„Wir leben in einem Land, in dem Beschwerden und Wehklagen zur Tagesordnung gehören. Ein bisschen Selbstreflexion und positive Energie statt ständiger Jammerei täten uns gut.“
Das schreibt mein Onkel Bernd kurz nach Neujahr in unserem Familien-Chat auf Whatsapp.
Mein Onkel ist pensionierter Ingenieur, 79 Jahre alt und wohnt in Berlin-Steglitz. Bisher kannte ich ihn eigentlich nur aus unserem Familien-Whatsapp-Chat. Denn dort tut er ständig seine Meinung kund: zu Fake-News auf sozialen Medien, zur Macht von KI, dazu, wie Tiktok Gehirne verändert und zum allgemeinen Niedergang unserer Gesellschaft. Sachen, von denen ich mich angesprochen fühle, zu denen ich eigentlich was zu sagen habe.
Aber Mitdiskutieren habe ich schon lange aufgegeben. Denn am Ende bin ich nur frustriert: von seiner Sturheit, davon, dass er jeden zweiten Satz mit „…!!“ beendet, und davon, dass er sich auf Whatsapp den Nickname „Berndiñho“ gegeben hat, weil er gerne nach Brasilien fährt. „Okay, Boomer“, fällt mir dazu oft nur ein (obwohl mein Onkel eigentlich älter als die klassischen Boomer ist).
Warum mein Onkel ein schlechtes Bild von meiner Generation hat? Ein Blick in die Medien genügt: Wir seien eine Hafermilchgesellschaft geworden, die nur noch die Suche nach der perfekten Work-Life-Balance umtreibe, sagt Markus Lanz. Junge Menschen würden nur noch drei, vier Tage die Woche arbeiten und Donnerstagabend um 22 Uhr Champagner bestellen, den ein schlecht bezahlter Lieferant in den fünften Stock hochtrage, behauptet Thomas de Maizière.
Die Gen Z ist „faul, unverbindlich und nicht belastbar“ (SWR). Sie ist „frech, faul, fordernd“ (Focus) und außerdem – Überraschung! – „empfindlich und zu anspruchsvoll im Job“. Immerhin haben wir unsere Finanzen im Griff (laut Business Punk). Allerdings tragen wir eine „traurige Ambitionslosigkeit“ in uns (Welt) und sind die „die illoyalsten Arbeitnehmer aller Zeiten“ (Spiegel).
Die zwischen 1955 und 1969 geborenen Babyboomer hingegen? Sie haben eine „starke Arbeitsmoral, sind diszipliniert und fokussiert“ (indeed). Sie stehen für „hartes Arbeiten und Überstunden“ (RND). Führungskräfte sollten auf sie setzen, denn sie sind „krisengestählt und leistungsbereit“ (Handelsblatt).
Für das Internet ist die Sache also klar: Boomer und Gen Z sind die verfeindeten Parteien eines Generationenkonflikts. Die Konfliktlinie verläuft entlang der Arbeitsmoral, gefochten wird mit Schuldzuweisungen, Unverständnis und Vorurteilen.
Das alles nervt mich tierisch. Denn ich frage mich: Woher kommen all diese Vorurteile über meine Generation? Aber auch: Warum rege ich mich so schnell über meinen Onkel und seine Positionen auf? Muss das so sein? Natürlich nicht. In meiner Recherche habe ich herausgefunden: Unser Umgang mit Generationen ist nicht nur nervig. Er ist sinnlos – und darüber hinaus gefährlich.
Die Generationsforschung hat viele Schwachstellen
Ich rufe bei Hannes Zacher an, er ist Arbeitspsychologe an der Universität Leipzig. Seiner Meinung nach sind Generationen wie Sternzeichen: Es gibt sie nur, weil wir daran glauben. Wenn man die Ansichten von Menschen verschiedener Geburtsjahrgänge vergleichen und auf Unterschiede untersuchen möchte, sind sehr komplexe Studien über lange Zeit notwendig. „Und das hat kaum jemand gemacht“, sagt Hannes Zacher.
Wissenschaftlich gesehen kann man die Existenz von Generationen nur nachweisen, wenn man die Einstellungen eines Menschen eindeutig mit seinem Geburtsjahr erklären kann. Das wäre der sogenannte Generationeneffekt. Der wird jedoch häufig verwechselt mit dem Alter, in dem jemand nach seinen Einstellungen gefragt wird. (Das ist der Alterseffekt.) Oder mit dem Zeitpunkt, zu dem er gefragt wird (der sogenannte Periodeneffekt). Aber Menschen haben mit 65 oft nicht mehr dieselben Überzeugungen wie mit 25. Auch der Zeitgeist ändert sich: Wir haben als Gesellschaft andere Positionen als 1960. Bei Studien, die Alter und Zeitgeist herausrechnen, bleiben statistisch gesehen kaum Unterschiede zwischen Menschen verschiedener Geburtsjahrgänge bestehen.
Und nicht nur das: Neben den methodischen Schwierigkeiten sei es unwissenschaftlich, willkürlich Altersgrenzen zu setzen, sagt Hannes Zacher. Überhaupt sei die Diversität in einer Alterskohorte viel zu groß, um davon auf einzelne Menschen oder übergeordnete Werte einer ganzen Generation schließen zu können. „Ich lasse mich gerne mit Daten vom Gegenteil überzeugen. Aber der Generationenforschung gehen die Argumente aus“, sagt Hannes Zacher grinsend.
Uff. Ist damit etwa ein ganzer Forschungszweig hinfällig? Hannes Zacher nickt. „Wir haben auch einen Nachruf auf Generationen geschrieben. Der wurde allerdings sehr viel kritisiert.“
Aus dem Generationenkonflikt ist ein Markt geworden
Das ist kein Wunder. Im Laufe meiner Recherche merke ich: Menschen verdienen einen Haufen Geld damit, dass wir an Generationen glauben. Nach einer einfachen Google-Suche ergießt sich auf meinem Bildschirm eine Flut an Workshops, Fortbildungen und Podcasts, die sich an Generationen X, Y, Z abarbeiten. Allein im deutschen Sprachraum gibt es Dutzende Institute, Akademien und Schulungen, die einen Markt bespielen, den ich Generationenindustrie nenne.
Auch an Büchern zum Thema mangelt es nicht: „GenZ für Entscheider:innen“, „Generation lebensunfähig“, „Generation Greta“, „The Anxious Generation“, „Die verratene Generation“. Meistens geht es darum, ob (und wie) man uns junge Menschen noch zum Arbeiten kriegt, und wie man für Frieden zwischen den Generationen am Arbeitsplatz sorgt. Oder warum wir „keinen Bock auf Parteien“ haben und „digital immer einen Schritt voraus“ sind. Auch der Spiegel bringt jährlich mindestens eine Titelstory über die „Generation Stress“, die „Generation Corona“ oder die „Generation Praktikum“ raus. Alle lieben es, Generationen zu vermessen, zu analysieren und publikumswirksam aufzubereiten.
Ist es denn wirklich so schwierig, junge Menschen zu verstehen?
Mein nächstes Gespräch führe ich mit jemandem, der Teil der Generationenindustrie ist. Simon Schnetzer ist Jugendforscher, Co-Autor der Trendstudie „Jugend in Deutschland“ und berät Unternehmen zur Beteiligung von jungen Menschen am Arbeitsplatz. Junge Menschen beschreibt er unter anderem mit Begriffen wie „Early Adopters“ die eigentlich eher ins Marketing gehören.
Sind Generationsunterschiede ein Mythos, Herr Schnetzer? „Ja, unterschreibe ich.“ Dennoch kämen viele Führungskräfte mit jungen Menschen nicht klar. „Und ich erkläre ihnen dann, dass junge Menschen gar nicht so anders sind, wenn man ihr Alter und die Zeit, in der sie aufwachsen, einbezieht.“
Tatsächlich ist es mittlerweile auch in der Generationenindustrie angekommen, dass sich willkürliche Altersabgrenzungen und Generationsunterschiede wissenschaftlich nicht halten lassen. Dass viele Unternehmensberater:innen trotzdem mit Begriffen wie Gen Z oder Millenials arbeiten, hat einen pragmatischen Grund: Die Leute googeln danach. Auch Simon Schnetzer erklärt: „Ich habe mich letztlich dem Suchverhalten von Menschen gefügt.“ Man arbeitet mit Generationenklischees, weil es der Markt verlangt.
Grundsätzlich findet Simon Schnetzer es aber gut, dass uns Generationen so viel beschäftigen: „Dadurch setzen wir uns stärker mit gesellschaftlichen Veränderungen auseinander.“ Er betrachtet es als seine Aufgabe, für gegenseitiges Verständnis zwischen jüngeren und älteren Menschen zu sorgen. „Aber nicht, weil ich ein überzeugter Generationen-Label-Befürworter bin.“
So weit, so logisch. Doch als Simon Schnetzer behauptet, dass viele junge Menschen die Vier-Tage-Woche fordern, weil sie sich immer online vergleichen und sehen, dass andere das auch fordern, stutze ich. Fordern wir nicht die Vier-Tage-Woche, weil sie weniger Stress, besseren Schlaf und mehr Zeit für Freunde und Familie bedeutet? Und auch, weil wir weniger Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und daher eine bessere Verhandlungsposition haben?
Eine verkürzte Art und Weise, sich die Welt zu erklären
Überhaupt sind soziale Medien und Smartphones ein gefundenes Fressen für die Generationenindustrie. Wir seien permament online, heißt es bei Simon Schnetzer auf der Webseite und stünden dadurch unter hohem Druck, weil wir uns ständig mit anderen vergleichen würden. Wer gemobbt werde, fänd nirgendwo mehr Ruhe, sondern würde auch online noch terrorisiert werden.
Irgendwie ist mir das zu kulturpessimistisch, denke ich, während ich durch Interviews über den Smartphone-Konsum der Gen Z scrolle. Viele junge Menschen, die ich kenne, kontrollieren sehr bewusst ihren Medienkonsum. Wenn Kinder sich nicht auf Instagram mit anderen vergleichen, tun sie das innerhalb ihrer Klasse oder ihres Sportvereins. Und Mobbing war auch vor dem Internet schon Psychoterror, wie mein Kollege Martin Gommel beschreibt. Die Generationenindustrie tut so, als seien sozialer Druck, Mobbing und psychische Erkrankungen erst ein Problem für junge Menschen, seitdem sie Smartphones in den Händen halten.
Überhaupt: Je länger ich zum Thema recherchiere, desto komischer kommen mir Aussagen wie diese vor:
„Pünktlichkeit und Verbindlichkeit ist für die Generation Z nicht so wichtig. Und sie wollen sich nicht kaputt arbeiten. Freizeit und Familie haben für sie einen höheren Stellenwert.“ (Spiegel)
Wollen das nicht eigentlich alle Menschen? Keiner hat Lust, sich kaputt zu arbeiten. Und für wen Freizeit wichtiger als Arbeit ist, lässt sich vermutlich nicht am Geburtsjahr ablesen. Trotzdem fallen reihenweise Medien auf diese Erzählung rein.
Studien zeigen jedoch, worum es uns jungen Menschen wirklich geht: das schnöde Geld. Laut einer Umfrage achten 81 Prozent der 15- bis 25-Jährigen bei der Jobsuche an erster Stelle auf den Lohn. 60 Prozent möchten laut einer YouGov-Umfrage einfach nur schnell Geld und Karriere machen, mindestens die Hälfte würde dafür auch Opfer wie Überstunden oder Umzüge in Kauf nehmen. Wir Gen-Z’ler sind weder besonders idealistisch, noch anspruchsvoll oder faul.
Und was ist eigentlich mit marginalisierten Jugendlichen? Jugendliche aus armen Familien (immerhin fast jede:r fünfte) arbeiten selten in Jobs, in denen sie über Work-Life-Balance verhandeln können. Auch viele migrantische Jugendliche (immerhin gut ein Drittel aller Jugendlichen) müssen Konflikte rund um ihre Familie und Identität navigieren. Zum Beispiel Kummer darüber, dass die eigenen Eltern nie richtig angekommen sind in einem Land, das man Zuhause nennt. Sie müssen lernen, mit übergriffigen Eltern umzugehen. Oder mit dem Leistungsdruck der Eltern, die sich für ihre Kinder eine sichere Zukunft wünschen. All das ignoriert die Generationenindustrie komplett.
Es geht um so viel mehr als nur um Generationen
Irgendwann fällt mir auf: Ich finde es nicht nur merkwürdig, dass junge Leute anscheinend ein so großes Mysterium sind, dass es eine Flut von Ratgebern, Workshops und selbsternannten „Generationenverstehern“ benötigt. Genau so komisch kommt es mir vor, dass sämtliche Boomer ein Leben in Saus und Braus geführt haben sollen, bis ihnen der Klimawandel auf die Füße fiel, sie mit den Schultern zuckten und sagten: „Was solls, nach mir die Sintflut.“
Vielleicht ist das Bashing von Gen Z und Boomern nur vergeudete Lebenszeit? Oder eine verkürzte Art und Weise, sich die Welt zu erklären?
Ja, sagt Hannes Zacher, der Arbeitspsychologe. „Konstruierte Generationskonflikte sind gefährlich. Denn damit werden Stereotype über junge Menschen bedient, die zu Diskriminierung führen.“ Und dann holt er den ganz großen Hammer raus: „Martin Luther King hatte die Idee einer Common Human Identity. Er hat nie versucht, Menschen gegeneinander auszuspielen. Heute ist leider oft das Gegenteil der Fall: Führungskräfte, Linke, Rechte, Junge, Alte verfallen in ein gewisses Stammesdenken.“
Eigentlich kein Wunder, denke ich. Die Welt steht gerade vor vielen Herausforderungen. Da hilft es, wenn ich sie in Schwarz und Weiß einteilen kann. Boomer böse, Gen Z gut. Oder halt andersrum. Aber das ist fatal. Denn dadurch geht uns die Fähigkeit verloren zu differenzieren: Falle ich gerade nur auf einen subtilen Versuch herein, Generation XYZ als defizitär darzustellen? Oder in meinem Fall: Ist mein Boomer-Onkel wirklich ein kompromissunfähiger Sturkopf? Oder gebe ich ihm gar nicht die Chance, meine Weltsicht zu verstehen?
Durchatmen und differenzieren – das brauchen wir wirklich
Dass morgen gleich ein ganzer Forschungszweig eingestapft wird, ist eher unwahrscheinlich. Jugendforschern wie Simon Schnetzer möchte ich keine bösen Absichten unterstellen. Und Gen Z ist tatsächlich ein prägnanterer Begriff als „jene Alterskohorte, die zwischen 1995 und 2010 geboren ist.“ Trotzdem kristallisiert sich für mich heraus: Hier arbeitet sich eine Gesellschaft an einem konstruierten Konflikt ab, der weder einen gewissen Geburtsjahrgang noch alle sozialen Schichten angemessen repräsentiert. Wir vertiefen Gräben, die eigentlich nicht da sein müssten. Das schluckt Kapazitäten, die wir für spannendere Diskussionen bräuchten.
Zum Beispiel darüber, wie wir zukünftig arbeiten wollen. Darüber, wie wir Menschen schulen können, Fake-News besser zu erkennen. Alle, nicht nur die Jungen. Oder darüber, wie wir angesichts von Rechtsruck und Klimawandel den Menschen, die nach uns kommen, eine lebenswerte Welt hinterlassen.
Ich habe mich für diese Recherche übrigens auch mit meinem Boomer-Onkel Bernd getroffen, das erste Mal seit zehn Jahren. Im Gepäck hatte ich meine Rechercheergebnisse und den Rat von Hannes Zacher: „Atmen Sie durch und versuchen Sie zu verstehen, warum Ihr Onkel eine bestimmte Position vertritt. Bleiben Sie im Gespräch.“
Den Rat habe ich aber gar nicht gebraucht. Als wir uns gegenüber saßen, waren wir ohnehin viel zu unsicher, um uns gleich an die Gurgel zu gehen. Am Ende war das Gespräch beinahe absurd einfach.
Wir sprachen darüber, dass auch sein Vater Arbeitszeiten herunterhandeln musste, über Kinder, die zu viel am Smartphone hängen und über Menschen, die eigentlich gar nicht diskutieren wollen. Er war ehrlich interessiert, als ich ihm von Konflikten zwischen Jung- und Altfeministinnen erzählte. Zwar konnte ich ihn nicht so richtig davon überzeugen, dass der Generationskonflikt konstruiert und hinfällig ist. Aber dann haben wir uns eben darauf geeinigt, unterschiedlicher Meinung zu sein.
Am Ende des Gesprächs saßen wir mit Apfelkuchen auf seiner Couch und stellten fest: Wir beide sind doch gar nicht so schlimm, wie wir voneinander dachten.
Redaktion: Bent Freiwald; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger