Dorothy, Blanche, Rose und Sophia haben es geschafft. Die vier Frauen sind im „besten Alter“ und wohnen gemeinsam in einem Haus. Jede hat ein eigenes Zimmer, die Küche, das Wohnzimmer und das Bad teilen sie sich. Ihre Ehemänner sind tot oder sie haben sich scheiden lassen. Die Mitbewohnerinnen teilen sich ihren Alltag, jede macht ihr Ding, abends treffen sie sich zum Abendessen nach der Arbeit zu Hause in der Küche, trinken Filterkaffee, erzählen sich von ihren Erlebnissen und essen gemeinsam an einem viel zu kleinen Küchentisch Käsekuchen.
Klingt super, oder?
Leider ist nichts davon wahr. Die vier Frauen und ihre WG gab es nie wirklich, sie sind Charaktere in einer der berühmtesten Sitcoms der Achzigerjahre: „Golden Girls“.
Auch wenn die Frauen fiktiv sind, leben sie einen Traum: gemeinsam mit Freunden alt zu werden, selbstbestimmt, ohne verheiratet sein zu müssen. Zugegeben, die „Golden Girls“ sind nicht pflegebedürftig, nur eben älter. Und trotzdem zeigt die Serie und die Geschichten, die sie erzählt, dass es eine Alternative zum Pflegeheim und zur Pflege zu Hause gibt: Wohngemeinschaften, in denen sich Menschen zusammentun, um gemeinsam alt zu werden.
Diese Pflege-WGs sind gar nicht so utopisch, es gibt sie wirklich – auch in Deutschland. Ich zeige dir in diesem Text, was du beachten musst, wenn du eine Pflege-WG gründen möchtest – für dich selbst oder auch für deine Eltern.
Was ist eine Pflege-WG?
Eine Pflege-WG ist erst mal eine ganz normale WG, also Wohngemeinschaft, aus Menschen, die zusammen in einer Wohnung wohnen. Meistens hat jede:r Mitbewohner:in ein eigenes Zimmer. Bad, Küche und vielleicht ein Wohnzimmer werden gemeinschaftlich von allen genutzt.
Es gibt anbieterorganisierte und selbstorganisierte Pflege-WGs. Die anbieterorganisierten gibt es sehr viel häufiger als die selbstorganisierten Wohngemeinschaften. Sie werden oft von einem Verein oder der Kommune verantwortet und kommen rein organisatorisch dem betreuten Wohnen oder auch einem Heimplatz nahe, sollen den Bewohner:innen aber auch möglichst viel Selbstständigkeit bieten. Trotzdem werden wichtige Entscheidungen vom Anbieter getroffen. Zum Beispiel auch, wer einziehen darf.
Anders bei den selbstorganisierten Pflege-WGs. Das sind komplett privat organisierte Wohngemeinschaften, die aus Eigeninitiative gegründet werden. Die Bewohner:innen entscheiden über alle organisatorischen und auch finanziellen Fragen selbst.
Was spricht für eine Pflege-WG?
Das Abenteuer! In Pflegeheimen gibt es häufig kaum einen Grund mehr, das Heim zu verlassen. Sogar der Friseur kommt zum Haareschneiden vorbei (als meine Oma im Heim war, hatte sie nach 60 Jahren blonder perfekter Dauerwelle auf einmal braune halbfertige Locken, weil sie ihren stehenden Friseurtermin am Freitagnachmittag nicht mehr wahrnehmen konnte und der Heimfriseur nur bedingt Auswahl hatte).
Wer schon mal in einem Pflegeheim war, vielleicht auch nur zu Besuch, der weiß, das sind Orte, die aus praktischen Gründen eingerichtet wurden. Es gibt Rampen und Bilder der Bewohner an den Zimmertüren, es riecht nach Desinfektionsmittel und überall laufen Menschen in weißen Pflegeoutfits rum. Das Gefühl ist eher „Krankenhaus“ als „Zuhause“. Für viele Familien und für viele Betreuungssituationen ist das genau das richtige Setting. Für einige ist der Übergang aber zu krass von „Ich wohne zuhause und mache mein Ding“ zu „Ich wohne im Heim und gebe alle Verantwortung ab.“ Für diese Momente kann eine Pflege-WG eine gute Möglichkeit sein, im Alter möglichst lange selbständig und selbstbestimmt zu leben, trotz eventueller körperlicher oder geistiger Einschränkungen.
Was ist mit der Pflege?
In selbstorganisierten Pflege-WGs muss die Pflege, Überraschung, selbst organisiert werden. Das heißt, jede:r Mitbewohner:in kümmert sich selbst um seinen Pflegebedarf. Das ist anstrengend. Aber: Pflegeleistungen können „gepoolt“, also zusammengelegt werden. Statt fünf verschiedener Pflegedienste kommt dann ein Pflegedienst, der sich um mehrere Bewohner:innen gleichzeitig kümmert.
Außerdem kann (und muss bei entsprechender Förderung) eine gemeinschaftliche Präsenzkraft genutzt werden. Das bedeutet, die Pflege ist kein Selbstläufer, wie sie das vielleicht in einem Pflegeheim oder im betreuten Wohnen ist, aber sie ist lösbar. Pflegeheime sind, was das angeht, das „Rundum-Sorglos-Paket“, auch für Angehörige.
Kann jede:r in einer Pflege-WG wohnen?
Auch wenn der Name andeutet, dass alle Bewohner:innen schon pflegebedürftig sein müssen, können dort Menschen mit allen Pflegegraden vertreten sein. Auch Menschen ohne Pflegegrad können hier mitwohnen. Um finanzielle Unterstützung von der Pflegekasse zu bekommen, müssen neben einem selbst mindestens zwei weitere Bewohner:innen mindestens Pflegegrad 1 bewilligt bekommen haben.
Da in der selbstorganisierten Pflege-WG alle Aspekte des Alltags von den Bewohner:innen selbst organisiert werden müssen, ist empfehlenswert, dass nicht alle Menschen schon einen hohen Pflegegrad und damit eine hohe Pflegebedürftigkeit haben. Außerdem ist es praktisch, wenn die Bewohner:innen Verwandte oder Freunde in der Nähe haben, die unterstützen können.
In was für einer WG möchtest du leben?
Suchst du ein lockeres Zusammenwohnen, wo jeder nach sich selbst schaut oder eine gut organisierte und sichere Gruppe, die aufeinander aufpasst und Pflegeleistungen miteinander abstimmt? Oder vielleicht andere muntere Senior:innen, Menschen mit ähnlichen pflegerischen Anforderungen oder auch neue Freund:innen? Je nachdem, wie die Wohngemeinschaft aufgebaut sein soll, kannst du zum Beispiel auch Unterstützung bei der Pflegekasse beantragen (dazu unten mehr). Erstmal brauchst du aber: andere Menschen, die sich auch vorstellen können, in eine WG zu ziehen.
Wie finde ich Mitbewohner:innen?
Interessierte kannst du zum Beispiel über den örtlichen Pflegestützpunkt finden. Es gibt auch spezielle Seiten, etwa speziell für Demenz-Wohngemeinschaften (die aber meistens nicht selbstorganisiert sind). Es ist auch möglich, über Anzeigenseiten wie WG-Gesucht ein Zimmer, eine Wohnung oder andere Interessierte zu finden. Oder über einen Aushang im Supermarkt (so haben sich die „Golden Girls“ kennengelernt), eine Kleinanzeige online oder in der Lokalzeitung in der Stadt, in der du gerne eine WG gründen möchtest, oder direkt in einem Pflegeheim in der Nähe. Wichtig ist, sich für das Kennenlernen genug Zeit zu nehmen und zu schauen, ob ihr wirklich ähnliche Vorstellungen vom Zusammenleben habt, da eine Neugründung auch bürokratisch und organisatorisch aufwendig ist. Denn: Nicht jeder kommt für eine Pflege-WG infrage.
Wie finde ich heraus, ob eine Pflege-WG etwas für mich ist?
Vielleicht kennst du es noch aus Studientagen oder von Menschen aus deinem Umfeld: In einer Wohngemeinschaft zu leben, heißt, Kompromisse zu finden. Nahezu alle Aspekte des gemeinschaftlichen Alltags in der WG müssen mit anderen abgestimmt werden. Das ist auch ohne körperliche oder psychische Einschränkungen manchmal schon eine Herausforderung. Bei speziellen Anforderungen oder kauzigen Wünschen können WGs auch schnell zu Streit führen. Wenn du also immer eher Ruhe suchst und gerne alleine bist, sind die Pflege zu Hause oder ein Pflegeheim vielleicht doch eine bessere Alternative für dich.
Wie sind die rechtlichen Voraussetzungen?
Meistens gelten Pflege-WGs als ambulant betreute Wohngruppen. Sie sollen Pflegebedürftigen möglichst lange die Möglichkeit geben, selbstbestimmt und eigenständig zu leben, darum werden sie speziell gefördert. Die Bestimmungen für Pflege-WGs variieren von Bundesland zu Bundesland, hier gibt es eine Übersicht der geltenden Heimgesetze. Beratung bieten die Pflegekasse oder Pflegestützpunkte.
Selbstorganisierte Pflege-WGs haben keine reguläre Leitung wie ein Pflegeheim und dadurch auch weniger Kontrolle, sie unterliegen nicht der Heimaufsicht, sondern lediglich den Vorschriften des BGB. Die Aufrechterhaltung der Wohnqualität liegt in der Eigenverantwortung der Bewohner:innen.
In der Pflege-WG müssen mindestens drei pflegebedürftige Menschen wohnen, mehr als zwölf Menschen in einer Wohnung sind nicht erlaubt. Vertraglich müssen mögliche Pflegeleistungen und der Mietvertrag voneinander getrennt geregelt sein. Die Bewohner:innen müssen ihren Alltag selbst organisieren und regeln können. Wenn diese Punkte nicht gegeben sind, werden die Wohngemeinschaften wie anbieterorganisierte Pflege-WGs behandelt. Das heißt zum Beispiel, sie erhalten weniger Förderung.
Welche Förderungen gibt es?
Wenn du eh schon einen Pflegegrad hast, dir also schon Pflegesachleistungen zustehen, kannst du in einer Pflege-WG zusätzlich 214 Euro monatlich von der Pflegekasse bekommen, das ist der Wohngruppenzuschlag. Den Zuschlag erhältst du auch schon mit Pflegegrad 1. Eine Voraussetzung ist, dass die Wohngemeinschaft gemeinsam eine „Präsenzkraft“ beauftragt. Diese Person unterstützt bei alltäglichen und organisatorischen Aufgaben in der Wohnung, leistet aber keine konkrete Pflege.
Außerdem kann eine Förderung für den Umbau einer Wohnung, um eine Pflege-WG zu gründen, beantragt werden. Bis zu 2.500 Euro pro Person sind möglich, der Gesamtbetrag pro Wohnung liegt aber bei 10.000 Euro. Wichtig ist: Die Förderung muss vor dem Einzug beantragt werden. Für die Zeit nach dem Einzug kann eine weitere Förderung von 4.000 Euro pro Bewohner:in genehmigt werden, um häusliche Pflege zu ermöglichen oder Maßnahmen zu verbessern. Diese Förderung ist bei 16.000 Euro gedeckelt.
Wie finde ich eine gute Wohnung?
Selbst wenn Bewohner:innen, Förderungen, Präsenzkraft und anderes bereits geregelt sind, brauchst du immer noch eine Wohnung, die verfügbar und geeignet ist, um für eine Pflege-WG genutzt zu werden. Also entweder schon genug Platz bietet, um auch für Menschen mit Pflegebedürftigkeit genutzt zu werden oder dafür umgebaut werden kann. Und vielleicht ist sie auch noch in einer schönen Nachbarschaft, das Haus ist nett, es gibt öffentliche Verkehrsmittel und kostet keine 5.000 Euro. Vermutlich wird die Suche nach einer Wohnung nicht so schnell klappen, wie der Bedarf besteht. In manchen Städten sind Neubauprojekte im Bau oder in Planung, die speziell für Senioren-WGs oder Pflege-Wohngemeinschaften Platz haben. Vielleicht besteht auch die Möglichkeit, die Wohnung eines zukünftigen Bewohners oder einer zukünftigen Bewohnerin umzubauen und für eine Pflege-WG zu nutzen? Wer nur ein Zimmer oder eine bestehende Wohngemeinschaft sucht, kommt vielleicht bei den Pflegestützpunkten weiter. Häufig werden geeignete Wohnungen auch unter dem Stichwort „Seniorenwohnen“ angeboten.
Was sollte ich vertraglich regeln?
Jede:r Mitbewohner:in muss einen Mietvertrag für den Wohnraum abschließen. Das kann man natürlich auch als Gemeinschaft machen. Außerdem kann es sinnvoll sein, sich eine Gemeinschaftsvereinbarung zu überlegen. Hier kann zum Beispiel festgeschrieben werden, was bei Konflikten passiert. Alle pflegebedürftigen Bewohner:innen schließen außerdem einen individuellen Vertrag mit einem Pflegedienst ab und die Arbeit der Präsenzkraft muss vertraglich organisiert sein.
Warum wohnen nicht alle in einer Pflege-WG?
Weil es wahnsinnig anstrengend ist, sich um alles selbst zu kümmern. Und selbst wenn du alles geregelt hast, heißt das nicht, dass jetzt alles entspannt bleibt. Die Pflegesituation kann sich verändern oder umfangreicher werden, vielleicht passen dann die Voraussetzungen im Haus oder in der Wohnung nicht mehr zu den Anforderungen. Außerdem ist eine Wohngemeinschaft vor allem auch eine Gemeinschaft. Das heißt, Bewohner:innen teilen sich nicht nur das Klo, die Miete und vielleicht Pflegeleistungen, sondern auch deren Familien, Freundeskreise und Marotten.
Warum sollte ich es trotzdem tun?
Die „Golden Girls“ werden im Lauf der Serie natürlich enge Freundinnen, sie finden in den anderen Frauen ihre Wahlfamilie. Gemeinsam erleben sie Jobverluste, Einsamkeit, Geldsorgen, sie verlieben sich, trennen sich, überstehen Krankheiten und den Tod. Die Serie war in den Achzigerjahren absoluter Vorreiter, weil sie das Leben älterer Menschen und von Menschen ohne Familienverbund thematisierte. Nicht nur darum sind Dorothy, Blanche, Rose und Sophia bis heute Gay Icons. Auch queere Menschen sind oft auf der Suche nach einem Ort, einer Community und vertrauten Umgebung, die ihre ersten Familien ihnen nicht bieten können. Viele ältere Menschen, die nicht mehr alleine wohnen können oder wollen, können das vielleicht nachempfinden.
Denn die „Golden Girls“ finden an ihrem viel zu kleinen Küchentisch genau das, den ultimativen Sehnsuchtsort: ihr Zuhause.
Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger