Ein Mann steht auf Klippen und schaut aufs Meer.

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Leben und Lieben

Protokoll: „Meine Frau hatte eine Affäre – und ich liebe sie immer noch“

Zwei Jahre lang schlief seine Frau mit einem anderen. Hier erzählt Thorsten, warum er sie trotzdem nicht verlassen hat.

Profilbild von Astrid Probst
Reporterin

Wer fremdgeht, nehme niemandem etwas weg – so verteidigen sich oftmals Menschen, die betrügen. Dabei stimmt das nicht, sagt Thorsten.

Thorsten ist fast 60 Jahre alt und heißt eigentlich anders. Er will zeigen, was es wirklich bedeutet, wenn man betrogen wird und das herausfindet. Im Videotelefonat schüttelt er immer wieder den Kopf, darüber, was ihm seine Frau angetan hat und darüber, wie er die Anzeichen wegwischte.

Hier erzählt er seine Geschichte.


An einem Abend im Urlaub haben wir uns nur noch angeschrien. Ich ging zum Strand. Lange starrte ich auf das Wasser hinaus. Mir erschien alles so ausweglos, jede Hoffnung war dahin, nachdem ich vor drei Monaten erfahren hatte: Meine Frau schläft mit einem anderen Mann.

Heute denke ich immer noch jeden Tag an den Betrug, doch mein Hals zieht sich nicht mehr zu, als würde ich keine Luft bekommen.

Der Gedanke, meine Frau nach 30 gemeinsamen Jahren zu verlassen, war nicht eine Sekunde in meinem Kopf. Vermutlich wäre das der einfachere Weg gewesen. In den Keller zu gehen, die Koffer zu holen, zu packen und auszuziehen. Aber so sehr ich auch litt, ich wusste, sie ist die Liebe meines Lebens und ich wollte sie auf keinen Fall verlieren. Also kämpften wir.

Der Betrug

Kurz nach Weihnachten vor zwei Jahren fiel ihr das Handy aus der Tasche. Der Bildschirm flimmerte. Nichts ging mehr. Ich sicherte alle Daten und spielte sie auf ein neues Handy. Kaum, dass alles funktionierte, blitzte eine Nachricht auf: „Muss ich mir Sorgen machen?“ Von ihrem Heilpraktiker. Was will der denn, dachte ich. Wieso chatten die? Und warum macht der sich Sorgen? Am 28. Dezember?

Ich las den Chatverlauf. Ein ganzes Jahr an Nachrichten sah ich vor mir. Ich scrollte durch die neuesten Nachrichten. Manchmal ging es um Medizinisches, oft aber um Persönliches. Sie schrieben, dass sie sich „auf die Berührungen“ freuen würden.

Meine Frau behauptete, damit sei nur die Behandlung durch den Heilpraktiker gemeint. Sie hat schlimme Migräne und durch spezielle Massagen sollen sich Verspannungen lösen. Es sei alles harmlos, sagte sie. Zwischen den beiden sei nichts weiter passiert. Also gut, dachte ich. Ich wollte ihr glauben.

Dabei hatte es Anzeichen gegeben: Montagabends wirkte sie anders, wenn sie von der Massage nach Hause kam. War das das gleiche T-Shirt, mit dem sie aus dem Haus gegangen war? Und hatte sie geduscht? Ich war mir sicher, dass ich spinne. Ich habe ihr nicht misstraut. Auch wenn ich das nicht gerne zugebe, aber damals sagte ich mir, dass ich wohl einfach nur ein ganz normaler eifersüchtiger Mann bin – egal, für wie fortschrittlich ich mich halte.

Doch als ich diesen Chat später komplett las, war ich irgendwann so verzweifelt. Ich fuhr zu meiner Hausärztin. Ich wollte von ihr als Ärztin wissen, ob ich mir das alles nur einbilde. Ob so ein Chat normal ist. Nein, sagte sie. Allein wegen der professionellen Distanz würde sie nie privat mit Patienten schreiben. Die professionelle Distanz sei hier überschritten worden. Da war mir klar, dass ich angelogen werde.

Zuhause schrieb ich meiner Frau eine Nachricht; sie war oben in ihrem Zimmer: „Egal, was du bisher erzählt hast, jetzt musst du sagen, was passiert ist. Hier stimmt etwas nicht.“

Eine Stunde später kam sie runter. Sie gab es zu. Die Affäre mit ihrem Heilpraktiker, die fast zwei Jahre lang ging. Jede Woche hatten sie Sex in seiner Praxis.

Für mich war das ein doppelter Vertrauensbruch. Das war das Schlimmste. Meine Frau hatte mich betrogen und belogen. Und das auch noch mit einem gemeinsamen Bekannten. Wir waren zwar nicht befreundet. Aber der Mann war auch mein Heilpraktiker, etwa 25 Jahre lang, bevor ich gewechselt hatte. Er behandelte meine Kinder, ich ging weiterhin mit ihnen zu ihm. Er kannte mich und meine Familie. Bis heute begreife ich nicht, wieso ihn all das nicht gehindert hat, mit meiner Frau zu schlafen.

Vielleicht täusche ich mich, aber ich denke, es wäre für mich leichter gewesen, wenn mich meine Frau mit einem Fremden betrogen hätte. Es macht einen Unterschied. Hier hätten zwei Leute denken sollen: Halt, stopp, was tun wir da?

Die Entscheidung

Früher dachte ich: Betrug ist unverzeihlich. Da würde ich sofort ausziehen. Als es passierte, war Trennung für mich nie ein Gedanke.

Stattdessen wollten wir zusammen herausfinden, wie es dazu kam.

Auch ihr war klar, dass sie unsere Ehe retten will. Aber wir stritten ständig und schrien uns an. Schon Mitte Januar, etwa zwei Wochen nachdem sie alles zugegeben hatte, war uns klar, dass wir das nicht alleine schaffen würden. Wir haben zwei Töchter, beide leben noch bei uns. Also suchten wir eine Paartherapeutin. Es hilft uns, dass die Gespräche moderiert und geführt werden.

Zu viele Details über den Sex und wie alles ablief, wollte ich gar nicht wissen. Wenn man Details erfährt, tauchen Bilder im Kopf auf. Das wollte ich nicht. Wie es zum ersten Mal kam, interessierte mich. Ich habe auch technische Fragen gestellt: Wie hast du das gemacht mit dem Duschen hinterher? Sie sagte: „Er hat eine Dusche in der Praxis.“ Dann sagte sie noch: „Wir haben nie zusammen geduscht.“ Das wollte ich gar nicht wissen. Auch wie oft sie Sex hatten, ist mir egal. Alles, was nach dem ersten Mal passiert ist, war zu viel. Ein Mal kann es passieren. Danach hätte Schluss sein müssen.

Nachdem die Affäre rauskam, wollte ich natürlich, dass meine Frau den Heilpraktiker wechselt. Sie dachte anfangs, dass sie einfach den Sex streichen kann und trotzdem weiter hingehen würde. Aber sie sah auch bald ein, dass sie sich nicht mehr sehen sollten. Dann wurde sie krank. Genau in der Phase. Im Januar. Long Covid. Der Lungenarzt schickte sie für Behandlungen auch zu ihrem Heilpraktiker, der seine Praxis im Haus nebenan hat. Na gut, dachte ich, sie hat noch keinen neuen Heilpraktiker. Dann muss sie wohl zu ihm. Ich sagte ihr: Ich fahre dich hin. Ich will aber, dass du weißt, dass ich unten sitze. Ich gehe nicht mit rein. Aber ich sitze unten!

Drei oder vier Mal musste sie zu ihm, bis sie einen neuen Heilpraktiker fand. Ich saß jedes Mal unten im Auto. Das waren keine schönen Tage für mich.

In der Zeit hatte ich Rachegedanken. Ich hatte ja durch den Chat seine Nummer, also schrieb ich ihm eine Nachricht: Ich überlege, dich anzuzeigen. Aber wir können erstmal noch darüber sprechen.

Wir telefonierten. Ich wollte etwas von ihm hören, das mich überzeugen würde, nicht zur Polizei zu gehen. Schließlich war die Beziehung zu einer Patientin Machtmissbrauch. Deshalb riskierte er mit der Affäre seine Zulassung. Er sprach von seinen Angestellten, die ihren Job verlieren würden. Das war mir egal. Die waren seine Verantwortung und daran hätte er früher denken sollen. Dann sagte er, dass er es bereue. Er sei in die Situation reingerutscht und verurteile sich selbst dafür. Nach dem Gespräch wusste ich, ich kann auf die Anzeige verzichten. Rache bringt mich nicht weiter.

Er hat sich dafür bedankt. Das musste er nicht. Ich tat das nicht für ihn, sondern für mich und meine Frau. Hätte ich ihn angezeigt, hätte es unsere Beziehung belastet.

Die Probleme

Einmal, wir saßen wieder bei der Paartherapeutin, fragte sie meine Frau: Wie haben Sie sich beim Fremdgehen als Frau gefühlt? Und ich dachte: Ach du Scheiße, da habe ich ja noch gar nicht drüber nachgedacht! Mir war klar, dass die beiden anders miteinander umgehen, dass man eine Affäre nicht vergleichen kann mit unserer Beziehung. Aber wie wird sich meine Frau dabei gefühlt haben? Begehrt? Sexy? Das hat mich echt umgetrieben. Das ist ein wichtiger Punkt. Natürlich hat sie sich hübsch für ihn gemacht; mir fiel der Lippenstift ein, den sie mal trug.

Das hat viel bei mir ausgelöst. Und ich verstehe die Sicht meiner Frau.

Die Wahrheit ist auch, dass wir uns im Laufe unserer Ehe verloren haben. Als ich vor sechs Jahren den Job wechselte, veränderte das unseren Alltag. Vorher haben wir den Morgen immer gemeinsam verbracht, ich habe Kaffee gekocht, uns Frühstück gemacht. Jetzt musste ich um 4 Uhr morgens aufstehen und zur Arbeit fahren. Unsere gemeinsame Zeit fiel dadurch weg. Es gab eine Zeit, da sahen wir uns Sonntagabend zum Tatort gucken, sind danach schlafen gegangen und sahen uns erst wieder am Freitag. Längst gingen wir nicht mehr zusammen zum Tanzen, ein Hobby, das uns eigentlich immer verbunden hatte.

Während der Pandemie war ich dafür viel zuhause. Sie erlebte die Pandemie als stressige Zeit, da sie im Gesundheitswesen arbeitet. Ich dagegen hatte frei, verbrachte viel Zeit mit den Kindern und sie fühlte sich ausgeschlossen. Dann bekam unsere Tochter eine schlimme Diagnose und wir mussten uns ganz darauf konzentrieren, wir funktionierten nur noch. Wir waren mehr Familienplaner als ein Paar. Unsere Probleme haben wir nie wirklich besprochen. So hat sich jeder allein mit sich gefühlt und unzufrieden in der Beziehung. Die Affäre war da wohl ein Ventil für sie.

Manchmal sagt sie: Du hast mich nicht gesehen! Ich habe mich allein gefühlt. Dann sage ich: Schau mal unsere Whatsapps an. Ich habe oft gerufen: Hallo! Wir müssen was ändern! Da sind wir beide nicht gut drin gewesen. Daran müssen wir jetzt arbeiten. Das wollen wir beide.

Eine neue Beziehung

Wenn Menschen, die betrügen, sagen, dass sie anderen damit nichts wegnehmen, dann ist das eine Lüge. Sie nehmen uns, den Betrogenen, sehr wohl etwas weg: das Vertrauen.

Am Anfang habe ich meiner Frau gar nichts mehr geglaubt. Und was hätte sie getan, wenn ich es nicht herausgefunden hätte? Hätte sie mich weiter betrogen?

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Ich muss irgendwann damit abschließen können. Die Affäre habe ich inzwischen verziehen. Aber womit ich noch kämpfe, ist das, was in diesem Chat steht, den ich auf ihrem Handy fand. Darin schimpfte meine Frau über mich, wenn sie sich über mich geärgert hatte. Auf die übelste Art. Man kann fremdgehen und trotzdem loyal sein, so sehe ich das. Aber an der Stelle hat sie mich total verlassen. Daran arbeiten wir noch. Und ich bin heute weiter, als ich es vor drei Monaten war.

Eigentlich war mir schon klar in dem Moment, als sie den Betrug zugab, dass ich keine Wahl hatte. Wir haben in 30 gemeinsamen Jahren viel zusammen erlebt. Sie war für mich und meine Kinder da, als meine erste Frau starb, nahm meine Kinder wie ihre eigenen auf. Wir ergänzen uns. Ich bin stolz auf sie, wie sie mit unseren Töchtern umgeht, wie sie ihren Job macht. Zwar habe ich eine Seite an ihr kennengelernt, die ich lieber nicht gesehen hätte, aber ich will mit ihr alt werden.

Was meine Frau und ich teilen, ist anstrengend, aber gut. Heute nehmen wir uns wieder Zeit füreinander. Früher tanzten wir im Verein, da haben wir uns auch kennengelernt. Jetzt schwimmen wir gemeinsam.

Über Beziehungen nach Affären habe ich mal gelesen: Die alte Beziehung, wie man sie lebte und kannte, ist zu Ende. Das stimmt. Jetzt bauen wir eine neue auf.


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Lars Lindauer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

„Meine Frau hatte eine Affäre – und ich liebe sie immer noch“

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