Tee oder extra große Decken „für gemütliche Stunden zu zweit“. Schokopralinen, Kekse, Badekugeln – alles in Herzform. Solche „Pärchen-Produkte“ sehe ich, sobald ich den Supermarkt betrete. Und das nicht nur rund um den Valentinstag. Auch auf der Suche nach einer neuen Versicherung finde ich, schneller als alles andere, Angebote „für Paare“. Von Liebesgeschichten aus Filmen will ich gar nicht erst anfangen. Sich zu verlieben und in einer Partnerschaft leben zu wollen, scheint das Normalste der Welt zu sein. Doch das ist es nicht.
Warum ich mir da so sicher bin? Ich bin asexuell und aromantisch. Ich bin mir unsicher, ob ich romantische Anziehung empfinden kann. Was ich weiß, ist, dass ich mich in einer stereotypen Liebesbeziehung sehr unwohl fühlen würde. Beziehungen fernab von Romantik geben mir so viel mehr, als romantische Beziehungen es könnten. Und Menschen in solchen Beziehungen können einiges von aromantischen Personen lernen.
Wenn man immer wieder merkt, dass man nicht der Norm entspricht
Ja, Herzchenkekse und Romcoms zeigen, wie viel sich um Romantik dreht. Früher war ich deshalb verunsichert. Ich hatte das Gefühl: „Du bist anders. Du entsprichst nicht der Norm.“ Mittlerweile zweifle ich nicht mehr. Ich bin so glücklich mit der Art, wie ich lebe, dass ich nur gelangweilt denke: „Ach, das mal wieder.“ Aber es war Arbeit, an diesen Punkt zu kommen.
Dass ich mit Romantik und Sex nichts anfangen kann, habe ich zum ersten Mal gemerkt, als ich in der Schule war. Ich war Teil einer nerdigen Außenseiterclique. Als ich etwa 16 Jahre alt war, kam die Pubertät und mit ihr Identitätsfindung, Hormone und so viele Fragen. Und bei meinen Freund:innen das erste Verliebtsein. Doch mir ging es anders.
Während alle ihr erstes Mal hatten, war ich damit beschäftigt zu verstehen, dass Menschen tatsächlich Sex haben wollen. Alle wollten etwas, was ich nicht wollte. Warum suchen meine Freund:innen plötzlich nach etwas außerhalb unserer Freundschaft? Reiche ich ihnen nicht mehr? Und was zur Hölle finden sie an Sex toll?
Bei Sex konnte ich ganz klar sagen: „Das will ich nicht.“ Bis heute fühle ich bei dem Gedanken, selbst Sex zu haben, vor allem eine große Abneigung, ja schon fast Ekel. Für mich war bald klar, dass ich asexuell bin, viel früher noch als ich wusste, dass ich auch aromantisch bin. Auch wenn ich gespürt habe, dass da noch mehr ist, hatte ich lange keine Erklärung dafür.
Wie Medien uns beibringen, dass es nichts Besseres als eine Lovestory gibt
Eine Sache macht mich immer wieder sauer: die Darstellung von Beziehungen in Medien. Egal ob in Filmen oder Büchern, immer muss irgendwo eine Lovestory vorkommen. Denken Produzent:innen, Lektor:innen und Verleger:innen wirklich, dass sich niemand für anderes interessiert? Eine Freundin sagte letztens, dass man in Filmen genau weiß, wann Figuren Sex haben werden: Die Schauspieler:innen küssen sich davor genau drei Mal. Und es stimmt! Diese Vorhersehbarkeit ist doch total langweilig.
Wie wichtig Beziehungen außerhalb von romantischen Partnerschaften sind, geht dabei oft unter. Meine Freund:innen sind neben meiner Familie die wichtigsten Personen in meinem Leben. Auch alloromantische Personen haben sicher Spaß dabei, Romane zu lesen oder Filme zu schauen, in denen keine Romantik vorkommt. Warum müssen wir dann überall Romantik reinstecken?
Ich habe nichts gegen romantische Beziehungen. Sie sind nur absolut überbewertet, und der Umgang mit ihnen ist oft problematisch. Im Krankenhaus zum Beispiel hat man größere Chancen, zu einer Person vorgelassen zu werden, wenn man mit ihr in einer Beziehung ist. Sagt man, „das ist eine gute Freundin von mir“, stehen die Chancen viel schlechter. Dabei können Freundschaften doch eine genauso wichtige Rolle spielen.
Dank Freundschaften habe ich erkannt, dass ich aromantisch bin
Als ich 2014 mein Abi gemacht habe, habe ich immernoch gedacht, dass ich „nur“ asexuell bin. Selbst an der Uni dachte ich am Anfang noch: „Ich müsste mich doch jetzt mal verlieben.“ Gleichzeitig habe ich mich mit dem Gedanken nie wohlgefühlt.
Viele meiner Freund:innen an der Uni waren nicht wirklich interessiert an romantischen Beziehungen. Wir waren uns total nah, ohne dass uns dabei etwas gefehlt hat. Durch meine Freund:innen habe ich immer mehr gemerkt: Ich brauche keine romantische Beziehung, um ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Und: Es ist okay, das nicht zu wollen.
2018 habe ich beschlossen, dass ich ein Buch über Asexualität und Aromantik schreiben will. Viele Menschen wissen nicht, was das ist und ich war es leid, mich immer wieder erklären zu müssen. Gleichzeitig habe ich das Label „aromantisch“ zu der Zeit noch nicht für mich genutzt. Über Bekannte habe ich dann Annika Baumgart kennengelernt. Annika ist selbst aromantisch und arbeitet viel zu dem Thema. Also habe ich mit ihr gemeinsam das Buch geschrieben. Durch die Arbeit mit Annika habe ich nochmal anders über Aromantik nachgedacht. Wir haben darüber gesprochen, wie wir Beziehungen wahrnehmen und wie sie sich für uns anfühlen. Das hat mir geholfen, meine Erlebnisse und Gefühle zu sortieren. Im Januar 2022 kam dann unser Buch „(Un)sichtbar gemacht. Perspektiven auf Aromantik und Asexualität“ heraus. Zur gleichen Zeit war ich mir sicher: Ich bin aromantisch.
Wieder falle ich aus einer Norm. In unserer Gesellschaft verlieben sich Menschen, heiraten vielleicht, bekommen Kinder. All diese Dinge werden vorausgesetzt. All diese Dinge fühle ich nicht.
Das Label „aromantisch“ ist für mich wie eine kleine Box
Aromantik empfindet jede:r anders. Manche verlieben sich gar nicht, manche nur unter bestimmten Umständen. Und wieder andere, so wie ich, können nicht wirklich zwischen romantischer Anziehung und platonischen Gefühlen unterscheiden. Wenn ich Menschen sehr mag, weiß ich nicht genau, was ich für sie fühle. Es fühlt sich gut an. Ist das Romantik? Keine Ahnung.
Letztlich habe ich durch dieses Label aufgehört, mich ständig zu hinterfragen und mich für mein Leben zu rechtfertigen. Es ist ein sehr, sehr gutes Gefühl, einen Begriff für mich zu haben. Ich brauchte diese kleine Box, in die ich mich stecken kann. Andere Leute würden sich darin eingeengt fühlen und sich lieber kein Label geben, aber ich denke, es ist ja meine Box. Ich kann sie ausbeulen und sie so formen, wie ich das möchte und wie es mir guttut. Die Verschwommenheit, die seit meiner Schulzeit in mir war, ist einer Klarheit und Akzeptanz gewichen. Heute kann ich sagen: Ich bin aromantisch und asexuell.
Was Freundschaft für mich bedeutet
Aromantische Personen wissen eher, was Freundschaften bedeuten können. Sicher kennen viele Menschen das Gefühl, enge Freundschaften zu führen. Aber bei aromantischen Personen nehmen sie oft viel mehr Raum ein. Sie teilen ihren Alltag mit Freund:innen, tauschen sich mit ihnen darüber aus, was sie im Alltag bewegt. All die Dinge also, die andere sonst in Partnerschaften tun.
Leider habe ich auch schon die Erfahrung gemacht, dass sich das verändern kann, sobald sich Freund:innen verlieben. Bei einer Freundin war ich plötzlich die zweite Geige. Ich hatte das Gefühl, dass ich hinter der anderen Person zurückstecken muss, weil ich „nur“ mit ihr befreundet bin. Wenn man aus dem Leben einer wichtigen Person gekickt wird, weil jemand „Besseres“ auftaucht, fühlt sich das scheiße an. Ich habe das angesprochen und die Freundin sagte, sie wollte mir nicht dieses Gefühl geben. Verletzt hat es mich trotzdem.
Wenn Freund:innen heiraten, ein Haus kaufen oder Kinder bekommen, haben sie ganz automatisch weniger Platz in ihrem Leben. Es ist hart, in solchen Momenten zu merken, dass man immer wieder hintenan gestellt wird.
Was ich daraus gelernt habe: Gerade in solchen Situationen ist es wichtig, offen miteinander zu sprechen. Ich habe eine Freundin, die verheiratet ist, ein Haus hat und über Kinder nachdenkt. Sie ist also genau in der Phase, die zwar toll für sie ist, unsere Freundschaft aber auf die Probe stellt. Letztens hat sie erzählt, dass sie total Angst hat, unsere Freundesgruppe zu verlieren. Sie fürchtet, dass wir sie nicht mehr besuchen wollen, wenn ein Baby da ist. Ich war ihr so dankbar, dass sie das angesprochen hat. Dadurch habe ich gesehen, dass sie mich nicht einfach vergisst, auch wenn sich ihr Leben komplett verändert. Ich habe ihr gesagt: „Ich mag dich. Und wenn du ein Kind hast, mag ich halt dich und dein Kind. Das wird nichts an unserer Beziehung verändern.“
Es geht darum, Beziehungen von Vorannahmen zu befreien
Dass Beziehungen auch anders aussehen können, erlebe ich gerade. Seit etwa sieben Jahren lebe ich in einer queerplatonischen Partnerschaft. Das klingt vielleicht kompliziert, aber im Grunde fühlen wir uns einfach sehr nahe, ohne dass wir eine sexuelle oder romantische Anziehung spüren. Seit letztem Jahr wohnen wir zusammen. Wir begleiten einander zu Arztterminen, teilen unseren Alltag und kümmern uns umeinander. Bestimmt denken viele, dass wir in einer romantischen Beziehung sind, wenn sie uns sehen, und doch ist es für mich etwas ganz anderes.
Während viele Menschen genaue Vorstellungen davon haben, wie klassische Beziehungen ablaufen sollen, gibt es keine klare Definition davon, was queerplatonische Beziehungen sind. Man kann nicht einfach sagen: „Ach, ich habe angenommen, dass unsere Beziehung auf diese bestimmte Weise läuft.“ Man muss über jedes Detail reden: Mit welchen Wünschen beginnt man die Beziehung? Will man sich körperlich nah sein? Will man die Familie kennenlernen? Und will man auch mit anderen Menschen eine solche Beziehung führen?
Das revolutionäre Potenzial aromantischer Beziehungen
Was Menschen von aromantischen Personen lernen können, ist, sich von gesellschaftlichen Vorstellungen freizumachen und Beziehungen, egal ob Liebesbeziehung oder Freundschaft, von Grund auf infrage zu stellen und neu zu denken. Was sind meine Bedürfnisse in dieser Beziehung? Wo sind meine Grenzen? Und wie können wir die Beziehung gemeinsam gestalten? Das kann sich am Anfang komisch anfühlen und Angst machen. Doch am Ende fühlt man sich viel wohler. Alles liegt offen. Alles ist gestaltbar. Und gemeinsam entscheidet man, wie man die Beziehung führen will.
Aromantik ist für mich revolutionär. Sie versucht, eingerostete Strukturen aufzubrechen, Verbindungen abseits der altbekannten Vorstellungen von Romantik und Freundschaft zu schaffen und stellt dadurch die Art, wie wir Beziehungen leben, grundlegend auf den Kopf.
Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger