„Bin ich falsch – oder die anderen?“
Christian, 27 Jahre, Student der Gesellschaft- und Wirtschaftskommunikation
Ich habe irgendwann einen Artikel in der ZEIT gelesen über ein deutsches Unternehmen, das eine Software entwickelt hat, um eine Laptop-Kamera aus der Ferne zu aktivieren, ohne dass das rote Lämpchen leuchtet. Es ist ja eigentlich idiotisch, dass man auf so ein rotes Lichtlein achtet – aber da habe ich begonnen, meine Laptop-Kamera abzukleben. Ich finde das komisch, ich will nicht beobachtet werden, wenn ich surfe, arbeite oder gähne.
Wenn ich mit meinem Laptop in der Uni saß, kamen dann am Anfang von Kommilitonen Sprüche wie „Fühlst du dich so wichtig?“ oder „Hast du was zu verheimlichen?“ Das Ganze hatte für sie einen dubiosen Touch. Ich hatte Sorge, dass jemand sagt: Läufst du die ganze Zeit nackt herum oder warum machst du das?
Mittlerweile ist es salonfähig geworden, Common Sense. Wenn die Leute meine abgeklebte Kamera sehen, ist mir das überhaupt nicht unangenehm, denn es zeigt meine Aufgeklärtheit und Sensibilität gegenüber dem Thema Datenschutz. Wer das komisch findet, der denkt zu oberflächlich. Heute habe ich eher die Auffassung, man muss zu den Dingen stehen, die man für richtig hält – und sie vehement verteidigen.
Klar, eigentlich ist es ein Witz: Man kann mich trotzdem immer noch über mein Laptop-Mikrofon abhören, vielleicht hört Apple grad dieses Interview mit, wenn es ihnen Spaß macht. Ich versuche zumindest, das Maß der Überwachungsmöglichkeiten zu reduzieren. In manchen Diskussionen habe ich den Eindruck, dass ich als Sonderling dastehe, der an Spionage und solchen Scheiß glaubt, ein kleiner Spinner, der zu viel Star Trek geguckt hat und sich jetzt überwacht fühlt. Das ist ein komisches Gefühl, diese Frage: Bin ich falsch - oder die anderen?
„Dadurch entstehen oft spannende Gespräche.“
Franceska, 27 Jahre, Publizistikstudentin
Ich habe vor etwa einem Jahr einen Artikel aus Amerika gelesen, in dem über Sicherheitslücken bei den Kameras von alten Mac-Modellen berichtet wurde. Ich habe zwar einen neuen Mac-Air, aber das hat mich trotzdem nachdenklich gemacht. Ich tue ja alles vor dem Computer; höre Musik, wenn ich dusche; gucke eine Serie, wenn ich auf der Toilette sitze; beim Kochen steht er neben mir in der Küche.
Ich denke ja eigentlich auch, dass es keinen Menschen interessieren würde, aber andererseits gibt es doch auch jede Menge schräge Typen.
Um mich herum an der Uni kleben mittlerweile so viele Leute ihre Laptop-Kameras ab. Die Firmen bieten ja zunehmend richtig professionelle Aufkleber an. Ich habe noch so einen uralten hässlichen, der sieht schon richtig eklig aus. Müsste ich mal auswechseln.
Ich gebe zu, es ist ein bisschen schizophren. Beim Handy zum Beispiel klebe ich die Kamera nicht ab. Aber das schaut mich auch nicht so an wie mein Computer, wenn ich chillig auf dem Sofa sitze und vielleicht wenig anhabe. Wenn ich so darüber rede, finde ich es schon selber fast ein wenig schräg, dass ich das mache.
Aber es ist halt für mich das bisschen, was ich noch kontrollieren kann, wo ich noch Macht habe, was ich verschließen kann. Es gab ja Fälle, in denen Kameras gehackt wurden, diese Paranoia kommt ja nicht von nichts.
Ich werde niemals ausgelacht, wenn jemand sieht, dass meine Kamera abgeklebt ist. Ich würde nie auf die Idee kommen, den Aufkleber zu entfernen, weil ich nicht will, dass mich jemand für schizophren hält. Im Gegenteil: Ich lasse ihn dran, weil dadurch oft spannende Gespräche entstehen.
„Es ist, als ob ich den Vorhang zuziehe.“
Gisela, 63 Jahre, Rentnerin
Mein Sohn hat mir gesagt, dass man nicht sicher sein kann, ob die Kamera am Computer aus ist. Da begann ich, ein komisches Gefühl zu haben, immer, wenn ich meinen PC einschaltete, und dann blinkte die grüne Leuchte an der Kamera auf. Das war wie ein Auge, das mich anstarrte. Da habe ich die Kamera immer von mir weggedreht. Vor etwa einem Jahr hat mein Sohn mir ein Tablet geschenkt, ich habe Skype und WhatsApp und Facebook. Beim Tablet kann ich die Kamera nicht wegdrehen, also habe ich sie mit braunem Tesafilm abgeklebt.
Ich hab keine Ahnung von diesen Dingen, aber ich gucke manchmal „Brisant“ oder „Wiso“, und da haben die über sowas schon berichtet. Dass es Hacker gibt, die alle möglichen Sachen herausfinden können.
Ich habe auch schon mal darüber nachgedacht, das Mikrofon abzukleben, das ist mir halt nicht so bewusst, weil da keine Lampe dran ist, die plötzlich angeht.
Doch manchmal, wenn ich aus Versehen bei meinem Tablet auf das Symbol für den Sprachmodus klicke, und dann nimmt der plötzlich auf, dann wird mir klar, wie schnell das gehen würde. Aber das sind ja nur ein paar Worte. Wenn ich allein zu Hause bin, spreche ich ja nichts, außer mal ein Selbstgespräch, oder ich rede mit dem Hund. Keine Ahnung, was diese Hacker mit den Informationen machen würden. Ich bin ja auch nur ein stinknormaler Bürger, aber man rennt ja auch mal nur im Schlüpper rum.
Ich verstehe das ja auch nicht bei den jungen Leuten, dass die keine Gardinen mehr an den Fenstern haben, dass man da alles sieht. Ich ziehe abends die Vorhänge zu, weil ich nicht will, dass ein Fremder Einblick in meine Intimsphäre bekommt. Und mit der Kamera ist das ja auch so, als ob ich den Vorhang zuziehe.
„Das ruft kein Erstaunen mehr hervor.“
Sven, 23 Jahre, Politikstudent
Ich weiß nicht mehr den genauen Zeitpunkt, wann ich angefangen habe, meine Kamera abzukleben, aber ich erinnere mich, dass mal so eine Geschichte durch die Medien ging über ein amerikanisches Mädchen und einen Spanner, der sich eingehackt hat in die Kamera ihres Laptops. Und da habe ich dann angefangen und habe meine Kamera mit einem Papierstück abgeklebt. Mich hat da auch nie jemand drauf angesprochen, ich glaube, das machen ganz schön viele mittlerweile. Ich sehe das zum Beispiel in der Unibibliothek ganz oft, es ruft auch kein Erstaunen hervor.
Ich halte mich nicht für paranoid – aber ich weiß nicht, ob das Abkleben der Kamera gesamtgesellschaftlich tatsächlich anerkannt ist.
Vielleicht ist es ein bisschen paranoid, immer zu sagen: Wir werden überwacht, wir werden überwacht! – bevor es offiziell herauskommt. Und das haben ja auch Leute gesagt, die dann für bekloppt gehalten wurden. Aber die hatten ja auch recht.
Ich meine, ich habe zum Beispiel nie darüber nachgedacht, mein Mikrofon abzukleben. Wenn jetzt demnächst rauskäme, dass mein Mikrofon mich überwacht, dann würde ich echt denken: Fickt euch!
„Bei einem beruflichen Termin würde ich den Aufkleber entfernen.“
Wenke, 25, Sozialversicherungsfachangestellte
2011 war ich in London für eine Projektarbeit, und als ich meinen Laptop aufklappte, rief eine Freundin neben mir ganz erstaunt: „Warum hast du denn die Kamera nicht abgeklebt? Das muss man doch machen! Da können sich Leute einhacken und dich beobachten!“ Dann dachte ich das erste Mal darüber nach, und seither klebt ein kleines Post-it über meiner Kamera. Ich nutze mein Laptop eher privat, da sieht den Aufkleber keiner außer Freunden, und entsprechend sagt da auch keiner was. Ich glaube, ich würde den Aufkleber entfernen, wenn ich mein Laptop zu einem beruflichen Termin mitnehmen würde. Sonst sieht das komisch aus, und die Leute wundern sich vielleicht.
Die Kamera an meinem Smartphone stört mich nicht, das legt man ja so hin, dass die Kamera verdeckt ist.
Aber man hört so viel über Internetkriminalität und die Möglichkeiten, die die NSA hat und so weiter. Ich hatte erst vor kurzem bei Facebook den Fall, dass jemand ein Profil in meinem Namen angelegt hat und auch all meine Fotos benutzt hat und dann an Freunde und Kollegen Freundschaftsanfragen geschickt hat und Nachrichten, mit der Bitte um die Handynummer oder Überweisung von Geld. Seitdem bin ich online noch vorsichtiger.
Diese fünf Protokolle von Menschen, die ihre Laptop-Kameras abgeklebt haben, trafen einen Nerv. Mehr Informationen darüber, ob die (Möglichkeit der) Überwachung soziologische und psychologische Auswirkungen hat, findet ihr in meinem Artikel: Wer da? – der kleine digitale Widerstand zwischendurch.