München, zur Kölner-Silvesternacht und dem Anschlag von Istanbul. Jeder Beitrag wird zehntausendfach geteilt und kommentiert.
Der Publizist Todenhöfer ist auf Facebook eine Macht, ein Ein-Personen-Massenmedium. Er nutzt die Plattform, um für die Politik zu werben, die er für richtig hält. Er schreibt zum Beispiel: „Es gibt kaum einen rechtsstaatlichen Wert, den einige Regierungen bei der ‘Bekämpfung des Terrors’ nicht zu opfern bereit sind.“ Außerdem: „Dass die NATO Russland genauso respektieren sollte, wie sie selbst respektiert werden will.“ Todenhöfer will „FRIEDEN! FRIEDEN! FRIEDEN!“ wie er im Zusammenhang mit Syrien schreibt. Er geißelt den „Mainstream“. Im jüngsten Beitrag, warnt, fordert, exklamiert er: „DEUTSCHLAND DARF NICHT NACH RECHTS KIPPEN.“
Todenhöfer gibt sich als Friedensstifter und lässt sich mit Flüchtlingen fotografieren. Seine Fans huldigen ihm mit vielen warmen Worten. Was die wenigsten wissen: Früher hat er Ansichten geäußert, die fast das genaue Gegenteil sind.
„Der Bürger will wissen, wo es lang geht. Ich sage, wo es lang geht.“
Denn Todenhöfer war einmal ein Kommunistenfresser, der immer wieder vor der sowjetischen Gefahr warnte. Ein überzeugter Kalter Krieger, der glaubte, dass nukleare Abschreckung funktioniert und nötig sei und sich deswegen über die Friedensbewegung lustig machte. Außerdem Vorstand des Burda-Verlags (Focus, Bunte).
Erst 2003 begann Todenhöfer die Bücher zu schreiben, die ihn bekannt machen und ihm die kultische Anhängerschaft verschaffen sollten. Titel wie „Wer weint schon um Abdul und Tanaya?“ oder „Warum tötest du, Zaid?“. Aber 1989 schrieb er ein anderes Buch, eines, das er nach knapp 20 Jahren im politischen Geschäft veröffentlichte und deswegen nicht als das Werk eines unbedarften Politikneulings gelten darf. „Ich denke deutsch – Eine Abrechnung mit dem Zeitgeist“ sollte „Orientierung geben, Wegweiser aufstellen“, wie es darin heißt. Denn „der Bürger will wissen, wo es lang geht. Ich sage, wo es lang geht.“ Todenhöfer formuliert darin so direkt, so plakativ und klar, dass das Buch keinen Spielraum für Interpretationen zulässt.
Er schreibt über die Flüchtlinge, die auch schon Ende der 1980er Jahre nach Deutschland kamen:
„Das Recht auf politisches Asyl ist unverbrüchlich. Aber zwischen politischen Asyl und dem Recht deutscher Umsiedler auf der einen Seite und dem Zustrom von Scheinasylanten auf der anderen muß prinzipiell und haargenau unterschieden werden.“
Er sagt, dass die Mehrheit der Flüchtlinge damals Wirtschaftsflüchtlinge gewesen seien:
„1988 waren es über 100.000 Asylbewerber. Davon wurden nur 9 Prozent als wirklich Verfolgte anerkannt – eine Zahl, die mehr als alles andere demonstriert, was auch in unser Land strömt: in erster Linie Schein- und Wirtschafts-Asylanten, die die Gunst der Stunde erkannt haben […] was aus der Sicht des einzelnen Wirtschaftsasylanten zwar verständlich, aber für ein Land nicht akzeptabel ist, das bis unter den Dachfirst überfüllt ist.“
Deswegen plädiert er für eine Obergrenze:
„Asylrecht kann nicht ohne Rücksicht auf die Zahl von Asylanten gewährt werden.“
1989 erstarkten in Deutschland gerade die rechtspopulistischen Republikaner. Viel wurde über ihren Aufstieg diskutiert. Todenhöfer befindet:
„Seit geraumer Weile wird dem Bürger über zahllose Medien-Megaphone eingetrichtert, die Bundesrepublik treibe nach rechtsaußen.“
Drei Jahre später setzt ein Mob ein Haus für vietnamesische Arbeiter in Rostock-Lichtenhagen in Brand. In Solingen und Mölln sterben insgesamt acht Menschen nach Brandanschlägen.
Gegen Abrüstung, Friedensbewegung und für den gezielten Todesschuss bei Terroristen
Viele Seiten widmet Jürgen Todenhöfer, der in den 1980er Jahren abrüstungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion war, der Außen- und Sicherheitspolitik. Die deutsche Begeisterung für Gorbatschows Entspannungspolitik konnte er nicht nachvollziehen. Die „Glasnost-Euphorie“ könne zu einer Gefahr für die Sicherheit Deutschlands werden, weil sie den Blick darauf verstelle, dass die Sowjetunion militärisch noch immer 3:1 überlegen sei. 1987 hatten sich die USA und die SU in einem Vertrag dazu verpflichtet, keine neuen Atomraketen mittlerer Reichweite zu stationieren und die bestehenden Raketen, die auch in Deutschland stationiert waren, zu vernichten. Die Verabredung ging als „doppelte Null-Lösung“ in die Geschichte ein. Todenhöfer bedauerte den Vertrag:
„Zur Zeit können von der SU aus 12.000 Atomgefechtsköpfe unser Land erreichen, während nach der Null-Lösung und der Beseitigung der rund 200 Pershing-II und landgestützten Marschflugkörper aus unserem Land kein einziger Atomgefechtskopf mehr von unserem Gebiet aus die SU erreichen kann.“
Da er einsah, dass es wenig Sinn machte, weiter gegen die Null-Lösung anzurennen, forderte er die westlichen Militärmächte auf:
„Die Nato muss die nach der doppelten Null-Lösung verbliebenen Nuklear-Waffen modernisieren.“
Auf seiner Homepage hebt Todenhöfer übrigens hervor, dass er „1982 auf eine zügige Reduzierung der sowjetischen und amerikanischen Interkontinentalraketen um 50 Prozent“ gedrungen habe. Dass er sich gegen einen Abrüstungsvertrag stark machte, erwähnt er da nicht.
Bei der Diskussion über „das Problem des Friedens und der Friedenssicherung“ sei eine Erfahrung ins Gedächtnis zu rufen:
„Die Geschichte hat bewiesen, dass Völker, die wie Deutschen zur Zeit sowohl ihren Sicherheitsinstinkt wie auch ihren Willen zur Selbstverteidigung verlieren, nicht die geringste Chance haben, historisch zu bestehen. Sie sind gnadenlos dem Untergang, der Geschichts- und Gesichtslosigkeit ausgeliefert.“
Er warnt vor der Friedensbewegung und ihren einfachen Wahrheiten:
„Der hinreißend schlau klingende Spruch ‘Stell dir vor, es gibt Krieg und keiner geht hin’, hat – leider Gottes – nur kabarettistischen Slapstickwert. Sonst taugt er zu nichts. Wege zu Frieden und Sicherheit sind nicht mit Slogans gepflastert.“
An einer Stelle klingt es so, als würde der Jürgen Todenhöfer von 1989 den Facebook-Todenhöfer von 2016 beschreiben:
„Pazifistisches Vokabular hat es vergleichsweise leicht, in der öffentlichen Meinung anzukommen. Es verfängt ob seiner Friedfertigkeit automatisch und stößt in weiten Kreisen auf oft uneingeschränkte Gegenliebe.“
Man könnte noch ewig ähnliche Textstellen zitieren, die klar machen, dass dieser „wunderbare Mensch“ mit dem großen Herzen früher einmal ein anderer war. Ein letzter Spruch macht besonders deutlich, wie sich Todenhöfer gewandelt hat. In einem Porträt von 1979 beschreibt er dem Spiegel, wie man seiner Meinung nach mit Terroristen umgehen sollte:
„1. Jagdkommandos, 2. gezielter Todesschuß, 3. Abschaffung der Zwangsernährung von Terroristen.“