Es ist 2010 und verdammt lang her,
wo ist die Zeit nur gelieben, Leute, wollt ihr noch mehr?
Kennt noch irgendwer einen Song namens Jein?
Na fein! Herein! Willkommen im Verein!
Und herzlich willkommen bei einer neuen Folge meines Newsletters! In dem es wieder um gute Laune geht (und den du hier kostenlos abonnieren kannst), womit wir schon bei den Zeilen oben wären. Die stammen aus einem Remake des Hits „Jein“ von der sagenhaften Band Fettes Brot. Dazu zählen Doktor Renz, Björn Beton und König Boris – drei Typen, die ich seit meinen Teenagerjahren liebe (besonders geliebt habe ich Doktor Renz, von ungefähr 14 bis 18 Jahren). Weil Fettes Brot immer die sympathischste unter den deutschen Hip-Hop-Bands war. Die niedlichste. Und die mit dem größten Wortwitz.
Wo andere Bands einen auf Macker machten, weil sie sonst nichts zu sagen hatten, hauten die drei Hamburger Boys einfach noch ein Wortspiel raus. Die Lyrics von „Jein“ kann ich immer noch auswendig (mein Kollege Bent kann es bezeugen, weil wir uns den Song manchmal im Büro vorrappen, wenn sonst niemand da ist). Und auf die Idee, ein Stück mit dem legendären James Last aufzunehmen, Leute, also ehrlich, darauf muss man ja erstmal kommen! Das ist zwar schon eine ganze Weile her, aber ich finde den Song immer noch so großartig, meine Laune steigt von null auf 180, sobald ich mir die Kopfhörer reinstöpsle!
Aber irgendwann sind alle goldenen Zeiten mal vorbei: Vergangene Woche hat die allerletzte Tour von Fettes Brot begonnen. Soll man hingehen? Ja? Nein? Jein? Auf jeden Fall, sage ich! „Das nächste große Experiment ist, die coolste Bandauflösung aller Zeiten hinzulegen“, sagten Fettes Brot im Interview mit dem Spiegel Anfang des Jahres zu ihrem Ende, „auf eine Art und Weise, wie das noch keiner gemacht hat.“ Ich drücke die Daumen, wische mir eine Träne aus dem Auge und rufe mal Kollege Bent rüber. Beee-heeeeeent!
Weiter gehts mit dieser Dame:
Das ist Apo Whang-od. Wie alt würdest du sie schätzen?
60?
Falsch.
70?
Auch falsch.
80?
Nope.
Sie ist s-a-g-e-u–n-d-s-c-h-r-e-i-b-e 106 Jahre alt!
Ja, du hast richtig gelesen. 106!
Kann man es glauben? Ich jedenfalls nicht. Es stimmt aber trotzdem. Apo Whang-od lebt auf den Philippinen und gilt als eine der wenigen Künstler:innen, die noch das dortige traditionelle Tattoohandwerk beherrschen. Weswegen die philippinische Vogue sie im vergangenen Monat als älteste Frau ever auf ihr Cover gepackt hat. Soll nochmal jemand sagen, man könne im Alter nicht mehr gut aussehen!
Wer auch gut aussieht: Yasmina Reza.
Die französische Autorin schreibt Romane und Theaterstücke und zwar in einer Frequenz, bei der einem schwindlig wird. Jedes Jahr ein neues Werk, so ungefähr. Ich renne in jedes Theater, sobald Rezas Name in dessen Programm steht. Und du kennst sie vielleicht, ohne ihren Namen zu kennen, nämlich durch den Film „Gott des Gemetzels“, der auf ihrem gleichnamigen Stück basiert. Was Reza auszeichnet: ihr bissiger Humor. Mit dem reißt sie die Fassade der gut gebauten und schick eingerichteten Bürgerlichkeit ein. Ein großer Spaß!
Jetzt ist wieder ein Stück von ihr angelaufen, diesmal am Münchner Residenztheater. Ich habe es noch nicht gesehen, muss ich zugeben, aber allein der Titel klingt so toll: „James Brown trug Lockenwickler“. Eine Kollegin von der Süddeutschen Zeitung beschreibt es so: „Das neue Stück von Yasmina Reza handelt von einem jungen Mann, der sich für die Sängerin Céline Dion hält, und von seinem weißen Freund, der ein Schwarzer sein möchte.“ Interessant! Es sei „ein fragiles Stück“, sagt die SZ, „schlingernd zwischen Komik und Melancholie, Gewissheit und Verunsicherung, Identität und Differenz, Kultur und Natur.“ Klingt sehr gut, finde ich. Man kann mit Reza aber sowieso nichts falsch machen. Große Empfehlung deshalb von mir!
Dann möchte ich euch noch von einer Frau erzählen, die mir gehörig Respekt abverlangt: KR-Mitglied Chrissie.
Chrissie ist 36 Jahre alt und lebt in Köln-Sürth. Dort habe ich sie vor einigen Wochen für ein großes Interview zuhause besucht. Warum? Weil Chrissie eine Solo-Mama ist. Das heißt, sie hat eine kleine Tochter, die sie mittels eines privaten Samenspenders bekommen hat – und die sie freiwillig ohne Partner und somit ohne Vater für ihre Tochter großzieht. Wieso sie sich für diesen Weg entschieden hat und wie Chrissies Entscheidung ihre Sicht auf das Thema Familie komplett veränderte, könnt ihr kommende Woche nachlesen, wenn das Interview erscheint.
So. Und jetzt müssen wir leider noch über Benjamin von Stuckrad-Barre sprechen. Ja, ich weiß: Der war doch schon überall die vergangenen Wochen! Sogar auf dem Spiegel-Cover! Und das nur wegen seines neuen Buches! Dabei ist der Typ doch der totale Egozentriker! Und vielleicht doch auch ein bisschen zu sehr gehyped?!
Würde ich alles unterschreiben. Das Ding ist bloß: Er ist ja trotzdem faszinierend. In seiner Mischung aus Neurotik, Rampensau-Manier und zur Schau getragener Verletzlichkeit. Konnte man alles bei seiner Premieren-Lesung in Berlin beobachten (die Lesetour geht noch bis zum 1. Juni durch ganz Deutschland). Und obwohl ich mir für dieses Spektakel (man kann es nicht anders nennen) vorgenommen hatte, so kritisch wie möglich im Publikum zu sitzen und nicht zu doll zu klatschen, muss ich zugeben: Wahnsinns-Lesung! Vielleicht die beste, auf der ich jemals war. Die amüsanteste auf jeden Fall.
Das liegt natürlich an Stuckrad-Barre selbst, also an seiner Präsenz. Wie er über die Bühne zuckt, eben noch sitzt, nur um direkt wieder aufzuspringen und sich die nächste Kippe anzuzünden, an der er dann wie manisch zieht. Auch daran, wie offen er auf der Bühne zugibt, geliebt werden zu wollen.
Sein Buch ist aber auch nicht schlecht. „Noch wach?“ heißt es und erzählt von Sexismus, Missbrauch und Macht in einem fiktiven deutschen Medienhaus (das sehr viel Ähnlichkeit mit dem Axel-Springer-Haus hat). Es ist ein gut gebautes, schnelles Buch – vor allem aber auch ein witziges. Was man bei der Thematik erstmal schaffen muss. Großartige Unterhaltung, mein Buch des vergangenen Monats.
Und das wars auch schon wieder mit meiner kleinen Herzblatt-Show für diesen Monat. Aber auch im kommenden werde ich wieder schwärmen, wird es wieder heißen: „You call it madness – but I call it love.“ Und weil Liebe und gute Laune ja bekanntlich noch größer werden, wenn man sie teilt: Ich würde mich sehr freuen, wenn du meinen Newsletter für die kleine Laune zwischendurch an deine Freund:innen und Bekannten weiterleiten würdest. Vielen Dank!
Anmerkung aus der Redaktion vom 3.5.23: In der ersten Version dieses Textes ist mir, der Autorin, ein peinlicher Fehler passiert: Ich habe den Textbeginn des Jein-Remakes vergeigt – und die Lyrics nicht richtig zitiert: In Zeile 2 des Jein-Liedtextes fehlten die Worte “nur gelieben, Leute”. Ich schrieb: “…Wo ist die Zeit, wollt ihr noch mehr?…”. Es muss aber heißen: “…Wo ist die Zeit nur geblieben, Leute, wollt ihr noch mehr?…” Ich habe den Liedtext deswegen korrigiert.
Redaktion: Lisa McMinn, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Susan Mücke; Audioversion: Iris Hochberger