Unfassbar, aber wahr: Der Oktober ist schon wieder rum! Damit wird es Zeit, sich zu verknallen! Auch im Oktober will ich dir wieder fünf Personen vorstellen, die mich im vergangenen Monat begeistert haben, bei denen ich dachte: Wow!
Und wie das so ist mit der Liebe: Manchmal fällt sie dorthin, wo man es selbst am wenigsten erwartet. Anke Engelke hatte ich in meinem Kopf abgespeichert als deutsche Ulknudel; das ist doch die von Ladykracher und die deutsche Synchronstimme von Marge Simpson. Engelke hat mich nie sonderlich beschäftigt. Bis ich den Film „Mutter“ gesehen habe, in dem sie die Hauptrolle spielt.
Wie unwissend ich war! Wie grob ich Engelke unterschätzt hatte! Denn wie großartig sie ist in diesem Film, der eigentlich nur aus ihr besteht! Der ganze Film ist zugeschnitten auf Engelke, die das Leben vier sehr verschiedener Mütter erzählt. Währenddessen sieht man ihrer Figur, einer Frau in ihren Fünfzigern, bei der Banalität des Alltags zu: Sie putzt die Fenster, legt Wäsche zusammen, lässt sich die Zähne bleichen und ihr Auto reinigen. Dabei wechselt Engelke immer wieder die Persona, erzählt mal die Geschichte der einen Mutter, dann wieder die der anderen. Es ist ein besonderer, eigenwilliger Film, der Freude und Leid, also das gesamte Spektrum von Mutterschaft, auslotet. Anke Engelke trägt diesen Film in jeder Sekunde. Bewunderswert!
Meine Liebe zu Ruben Östlund ist da schon viel offensichtlicher. Manche werden seinen Namen kennen; der 48-jährige Schwede ist einer der erfolgreichsten Filmemacher unserer Zeit. Zweimal hat er die Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes gewonnen, was gerade mal eine Handvoll Regisseure geschafft haben. Jetzt läuft Östlunds neuester Film „Triangle of Sadness“ in den deutschen Kinos: Ein junges Paar – sie Influencer, er Model – macht eine Gratisreise auf einer Luxusjacht, doch das Leben unter den Schönen und Reichen währt nicht lange: Die Yacht erleidet Schiffbruch. Einige Reisende werden an eine Insel gespült. Und dort geht Östlunds Film eigentlich erst richtig los.
Es ist eine bitterböse Satire über die Machtstrukturen zwischen Arm und Reich, den Ländern des Globalen Nordens und Südens und zwischen den Geschlechtern, so witzig, dass ich am liebsten auf Repeat gedrückt hätte, als der Abspann lief. Jemand anderes hätte bei solchen Themen vielleicht den langweiligsten Film aller Zeiten fabriziert, aber Östlund wäre nicht Östlund, wenn er daraus nicht den Brüller des Jahres gedreht hätte. Schon in seinem Vorgänger-Film „The Square“ hat er sich lustig gemacht über den Snobismus und die Selbstgerechtigkeit der (Kultur-)Elite, aber jetzt geht er noch einen Schritt weiter und dreht die Analyse derart ins Absurde, dass es fast schon wahnwitzig wirkt – und doch stets sitzt wie die Faust aufs Auge.
Östlund selbst will seine Filme auch als Antwort auf die Frage verstanden wissen, was Männlichkeit heute bedeutet. Man kann sein neuestes Werk so lesen. Muss man aber nicht. Ein Riesenspaß bleibt der Film auch ohne große Analyse, und Humor ist ja bekanntlich immer sexy.
Was war sonst noch im Oktober? Die Bekanntgabe der Nobelpreise, und ach ja, die Frankfurter Buchmesse! Beides führt mich zu einer Autorin, die ich seit Jahren verehre: Annie Ernaux. Wer noch kein Buch von ihr kennt, verpasst etwas, und das nicht erst, seit die 82-Jährige sich Literaturnobelpreisträgerin nennen darf. Ernaux bekam in diesem Jahr den Preis „für den Mut und die klinische Schärfe, mit der sie die Wurzeln, Entfremdungen und kollektiven Beschränkungen der persönlichen Erinnerung aufgedeckt“, ließ die Schwedische Akademie verlauten.
Um dieses Zitat kurz zu erklären: Ernaux’ Bücher drehen sich um: Sie selbst. Wer ihr Schreiben jetzt aber simpel als autobiographische Notizen abtut, missversteht ihr Werk. Denn Ernaux schreibt über das eigene Ich, ohne sich auf dieses zu beschränken. Sie seziert ihr eigenes Leben mit einer solchen (soziologischen) Analytik, dass ihre Zeilen immer viel mehr erzählen als nur ihr eigenes Leben. Es geht in ihren Büchern um Scham, Klasse, Aufstieg, Familie – und immer wieder auch um das Leben als Frau. Rücksichtslos, klar und mutig nimmt Ernaux dabei auch die gesellschaftlichen Zusammenhänge auseinander, in denen sie lebt. Genau deswegen liebe ich ihre Bücher, doch, man kann hier schon von Liebe sprechen.
Wenn ich nur ein einziges ihrer Bücher empfehlen müsste, dann wäre es „Das Ereignis“, in dem Enaux darüber schreibt, wie sie als 23-Jährige schwanger wird und sich für eine Abtreibung entscheidet. „Das Ereignis” spielt in Frankreich im Herbst 1963, liest sich aber vor dem Hintergrund der Abtreibungs-Debatte in den USA aktueller denn je. Hier gehts zur Leseprobe.
Wo ich gerade die Frankfurter Buchmesse erwähnt habe: Man kann ja von TikTok halten, was man will (kleiner Einblick in die Redaktion: Mein Kollege Tarek arbeitet gerade an einem Text, der allen Nix-Checkern wie mir die Plattform einmal grundlegend erklären wird), aber diesen jungen Mann hier muss man einfach abfeiern, wenn man Bücher liebt:
Das ist Tom Wayling. Er hat sich auf TikTok ernsthaft die Mühe gemacht, eine Antwort auf die Frage zu finden, ob es für einen Menschen allein möglich wäre, alle Bücher zu lesen, die jemals auf Englisch erschienen sind. „I love this question, and I have an answer for it!”, sagt Tom Wayling, bevor er dann loslegt mit seiner Rechnung. Ich will die Antwort gar nicht spoilern, nur soviel: Allein Toms Herleitung finde ich schon faszinierend! Schaut es euch am besten selbst an. Viel Liebe für soviel Nerdtum (und für Toms sehr eigenwilligen Oxford-Opa-Kleidungsstil)!
Zum Schluss noch ein bisschen Musik. Ich habe keine Ahnung von Jazz, leider auch keine von Klassik, und zu meinem eigenen Bedauern noch viel weniger von südafrikanischer Musik. Ich kann auch gar nicht mehr rekonstruieren, wie und wo ich auf Abel Selaocoe gestoßen bin. Irgendwo in den Tiefen des Internets ist der südafrikanische Cellist und Sänger mir begegnet. Und schon nach dem ersten Song hatte er mich! Ungewöhnlich und freudvoll klingt seine Musik, kraftvoll, zutiefst berührend – und frech. Denn Selaocoe hat kein Problem damit, Johann Sebastian Bach mit seinen eigenen Kompositionen zusammen zu schmeißen, oder einfach auch nur zu improvisieren. Ende September ist sein Debütalbum Where is Home erschienen, in diesem Video bekommt man einen Eindruck davon, wie seine Musik sich anhört. Wer jetzt so begeistert ist wie ich, Achtung: Abel Selaocoe kommt schon nächste Woche nach Deutschland, für ein einziges Konzert! Am 8. November spielt er in der Philharmonie in Berlin!
Das war meine persönliche Herzblatt-Show für den Oktober. Aber auch im kommenden Monat wird es wieder heißen: You call it madness, but I call it love!
Redaktion: Lisa McMinn, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Theresa Bäuerlein; Audioversion: Iris Hochberger