Manchmal findet man Hoffnung, wo man sie gar nicht vermutet hat: In Utah, in einer Modernisierungsoffensive, bei einer Frau mit pinken Haaren, bei Zoom. An einem Dienstagmorgen lächelt Reverend Heron, die Pink Haired Witch, wie sie sich nennt, in die Zoom-Kamera. Im Hintergrund ist ihr Büro in Utah zu erkennen. Bücher und Ordner füllen schwarze Regale. Aber das sieht sonst niemand, sagt die 55-Jährige und zieht einen Greenscreen hinter sich hoch. Auf dem virtuellen Hintergrund sehen Ehepaare: Kerzenlicht, Blumen, einen Kamin.
Nachdem manche Behörden die Eheschließungen nicht anerkannt hatten, war der Fall vor dem Obersten Gerichtshof gelandet. Die Behörden hatten argumentiert, dass das israelische Recht gelte, da die Paare zum Zeitpunkt der Ehe in Israel waren. Der Gerichtshof sieht das anders und beschloss, dass Online-Ehe anerkannt werden müssen. Es sei nicht die Aufgabe von Behörden, die Gültigkeit einer Heiratsurkunde zu prüfen. Stattdessen sollten sie Urkunden mit einer Apostille nur registrieren.
Reverend Heron sieht: Menschen, die verzweifelt sind. Die heiraten wollen, aber nicht dürfen. Für all diese Paare hat Utah und damit Heron die Lösung, die Online-Hochzeit. Seit 2020 ist das in Utah möglich. Man wollte die Verwaltung digitalisieren, warum nicht auch Eheschließungen? Dass der Startpunkt der Online-Hochzeit ungefähr mit der Corona-Pandemie zusammenfiel, war Zufall.
Hochzeiten wurden abgesagt. Treffen verboten. Doch in Utah konnte Heron weiter trauen. Zwar nicht mehr so, wie sie es seit mehr als 20 Jahren in einer Kapelle getan hatte, aber immerhin online. Erst Paare aus Utah und irgendwann internationale Paare. Paare, die sich wegen Visa-Bestimmungen nicht besuchen konnten, die Corona-Regelungen trennten, denen Länder keine Eheerlaubnis erteilten oder deren Liebe verurteilt wurde, weil sie das gleiche Geschlecht lieben. Seitdem boomen die Online-Hochzeiten.
Die Utah-Online-Hochzeit ist wie die Las-Vegas-Hochzeit, nur digital. Man braucht: einen aktuellen Pass, rund 130 Euro, pro Partner jeweils einen Trauzeugen, 15 Minuten Zeit, Zoom und schon ist man verheiratet. Ganz legal. Jeder, der laut dem Gesetz in Utah heiraten darf, kann online heiraten. Das ist jeder Mensch, der über 18 Jahre alt ist. Nach amerikanischem Recht ist man damit in allen US-Bundesstaaten verheiratet – und theoretisch auf der ganzen Welt. Möglich macht das das Haager Übereinkommen.
„Wir verschieben die Grenzen des Möglichen“, sagt Reverend Heron. In Israel etwa, wo Menschen unterschiedlicher Religionen nicht heiraten können. Also heiraten manche Israelis online in Utah und lassen die Ehe anschließend zuhause legalisieren. Es ist ein Umweg übers Ausland und ein Zeichen gegen veraltete Gesetze, die der modernen Gesellschaft nicht mehr entsprechen. Diese werden nun in Frage gestellt. Israel wollte die Online-Ehe darum verbieten lassen – erfolglos.
Auf Herons Computerbildschirm erscheinen bei einer Zoom-Hochzeit manchmal nur vier Zoom-Kacheln, das Paar und dessen Trauzeugen, aber es waren auch schon mehr als 100. Sie sah Kacheln mit Trauzeugen, die sie selbst organisiert hatte, wenn das Umfeld die Liebe des Paares so sehr abgelehnt hat, dass niemand diese Rolle annehmen mochte. Sie hat Paare getraut, die mit dem Handy vor den Pyramiden in Kairo standen, auf dem Eiffelturm oder am Strand. Sie traute homosexuelle Paare aus China und Paare aus Kriegsgebieten, deren Dokumente verloren gegangen waren. Fast 1.000 sind es schon.
Und da war auch immer Herons Kachel mit dem digitalen Kerzenschein im Hintergrund. Immer fragt sie, ob alle freiwillig hier seien, ob sich die Eheleute als Partner annehmen wollen – und davor hebt sie eine Klangschale aus Kristall hoch, ans Mikro und sagt: „Möge eure Liebe so schön und leicht sein wie diese Musik, möge sie eure Wünsche nach Freude und Harmonie bis in die fernsten Winkel der Erde tragen und euch beide mit Frieden umgeben.“ Dann tippt sie die Klangschale an, wie sie es seit 1996 bei jeder Hochzeit tut. Und das ist der Beginn.
Ian und Hermer, 43 und 30 Jahre alt, aus USA und Venezuela, leben in Kolumbien
Mein Mann Hermer kommt aus Venezuela. Ich komme aus den USA. Wir beide leben seit rund fünf Jahren in Kolumbien. In keinem dieser Länder konnten wir heiraten: Venezuela verbietet gleichgeschlechtliche Ehen, Hermer kann nicht in die USA reisen und in Kolumbien können zwei Ausländer nicht heiraten.
Es war Anfang November, als mir auf Youtube ein Video über Online-Hochzeiten angezeigt wurde. Darin hieß es, dass immer mehr Paare auf diese Weise heiraten und diese Ehe legal sei. Mein erster Gedanke war: Das ist zu gut, um wahr zu sein! Das Video habe ich sofort unserem Anwalt geschickt – und der meinte: Macht das. Das ist eure Chance!
Den Anwalt haben wir kontaktiert, als wir merkten, wie schwierig eine Eheschließung für uns sein würde. Eine Hochzeit in Kopenhagen war eine Option, genauso in Cancun oder irgendwo in Argentinien. Dort können gleichgeschlechtliche Paare heiraten. So eine Hochzeit im Ausland hätte uns mindestens 5.000 Dollar gekostet – für Flüge, die Unterkunft, die Kosten für die Hochzeit. Und dann noch die ganze Bürokratie! Wir hätten einen Berg an Dokumenten beschaffen müssen.
Wir hatten keine Ahnung, was da auf uns zukommen würde, als Hermer und ich an Silvester vor einem Jahr auf dem Balkon in einem tollen Airbnb in Medellin standen. Rund drei Jahre zuvor hatten wir uns über Tinder kennengelernt und uns total schnell ineinander verliebt. Es klingt kitschig, aber ich wusste sofort: Den will ich heiraten! Die Sonne ging unter, wir stießen mit Sekt an. Da holte ich den Ring aus der Tasche. Hermer sagte sofort: Ja!
Nach dem Antrag redeten wir fast ein Jahr lang immer wieder mit unserem Anwalt. Immer ging es um die Frage: Können wir überhaupt heiraten? Während andere Paare Hochzeitstorten testen und Klamotten aussuchen, schlugen wir uns mit rechtlichem Hickhack herum.
Das Video über virtuelle Hochzeiten war ein Gamechanger. Ich war sofort begeistert. Hermer hatte erst Zweifel, ob das wirklich legal war.
Wir wollten nie eine große kirchliche Hochzeit. Und da wir bereits darüber nachgedacht hatten, im Ausland zu heiraten, planten wir auch nie eine Familienhochzeit. Die Online-Hochzeit zwang uns also nicht, auf etwas zu verzichten.
Schon drei Wochen, nachdem ich das Video gesehen hatte, war es soweit. Am 25. November 2023 heirateten wir. Wir dekorierten die Wohnung, kauften auf dem Markt einen riesigen Strauß Lilien und einen kleinen weißen Hochzeitskuchen, nur für uns zwei. Punkt halb sechs klickten wir auf den Zoomlink. Wir saßen in Kolumbien. Meine Eltern in New Hampshire, Hermers Eltern in Venezuela, Reverend Heron in Utah.
Heron sagte bei der Trauung etwas, an das ich mich heute noch erinnere: „Die meisten schauen bei Zoom immer auf den Bildschirm. Ich möchte, dass ihr einander anseht. Das ist der Moment, an den ihr euch später erinnern werdet. Also schaut euch an.“
Das haben Hermer und ich gemacht. Ich bin ganz gerührt, wenn ich daran denke.
Nach den Gelübden haben wir die Ringe ausgetauscht, uns geküsst – schon waren wir verheiratet. Die ganze Zeremonie dauerte vielleicht 15 Minuten. Danach feierten wir noch weiter über Zoom mit unseren Eltern. Und abends sind Hermer und ich schick essen gegangen. Es war perfekt!
Daniela und Stephen, 49 und 42 Jahre alt, aus Deutschland und Ghana, leben in Deutschland
Vier Jahre haben Stephen und ich gekämpft, um heiraten zu dürfen. In Italien, wo er lebte und in Deutschland, wo ich herkomme. Erst durfte Stephen nicht reisen, da in Italien sein Asylverfahren lief. Dann bekam ich keine Erlaubnis, in Italien zu heiraten. Um als Deutsche dort zu heiraten, hätte ich eine Ehefähigkeitsbescheinigung gebraucht. Doch die bekommt man nur, wenn die Identität des Partners geklärt ist.
Und das war unser großes Problem: Stephens Papiere waren fehlerhaft. Auf seiner Geburtsurkunde steht sein richtiges Geburtsdatum, genauso wie in seinem Pass und allen anderen Unterlagen. Auf einem Grundschulzeugnis aber steht ein falsches. Stephens Oma in Ghana ist Analphabetin und muss bei der Schulanmeldung vor 35 Jahren ein falsches Datum aufgeschrieben haben. Wir mussten also darum kämpfen, dieses eine Zeugnis von damals für ungültig erklären zu lassen. Überall sonst steht das richtige Datum, auf seinem Pass, seinem Führerschein. Es hätte eigentlich einfach sein müssen, aber nichts half, nicht mal eine eidesstattliche Versicherung seiner Eltern.
Für uns war das schrecklich und zermürbend. Wir wollten unbedingt heiraten. Ich hatte Angst, dass unsere Beziehung daran zerbrechen würde. Teuer ist so ein Kampf um eine Eheschließung auch, schließlich muss man sich Anwälte leisten können, die Dokumente und Übersetzungen kosten viel Geld. Interkulturelle Paare haben also viel mehr Aufwand und Kosten, wenn sie heiraten wollen.
Und dann kam Corona. Für uns war das zumindest in dieser einen Hinsicht ein Glücksfall. Eine Freundin erzählte uns, sie hätte gehört, dass man wegen der Pandemie in Utah online heiraten könne. Ich rief einen Anwalt nach dem anderen an, um zu erfahren, ob so eine Art der Eheschließung in Deutschland anerkannt werden würde. Vier Tage später waren wir verheiratet.
Die virtuelle Hochzeit war für uns perfekt. Unsere Familie ist auf der ganzen Welt verstreut und so konnten alle dabei sein, trotz Corona. Stephen und ich lebten damals in Italien. Wir hätten also beide in Italien sein können für die Online-Hochzeit. Aber wir fanden es lustig, wenn er dort bleiben und ich für die Hochzeit nach Deutschland fahren würde. So konnte ich auch mit meinen Freund:innen in Deutschland feiern. Also saß ich mit meinem Sohn und meiner Trauzeugin und weiteren Freund:innen in Deutschland und Stephen saß mit Freunden und Verwandten in Italien. Aus Ghana schaltete sich seine Familie zu, aus Polen mein Vater. Alle feierten, lachten und weinten. Es war wunderbar. Die Hochzeit war emotional und feierlich.
Zwei Tage später fuhr ich zu Stephen nach Italien. Zwei Wochen später entschied ein Gericht in Deutschland, dass virtuelle Eheschließungen in Deutschland nicht anerkannt werden. Zu der Zeit hatten schon über 400 Paare mit deutscher Beteiligung so geheiratet. Italien hingegen hatte kein Problem mit unserer Zoom-Heirat und erkannte die Eheschließung an. Wir bekamen alle Dokumente und entschieden uns ein Jahr später, wieder nach Deutschland zu ziehen. Aber selbst die in Italien anerkannte Ehe wird in Deutschland nicht akzeptiert.
Wir versuchten noch mal, in Deutschland zu heiraten. Doch das war nicht möglich. Wir sollten auf die Entscheidung des Gerichts warten. Als Stephen hier in Deutschland immer wieder mit Abschiebung nach Italien gedroht wurde, sind wir kurzerhand nach Georgien geflogen und haben dort noch mal geheiratet. Das war erst vor wenigen Monaten. Kaum waren wir wieder hier, entschied das Gericht, dass wir nun auch in Deutschland heiraten können. Allerdings waren wir da schon rechtsgültig verheiratet, durch die Hochzeit in Georgien. Inzwischen habe ich endlich seinen Familiennamen angenommen und wir sind überglücklich.
Esh und Janet, 34 und 36 Jahre, kommen von und leben auf den Philippinen
Wir hatten eine richtig typische Hochzeit mit allem Drum und Dran: einer eigens gemieteten Location, Gästen, Torte, dem Gang-hinunter-Schreiten, Gelübden, Küssen und Ringetausch. Unsere Hochzeit unterschied sich nicht von anderen Hochzeiten – außer, dass die Person, die uns traute, nicht da war. Das ist doch die Zukunft. Man heiratet, wo man will und wie und holt sich den Standesbeamten per Zoom hinzu.
Janet und ich kommen beide aus den Philippinen und leben auch hier. 2020 haben wir uns kennengelernt. Erst online, bei einer Fortbildung, kurz danach haben wir uns getroffen und ineinander verliebt. Schon ein Jahr später wurden wir ein Paar.
Heiraten ist auf den Philippinen für gleichgeschlechtliche Paare nicht möglich. Trotzdem wussten wir ziemlich schnell, dass wir heiraten wollen. Wir lieben uns – klar, das ist ein Grund. Aber wir wollten die Ehe auch, um uns abzusichern. Was ist, wenn einer von uns etwas passiert? Wie können wir in Zukunft füreinander sorgen?
2021 hat mir eine Freundin erzählt, dass sie online heiraten wird. Wie komisch, dachte ich. Dann heiratete sie und konnte dadurch tatsächlich zu ihrem Partner in die USA ziehen. Ich sah also, dass Online-Ehen durchaus anerkannt werden.
Janet war total begeistert und meinte sofort, wir sollten das auch machen. Wir hatten diese Idee eine Weile im Hinterkopf. Bis zu dem einen Abend im März 2022, als mich Janet in ein Hotel einlud. Als ich ins Zimmer kam, warteten dort Freunde. Auf einem Bildschirm lief ein Video mit gemeinsamen Momenten von uns und da machte sie mir einen Antrag. Ich war total überrascht. In unserer Beziehung gilt Janet als die feminine. Darum war ich so baff, dass sie mir einen Antrag gemacht hat. Ich habe natürlich Ja gesagt.
Es war verrückt. Eigentlich hatte ich längst auch schon einen Antrag geplant und sogar einen Ring gekauft. Wenige Monate später fragte ich sie in einem Restaurant, wo ich das obere Stockwerk gemietet hatte, ob sie mich heiraten will. Wir sind beide Frauen und es gab eine Zeit, zu der wir beide mal dachten, dass eines Tages jemand um unsere Hand anhalten werde. So klischeehafte Gedanken hatte ich zumindest mal als kleines Mädchen. Egal wie frei man sich von solchen gesellschaftlichen Konventionen macht, wir beide verdienen so einen Moment. Jetzt hatte jede ihren.
Schnell war klar: Unsere Hochzeit soll ein Event werden. Wir mieteten ein großes Airbnb, ein Haus mit einem großzügigen Garten und dekorierten es mit weißen Papierblumen. Am Morgen kam die Make-up-Artist und schminkte und frisierte erst Janet, dann mich. Wir zogen beide schlichte weiße Kleider an. Zu einer instrumentalen Version von „Not a bad thing“ von Justin Timberlake gingen wir gemeinsam den Gang entlang zum Altar. Dort stand der Laptop und Reverend Heron traute uns vom Bildschirm aus. Danach feierten wir mit unseren Freunden, aßen Hochzeitstorte, auf der „Mrs & Mrs“ stand, machten ein Lagerfeuer und tanzten. Das war im Februar 2023.
Seither sind wir verheiratet. Wobei nicht nach philippinischem Recht. Aber das ist für uns gerade kein Thema. Wir müssen es nämlich erst noch unseren Eltern sagen. Die wissen nichts von unserer Ehe. Janets Eltern sind sehr religiös. Sie müssen sich erst noch an den Gedanken gewöhnen, dass ihre Tochter lesbisch ist und eine Partnerin hat. Bei mir ist es nicht ganz so problematisch: Ich habe nur noch meine Mutter. Sie weiß schon lange, dass ich Frauen liebe und auch mit unserer Ehe hätte sie vermutlich kein Problem. Wir wollen unseren Eltern bald alles langsam beibringen. Danach kümmern wir uns um die rechtlichen Schritte.
Aber bis das geklärt ist, ist für uns nur wichtig, dass wir uns haben. Es ist zwar traurig, dass unser eigenes Land unsere Liebe nicht anerkennt und dass wir letztlich keine andere Möglichkeit hatten, als sie im Ausland besiegeln zu lassen. Aber so konnten wir unsere Liebe feiern.
Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger