Mitte der 1990er schrieb meine Freundin Julia in mein Poesiealbum: „Liebe Nina, sei so schlau, werde niemals Ehefrau. Vor der Ehe pflückst du Rosen, in der Ehe flickst du Hosen.“
Seit über zehn Jahren bin ich mit meinem Freund zusammen, seit über zehn Jahren entscheiden wir uns jeden Tag erneut füreinander – und zwar wir allein. Keine Kirche, kein Staat, kein Patriarchat, einfach nur wir. Zehn Jahre lang fand ich mein Nein zur Ehe tatsächlich sehr schlau. Zwei Kinder, eine größere Wohnung sowie je zwei Elternzeiten und reduzierte Arbeitszeiten später muss ich meine Eheverweigerung nun aber infrage stellen. Denn als nicht-verheiratetes Paar haben wir finanzielle und rechtliche Nachteile, auf die wir gut und gerne verzichten könnten.
Aber geht das, einfach so Prinzipien gegen Pragmatismus zu tauschen? Und kommt das nicht einem feministischen Ausverkauf gleich? Zwar dürfen Ehemänner ihre Frauen seit 1997 nicht mehr vergewaltigen und ihnen schon seit 1977 nicht mehr verbieten, arbeiten zu gehen. Aber auch heute noch bevorzugt die Ehe die traditionelle Familie aus Mutter, Vater, Kind(ern), in denen einer, aller statistischer Wahrscheinlichkeit nach der Mann, der Haupternährer ist. Denn auch wenn die Steuerklassen gerade reformiert werden, das Ehegattensplitting bleibt erhalten, und das belohnt einen möglichst großen Gehaltsunterschied unter den Partnern. Da Frauen häufiger in schlechter bezahlten Berufen arbeiten, schafft es damit einen Anreiz, dass sie in Teilzeit gehen und bleiben, um sich verstärkt um die Kinder zu kümmern.
Das Patriarchat leckt sich die Finger
Außerdem haben trotz „Ehe für alle“ verheiratete queere Mütter nicht die gleichen Rechte wie verheiratete Väter. Sie müssen ein Verfahren zur Stiefkindadoption durchlaufen, und Zuschüsse zur Kinderwunschbehandlung gibt es in der Regel für sie auch nicht. Das Patriarchat leckt sich die Finger, ich finde es eher unappetitlich.
Mein Freund ist da nicht ganz so empfindlich. „Wahrscheinlich sollten wir es einfach mal hinter uns bringen und heiraten“, rief er mir vor einiger Zeit durch das übliche Kindergeschrei über unseren Chaos-Küchentisch voller Krümel, Sticker und Spielsachen hinweg zu. Wir hatten in meiner Elternzeit mal wieder Ärger mit meiner Krankenkasse, den wir nicht gehabt hätten, wenn wir verheiratet wären.
Dabei wollte auch er nie heiraten. Ich musste also nie fürchten, dass er irgendwann mit einem Ring vor mir kniet und unsere Beziehung meine Reaktion nicht verkraften würde.
„Wir haben es so schön wie noch nie“, schrieb er mir zu meinem Geburtstag. Dabei ist unser zweites Kind gerade knapp eineinhalb und laut der Scheidungsanwältin Helene Klaar ein Beziehungskiller. Sie berichtet im Interview mit der Zeit, dass sich die meisten Paare nach dem zweiten Kind trennen. Wir dagegen fühlen uns so nahe wie noch nie. Nur ist die Ehe für uns kein logischer „nächster Schritt“ oder etwas, das wir brauchen, um unsere Beziehung zu besiegeln oder gar zu festigen.
„Ich kann das ja mal recherchieren“, rief ich durch das abendliche Kinder-Küchen-Chaos zurück und damit war das Gespräch erst einmal beendet. Ganz so schnell wollte ich mich nicht geschlagen geben. Ich möchte genau verstehen, was sich rechtlich und finanziell ändern würde. Und geht das überhaupt: Heiraten als Feministin?
Nach der Steuererklärung 2023 und neuen Personalausweisen für die Kinder nahm ich mir das Thema „Heiraten?“ als nächsten Punkt auf meiner „Während der Elternzeit zu erledigen“-Liste vor. Schon nach kurzer Recherche zeigt sich: Meine Hoffnung ist geplatzt, doch noch rationale Gründe gegen die Ehe zu finden. Ich muss Abschied nehmen von meiner jahrelangen Überzeugung. Das muss ich erst einmal verarbeiten, grollend recherchiere ich weitere Details.
Bye-bye, Welt meiner Kindheit. Willkommen im Erwachsenenleben. Und in dem gibt es einiges zu regeln, für das die Ehe eine gute Antwort sein kann. Rosarot-romantisch ist allerdings nichts davon. Ganz im Gegenteil.
Was passiert, wenn wir uns trennen
Trennung, Krankheit, Tod. Diese drei Worte notiere ich während meines Telefonats mit Antje Schönherr, Finanzberaterin bei Finanzkontor. Von ihr wollte ich wissen, wann sich Heiraten lohnt. Ihr Fazit: Manchmal lohnt es sich sehr. Wenn man Kinder hat zum Beispiel, gerade dann, wenn ein Part mehr Carearbeit leistet als der andere. Auch eine gemeinsame Immobilie kann ein guter Grund zum Heiraten sein, weil man sonst Gefahr läuft, im Falle einer Trennung oder dem Tod des Partners oder der Partnerin leer auszugehen. Natürlich muss man dafür nicht unbedingt heiraten, viel lasse sich auch in einem Partnerschaftsvertrag regeln, mit dem man auch ohne Trauschein bestimmte Rechte und Pflichten festlegen kann, zum Beispiel für den Fall einer Trennung. Allerdings gäbe es in drei Bereichen Unterschiede, die kein Vertrag wettmachen könne, eben bei: Trennung, Krankheit und Tod.
Vor allem der Partner, der den Mehranteil an Carearbeit erledigt, steht im Trennungsfall mit Trauschein besser da. Zwar wurden Unterhaltszahlungen an die Partnerin/den Partner in den Neunzigerjahren bis auf wenige Ausnahmen abgeschafft, aber es gibt den sogenannten Trennungsunterhalt. Das heißt, der besserverdienende Part, meist also der Mann, muss der Frau bis zur Scheidung Unterhalt zahlen.
Außerdem gibt es für Verheiratete den Vorsorgeausgleich. Sollten wir uns irgendwann scheiden lassen, würden meinem Freund Rentenpunkte abgezogen und (da ich weniger verdiene) mir angerechnet werden, sodass wir beide mit gleich vielen Rentenpunkten für die Zeit der Ehe herausgehen. Ähnlich sieht es beim Zugewinnausgleich aus, der den Vermögenszuwachs während der Ehezeit gleich auf beide Ehepartner verteilt.
Sollte mein Freund sich zum Beispiel während der Ehe ein wertvolles Porzellangeschirr kaufen und wir uns später scheiden lassen, dürfte er das Geschirr nach der Scheidung zwar behalten, müsste mir aber die Hälfte des Wertes auszahlen. Es sei denn, ich kaufe mir im Laufe unserer Ehe einen teuren Oldtimer, dann wird der Wert des Geschirrs mit dem Wert des Oldtimers gegengerechnet. Ob nun Oldtimer, Porzellan, Aktien oder Betongold, der Punkt ist: Wer mehr Carearbeit leistet, kann in der Regel weniger Vermögen anhäufen und profitiert dann von dieser Regelung.
Im Kern ist das eigentlich sogar irgendwie feministisch. „Die Ehe ist ein Versorgungsversprechen, bei dem jede Arbeit gleich gewichtet wird: Ob ich nun ins Büro gehe oder Carearbeit leiste“, sagt Antje Schönherr.
Lieber nicht auf das Eherecht verlassen
Wer nicht verheiratet ist, kann den Zugewinnausgleich mit einem Partnerschaftsvertrag regeln. Relevant ist das gerade dann, wenn das Paar in einer eigengenutzten Immobilie lebt, aber nicht zu gleichen Teilen im Grundbuch steht. „Das kann super gefährlich sein: Am Schluss unterstützt man den Partner 20 Jahre lang dabei, die Wohnung abzuzahlen und hat dann keinerlei Anspruch“, warnt Schönherr. Ein klassisches Beispiel: Die Frau bleibt jahrelang mit den Kindern zuhause oder arbeitet in Teilzeit, damit der Mann Vollzeit arbeiten gehen kann. Ohne sie könnte er die Immobilie also gar nicht finanzieren, trotzdem würde sie im Falle einer Trennung leer ausgehen. Verheiratet oder mit einem Partnerschaftsvertrag, der den Zugewinn regelt, hätte sie Anspruch auf einen Teil der Wertsteigerung.
Aber Achtung: Gerade Frauen in der klassischen Hausfrauenehe sollten sich nicht auf das Eherecht verlassen, rät die Stiftung Warentest in ihrem Ratgeber „Sich trauen“. Stattdessen sollten sie in einem Ehevertrag festhalten, dass sie zumindest für eine Übergangszeit Unterhaltszahlungen im Fall einer Trennung bekommen.
Zwar gibt es in der Ehe einige Regelungen zugunsten des Carearbeit leistenden Parts, aber wer Altersarmut vermeiden will, muss durch faire Regelungen in der Partnerschaft selbst vorsorgen – egal ob verheiratet oder unverheiratet. Antje Schönherr findet: Finanzielle Fairness ist dann gegeben, wenn beide gleich viel Geld zur Verfügung haben. Sie empfiehlt hierzu das sogenannte Taschengeldmodell. Dabei geben beide Partner ihr gesamtes Einkommen auf ein gemeinsames Familienkonto. Außerdem hat jeder ein eigenes Konto, auf das sich beide das gleiche Taschengeld auszahlen. Beide haben also gleich viel eigenes Geld zur Verfügung, egal, ob sie erwerbs- oder carearbeiten.
Bei meinem Freund und mir ist es nun aber so: Wir arbeiten beide in gleicher Teilzeit, nur dass mein Freund mehr verdient. Augen auf bei der Berufswahl? Oder ist auch hier eine Umverteilung fair? Antje Schönherr meint: „Kein Job ist mehr wert als ein anderer. Und in dem Moment, wo Nachwuchs da ist, hebt man deins und meins doch sowieso auf.“
Was passiert, wenn einer von uns krank wird
Beim Thema Krankheit sind die Unterschiede zwischen Verheirateten und Unverheirateten nicht ganz so groß wie gemeinhin angenommen. Expert:innen raten sowohl verheirateten als auch unverheirateten Paaren zu einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht.
Mit der Vorsorgevollmacht kann ich festlegen, wer für mich in medizinischen und finanziellen Dingen entscheiden soll, wenn ich es nicht mehr kann. Dabei gibt es seit 2023 das sogenannte Ehegattennotvertretungsrecht, mit dem Eheleute für einen Zeitraum von sechs Monaten im medizinischen Bereich Entscheidungen für den anderen treffen können. „Entscheidungen im Bereich der Vermögenssorge“ sind dabei zwar explizit ausgeschlossen, aber zumindest für den Fall, dass der Partner ins Krankenhaus kommt, klingt das für mich erstmal nach einer ganz guten Pauschallösung. Oder gibt es einen Haken? Hier frage ich bei der Rechtsanwältin und Notarin Laura Adamietz nach. „Das Problem ist, dass nicht immer klar ist, wann die sechs Monate beginnen“, gibt sie zu bedenken. Wenn ein Partner einen Unfall hat und im Koma liegt, sei die Sache klar: Die Frist beginnt am Tag des Unfalls. Wenn ein Partner aber zum Beispiel dement ist oder starke Medikamente nimmt, sei es nicht immer nachprüfbar, wann und vor welchen Ärzten vom Notvertretungsrecht erstmalig Gebrauch gemacht wurde, also die Frist begann zu laufen. Im Zweifelsfall entscheidet ein gerichtlich bestellter Betreuer. Allerdings geht es ja nicht nur darum, wer entscheiden darf, sondern vor allem auch, wie er entscheiden soll. Letzteres regelt die Patientenverfügung: In welchen Fällen möchte ich lebenserhaltende Maßnahmen, in welchen nicht? Ich setze einen neuen Punkt auf meine Bürokratie-To-do-Liste: Diese schwere Entscheidung sollte ich meinem Partner fairerweise abnehmen.
Was passiert, wenn einer von uns stirbt
Einen großen Unterschied macht der Trauschein, wenn ein Partner stirbt. Witwenrente und Erbrecht sind hier die Stichworte. Witwenrente bekommen nur Verheiratete. Sie beträgt bis zu 55 Prozent der Rente des oder der Verstorbenen. Das klingt erstmal viel, aber sie wird mit dem Einkommen verrechnet. Zum Beispiel: Angenommen, jemand hat ein eigenes Nettoeinkommen von 1.500 Euro im Monat. Nach Abzug des Freibetrags (1.000 Euro) bleiben 500 Euro übrig. Davon werden 40 Prozent (also 200 Euro) auf die Witwenrente angerechnet. Diese 200 Euro werden dann von der Witwenrente abgezogen. Das bedeutet, dass die Witwenrente durch das eigene Einkommen gekürzt wird und nur der verbleibende Rest ausgezahlt wird.
„Wer arbeitet oder gearbeitet hat, für den lohnt sich das oft kaum. Für die Witwenrente würde ich an Ihrer Stelle nicht heiraten“, rät mir Antje Schönherr.
Anders sieht es beim Erbrecht aus. Das ist für uns ein wichtiger Punkt fürs Heiraten: Ich will, dass mein Freund von mir erbt, damit er unsere Kinder mit nur einem Gehalt großziehen kann, sollte mir etwas zustoßen. Aktuell würde er leer ausgehen, obwohl wir uns ein Leben zusammen aufgebaut haben. Zwar könnten wir uns in einem Testament oder Erbvertrag gegenseitig beerben, würden dann aber Erbschaftssteuern von 30 Prozent zahlen müssen, zumindest ab einem Freibetrag von 20.000 Euro.
Ein Sonderfall ist das Riestern
In unserem Fall kommt noch dazu: Wir haben beide Riester-Sparverträge. Verheiratet kann man einen solchen Rentenvertrag an den Ehepartner übertragen, wenn man vor Renteneintritt stirbt. Unverheiratet könnten unsere Kinder erben, aber die müssten dann alle Zuschüsse und Steuervorteile zurückzahlen, die man im Laufe der Zeit angesammelt hat.
Und es gibt eine weitere Diskriminierung beim Riester-Sparen: Verheiratete dürfen auch dann riestern, wenn sie selbstständig oder arbeitslos sind. Ich darf als freie Journalistin nur riestern, weil ich in der Künstlersozialkasse bin. Sollte ich dort rausfliegen, was immer passieren kann, etwa weil ich nicht genug verdiene oder größere Teile meines Einkommens in anderen, sogenannten „nicht publizistischen“ Bereichen erwirtschafte, könnte ich in meinem Riester-Vertrag zwar weiter ansparen, aber keine Zulagen mehr bekommen und meine Rente würde deutlich leiden. Eine Ehe wäre auch dagegen eine Absicherung. Der Staat begünstigt nur EIN Familienmodell, das habe ich mittlerweile verstanden. Nur: Das hätte ich gerne gewusst, BEVOR ich meinen Riester-Vertrag abgeschlossen habe. So ist das leider ein weiterer wichtiger Punkt fürs Heiraten.
Es gibt Cash auf die Kralle
Eigentlich spricht all das schon genug fürs Heiraten. Aber da ist noch das rote Tuch aller Feminist:innen, weswegen auch ich jahrelang gegen die Ehe gewettert habe: das Ehegattensplitting. Ich habe es jetzt erstmalig durchgerechnet: Meine feministische Überzeugung kostet mich jedes Jahr bares Geld. Die Ersparnis wäre zwar nicht riesig, aber trotzdem nice-to-have. Geld, das wir gut für unsere Urlaubskasse brauchen könnten, gerade weil wir in gleicher Teilzeit arbeiten, obwohl ich weniger verdiene. Und ich schreibe hier aus einer privilegierten Position heraus: Es geht um unsere Urlaubs-, nicht die Haushaltskasse. Andere Familien haben gar nicht die Wahl, sich gegen das aufgezwungene traditionelle Modell zu wehren. Man muss es sich leisten können, nicht zu heiraten.
Es ist paradox: Strukturell zieht das Ehegattensplitting Frauen das Geld aus der Tasche, indem sie sie in die Teilzeitfalle lockt. Ich individuell würde aber profitieren. Denn auch bei unserer gleichen Teilzeit bekämen wir am Ende des Jahres mit der Steuererklärung etwas zurück.
Trotzdem bleibt natürlich die Gefahr, dass plötzlich doch noch ein kleines Teufelchen mit Markus-Söder-Gesicht auf meiner Schulter sitzt und säuselt: Geh runter auf 20 Stunden, damit dein Mann mehr arbeiten kann, dadurch spart ihr!
Und nun der letzte Punkt meiner Gründe Pro-Heirat: die kostenlose Mitversicherung in der Krankenkasse. Wenn man (oder meist frau) weniger als rund 500 Euro im Monat verdient, kann man kostenlos über den Ehepartner oder die Ehepartnerin versichert sein. Hätte ich diese Option dieses Jahr schon gehabt, hätte mir das einige Zeit und Nerven erspart. Kurzzeitig sah es nämlich so aus, als müsse ich meine Krankenkassenbeiträge während meiner Elternzeit selbst zahlen. Eigentlich ist man auch unverheiratet in der Elternzeit kostenlos versichert, nicht aber, wenn es zwischen der letzten Beschäftigung und den Elterngeldzahlungen eine Lücke gibt, man also in der Zeit freiwillig versichert ist. Da wir nicht genug Elterngeldmonate bis zum Kitastart hatten, schien es sinnvoll, direkt nach meiner letzten Anstellung einen Monat auf das Elterngeld zu verzichten, also eine Lücke zu haben. Im Endeffekt konnte mir eine kompetente Mitarbeiterin in der Elterngeldstelle helfen und ich meinen Antrag kurz vor Ablauf der Frist nochmal ändern, beinahe wäre ich aber auf rund 1.600 Euro sitzen geblieben
Vielleicht werde ich Mitte nächsten Jahres nochmal eine kürzere Erziehungsauszeit nehmen oder mich weiterbilden und entsprechend wenig verdienen, da könnte das wieder relevant werden. Rund 230 Euro im Monat würden wir sparen und könnten auch damit unseren Urlaub querfinanzieren.
Die Ehe ist wie eine leicht angegammelte Zwiebel
Finanziell spricht alles fürs Heiraten und auch der Fürsorgeaspekt gefällt mir. Dass man mit der Ehe sagt: Ich will vorsorgen, dass du abgesichert bist. Nur: Wer denkt beim Wort „Hochzeit“ schon an Rentenpunkte und Testamente? Kaum etwas ist kulturell so aufgeladen wie die Ehe, auch wenn sie rechtlich einfach nur ein Vertrag ist.
Vielleicht könnte man in einer wohlwollenden Auslegung sagen: Die Ehe ist eine Zwiebel, bei der die äußeren Schichten etwas angegammelt sind. Schält man die ab, kommt noch was ganz Brauchbares dabei raus. Eine rundum frische Zwiebel wäre mir trotzdem lieber.
Hier könnte der Artikel zu Ende sein: Die Faktenlage ist klar, also: Ab zum Standesamt! Da wäre aber noch die Sache mit den Gefühlen. Die wollen sich bei mir nämlich noch nicht so richtig einstellen. Ich will immer noch nicht. Und fühle vor allem: Widerstand. Ich komme mir vor wie eine Opportunistin, die sich etwas ergaunert, das ihr nicht zusteht, Lohn ohne Arbeit, Weihe ohne Glauben – schließlich glaube ich ja nicht daran, dass so ein Trauschein irgendetwas bedeutet außer den besagten Vorteilen. Oder schlimmer noch: Als würde ich meine feministischen Ideale verkaufen. Ein totaler Fake. Als wäre ich auf einem WG-Casting, bei dem die Wohnung toll ist, absoluter In-Kiez, heller Altbau, hohe Decken, Dielen, Stuck, die Mitbewohner:innen aber ziemlich spießig sind. Trotzdem lache ich, als einer von ihnen einen sexistischen Witz à la Mario Barth anno 2004 erzählt. Schließlich will ich doch die Wohnung!
Kann ich das wirklich bringen? Ich nehme das Gefühl mit in meine weiteren Recherchen und es passiert etwas: Je mehr ich über Finanzen und Rechtliches lese, desto mehr verwandelt es sich in Wut. Die Spießer-WG steht eigentlich mir zu! Beziehungsweise: uns. Die sexistischen Mitbewohner ekele ich nämlich raus und besetze die Zimmer neu: mit anderen unverheirateten Paaren mit Kindern, mit Alleinerziehenden, Mehr-Eltern-Familien und queeren verheirateten Eltern. Wir alle sollten nämlich die Förderungen bekommen, die die Ehe für Familien bereithält.
Finanzielle Entlastung, Regelungen, die den schwächeren Part im Falle von Trennung oder Tod schützen, Bezuschussung von Kinderwunschbehandlungen – alles tolle Sachen, nur dass sie einem großen Teil der Familien in Deutschland vorenthalten werden. Ich habe als Teil eines Paares immerhin die Möglichkeit zu heiraten. Alleinerziehende bekommen nie die finanzielle Entlastung, die eine „traditionelle“ Familie im Allein- oder Zuverdienermodell durchs Ehegattensplitting hat. Nicht nur unverheiratete, auch lesbische verheiratete Paare bekommen keinen Zuschuss von der Krankenkasse zur Kinderwunschbehandlung, weil dabei „ausschließlich die Ei- und Samenzellen dieses Paares“ verwendet werden dürften. Außerdem gilt die nicht-biologische Mutter vor dem Gesetz erstmal nicht als Mutter. Mehr-Eltern-Familien haben oft überhaupt keine rechtliche Absicherung.
Das ist meine wunderschöne Utopie: eine Familienförderung, die wirklich allen Familien gleichermaßen zugutekommt. Wie das rechtlich aussehen könnte, skizziert die Rechtsanwältin und Notarin Adamietz im Podcast „Justitias Töchter“ mit Verweis auf die Rechtswissenschaftlerin Ingeborg Schwenzer. Diese schlägt in einem Gutachten für das schweizerische Justizministerium Folgendes vor: Die Ehe würde weiter existieren, bliebe aber ein symbolischer Akt, für die, die das gerne haben wollen. Für alle anderen könnte es Regelungen geben, die an faktisches Verhalten anknüpfen. Sprich: Eine Fürsorgeverantwortung füreinander und entsprechend auch rechtliche und finanzielle Vorteile hätten dann alle, die etwa eine Beziehung von einer bestimmten Dauer führen, Kinder haben und/oder gemeinsam Vermögen anhäufen. Man müsste also nicht mehr heiraten, um einander beerben zu können, sondern es würde zum Beispiel ausreichen, gemeinsame Kinder zu haben und zusammenzuwohnen.
Solange das aber noch juristische Theorie ist, heißt das für mich: Natürlich darf ich heiraten. Und ich verkaufe dabei auch nicht meinen Feminismus. Eigentlich ist es ganz einfach: Das Patriarchat will keine Frauen, die ihre Finanzen im Blick haben. Was es dagegen liebt, sind Paare, die zwar eine 15.000 Euro teure Feier mit 200 Gästen auf die Beine stellen können, aber kein System, um die von der Frau mehr geleistete Carearbeit angemessen zu entlohnen. Es gibt Bereiche, in denen das Patriarchat deutlich schwerer auszutricksen ist. Zum Beispiel lehrt es Frauen, bescheuerten Schönheitsnormen zu folgen und Männern, Gefühle am besten nur mit der Greifzange anzufassen. Rollenbilder arbeiten subtiler als das Ehegattensplitting. Und wenn wir nicht extra gut aufpassen, geben wir die tradierten Muster an unsere Kinder weiter.
Wie unsere Heirat konkret aussehen könnte, haben mein Freund und ich uns am Ende dieser Recherche wieder am Küchentisch ausgemalt: Wir legen den Termin auf einen Vormittag unter der Woche, wenn die Kinder in der Kita sind, briefen die Standesbeamtin nach Möglichkeit, dass sie keine unnötige Rede vorbereiten muss, es keine Ringe gibt, keine Trauzeug:innen und auch keine Namensänderung. Mein Freund und die Kinder haben einen Namen, ich einen anderen. Virginia Woolf schrieb, jede Frau brauche ein Zimmer nur für sich. Ich habe einen Namen nur für mich, das gefällt mir. Dem Patriarchat wohl nicht. Soll es doch schmollend in seinem eigenen Zimmer sitzen.
Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert