Gemälde: Ein Mann steht vor einer Reihe von Frauen. Alle sind schick gekleidet und tragen Fächer.

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Leben und Lieben

Verkuppelt eure Freund:innen!

Denn ihr könnt es besser als Tinder.

Profilbild von Lisa Bullerdiek
Reporterin

An diesem Sonntagmorgen wache ich nicht in meinem eigenen Bett auf. Das Zimmer kommt mir trotzdem bekannt vor: Bilder, die er gezeichnet hat und die ich schon betrachtet habe; Gitarren, von denen ich seit Jahren weiß, dass er sie spielen kann. Letzte Nacht wurde ich verkuppelt, von meiner Schwester, mit ihrem Kollegen. Sie nennt es ihren „Masterplan“.

Während ich dort liege und mich über seine fünf Kopfkissen und gute Bettwäsche freue, denke ich an die Stunden auf Dating-Apps, die ich damit verbracht habe, Männer mit dem Hobby „Gin Tonic“ auszusortieren. Und ich denke an andere Männer, die ich in Bars getroffen habe, den Schock über zerknautschte Gesichter am Morgen danach.

Ich wünschte, er würde noch ein bisschen schlafen. Dann könnte ich sein Gesicht studieren und darin nach dem bekannten Schock suchen. Aber er ist schon wach und macht mir Kaffee.

Nicht nur meine eigene Erfahrung zeigt: Verkuppeln ist super! Auch in der KR-Community haben schon viele positive Erfahrungen damit gemacht. KR-Mitglied Lisa zum Beispiel, die mit einer Gruppe zu viert in den Urlaub gefahren ist. Bei zwei der Freund:innen knisterte es. „Ich habe indirekt ein wenig nachgeholfen und zum Beispiel Situationen initiiert, wo die beiden länger zu zweit sein mussten“, schreibt Lisa. „Sie haben geheiratet und inzwischen drei Kinder.“

Ich glaube deshalb, dass wir öfter unsere Freund:innen verkuppeln und uns selbst verkuppeln lassen sollten. Das klingt nur auf den ersten Blick etwas rückschrittlich. Denn Verkuppeln hat einige Vorteile gegenüber anderen Dating-Methoden.

Verkuppeln ist super – sagt sogar die Wissenschaft

Pia Kabitzsch ist Psychologin und beschäftigt sich mit Dating. Sie hat das Buch „It‘s a date! Tindern, Ghosting, große Gefühle. Was die Psychologie über Dating weiß“ veröffentlicht. Per Mail schreibt sie mir: „Tatsächlich gibt es auch verschiedene Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Freund:innen einen realistischeren Blick auf Datingsituationen haben und das Schicksal der Verbindungen besser vorhersagen können, als die Personen, die involviert sind.“ Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 1999 beschäftigte sich zum Beispiel mit dem Beziehungsschicksal von 34 Student:innen. Sie wurden gefragt, ob sie glauben, noch in sechs Monaten mit ihren Partner:innen zusammen zu sein. Anschließend wurden auch ihre Freund:innen und Eltern danach gefragt. Das Ergebnis: Die Freund:innen konnten am besten einschätzen, ob die Beziehung hält.

Es kann also besser sein, sich auf Freund:innen und Familie zu verlassen, statt auf Algorithmen oder das angetrunkene Selbst. Die Menschen, die einem nahestehen, kennen einen zwar nicht unbedingt besser, aber sie haben einen liebevolleren Blick auf einen.

Diese Erfahrungen haben auch mehrere Mitglieder der Krautreporter-Community gemacht und mir in einer Umfrage davon erzählt. Carstens Geschichte mochte ich besonders: „Ich war Ende 20, abends mit einem Freund in Freiburg unterwegs, und er meinte, dass noch eine Freundin von ihm vorbeischauen würde. Wir fanden uns sympathisch und trafen uns zu zweit. Später erfuhr ich, dass er ihr schon tagelang von mir erzählt hatte.“ Und die Auflösung: „Wir sind seit 14 Jahren zusammen, seit fünf verheiratet und haben zwei Kinder. Der Bekannte war der Trauzeuge meiner Frau.“

Auch Natalie hatte einen liebevollen Blick auf ihren Cousin und hat ihn so verkuppelt. Sie habe ihn und eine Freundin mehrfach zum WM-Gucken mitgenommen. Mit der Freundin haben sie darüber geredet, „warum ich ihn für einen ‚guten Partner‘ halten würde.“ Der Cousin und die Freundin verabredeten sich zu Dates und haben inzwischen Kinder.

Kuppeln und Verkuppeltwerden hat eine lange Geschichte

Historisch betrachtet haben wir heute viel mehr Freiheit bei der Partner:innenwahl. Früher wurde Dating stark kontrolliert, mit heute absurd anmutenden Regeln. Das zeigt die britische Journalistin Nichi Hodgson in ihrem Buch „The Curious History of Dating. From Jane Austen to Tinder“, in dem es um die Geschichte des Datings seit 1700 geht.

In England im 18. Jahrhundert ging es vor allem darum, die hormongesteuerten Teenager im Zaum zu halten. Dort wurde das Verkuppeln so ernst genommen, dass andere Arten des Kennenlernens kaum erlaubt waren.

Um 1700 trafen sich die Kinder der Oberschicht auf Bällen. Dort durften sie aber nicht nach Lust und Laune mit jedem oder jeder tanzen. Nur wer offiziell einander vorgestellt wurde, durfte tanzen, aber nicht miteinander sprechen. Um die strikten Regeln zu umgehen, gab es geheime Codes: Mit Fächerbewegungen drückten die jungen Frauen verschiedene Dinge aus. Schnelles Wedeln mit dem Fächer: „Ich bin verlobt.“ Halb-geschlossener Fächer an den Lippen: „Küss mich.“ Wirbeln des Fächers in der linken Hand: „Jemand beobachtet uns.“ Platzierung des Fächers über dem Herzen: „Ich liebe dich.“

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War das Fächerwedeln erfolgreich, verabredeten sich die jungen Leute meist zu Spaziergängen. Dabei waren sie natürlich nicht unbeobachtet, meist war die Mutter der jungen Frau anwesend.

Solche strengen Rituale entstanden, weil die ökonomische Stellung der Frauen von ihrer Partnerwahl abhing. War ihr Gatte arm, waren sie es auch. Scheidungen waren kaum möglich, sodass es für das Überleben der Frauen wichtig war, den richtigen Partner zu wählen. Den konnten sie aber nur bekommen, wenn sie möglichst unschuldig und unbefleckt in die Ehe gingen – ihre „Jungfräulichkeit“ sollte von Familie und Gesellschaft geschützt werden.

Meisterin im Verkuppeln war Queen Victoria, von 1837 bis 1901 Königin des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Irland: Indem sie ihre Nachfahren verkuppelte und in ganz Europa verheiratete, wollte sie ihre Vormachtstellung stärken. Von ihren neun Kindern und 42 Enkelkindern waren sieben gekrönte Monarchen. Gut für sie, schlecht für die Weltlage: Manche Historiker:innen gehen davon aus, dass die Königin mit ihrer Kuppelei maßgeblich zur Entstehung des 1. Weltkriegs beigetragen hat.

Mit der sexuellen Revolution kam Verkuppeln aus der Mode

Nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich die Sexualmoral und damit auch das Dating-Verhalten. Shulamith Firestone, eine amerikanische Radikalfeministin der 1970er Jahre, hat in „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“ analysiert, inwieweit Frauen durch die sexuelle Revolution wirklich befreit worden sind. Sie schreibt dort: „Die Situation der Frauen hat sich niemals grundlegend geändert. Seit 50 Jahren haben die Frauen doppelt unter der Liebe zu leiden: Unter dem Vorwand der ‚sexuellen Revolution‘, die angeblich stattgefunden hat, sind die Frauen dazu verleitet worden, ihre Rüstung abzulegen.“

Einfacher ausgedrückt: Weil Frauen angeblich befreit worden sind, wird ihnen suggeriert, sie müssten sich nicht mehr vor Männern schützen. Sie können sich einfach ins Dating stürzen, sozusagen die Fächer ablegen. Alte Rituale der Partnersuche, dazu kann man auch Verkuppeln zählen, werden laut Firestone als „grauenhaft, unfair, prüde, altmodisch, puritanisch und selbstzerstörerisch“ abgetan.

Dabei, fragt Moderatorin Aysegül im Podcast „Don’t read theory“ in Bezug auf das Zitat: „Wie viele Frauen hatten idealistische Vorstellungen von Liebe und Sexualität und haben an die sexuelle Freiheit geglaubt, nur um frustrierende bis extrem gefährliche, niederschmetternde Erfahrungen zu machen?“ Online-Dating ist das beste Beispiel dafür. Schnelles, impulsives Swipen, schnelle, impulsive Flirts. Frustrierende oder gefährliche Erfahrungen inklusive.

Online-Dating verspricht Spaß und Liebe, macht aber nur unglücklich

Mittlerweile lernen sich genauso viele Leute online wie über gemeinsame Freund:innen kennen – jeweils 24 Prozent aller Paare. Obwohl Online-Dating normal ist, scheint es viele eher zu frustrieren. 70 Prozent aller Singles gaben in einer Studie an, mit ihrem Dating-Leben unzufrieden zu sein – trotz endloser Swipe- und Like-Möglichkeiten. Psycholog:innen nennen es das Auswahlparadoxon: Je mehr Auswahl wir haben, ob beim Einkaufen oder Daten, desto weniger Lust haben wir auf die jeweiligen Produkte – oder Menschen.

Dating-Apps können zudem realen Schaden in unserer Psyche anrichten, obwohl sie Liebe oder zumindest Spaß versprechen. Laut einer Studie aus dem Jahr 2020 verschlimmert Online-Partnersuche Depressionen und Ängste. Je mehr wir sie nutzen, desto stärker ist dieser Effekt.

Online-Dating kann natürlich auch Vorteile haben. Gerade für nicht-heterosexuelle Paare ist es bis heute wichtig, sich im Geheimen treffen zu können. Wenn das Umfeld intolerant, homophob oder rassistisch ist, kann man sich nicht verkuppeln lassen. Dates müssen dann im Geheimen stattfinden. Auch Psychologin Kabitzsch schreibt, dass verkuppelt zu werden bedeute, einen eher passiven Part einzunehmen: „Es kann einen in eine gewisse Abhängigkeit bringen.“

Gerade diese Passivität kann aber für manche hilfreich sein. Bei KR-Mitglied Jens war das zum Beispiel so. Er wurde Mitte der 1990er Jahre von seinem damals besten Kumpel verkuppelt. Der Kumpel organisierte ein kurzes, „zufälliges“ Kennenlernen mit Jens und einer Freundin, dann einen Zoobesuch. „Und irgendwann waren wir dann verliebt“, schreibt Jens. „Ich war sehr dankbar für die Kuppelei, da ich damals ein hoffnungslos schüchterner Fall war.“

Mir helfen diese Überlegungen, herauszufinden, was ich wirklich will. Ich kann es mit den Apps auch einfach sein lassen, wenn sie mir keinen Spaß machen. Und für das, was ich wirklich will, ist Verkuppeltwerden eine ziemlich gute Lösung:

  • Minimalanforderung: Ich will nach einem Date nicht tot im Straßengraben landen. (Bei Verkuppeln von guten Freund:innen ziemlich ausgeschlossen.)
  • Ich will mit einer Person Zeit verbringen, die meine Interessen teilt. (Auch das können Freund:innen abschätzen.)
  • Ich will nicht so viel Zeit an meinem Handy verbringen. (Kein Swipen nötig!)
  • Ich will meine Zeit nicht mit Menschen verschwenden, die sich als Arschlöcher herausstellen. (Auch das können Freund:innen ganz gut abschätzen.)
  • Ich will mit jemandem zusammen sein, den meine Freund:innen mögen. (Selbsterklärend!)

Es spricht also einiges fürs Verkuppeln! So ähnlich sieht es auch KR-Mitglied Barbara. Sie und ihr Mann hätten Freund:innen aus anderen Städten zu sich eingeladen, um zu viert ein gemeinsames Wochenende zu verbringen. Mit durchschlagendem Erfolg: „Das wird seit 50 Jahren fast jährlich beim Zusammenkommen erwähnt. Das verkuppelte Paar hatte nämlich schon Goldene Hochzeit.“

Eine Goldene Hochzeit kann ich noch nicht ankündigen, aber der „Masterplan“ meiner Schwester läuft gut weiter. Ich bin seitdem noch an ein paar Sonntagen und Samstagen und manchmal sogar unter der Woche in seinem Bett aufgewacht.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

Verkuppelt eure Freund:innen!

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