Die Frauenärztin beim Ultraschall sagte, dass sie etwas sehe und Shila Behjat denkt: Er darf bloß kein Arschloch werden. Genauso wenig sein Bruder. Keiner von beiden soll einer jener Männer werden, vor denen sich eine Frau fürchten muss.
Diesen Buchauszug hat Astrid Probst ausgewählt
Astrid schreibt über Menschen mit Problemen und Lösungen. Hier begründet sie, warum du diesen Buchauszug lesen solltest.
Söhne großziehen als Feministin ist eine Aufgabe. Und zugleich eine Möglichkeit, den modernen Mann zu erschaffen, ihm Fähigkeiten und Werte beizubringen, die zur Geschlechtergerechtigkeit beitragen. Dafür zu sorgen, dass er rücksichtsvoll ist, sich seiner Position im Patriachat bewusst ist und diese nicht ausnutzt. Aber kann man sich davon frei machen, dass man seinem Kind das Beste wünscht? Dass man ihm trotzdem wünscht, dass es sich durchsetzen kann und erfolgreich ist? Und können Männer, die sanft und empathisch sind, in einer männlich dominierten Welt bestehen, ohne gehänselt zu werden, ohne unterzugehen?
Muss man entscheiden, ob man einen Mann so erzieht, dass er der Gesellschaft nicht schadet – die Gesellschaft aber im Zweifel ihm? Das ist für mich die große Frage von Shila Behjats Buch. Die Publizistin mit deutschiranischen Wurzeln nennt es ein Streitgespräch mit sich selbst.
Männergenerationen
Ungefähr zur selben Zeit, in der Dan Kindlon am Rande eines US-amerikanischen Softball-Felds seine Tochter beobachtete und daraufhin seinen Bestseller über die Entstehung der neuen Frauengenerationen verfasste, wurde in Großbritannien die Autobiografie des Comedians Robert Webb veröffentlicht. Er überschrieb sie mit dem Titel „How Not to Be a Boy“, und er reflektiert darin, wie er als Junge in den 1970er und 1980er Jahren groß und zum Mann wurde. Dazu sein Fazit: „Männlichkeit ist nicht in der Krise. Männlichkeit ist eine Krise.“ Webb schreibt:
„Es schien mir, dass die Regeln des Junge-Seins für meine Generation lauteten: Gut im Fußball, im Schwimmen, im Grölen zu sein, dazu ungestüm und frech, später ein wenig den Schmeichler raushängen zu lassen und Mathe und Naturwissenschaften zu mögen. Allein, dass mir nichts davon lag.“
Jeder Gang auf den Bolzplatz wurde so zur Tortur, bei der er den auf ihn zukommenden Fußball ebenso freudig begrüßte „wie ein mit Marmelade beschmierter Nudist den Anblick einer Hornisse.“ An vielen Stellen lesen sich Webbs Beobachtungen zu jener starr vorgegebenen Männlichkeit zunächst wie aus der Zeit gefallen, den strategischen Schmeichler zu geben, würde spätestens seit #Metoo wohl niemand mehr ernsthaft empfehlen. Und ebenso wenig die Maßgabe vertreten, Mathe und Männer – das gehört irgendwie zusammen. Männer machen heute Elternzeit, sie tragen Nagellack, viele von ihnen mögen Mathe nicht und sind gut im Kochen. Vieles hat sich auch für sie geändert – und doch beschleicht mich immer wieder das Gefühl, dass es für meine Söhne dennoch ein kleineres Feld gibt, in dem sie sich bewegen, dass inzwischen sie es sind, die es mit einem zu kleinen Korsett zu tun haben, zumindest, wenn sie sich weiterhin als Männer lesen lassen wollen.
Auf dem Bolzplatz bei unserem Haus treffen meine Kinder regelmäßig auf ein Mädchen, das besser spielt als viele der Jungs, alle wollen sie immer in ihrer Mannschaft haben. Im Basketball, in dem ich mich zugegebenermaßen besser auskenne als im Fußball, gibt es inzwischen Frauen, die regelrechte Superstars sind, Werbeträgerinnen, erfolgreiche „Marken“, wie es sie früher wirklich nicht gab. Und trotzdem kann man wohl auch heute auf einen beliebigen Pausenhof in Deutschland gehen und würde dort mehr Jungen als Mädchen Fußball spielen sehen. Die Bundesliga ist immer noch die der Männer, wenn von ihr die Rede ist. Nicht umsonst fördern wir Frauen im Sport also besonders.
Wenn Frauen auf dieser Grundlage alles sein können, dann müssen Männer nun vielleicht nicht mehr alles sein? Wäre das nicht ein ganz netter Deal? Meinen Söhnen wird aber ungefragt der Fußball hingekickt. Es ist immer noch „normal“, dass Jungs zumindest ein paar Skills auf dem Fußballfeld und am Basketballkorb draufhaben. Ich habe mich selbst dabei ertappt, erleichtert zu sein, als ich gesehen habe, dass sie einigermaßen spielen können. Irgendwie gehört das doch dazu, irgendwie gehören sie dann mehr dazu. Mit dem Sport ist es überhaupt so eine Sache. „Hier können Jungs sein, wie sie sind“, sagte eine Mutter mal am Rande des Fußballfelds zu mir, und in diesem Moment ärgerte ich mich kein bisschen über diese Pauschalisierung. Hier ist das „Mehr“ an „Energie“, das Jungs haben, ob nun anerzogen, angeboren oder angedichtet, kein Problem, sondern ein Vorteil.
Ich will in diesem Buch nicht für meine Söhne sprechen. Ich möchte hier über mich reden und ihnen nichts unterjubeln. So kann ich nur wiedergeben, was ich beobachte. Und dabei komme ich zu dem Schluss, dass ich trotz all der Hindernisse, die Frauen und non-binären Menschen heute noch immer im Weg stehen, bei allen Stereotypen, gegen die wir noch immer angehen müssen, ich mir niemals wünschen würde, ein Mann zu sein. Mehr noch, seit ich dem Leben meiner Söhne folge, bin ich sogar froh, eine Frau zu sein. Die Freiheit, die andere vor mir für mich erkämpft haben und die mir so wichtig ist, ich kann sie in meinem Leben in Deutschland doch sehr stark und sehr oft erfahren.
Männer haben Angst vor Männlichkeit
Am glücklichsten, so offenbart sich Webb, sei er in seiner Kindheit nur an einem ganz bestimmten Ort der Welt gewesen: auf dem Rücksitz im Auto seiner Mutter, hörend, wie ihr Ehering auf den Schalthebel traf - „eines der fröhlichsten Geräusche meiner Kindheit“ – und mit ihr aus vollem Halse Rod Stewarts „We are sailing“ singend. I am sailing. I am saaaaaaaaaailing … „Ich mag es hier“, schreibt Webb über diesen Augenblick. „Hier sind keine Männer und keine anderen Jungen. Ich scheine nicht gut darin zu sein, ein Junge zu sein, und ich habe Angst vor Männern.“
Für Männer dreht sich ansonsten alles um sie selbst – das muss furchtbar sein. Wenn für sie der kulturellen Matrix nach stets alles darauf ausgerichtet sein muss, dass sie erobern, so stellt das für die anderen – etwa Frauen, nicht-binäre Menschen, Kinder – selbstverständlich die Eroberung, die Unterwerfung dar. Was jedoch, wenn die obligatorische Hauptrolle der Männer tatsächlich ein diese einschnürend enges Korsett ist, und das lebenslang in allen Lebensbereichen? Wenn noch dazu in unserer Gegenwart die anderen sich nach und nach ihren Statistinnenrollen entziehen können – wo bleibt dann der Main Act, der nie etwas anderes gelernt hat?
Natürlich habe ich Verständnis dafür, dass sich Jungen und Männer den ihnen zugewiesenen stereotypen Rollen entziehen wollen. Nur scheint es, als gäbe es für sie dabei weit weniger Alternativen, als es sie inzwischen für Frauen gibt. Kim de l’Horizon, geboren 1992, genderfluide und nicht-binäre preisgekrönte Person des Deutschen Buchpreises 2022, formulierte es in der Taz so:
„Ich durfte mich in den Umkleidekabinen der Jungs aufhalten, wo sie die in ihnen angelegten Samen ihrer Männlichkeit kultivierten, wo sie sich lustvoll-sklavisch der Architektur der Gesellschaft hingaben, wo sich die binäre Architektur der Bildungsstätten, die Zweiteilung der Klos und Umkleiden in ihre zarten Herzelein hineinfurchte.“
Die Soziologin C. J. Pascoe diagnostizierte US-amerikanischen Jungen in ihrem Buch „Dude, You’re a Fag. Masculinity and Sexuality in High School“ eine Kultur „zwanghafter Heterosexualität“, die allein schon dadurch durchgesetzt werde, dass andere mit homophoben Sprüchen traktiert würden oder Homosexualität als Vorlage für brutale „Streiche“ diene, die durch die Erniedrigung der anderen vor allem der Selbstvergewisserung nützten. In einer Nacht zu Beginn des Jahres 2015 muss es sich wohl um einen dieser „Jungs-Scherze“ gehandelt haben, als ein achtzehnjähriger Schüler auf einer Party in Brisbane so betrunken war, dass er einschlief, woraufhin vier seiner „Freunde“ ihn auf dem Bett festhielten, ihm eine Flasche rektal einführten, „wie es die Schwulen eben so machen“, und das Ganze mit ihren Telefonen filmten. In der US-amerikanischen Kleinstadt Dietrich, Idaho, wiederum rammten drei Football-Spieler einem vierten Jungen einen Kleiderbügel in den Anus. Sie hatten ihm in der Umkleidekabine aufgelauert, ihn auf ein Zeichen hin „umarmt“ und missbrauchten ihn dann. Das Opfer war ein Junge mit geistiger Behinderung. In beiden Fällen gab es milde bis keine Strafen für die Täter, weil es – so die anschließenden Erklärungen Erwachsener – „nicht ernst gemeint war“, es sich also um jene Streiche gehandelt habe, die möglicherweise etwas aus dem Ruder gelaufen seien. Weder Eltern noch die Schulen nahmen das Wort Missbrauch oder gar Vergewaltigung in den Mund.
Männer sollen auf Frauen aufpassen – aber bloß nicht zu weich wirken
Hetero-Jungs sind tough untereinander, man muss nur beobachten, wie sie sich begrüßen. Mädchen umarmen sich. Jungen und Mädchen geben sich die Hand oder – inzwischen auch jenseits von Frankreich etabliert – küssen sich links und rechts auf die Wange. Junge Männer jedoch hauen sich zur Begrüßung gegenseitig auf die Schulter. Da dauert es schon, bis sich etwas wie vertrauensvolle Intimität aufbauen lässt.
Männern wird eingetrichtert, auf Frauen aufzupassen und vorsichtig mit ihnen zu sein. Selbstverständlich auch, weil Frauen häufiger Opfer sexueller Gewalt sind, aber eben nicht von Gewalt an sich. Denn von ihr sind auch Männer Opfer. Gleichzeitig tragen Wesenszüge wie Rücksicht, Zurückhaltung, Höflichkeit weiterhin ein „unmännliches“ Stigma mit sich. Ein Dilemma, das die Philosophin Susan Bordo den „Double Bind der Männlichkeit“ nennt. Zwei sich grundlegend widersprechende Botschaften erreichen Jungs, während ihnen gleichzeitig weisgemacht wird, es gebe gar keinen Widerspruch. Dabei senden wir ständig Widersprüchliches. Mit Jungs aber sind wir ungeheuer ungnädig – erinnern wir uns nur an die Übung des Familienpsychologen Steve Biddulph, in der die Mütter selbst das Bild des „perfekten Mannes“ zeichnen sollten: Liebevoll soll er sein, einfühlsam, fürsorglich, bla, bla, bla, … aber stark muss er auch sein. Und Geld haben. Und verlässlich. Und bitte kein Weichei. Autsch!
Möchte ein Mann sich heute als junger Mensch orientieren, so stößt er auf eine Verwirrung der Syntax des Mannes per se in sämtlichen ihn umgebenden Rollenbildern. Die vom superprivilegierten, jetsettenden und kosmopolitischen Banker reichen, der ein bestimmtes Verhalten einfach als „schwul“ bezeichnet, bis hin zum oberkorrekten Zeitgenossen, der die Menstruations-App der Freundin auch auf dem eigenen Handy hat. Das könnte eine besondere Vielfalt ausdrücken, wie wir sie inzwischen als Ausdrücke von Weiblichkeit kennen. Nur scheint sich nichts von alledem richtig anzufühlen. Im zweiten Teil der Serie „White Lotus“ verkörpern der Großvater, Vater und Enkel genau dieses männliche Stochern nach dem „richtigen“ Ausdruck von Männlichkeit. Gemeinsam erkunden sie die Familienwurzeln in Sizilien. Alle drei wollen Sex. Der Alte lüstern und mit Sprüchen, bei denen es vielen vermutlich schon in den 1960er Jahren kalt den Rücken runtergelaufen wäre. Der Vater, ein gebotoxter Marketing-Guru, betrügt seine Frau und kauft sich Prostituierte. Und der Sohn wiederum versucht sich als Nice Guy, unterrichtet die beiden Älteren in Feminismus und #Metoo, will am Ende aber auch einfach nur das hübsche Mädchen küssen, eben indem er immer nett ist. Alle drei sind sie unglaublich peinlich.
Männlichkeit hat ein Imageproblem
Männlichkeit gilt heute eben nicht nur als problematisch und vielen als gefährlich. Sondern Männlichkeit ist noch dazu auch einfach nicht cool.
Es ist nicht cool, ein Mann zu sein, weil alle Bilder, die wir mit Männlichkeit verbinden, von Muskeln und Bärten und von körperlicher Stärke oder Cowboy-Einsamkeit, uns erschaudern lassen oder längst zur Witzvorlage geworden sind. Gibt es auch nur einen Film, der Männer als Väter zeigt, ohne dass ihnen früher oder später etwas Ja-hau-dir-doch-an-die-Stirn-wie-doof-kann-man-sein passiert?
Also, ich will kein Mann sein. Ich liebe es, eine Frau zu sein, auch wenn es mir manchmal als solcher schwergemacht wird. „Nie wieder allein“, schreiben wir uns ständig gegenseitig in die Gruppenchats meiner Freundinnen. Ich habe so vieles an Nähe, Liebe und Wärme gespürt mit ihnen. Ich wünsche meinen Söhnen dasselbe.
Und je größer meine Söhne werden, desto mehr verstehe ich, dass das Imageproblem der Männlichkeit, diese Krise an und für sich, für sie zu einem echten Problem, ja einer Gefahr werden könnte.
Denn wem überlassen wir mit unserer Distanzierung von ihr die Männlichkeit?
Wir überlassen den Begriff „Männlichkeit“ und alles, was er bedeuten könnte, die Möglichkeit also, sich bei der Frage nach ihr an irgendetwas zu orientieren, Männern wie Jordan Peterson, dem „Custodian of the Patriarchy“, wie ihn die New York Times nannte, und dem Männer rund um den Globus an den Lippen hängen, wenn er darüber wütet, welche Erniedrigungen ihr Geschlecht durch den Feminismus ertragen müsse.
Oder jemandem wie Daryush „Roosh“ Valizadeh, dem Pick-up-Artist von Weltruhm, der in einer ganzen Serie von „Reiseführern“ von Land zu Land beschrieb, wie man dort zu Sex mit Frauen kommt, und der ebenso vorschlug, Vergewaltigung zu legalisieren, dann würden mehr Frauen besser auf sich aufpassen und nicht mit einem Mann ein Schlafzimmer betreten, mit dem sie nicht schlafen wollten. Streng genommen ist er zwar kein Männerrechtler wie Jordan Peterson, sondern selbst erklärter „Neo-Maskulinist“. Er propagierte jedoch in verwandter Weise, dass der Feminismus schuld an seiner und der Misere seiner Anhänger sei, näm-lich, nicht ohne Weiteres zu Sex zu kommen. Kleiner Spoileralarm: „Roosh“ gibt es so nicht mehr, denn in Folge einer Form von Rück-Erleuchtung bekennt sich Valizadeh inzwischen ebenso aggressiv zu seinem armenisch-apostolischen Glauben, wie er zuvor seine Geschlechtsgenossen antrieb, das Nein einer Frau nicht ernst zu nehmen.
Oder Männer wie Arne Hoffmann, dem deutschen Pendant zu Peterson (or so he thinks). Die FAZ schrieb 2017 über ihn, er kämpfe „seit zwanzig Jahren gegen die Unterdrückung der Männer in Deutschland. Zuhören will ihm kaum jemand.“ Was nicht ganz stimmt, denn der FAZ-Journalist hatte ihm aufmerksam zugehört, über zwei Stunden, wie wir erfahren, und ihm einen ziemlich langen Artikel gewidmet. Am Beispiel Hoffmanns lässt sich inspizieren, wie die sicherlich nicht auf den Bereich der Männerrechte reduzierte Taktik funktioniert, mit vielen kleinen Episoden, Nachrichtenschnipseln und Einzelmeinungen eine Verschwörung gegen Männer zu konstruieren und so eine vermeintliche Bestätigung für jedes empfundene Leid zu finden, ein „großes Bild“ als Erklärung für den Frust Einzelner. Die von mir bereits zitierte Studie der Universität Potsdam über die Dominanz der Mädchen in Klassenzimmern etwa verwendet Hoffmann auch in seinem Lexikon der feministischen Irrtümer, und auf seinem Blog „Genderama“ fragt er sich, warum Gewalt stets auf die gegen Frauen reduziert werden würde. Wir beide, ein aggressiver Männerrechtler und eine überzeugte, wenn auch gerade über die Ausrichtung zweifelnde Feministin, nutzen dieselbe Information – und kommen zu völlig unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Zum Beispiel, dass Frauen alles kontrollierten, siehe die Situation in deutschen Klassenzimmern. Wobei – in der Einschätzung, dass Männlichkeit derzeit angegriffen ist, es jedoch verdient hat, Aufmerksamkeit, Zuwendung und auch Liebe zu erfahren, wären er und ich uns vermutlich sogar einig. Ich jedoch möchte, dass wir wieder zusammenfinden. Hoffmann dagegen schreibt, die Frau müsse sich von „patriarchaler Abhängigkeit“ lösen, „indem sie auch den Staat nicht länger als Ersatzvater verwendet, um von ihm allein aufgrund der Zugehörigkeit zu einem vermeintlich ‚schwächeren Geschlecht‘ Förderung und Unterstützung in absurdem Ausmaß zu erhalten.“
Das wäre okay, würde es der männlichen Verunsicherung, die es zweifelsohne und aus guten Gründen gibt, nicht ein weiteres Gefühl zur Seite setzen. Nämlich das Gefühl, dass den Männern im Zeitalter der Emanzipation grundlegendes Unrecht angetan wird. Was so einfach nicht stimmt.
Feminismus und Frauenrechte sind in – Männerrechte überlassen wir einer aggressiven Subkultur
„Opferideologie heißt, dass sich überhaupt nicht ins Verhältnis gesetzt wird. Also, es wird erkannt, dass es ein Leiden gibt von Männern in dieser Gesellschaft, aber was nicht passiert, ist, dass das in irgendein Verhältnis zu allen Menschen gesetzt wird, die keine Männer sind.“ Das sagt Andreas Hechler im Interview mit Mithu Sanyal. Für ein Radiofeature hat Sanyal sich auf die Spur der Männerrechte-Szene gemacht – vom gleichen Ausgangspunkt aus wie ich: Sie ist Mutter eines Sohnes. Hechler ist Mitarbeiter und Bildungsreferent des Forschungsinstituts Dissens, das patriarchatskritische Jungen- und Männerarbeit leistet, und er sagt weiter: All die Benachteiligungen, die Frauen, die transgeschlechtliche Menschen, die intergeschlechtliche Menschen erfahren, kommen da nicht mehr vor. Und so kommt es zu einer völlig falschen Bestandsaufnahme.
Sanyals Feature ist ein tiefer Blick in die angeknackste Welt des männlichen Selbstbewusstseins. Infolge der Annahme einer Freundschaftsanfrage von Arne Hoffmann auf Facebook, den sie für das Feature interviewte, spekulieren die sich als feministisch verstehenden „Störenfriedas“ auf dem gleichnamigen Blog, ob Sanyal ein „von George Soros bezahltes U-Boot“ sei. Männerrechtsgruppen hingegen rief ihr Artikel „I will always love my male child“ auf den Plan, sie überlegten laut Sanyal „in zahlreichen Kommentaren, ob sie das Jugendamt informieren sollten und es vielleicht besser wäre, wenn mir das Kind abgenommen würde.“
Feminismus und Frauenpower sind zum globalen Phänomen geworden, sie sind inzwischen Pop. Männerrechte haben wir dagegen einer abgespaltenen, aggressiven Subkultur überlassen. Davon sind Incels nur eine der extremen Blasen, in der hegemoniale Männlichkeit selbstreferenziell zelebriert wird und vermeintlich verteidigt werden muss.
Es gibt Hunderte Pick-up-Artists wie Roosh, die eine Gefolgschaft haben, es gibt Tausende oder gar Millionen, die in Frauenhassforen organisiert sind, in Anti-Feminismus-Gruppen oder als unfreiwillig sexlose Incels darüber fantasieren, wie sie ihr „Recht auf Sex mit Frauen“ durchsetzen, die einfach nur lose als Mob Frauen im Internet fertigmachen wollen. Drei Wochen nachdem mein Sohn Bo auf seine dramatische Weise zur Welt gekommen war, ich war vermutlich gerade wieder an meine Milchmaschine angeschlossen, lud der zweiundzwanzigjährige Elliot Rodger im kalifornischen Isla Vista ein Video mit dem Titel „Retribution“, „Vergeltung“, auf Youtube hoch. Darin wütete er gegen all die Frauen, die ihn abgewiesen hätten. Und dann fuhr er los und brachte sechs Menschen um, verletzte vierzehn. Er schoss wahllos, stach mit einem Messer auf sie ein oder überfuhr seine Opfer.
Diese Verbrechen dürfen nicht verharmlost werden. Und gleichzeitig müssen wir über verunsicherte Männlichkeit sprechen. Wir müssen dieses Gespräch führen und die Benennung von Männerrechten nicht Menschen wie Peterson oder Hoffmann überlassen. Wir müssen dieses Gespräch an uns ziehen, genauso wie wir wütende Weiblichkeit zulassen. Noch mal Kim de l’Horizon in der Taz: „Wenn wir in ein gewaltfreieres Miteinander kommen wollen, müssen daher auch alle Geschlechter alle verstehen und ein Mindestmaß an Mitgefühl für die Leiden der anderen aufbringen. Sonst können wir als Spezies gleich abdanken.“
Die US-Soziologin Ruha Benjamin beschreibt in ihrem Buch „Viral Justice“, wie sie mit ihrem Bruder aufwuchs: „Mein junger Bruder Jamal und ich wuchsen am selben Ort auf. Dasselbe Zuhause, dieselben Eltern, dieselbe Nachbarschaft. Aber die Polizei verfolgte ihn unser ganzes Leben. ‚Verfolgen‘ ist der falsche Begriff. Jagen … er wird gejagt.“ Mithu Sanyal bestätigt es in einem Gespräch für dieses Buch mit einem Seufzer. Ihr Sohn fühle sich einfach nicht gehört und stattdessen vorverurteilt und nicht ernst genommen. Auch er werde ständig von der Polizei angehalten und kontrolliert. Wie brutal und gnadenlos, wie ungerecht sind diese Verallgemeinerungen. Jede Person, der es im Kern um Gerechtigkeit geht, kann dies so unmöglich hinnehmen wollen.
Dabei scheint männliche Enttäuschung trotzdem ätzend, sie kommt uns albern vor und wir wollen ihr gar nicht zuhören, weil wir denken: „Dude, nimm dich doch endlich zurück, reiß dich zusammen.“ Eigentlich wollen wir, dass sie gar nicht da ist, diese Männlichkeit. Eigentlich finden wir nicht, dass sie an der Reihe ist, sondern dass der Raum, den Männer im 21. Jahrhundert einnehmen sollten, irgendwo weit entfernt sein sollte, wo wir möglichst wenig davon mitbekommen. Nein, eigentlich sollen sie möglichst keinen Raum haben. Und … Ansprüche? *No, Mister. Not your turn today. Or tomorrow. Or the day after. *
Seien wir ehrlich. Wir wollen uns einfach nicht mit Männlichkeit beschäftigen, schon gar nicht, wenn sie uns etwas anderes zeigen will als das, was wir von ihr halten. Erinnern wir uns nochmals an die Übung, die der Familienpsychologe Steve Biddulph mit den Müttern von Söhnen durchführt. Erst geht es den Frauen nur um empathische Eigenschaften, „mitfühlend“, „fürsorglich“, „kann über seine Gefühle“ reden, wenn es darum geht, einen „guten Mann“ zu zeichnen. Wenn ein Mann dann aber darüber spricht, dass er zum Beispiel verunsichert ist, finden wir das doch blöd und irgendwie peinlich. Dann finden wir, als Mann müsse man sich schon im Griff haben. Hand aufs Herz – ist oft so.
Die Jungs von heute
Manchmal frage ich mich wirklich, wie die Generation meiner Söhne all das manövrieren soll. Und über Pornografie haben wir noch nicht einmal gesprochen! Zwei Drittel des Internettraffics macht diese inzwischen aus, es gibt zehnjährige Jungs, die pornosüchtig sind. Und was wollen wir dagegen tun? Es einfach laufen lassen und Jungs abstempeln – sind halt so, mögen es derbe?
Hello, is there anybody out there?
Für die Mädchen habe ich da wahrlich mehr Hoffnung.
Shila Behjat, Söhne großziehen als Feministin © 2024 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München. Hanser Verlag
Meine Nichte erzählte mir dazu eine Geschichte: Ein Junge aus ihrer Klasse hatte in der Pause, als die Klasse in der Kantine zu Mittag aß, lautstark behauptet, meine Nichte sei „seine Freundin“. Mein Reflex: Ich wollte sie fragen, wie der Junge denn so sei. Shame on me! Denn bevor ich das konnte, sprach sie zum Glück direkt weiter: „Ich habe sofort unserem Aufsichtslehrer Bescheid gesagt. Und der Junge hat eine Strafarbeit bekommen. Ich meine, was fällt ihm ein!“ Irgendwie war ich begeistert. Endlich. Es ist nicht cute, es ist nicht schmeichelhaft, selbst, wenn es sich um den angesagtesten Typen der Schule handelt.
Und meine Söhne? JJ Bola beschreibt in einem Interview mit Ze.tt „diese Der-unglaubliche-Hulk-Mentalität“, die sich dadurch zeige, dass junge Männer ständig Wut und Frustration in sich trügen –
„und glauben, dass nur eine Frau sie beruhigen kann. Das wird ihnen so beigebracht. Viele Männer suchen also nach dieser Art von Frau und Beziehung und schaden ihren Partnerinnen am Ende. Das lässt sich alles darauf zurückführen, wie wir als Männer sozialisiert werden. Veränderung kann nur dann eintreten, wenn sich Männer bewusst werden, dass sie sich selbst um ihre Seelen kümmern müssen. Wir müssen aufhören, Frauen emotionale Arbeit aufzubürden, um unsere Probleme zu lösen.“
Und wir Frauen: Wir müssen den Männern endlich einräumen, diese Seelenarbeit zu machen. Ihnen die Freiheit geben, zu wühlen und zu weinen oder ihren Kummer anders auszudrücken und durch all das ein Stück weit zu heilen und zu erkennen: Wir Frauen brauchen die Männer nicht mehr für unsere (finanzielle) Sicherheit. Und sie brauchen uns nicht für ihre emotionale.
Redaktion: Astrid Probst, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos