Drei junge Frauen stehen auf einer Rolltreppe. Man sieht nur ihre Stiefel.

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Leben und Lieben

Brauchst du noch beste Freund:innen?

„Du bist meine beste Freundin“ ist das „Ich liebe dich“ einer Freundschaft. Aber warum so exklusiv?

Profilbild von Mirjam Ratmann
Freie Reporterin

Ich war 14 Jahre alt, da sagte meine beste Freundin nach einem gemeinsamen Urlaub: „Eva ist jetzt meine beste Freundin.“ Wer in der Schulzeit keine beste Freundin hatte, galt als Außenseiterin. Das wollte ich natürlich nicht. Lange hatte ich das Gefühl, dass ich, so wie ich war, falsch war und kein „Best Friends“-Material sein könnte. Dann lernte ich Lea kennen. Beide heißen in Wahrheit anders.

Einmal in der Woche saßen wir mit unseren Klarinetten nebeneinander im Schulorchester, sie war 14, ich 17 Jahre alt. Was mit unserem Interesse an Musik begann, entwickelte sich über die Jahre zu einer engen Freundschaft abseits der Schulaula. Wir verliebten uns in die Musik von Coldplay und Queen. Erlebten einen Rausch, als wir mit dem Orchester ABBAs „Thank you for the music“ in Schweden performten und alle dazu sangen. Wir gingen auf Dorfpartys, picknickten mit ihrem Familienhund, schauten „Harry Potter“ im Kino an und buken Zimtsterne für Weihnachten. Je länger wir uns kannten, desto häufiger schickten wir uns Kuss- und Herzsmileys. 2012, ich war inzwischen 20, schrieb ich ihr auf Facebook, eher nebensächlich, das erste Mal, dass sie meine beste Freundin sei. Sie ist es noch heute.

Nicht alle Deutschen haben jemanden wie Lea. Doch immerhin 66 Prozent gaben 2018 bei einer Studie des SINUS-Instituts an, eine:n beste:n Freund:in zu haben. Laut der Studie pflegen Deutsche durchschnittlich mit 3,7 Personen eine „enge“ Freundschaft und zählen elf Menschen zu ihrem erweiterten Freund:innenkreis. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass enge Freundschaften nicht nur wichtig für die mentale Gesundheit sind, sondern auch das Immunsystem stärken, das Demenzrisiko minimieren und sogar das Leben verlängern können. Aber braucht man überhaupt eine beste Freundin? Und ist das Label „Beste Freundin“ wichtig oder nur ein Überbleibsel aus Teeniezeiten?

Das Label „beste Freundin“ drückt Verbundenheit aus

Es gibt Menschen, die keine engen oder besten Freund:innen haben. Zum Beispiel KR-Leserin Rebecca. Sie hat mir auf meine Umfrage in der Krautreporter-Community geantwortet. Rund 140 Menschen haben ihre Geschichten geteilt. Rebecca schreibt, sie hatte zwar eine beste Freundin, die Freundschaft habe sich aber durch einen Umzug verlaufen. „Ich hätte gerne wieder so eine vertraute Bezugsperson. So eine vertraute und innige Freundschaft, wie ich sie aus dem Besten-Freunde-Kontext kenne, ersetzt ein großer Freundeskreis nicht“, schreibt sie. Das Label „beste Freundin“ drücke für sie eine besonders tiefe Verbundenheit und Verlässlichkeit aus.

Lea ist so eine Person für mich. Seit vielen Jahren bin ich in einer romantischen Beziehung, meine Freundschaft zu Lea ist dadurch nicht weniger wichtig geworden. Ich rufe sie immer noch an, wenn ich einen weiteren Rat brauche. Mit ihr kann ich ebenso eine Comedyshow besuchen, wie in Jogginghose auf der Couch Trash-TV schauen. Wir können zusammen schweigen, ohne dass es komisch wird. Lea ist für mich wie eine Schwester. Sie ist „my person“, wie Meredith Grey in der TV-Serie „Grey’s Anatomy“ über ihre beste Freundin Cristina Yang sagen würde.

Natürlich ist auch mein Partner diese Person für mich. Doch es tut gut zu wissen, dass ich mit Lea jemanden habe, die mir bei Beziehungskrisen beisteht und mit der ich andere Dinge teilen kann als mit meinem Partner. Den Frust über das Frausein in einer patriarchalen Welt oder die Freude an lauschigen Cafés. Eine Person, der ich ohne jegliches sexuelles Verlangen nah sein kann. Bei der ich ein zweites Zuhause habe. Es sind diese Nähe und Vertrautheit, die mich sagen lassen: „Lea ist meine beste Freundin.“ Für mich ist dieses Label ein Versprechen, dass ich ihr jederzeit beistehe. „Du bist meine beste Freundin“ ist für mich das „Ich liebe dich“ einer Freundschaft.

Selbst auf Dating-Apps suchen Menschen nach Freundschaften

Doch wie definiert man überhaupt eine solche enge oder beste Freundschaft? Für die Befragten der SINUS-Studie ist entscheidend, dass man jederzeit füreinander da ist, über alles reden kann und ehrlich zueinander ist. Die KR-Community nennt ebenfalls Vertrauen, Ehrlichkeit und Verlässlichkeit als wichtige Faktoren. KR-Leserin Rebecca, die gerne eine beste Freundin hätte, schreibt: „Man ist füreinander da, auch wenn es ungemütlich und nicht spaßig ist. Und man darf so sein, wie man sich fühlt und muss sich nicht verstellen, um zu gefallen.“

Als ich bei Google „beste Freundin“ eintippe, ergänzt die Suchfunktion das Wort: „gesucht“. Auf der Plattform beste-freundin-gesucht.de sehnen sich 171.215 Frauen nach dem, was ich habe. Selbst die Datingapp Bumble hat inzwischen „Bumble for friends“ eingerichtet. Eine beste Freundschaft scheint für Erwachsene nicht weniger wichtig zu sein als für Teenager:innen.

Ich frage die Psychologin Rebecca Schild, ob der Eindruck stimmt. Gemeinsam mit ihrer besten Freundin Rebekka Knoll, die sie seit der Schulzeit kennt, hat Schild das Buch „Freunde fürs Leben?“ geschrieben. „Im Teenageralter ist das Label ‚beste:r Freund:in‘ wichtig, um sich einer Peergroup zuzuordnen“, sagt sie. Aber je reifer und mehr im Reinen man mit sich sei, desto weniger wichtig werde es, eine Freundschaft zu labeln.

Trotzdem: „Wir wollen alle etwas Besonderes sein. Und es ist schön zu wissen, dass ich für diese Person die Nummer Eins bin und auserwählt wurde.“

KR-Leserin Nina sieht das ähnlich. Sie schreibt: „Mir ist dieses Label so wichtig, weil es mir ein Gefühl der exklusiven Zugehörigkeit gibt. Es ist ein persönlicher Erfolg oder eine Auszeichnung, da es für mich heißt, ich habe in eine Beziehung bewusst investiert oder sie zumindest priorisiert.“

Ein Ranking kann Freundschaften belasten

Womit Schild recht hat: Eine beste Freundin zu haben, war in der Schulzeit ein Statussymbol. Auf der Rückseite von Collegeblöcken schworen sich Mädchen „Best Friends 4 eva“ zu sein. Wer das auf seinem Block vorzuweisen hatte, war stolz, wer ein solches Bekenntnis nicht hatte, neidisch. Wer eine beste Freundin hatte, war cool und gehörte dazu.

Und selbst, wenn man mehrere Freundinnen hatte, gab es nur die eine beste Freundin. Eine beste Freundin musste loyal sein, der anderen überallhin folgen und idealerweise einen ähnlichen Stil haben. Seien es Marissa und Summer in „O.C. California“ oder Brooke und Peyton in „One Tree Hill“ – die Fernsehserien der frühen 2000er Jahre zelebrierten Freundschaft in Perfektion. Ein solches Label brachte Verantwortung und Pflichten mit sich: Mit wem teile ich auf der Klassenfahrt ein Zimmer? Mit wem verbringe ich die Pause? Wem erzähle ich als Erstes von meinem neuen Crush? Es gab Phasen, da machte es mehr Arbeit als Spaß, eine beste Freundin zu sein. Die Gefahr war, die andere zu enttäuschen, gar zu verletzen, wenn man sich mit einem anderen Mädchen besser verstand. Trotzdem wollte ich damals unbedingt diese eine besondere Freundin für jemanden sein.

Der Wunsch, alles mit einer Person teilen zu wollen, sei natürlich, sagt Schild. „Mit dem Label ‚beste:r Freund:in‘ baut man aber viel Druck für eine Beziehung auf.“ Freundschaften zu ranken, könne diese belasten. „Es ist zu viel erwartet, dass eine Person alles bieten soll, was wir im Leben brauchen“, sagt die Psychologin. Vielmehr sei wichtig zu erkennen: Der Begriff beste Freund:in könne für eine Reihe von Menschen gelten. „Freundschaften im Erwachsenenalter haben oft unterschiedliche Schwerpunkte: Mit der einen kann ich in den Urlaub fahren, mit der anderen teile ich den gleichen Humor. Dass wirklich alles mit einer anderen Person passt, ist sehr unwahrscheinlich – und das ist okay.“ Auch viele Mitglieder der KR-Community haben eher mehrere enge Freund:innen als eine:n beste:n Freund:in. KR-Mitglied Leo schreibt: „Bei mir ändert sich das immer wieder, mit wem ich gerade das Gefühl habe, am besten befreundet zu sein. Ich spreche lieber von temporären besten Freund:innen. Denn ich bin mir immer bewusst, dass sich das auch jederzeit ändern kann.“

Schon vor dem Gespräch mit Rebecca Schild spürte ich eine Scheu, von meiner besten Freundin zu sprechen. Nun wurde mir nochmal mehr klar, warum. Auf der einen Seite verbinde ich damit den Druck und auch die Enttäuschung aus meiner Schulzeit. Und ich will emotionalen Raum lassen für andere Personen, die mir nahekommen und enge Freund:innen werden könnten. Denn genauso wenig wie mein Partner alles für mich sein kann, kann Lea das.

Verbringen wir mehr als 200 Stunden zusammen, entstehen beste Freundschaften

In der KR-Community kennen viele ihre:n beste:n Freund:in seit der Schulzeit oder aus dem Studium, manche haben sich im Job, Chor oder Yogakurs kennengelernt. Einige bezeichnen ihre:n Partner:in als beste:n Freund:in.

Laut einer Studie aus den USA müssen Menschen mehr als 200 Stunden gemeinsame Zeit investieren, bis eine beste Freundschaft entstehen kann. Rebecca Schild ist sich sicher: „Eine neue Freundschaft kann ebenso eng und wertvoll sein wie eine, die schon 20 Jahre dauert.“ Sie sagt, enge Freundschaften entstehen dann, wenn zwei Menschen Gefühle austauschen und gemeinsam viel erleben.

Lea und ich kennen uns nun seit 15 Jahren. Enge Freundinnen wurden wir aber erst mit Distanz. Als ich nach dem Abitur ins Ausland ging und im Hostelbett in Vancouver saß, planten wir den Sommer meiner Rückkehr. Trotz neunstündigem Zeitunterschied, skypten wir regelmäßig. Zu Weihnachten schickte sie mir Schokolade und Lebkuchen. „Kannst du nicht rüberkommen? Ich vermisse dich so!“, schrieb sie in einem Brief. Es war eine Freundschaft, wie ich sie mir als Jugendliche immer gewünscht hatte.

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Während des Studiums und in den ersten Berufsjahren labelte ich zwar ein paar Menschen als beste:r Freund:in. Durch Umzüge verliefen sich aber manche dieser Freundschaften. Oder ich merkte, in dieser Freundschaft nicht authentisch sein zu können. Der Freundschaftsforscher Janosch Schobin nennt solche Freund:innen in Interviews gerne „Lebenszeugen“. Menschen würden wie Passagiere eines Zugs einen Teil der (Lebens-)Strecke mitfahren und irgendwann wieder aussteigen. Lea ist immer in meinem Zug sitzen geblieben.

Im Sommer nach meinem Auslandsaufenthalt tanzten wir auf dem Southside-Festival zu The Kooks, Casper und Mumford and Sons. Bei meinem Umzug nach Leipzig half sie mir, die Wände meines WG-Zimmers fliederfarben zu streichen und stand ein halbes Jahr später vor meiner Wohnungstür, um mich zum 21. Geburtstag zu überraschen. Ging es früher darum, welcher Junge vielleicht auf uns stehen könnte und wo die nächste Party steigt, verabreden wir uns heute, um Frozen Yogurt oder Sushi zu essen, gehen spazieren, spielen Karten oder schauen zusammen die aktuelle Folge von „Wer stiehlt mir die Show?“. Wenn ich mal eine Woche nichts von Lea höre, vermisse ich sie.

Freundschaften halten durchschnittlich sieben Jahre

Dass wir immer noch so eng befreundet sind, ist eher unüblich. Wie der Soziologe Gerald Mollenhorst herausfand, halten Freundschaften durchschnittlich sieben Jahre. Lea und ich hatten Glück: Obwohl sie drei Jahre jünger ist als ich, haben wir uns in eine Richtung entwickelt. Wir hatten zur gleichen Zeit den ersten Freund. Wir haben im Ausland gelebt. Wir mussten eine Fernbeziehung überstehen. Wir haben gemeinsam getrauert und uns in Krisensituationen unterstützt. Wir sind Feministinnen. Inzwischen wohnen wir sogar wieder in der gleichen Region. Und selbst, wenn wir uns mal länger nicht sprachen oder eine andere Person wichtiger war: Wir haben uns stets wiedergefunden. Lea ist geblieben. Und ich hoffe, dass sie auch in 15 Jahren in meinem Leben sein wird. Egal, ob als „beste Freundin“ oder nicht.

Auf dem Weg in unseren Kurzurlaub in die hessische Heimat erzähle ich ihr von der Idee für diesen Artikel und frage sie: „Was hältst du von dem Label ‚beste Freundin‘?“ Lea, die gerade die Autobahnspur wechselt, überlegt kurz, sagt dann: „Mhm, ich würde sagen, dass ich mehrere enge Freund:innen habe. Aber die will ich eigentlich nicht ranken. Das baut so viel Druck auf.“ Sie macht eine kurze Pause. „Ich glaube auch nicht, dass eine Person alles für einen abdecken kann.“ Obwohl Lea für mich diese beste Freundin ist, muss ich nicht zwangsweise ihre einzige beste Freundin sein. Das ist okay. Ich brauche das Label nicht mehr, um mich ihr nah zu fühlen.


Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger

Brauchst du noch beste Freund:innen?

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