Plötzlich schießt ein maltesischer Jäger einem niederländischen Teenager ins Bein, die lokalen Zeitungen sind voll von dem Vorfall. Axel Hirschfeld vom Bonner Komitee gegen Vogelmord sitzt in einem Restaurant an Maltas Küste, schaut auf seine Mitstreiter am Tisch und dann hinaus aufs Meer: „Wenn jetzt noch irgendwas passiert und die Jäger sich vor lauter Frust gehen lassen - dann haben wir gewonnen.“
Die Vogelschutzrichtlinie der EU verbietet den Abschuss von Zugvögeln, wenn sie in ihre Brutgebiete ziehen. Weil die Jagd in der maltesischen Kultur eine große Rolle spielt, hat die Regierung hier jedoch eine Ausnahmegenehmigung erwirkt: Wachteln und Turteltauben dürfen im Frühjahr legal geschossen werden. Das erzürnt Tierschützer und frustriert zunehmend auch die Einheimischen.
Im Frühjahr werden die Malteser nicht von Vogelgezwitscher, sondern von Schrotsalven geweckt. Die Jäger ballern nicht nur auf Wachteln und Turteltauben, sondern auch auf Störche, Pelikane, Falken und Rohrweihen, im Grunde alles, was ihnen vor die Flinte fliegt, darunter zahlreiche Arten, deren Bestand gefährdet ist und die deshalb in der EU geschützt sind. Hunderttausende Vögel werden jedes Jahr abgeschossen - aus Tradition, um daraus Trophäen zu basteln oder sie an Restaurants als Delikatesse zu verkaufen.
Die Operation Malta beginnt
Die Aktivisten sind kaum auf der Insel gelandet, da wollen sie auch schon los. Acht Männer und Frauen, darunter Ornithologen, Tierliebhaber oder einfach Leute, die sich für etwas einsetzen wollen. Eine Woche bleiben sie auf der Insel, um sich den Jägern in den Weg zu stellen, um sie dabei zu filmen, wie sie geschützte Vögel abknallen, illegal Fallen oder elektronische Lockvögel aufstellen. Sie wollen, dass die aktuelle Jagdsaison geschlossen wird, und dass die Regierung langfristig die Frühlingsjagd verbietet. Dafür brauchen sie Beweise, die sie den Behörden zuspielen können. Jetzt gehen sie auf die Jagd nach diesen Beweisen.
In Wanderschuhen und Cargo-Hosen stehen sie in der Hotel-Lobby. Axel Hirschfeld, der das Frühjahrs-Camp des Komitees leitet, teilt sie in Teams auf. Jeweils zwei Vogelschützer fahren zusammen raus, morgens vor der Dämmerung und am Nachmittag, bis die Sonne untergeht. Diana Gevers, eine große Frau mit roter Rockabilly-Tolle und bunt tätowierten Armen, will sich nicht mal kurz hinsetzen. „Ich bin nicht hier, um Urlaub zu machen“, sagt sie, „ich will böse Buben stellen.“ Axel Hirschfeld ruft in die Runde: „Dann helfen wir den Vögeln mal, sicher wieder diese Insel zu verlassen!“ Er klatscht in die Hände. Die Operation Malta hat offiziell begonnen.
Diana Gevers schnappt sich Autoschlüssel, Fernglas und Kamera und treibt ihren Partner ins Auto. Die 40-jährige Berlinerin drückt das Gaspedal durch. Sie manövriert den Wagen durch die karge Landschaft. Am Flughafen parkt Diana Gevers den Wagen, setzt sich auf eine Mauer und observiert das Flugfeld, über das im Abendlicht ein paar Greifvögel kreisen und einen Schlafplatz suchen. Sie wird ganz ruhig. „Wunderschön“, flüstert sie, während sie den beiden bei ihrem Gleitflug zuschaut. „Wie kann man so etwas Schönes einfach abknallen?“
Bereits am ersten Tag der Jagdsaison schießt ein Jäger einen Kuckuck ab, weil er ihn mit einer Turteltaube verwechselt, und Maltas Ministerpräsident Joseph Muscat mahnt: Bei weiteren Verstößen werde er die Jagdsaison schließen. Während wenige Tage später ein paar Männer in Camouflage morgens auf der Lauer liegen und den leeren Himmel mit dem Fernglas absuchen, liegen zwei von Axel Hirschfelds Leuten auf der Lauer und richten ihr Fernglas auf die Jäger.
Es ist so früh, dass noch nicht einmal die Hähne krähen, und so kalt, dass Bettina Volpe, eine 54 Jahre alte Tierärztin, den staubigen Weg über dem Tal abläuft, hin und her, um sich aufzuwärmen. „Mir ist langweilig. Jetzt könnte endlich etwas passieren“, sagt sie, wischt sich die dunklen Haare aus dem Gesicht und gähnt.
Ihr Partner lässt den Zeigefinger über die karge Landschaft wandern und murmelt leise vor sich hin: „Schießhütte, Schießhütte, Schießhütte … Wahnsinn, das sind so viele, die kann man gar nicht zählen.“
Malta ist eine Insel aus Stein mit Häusern aus Stein, umgeben von mannshohen Mauern aus Stein, so dass man keinen Blick erhaschen kann auf das, was sich dahinter verbirgt. Es ist das dichtest besiedelte Land der EU. Das bisschen Natur, das übrig ist, haben die Jäger untereinander aufgeteilt. Rund 12.000 Jäger gibt es auf der Insel, und laut Regierungsangaben 96.000 registrierte Schusswaffen. Dabei ist Malta kaum größer als Bremen. 420.000 Menschen leben dort. Malta hat die höchste Jäger- und Waffendichte in Europa.
Eng an eng stehen kleine Türme in der baumlosen Landschaft, aus denen Gewehrläufe herausragen wie in einem Kriegsfilm. Die Jäger haben sie aus Felsbrocken zusammengetragen und mit weißen Lettern versehen. „Private Property – Do not enter“. Die Türme sehen aus wie windschiefe Mini-Festungen.
Ein neuer Schlachtplan
Seit 16 Jahren fliegen die Aktivisten vom Vogelschutz-Komitee nach Malta. Die Jäger haben sie beschimpft, bedroht, ihre Autos demoliert und einem Vogelschützer eine Schrotladung ins Gesicht gefeuert. Manches davon können sie mit Videos belegen. Trotzdem kommen die Deutschen immer wieder. Axel Hirschfeld, weil er die Artenvielfalt erhalten will, Bettina Volpe, weil sie Tiere liebt und alle hasst, die ihnen etwas zu leide tun. Angler beispielsweise sind für sie „Fischmörder.“
Diana Gevers sieht das ähnlich. Als sie den Schlachtplan für den kommenden Tag bespricht, tippt sie auf eine Landkarte und sagt: „Da sitzt ein Killer, da sitzt ein Killer, da sitzt ein Killer.“ Bei jedem Mann in Tarnbekleidung, der ihr ins Gesicht starrt, senkt sie vorsichtshalber den Blick. Sie wurde in den vergangenen Jahren angeschossen und mit geladener Waffe verscheucht. Einmal hatte ein Jäger ein Brett mit rostigen Nägeln für sie präpariert. „Die nehmen ihr Hobby wirklich bluternst.“
So ernst, dass mal eine Storchenfamilie von Polizisten über die Insel eskortiert werden musste. Und als Greifvögel in einem Baum übernachteten, Polizisten und Vogelschützer darunter campierten, um sie zu beschützen.
Jäger nennen sie „Ökoterroristen“
Viele Jäger auf der Insel fühlen sich missverstanden von den Anschuldigungen der Naturschützer und nennen sie „Ökoterroristen“. Als ein paar von Hirschfelds Leuten an einem Nachmittag Patrouille laufen, huscht der 67-Jährige Victor Chircop an ihnen vorbei auf sein Grundstück. Dort stehen Körbe voller Saubohnen, Rosen ranken, ein Hund trinkt Wasser aus einem Teich - inmitten dieser unerwarteten Schönheit wirkt der kleine alte Mann wie der Regent eines verzauberten Reiches. Seinen Schießstand hat der Jäger in den Garten gebaut, wo man ihn nicht beobachten kann. „Diese Umweltschützer behandeln uns wie Verbrecher“, sagt er. Seine Frau wischt sich die Hände an der Kittelschürze ab und schüttelt den Kopf.
„Er redet von nichts anderem. Von morgens bis abends nur über die Jagd.“
„Ich habe dir bei der Hochzeit gesagt, du bekommst mich als Jäger oder gar nicht. Es gibt nichts, das ich so sehr liebe wie die Jagd.“
Wenn Victor Chircop über die Jagd spricht, sieht er aus wie der glücklichste Mensch auf der Welt. Wenn er von dem drohenden Verbot erzählt, wirkt er wie der traurigste. Die Beweise für Wilderei, die die Aktivisten im Laufe der Jahre präsentierten, haben die Kritik im eigenen Land verstärkt.
Als die Malteser am 11. April 2015 bei einem Referendum über die Zukunft der Frühlingsjagd abstimmten, gewannen die Befürworter mit einem Vorsprung von gut 2.000 Stimmen. Das mag nicht so klingen, ist aber knapp. So knapp, dass klar ist: Die Jäger dürfen sich nichts zu Schulden kommen lassen. „Wenn man mir das wegnimmt, kann ich mich ins Meer stürzen“, sagt Victor Chircop. Sein Großvater war Jäger und sein Vater auch.
Plötzlich fallen die Vögel vom Himmel
Axel Hirschfeld lacht, wenn er diese Argumente hört. „Also wenn wir so anfangen: Es gibt da ein paar Dinge, die mein Großvater getan hat, die ich ihm auch nicht nachtue.“ Plötzlich tauchen scharenweise Turteltauben auf, und ein Feuerwerk von Schüssen rund um den Tierschützer explodiert. Über seinem Kopf plumpsen die Vögel vom Himmel wie reife Früchte.
Es sei bislang die ruhigste Jagdsaison seit dem Bestehen der Camps auf Malta, sagt Axel Hirschfeld am letzten Abend, der Verein werde die Jäger offiziell loben müssen. „In Zukunft werden wir sie beim Falschparken notieren, weil es sonst nichts mehr zu tun gibt“, scherzt einer und die Gruppe lacht. Als Einige am kommenden Tag hinauf in den einzigen Wald der Insel laufen, rechnet niemand mehr damit, dass noch irgendetwas passiert. Leere Kunststoff-Patronenhülsen auf dem Boden weisen den Tierschützern den Weg. „Oh nein“, ruft Bettina Volpe plötzlich. Unter einem Stein hat sie einen frisch geschossenen Kuckuck gefunden. Da fallen Schüsse.
Es ist 14 Uhr an diesem Samstag - das Schießen ist seit zwei Stunden nicht mehr erlaubt. Die Vogelschützer schauen sich kurz an, dann rennen sie los. Den staubigen Weg über dem Tal entlang. Sie verstecken sich hinter Bäumen und Büschen, suchen mit ihren Ferngläsern und Kameras die Landschaft ab nach dem Schützen, dann rennen sie weiter, bis der erste völlig außer Atem schreit: „Ich habe ihn.“ In der Ferne verschwimmt der Jäger in seinem Camouflage fast mit der Landschaft. Die Aktivisten rufen die Polizei.
Ein kleiner Sieg. Zum großen Sieg, zum Schließen der Saison, hat es nicht gereicht. Einen Tag später knallt ein Jäger einen Turmfalken ab – über einem Schulhof. Bleikugeln prasseln auf die Köpfe der Kinder, der blutende Vogel fällt zwischen ihnen auf die Steine. Premier Joseph Muscat schließt die Jagdsaison. Das verkündet er auf Twitter. „Für den Falken ist das natürlich nicht so schön„, sagt Axel Hirschfeld, “aber er ist für etwas Großes gestorben.“
Aufmacherbild: Marion Schulz