„Wenn man nur mit dem Finger auf uns zeigt, sind wir Polen irgendwann sauer“
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Interview: „Wenn man nur mit dem Finger auf uns zeigt, sind wir Polen irgendwann sauer“

Anfang November war Marek Fis noch der Meinung: So schlimm wird es schon nicht kommen. Gebt der neuen polnischen Regierung etwas Zeit. Drei Monate später ist es doch ziemlich schlimm gekommen. Also haben wir uns noch einmal mit dem deutsch-polnischen Komiker verabredet, um zu fragen: Wie geht es der Demokratie in Polen?

Profilbild von Ein Interview von Sebastian Esser

Herr Fis, als wir Anfang November zum ersten Mal über die Regierung in Polen sprachen, haben Sie geraten, ihr ein bisschen Zeit zu geben. Wie ist ihr Eindruck nach drei Monaten?

Ich bin nicht wirklich überrascht. Die Polen wussten ja, wofür die PiS-Partei und ihr Chef Jarosław Kaczyński stehen. Dass es einen radikalen Bruch in der Regierungspolitik geben wird, war auch klar. Es ist ein autoritärer Regierungsstil eingezogen.

Die Umfragewerte der PiS-Regierung sind inzwischen stark eingebrochen, es gibt Massendemonstrationen gegen die Regierung. Waren die Polen nicht doch überrascht von den Maßnahmen der neuen Regierung?

Die PiS hat bei den Wahlen keine absolute Mehrheit der Wählerstimmen bekommen (37 Prozent), und auch die Wahlbeteiligung war sehr gering. Die Basis der PiS ist kleiner, als es ihre absolute Mehrheit im Parlament erscheinen lässt. Die Opposition ist im Parlament fast nicht vertreten – aber auf der Straße ist sie es. Das Land ist also gespalten. Allerdings: Von den Reaktionen der Europäer fühlen sich alle Polen angegriffen, nicht nur die Kaczyński-Wähler. Sie werden nun zusammenrücken, denn die polnische Stellung in Europa ist allen wichtig. Das ist der wechselvollen und oft tragischen Geschichte geschuldet. Die Polen wehren sich gegen jegliche Form von Unterdrückung oder Bevormundung.

Der ehemalige deutsche Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, hat gesagt, in Polen drohe eine gelenkte Demokratie wie in Putins Russland. Wie wirkt so eine Aussage in der polnischen Öffentlichkeit?

Erstmal ist es ein merkwürdiger Vergleich, weil die PiS eine dezidierte Anti-Putin-Haltung einnimmt. Ich glaube auch nicht, dass man so eine sachliche Debatte fördert, während man den Polen gleichzeitig Unsachlichkeit vorwirft. Herr Schulz sollte eher versuchen, die Wogen zu glätten. Solche drastischen Verhältnisse wie in Russland gibt es in Polen auf keinen Fall. Das ist komplett überzogen.

Wie sollten sich die Europäer dabei verhalten? Wenn Begriffe wie “Putinisierung” nicht gerade hilfreich sind, wie kann man denn eine abweichende Meinung so äußern, ohne dass das in Polen zu einer Trotzreaktion führt?

Ich würde nicht empfehlen zu kuschen. Wir müssen nur schauen, dass die Debatte nicht zu sehr hochkocht. Wenn man nur mit dem Finger auf uns zeigt, sind wir Polen irgendwann sauer.

Schon in unserem ersten Gespräch ging es ja darum, dass sich Polen traditionell als Einzelkämpfer-Nation sieht, die in der Geschichte immer allein dastand. Von den europäischen Reaktionen abgesehen: Wie sehen das denn die Leute innerhalb Polens, die ja zurzeit in Massen protestieren?

In Polen hat es Tradition, gegen Ungerechtigkeit auf die Straße zu gehen. Das ist ein bewährtes Mittel der nationalen Politik. Wenn den Polen was nicht passt, dann wird das klar und deutlich gesagt. Aber das Tempo der Veränderungen hat auch mich tatsächlich überrascht. Es ist in den letzten Monaten durch die Flüchtlingskrise eine neue Grenze zwischen den Menschen entstanden, und zwar in ganz Europa. Das finde ich bedenklich. Wir müssen auch sehen, dass unsere beiden Länder einen völlig unterschiedlichen Kurs in der Flüchtlingskrise einschlagen.

Tatsächlich sind die Entscheidungen der Regierung drastisch. Das Verfassungsgericht ist faktisch blockiert, die Politisierung der Staatsanwaltschaften in vollem Gang.

Es wird von der EU-Kommission zu prüfen sein, ob das legal ist oder nicht. Wenn nicht, muss es Konsequenzen haben. Ich tue mich nur schwer damit, wenn der Fokus auf Polen liegt, während es gegen Ungarn keine Sanktionen gab. Klar ist auch, dass ein Land innenpolitisch seine Entscheidungen selbst treffen sollte, ohne Störfeuer von außen. Allerdings befinden wir uns in der europäischen Gemeinschaft, und da sind Alleingänge natürlich kontraproduktiv für den gemeinsamen Frieden.

Die neue Regierung hat auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter politische Aufsicht gestellt. Der Intendant des Fernsehsenders TVP ist nun ein aktiver Politiker; vier Direktoren des Senders des haben ihren Rücktritt eingereicht, Reporter ohne Grenzen (ROG) und mehrere Medienverbände haben den Umbau in einer gemeinsamen Erklärung kritisiert. Wie ungewöhnlich ist denn dieser Wandel?

Auch zuvor war die Sender sehr regierungskonform, auch wenn die Medien nicht so rabiat beeinflusst wurden wie im Moment. Nun bringt eben die neue Regierung ihre Leute unter. Die internationale Aufmerksamkeit ist allerdings viel höher.

Der bekannte TV-Journalist Tomasz Lis hat die PiS-Regierung mit der ungarischen Regierung verglichen und daraufhin seine bekannte politische Talkshow Tomasz Lis na zywo (“Tomasz Lis live”) beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen verloren. Was wäre eine vergleichbare Sendung in Deutschland?

Es wäre so ähnlich, als ob Günther Jauch oder Anne Will ihre Sendung verlieren würden. Allerdings gab es auch schon vorher Konflikte zwischen ihm und dem Sender. Er wird auf einem neuen Sendeplatz zurückkommen.

Ein ähnlicher Fall: Die Moderatorin Karolina Lewicka hat einen Regierungspolitiker kritisch befragt, was dem nicht passte. Daraufhin wurde sie vorübergehend suspendiert. War so etwas auch schon vorher normal in Polen oder sind das schon neue Verhältnisse?

Es ist eine neue Dimension. Lis zum Beispiel hatte mit seiner journalistischen Arbeit mehrere Regierungen überlebt. Trotzdem hatten viele Polen das Gefühl, dass die Medien in der vorherigen Regierung zu systemkonform berichtet haben. Das gilt auch für die privaten Sender.

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Die PiS macht also das, was frühere Regierungen auch gemacht haben, nur rücksichtsloser?

Die ziehen ihren Kurs knallhart durch, ohne Rücksicht auf Verluste. Es geht viel autoritärer zu als bei früheren Regierungswechseln. Viele, die auf die Straße gehen, befürchten, dass die Trennung von Staat und Kirche kein Thema mehr ist.

Die neue Ministerpräsidentin Beata Szydło hat erstmal die europäische Fahne hinter sich wegräumen lassen. Es geht also um Symbolpolitik. Was will diese Regierung den Polen und den Europäern damit sagen?

Sie wollen ein möglichst starkes Polen in Europa und nicht mehr “auf Knien rutschen”, wie es die Ministerpräsidentin ausdrückt.

Wörtlich hat Szydło gesagt: „Ich werde unsere Außenpolitik nicht auf Knien betreiben. Diese Zeit ist vorbei.“ Hat Polen denn bisher Außenpolitik auf Knien betrieben?

Das sehe ich nicht so. Dieser Eindruck ist aber möglicherweise eine Folge der Flüchtlingsdebatte. Allerdings wirft man dem ehemaligen Ministerpräsidenten Tusk vor, ein Erfüllungsgehilfe Brüssels zu sein. Die Polen wollen keinen Zuzug von Muslimen. Das gilt auch zu einem Großteil für die Opposition. Auch deswegen hat die PiS die Wahlen gewonnen. Nun haben wir einen autoritären, nationalen Stil.

Wie sehen die Machtverhältnisse in der PiS nach den ersten Erfahrungen Ihrer Meinung nach aus? Wir hatten vor drei Monaten gesagt: Kaczyński ist relativ alt und wird wohl kein offizielles Amt mehr anstreben. Szydło und Duda sind durch große Mehrheiten legitimiert. Trotzdem ergibt sich aus den deutschen Medien der Eindruck, dass Kaczyński klar die Fäden in der Hand hat. Er trifft sich mit Orbán in seinem Privathaus, wo ihn auch der Staatspräsident des Nachts in der Staatskarosse besuchen fährt.

Natürlich zieht Kaczyński die Fäden und sagt, wie es zu laufen hat. Er hat nur kein offizielles Amt, aber er mischt sich ein und meldet sich zu Wort. Szydło und Duda sind nur diejenigen, die Kaczyńskis Politik nach außen verkaufen. Sie polarisieren nicht so stark wie er und geben der Partei ein jüngeres Gesicht. Letztendlich würde ich das aber nicht zu sehr auf die Personen beziehen. Wir müssen uns mit den Inhalten und dem Kurs auseinandersetzen.

Gibt es denn Anzeichen, dass die beiden sich zu emanzipieren beginnen?

Nein, die sind voll auf Linie. Da passt kein Blatt Papier zwischen sie und Kaczyński. Jeder braucht den anderen, um nach außen und innen Stärke zu demonstrieren.

Wie kann ein anerkannter Jurist wie Präsident Duda solche halbseidenen politischen Manöver mittragen und das Verfassungsgericht aushebeln?

Duda ist Kaczyńskis Ziehsohn. Er wird Kaczyński nie fallen lassen. Er hat ihm alles zu verdanken. Außerdem ist er ein strammer Konservativer.

Eine Frage von Krautreporter-Mitglied Dieter Schild zum Thema Flüchtlinge: “Ich verstehe alle Beweggründe und Bedenken, aber auch anti-islamische Polen müssen diese Not sehen, die auch sie einmal erlebten. Ich kenne Polen in Deutschland, die anders denken. Werdet nicht in Europa das, was in Deutschland die Bayern sind: unbeliebt, eigenbrötlerisch, unsozial, arrogant. Wo ist die Solidarność hin, und wo der katholische barmherzige Glaube?”

Ich finde das sehr anmaßend, was Sie den Bayern unterstellen. Bei meinen Aufenthalten dort habe ich sehr herzliche und geradlinige Menschen kennen gelernt. Der Barmherzigkeitsgedanke und der Solidaritätsgedanke sind in jedem Polen. Der Anti-Islam-Kurs wird sich aber trotzdem nicht ändern. Die Solidarność gibt es zwar noch, aber sie spielt keine Rolle mehr. Die Zeiten waren einfach andere.

Sind die Leute auf der Straße Erben der Solidarność-Bewegung unter einem anderen Namen?

Solidarność war etwas Einzigartiges und Einmaliges. Die Polen haben damals für ihre Freiheit gekämpft und den Fall des Ostblocks. Damals haben auch die Kirche und der Papst eine große Rolle gespielt und sich mit den Menschen auf der Straße gegen die verhassten Kommunisten verbündet. Jetzt kämpfen viele Menschen für neue Werte… Der Geist von Solidarność schwingt auf jeden Fall mit.

Kann jemand wie Lech Wałęsa dabei irgendeine Rolle spielen?

Wałęsa hatte seine Zeit, und die kommt nicht mehr wieder. Ich schätze ihn über alles, aber in der Bevölkerung hat er keine breite Zustimmung mehr. Als prägende Figur der Zeitgeschichte ist seine Meinung trotzdem immer wieder gefragt. Ich denke mittlerweile, er genießt im Ausland mehr Anerkennung als in der Heimat.

Christian Schäfer fragt: “2002 stellte mir ein italienischer Arbeitskollege die Frage ‘Was habt ihr Deutschen bloß alle gegen Berlusconi?’ Würde mir ein polnischer Arbeitskollege heute eine ähnliche Frage stellen? Mit anderen Worten: Ist das vielleicht doch Volkes Wille, der gerade in Polen vollzogen wird? Oder sind auch die Wähler der Regierung jetzt überrumpelt?”

Auch in Italien gab es nicht von allen Menschen Zustimmung zu Berlusconi. Diese demokratische Wahl müssen wir nun erstmal akzeptieren. In vier Jahren werden wir sehen, ob das Volk das immer noch möchte.


Danke für Fragen und Anregungen an die Krautreporter-Mitglieder Klaus Bernhard, Dieter Schild und Christian Schäfer. Foto: Nadine Dilly