Man sieht ein gezeichnetes Bild: Blauer Hintergrund, davor eine Art Kukuckshaus, die zwei Gesichter in den zwei Fenstern blicken sich an, sie lächeln ganz leicht.

Illustration: Mia Oberländer

Leben und Lieben

Interview: „Ich hatte körperliche Schmerzen vor Sehnsucht nach ihr“

Knapp 30 Jahre brauchten Katja und Thomas, um sich als Paar zu finden. Ihr Begehren überstand Ehepartner:innen, Kinder mit einem anderen – und Thomas hieß früher sogar Franzi. Eine Liebesgeschichte.

Profilbild von Esther Göbel
Reporterin für Feminismus

Was wäre das Leben ohne die Liebe?!

Als ich für meine Interviewreihe Wie geht das, ein gutes Leben? über Interviewpartner:innen nachdachte, war schnell klar, dass ich auch über die Liebe sprechen muss. Und ich wusste, dass ich die Geschichte von Katja und Thomas erzählen will. Die beiden lernten sich kennen, als sie 19 und 18 Jahre alt waren. Mit knapp 40 verliebten sie sich ineinander, aus heiterem Himmel. Aber erst mit knapp 50 wurden sie ein Paar.

Das ist heute zweieinhalb Jahre her. Was in all den Jahren dazwischen passierte, könnte der Stoff eines preisgekrönten Netflix-Dramas sein. Denn Katjas und Thomas’ Geschichte ist die einer Liebe, die viel aushalten musste: Ehepartner:innen, Kinder mit einem anderen, lange Jahre ohne einander – und Thomas hieß früher sogar Franzi. Katja liebte einfach weiter. Obwohl sie feststellte, dass sie gar nicht auf Männer steht.

Das Interview mit den beiden ist die zweite Folge meiner Interviewreihe. Wenn du keine Folge verpassen willst, kannst du hier meinen kostenlosen Newsletter bestellen.


Katja, was ist Liebe für dich?

Katja: Du lieber Himmel! Das frage ich mich auch oft! Früher musste Liebe für mich so aussehen: das klassische Bild, also Mann, Frau, Kinder, Haus. Treue und Loyalität waren mir sehr wichtig. Auch das Aushalten von negativen Momenten. Als mein Ex-Mann und ich heirateten, sagten wir uns bei der Trauung diesen Spruch: „An der Brücke der Liebe muss von beiden Seiten gearbeitet werden.“ Diesen Glaubenssatz habe ich sehr verinnerlicht. Ich stehe nach wie vor hinter diesen Worten, zu hundert Prozent.

Thomas, was ist Liebe für dich?

Thomas: Erstmal ein Gefühl. Für mich war dieses Gefühl aber noch nie geschlechtsspezifisch. Ich habe kein fixes Bild vor Augen. Für mich hat Liebe viel Haptisches, Sensomotorisches – ich muss sie begreifen. Wenn ich liebe, möchte ich dem anderen Menschen nah sein. Miteinander sein, sich vertrauen können.

Katja, was findest du an Thomas liebenswert?

Katja: Das ist genau das, was mich so umgehauen hat an Thomas: Bis zu dem Zeitpunkt, in dem ich mich in ihn verliebte, war Liebe für mich eine Sache, für die ich immer etwas tun musste – sprichwörtlich an der Brücke der Liebe arbeiten. Aber bei Thomas war das Gefühl auf einmal ganz anders. Ich kann meine Liebe zu ihm nicht an einzelnen Punkten festmachen – sie war und ist einfach da. Ich kann bei Thomas authentisch sein, ich selbst.

Thomas, was findest du an Katja liebenswert?

Thomas: Mir gegenüber sagt sie immer sehr klar, was sie denkt und fühlt. Ich bin einfach immer noch geflasht von ihr. Ich will sie eigentlich immer berühren.

(Die beiden blicken sich lächelnd an, Thomas greift Katjas Hand, ganz zart nur. Sachte streichelt er ihre Finger.)

Eure Geschichte ist sehr besonders, sie klingt wie ein Hollywood-Film: Ihr wart sehr jung, als ihr euch kennengelernt habt. Gefunkt hat es erst viel später, als ihr beide um die 40 wart – Thomas lebte damals noch als Frau: Franzi. Bis ihr ein Paar wurdet, hat es nochmal zehn Jahre gebraucht, in denen ihr keinen Kontakt hattet. Das Happy End hat euch spät gefunden, mit über 50. Empfindet ihr eure Geschichte selbst als so unglaublich, wie sie sich liest?

Thomas: Alltäglich ist diese Geschichte bestimmt nicht. Wenn ich mir heute vorstelle, Katja hätte schon vor zwölf Jahren ihre Ehe hingeschmissen, also damals, als wir uns so schwer ineinander verliebt haben, wäre es eine ganz andere Geschichte geworden. Wer weiß, ob sie dann so schön geworden wäre.

Katja: Es hat schon ein bisschen was von Hollywood. Wenn ich zurückblicke auf unsere Geschichte, denke ich mir: unfassbar! Total unrealistisch! Und ich muss Thomas zustimmen: Damals hätte es für mich nicht funktioniert, mich zu trennen und meine Familie zu verlassen. Und vor zweieinhalb Jahren kam der Moment, in dem es nicht mehr funktioniert hätte zu bleiben.

Lasst uns an die Anfänge eurer Geschichte zurückgehen, zu der Zeit, als ihr euch kennengelernt habt. Wie warst du damals mit 19, Katja?

Katja: Ich hatte meine Ausbildung zur Hotelfachfrau abgebrochen, ich wusste nicht wirklich, was ich machen sollte. Damals war ich noch ziemlich weltfremd. Gut behütet, das kleine Mädchen vom Dorf, aufgewachsen mit dem klassischen, hetero-normativen Bild. Meine Eltern haben mir mitgegeben, wie wichtig Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein und ein Gefühl für das eigene Umfeld sind. Ich wollte nicht ganz weit wegziehen von zuhause, aber ich war auch nicht wirklich ein Dorfmädchen. Ich war ein bisschen flippiger.

Wie war dein Verhältnis zu Männern in dieser Zeit?

Katja: Für mich war es als junge Frau wichtig, von Männern gemocht zu werden. Wen kriege ich als Nächstes rum? Das war für mich schon fast wie ein Sport. Obwohl das alles sehr oberflächlich blieb mit den Jungs. Bis zu meinem ersten Freund, mit dem es dann auch körperlich wurde. Aber ich hätte eigentlich zu diesem Zeitpunkt schon merken können, vielleicht auch merken müssen: Hier stimmt etwas nicht für mich.


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Wieso konntest du dir damals nicht eingestehen, dass du auf Sex mit Jungs eigentlich keine Lust hattest?

Katja: Weil ich dachte: Ich muss nur ein bisschen mehr an mir arbeiten, dann wird es schon besser werden. Es ging darum, die Norm zu erfüllen. Nur verstand ich das damals noch nicht.

Wie und wann hast du Thomas kennengelernt?

Katja: Nach dem Abbruch meiner Ausbildung hatte ich ein Praktikum im Kindergarten absolviert und entschied mich für eine zweijährige Ausbildung zur Erzieherin. Ich wechselte an die Fachhochschule in Stuttgart, eine Nonnenschule mit Internat war das.

Oh Gott!

Katja: Ja, es war die Vollhölle (lacht). Aber auch die schönste Zeit meines Lebens. Auf der Nonnenschule haben Thomas und ich uns kennengelernt. Wir bildeten mit drei anderen jungen Frauen eine eingeschworene Clique, die wir übrigens auch heute noch haben. Aber auf Thomas bezogen, der damals ja noch Franzi war, also eine Frau, gab es von meiner Seite aus null romantische Gefühle.

Bei dir, Thomas?

Thomas: Nein, bei mir auch nicht.


Katja und Thomas sind beide KR-Leser:innen. Bei Krautreporter arbeiten wir eng mit unserer Community zusammen: Immer wieder beziehen wir unsere Leser:innen in Recherchen mit ein, fragen sie als Expert:innen an, starten Umfragen oder erzählen ihre Geschichten, so wie in diesem Text.


Wie warst du als Jugendliche, Thomas?

Thomas: Ich bin in einer Kleinstadt groß geworden, auch mit dem hetero-normativen Bild als Schablone. Ich war ein eher burschikoses Mädchen, ich wollte immer ein Junge sein. Beziehungsweise dachte ich als Kind lange, ich würde noch einer werden. Dass ein Mädchen zu sein nur die Vorstufe bedeutete, bis ich ein Junge werden würde.

Wie sind deine Eltern damit umgegangen?

Thomas: Meine Mutter konnte damit nichts anfangen. Sie verbot mir zum Beispiel, meine Haare kurz zu tragen. Mein Vater starb früh. Auch ich habe erstmal die Norm erfüllt als Jugendliche, hatte zum Beispiel einen Freund – obwohl ich meine Klassenlehrerin immer schon ganz toll fand. Aber ich konnte das nicht benennen. Ich hatte damals auch noch nie von Lesben gehört. Auf der Realschule hing ich immer mit den Jungs rum. Und auf diese Nonnenschule hatte ich wirklich gar keinen Bock (lacht)!

„Ich glaube, das war immer eine sehr große Angst in mir: negativ bewertet zu werden. Ich habe immer versucht, gut zu sein, alles richtig zu machen.“
Katja, 53 Jahre alt

Katja: Franzi erzählte unserer dortigen Clique, dass sie als kleines Mädchen ein Junge hatte sein wollen. Aber wir wussten damit nichts anzufangen, wir hatten keine Worte dafür. Jede von uns hatte dann irgendwann einen Freund, wir haben uns alle zusammen getroffen, hatten viele tolle Erlebnisse mit der Clique – aber mehr war da nicht.

Ihr habt beide einen Mann geheiratet, du, Katja, hast zwei Söhne bekommen. All diese Lebensschritte habt ihr voneinander mitbekommen?

Katja: Ja, das haben wir alles mitbekommen, wer Kinder bekommen oder sich getrennt hat. Wir waren auch beide auf der Hochzeit des jeweils anderen. Wie das im Freundeskreis so üblich ist.

Was ist dann 2010 plötzlich passiert? Damals kanntet ihr euch ja schon über 20 Jahre, wart gut befreundet. Und du, Katja, bist ja nicht davon ausgegangen, dass du dich in eine Frau verlieben könntest.

Katja (zu Thomas gewandt): Als du dich damals von deinem Mann getrennt hast nach sechs Jahre Ehe und uns in der Clique sagtest, du hättest festgestellt, du seist lesbisch, hat das schon etwas in mir ausgelöst. Ich war davon total fasziniert, fand das hochinteressant. Ich dachte: Wow! Dein Outing hat mir imponiert. Gleichzeitig führte es aber auch zu Fragen in mir, nach meiner eigenen sexuellen Orientierung.

Und diese Fragen hattest du dir vorher schon gestellt?

Katja: Ja, aber nicht sehr ausgiebig. Ich hatte etwa im Alter von 25 eine Kollegin, bei ihr bekam ich Schmetterlinge im Bauch, Herzrasen. Aber ich konnte das nicht einordnen. Eigentlich hatte ich damals gehofft, dass sie sich als lesbisch outen würde, was sie aber nicht tat. Also dachte ich: „Hm, gut, dann ist das, was ich fühle, auch keine lesbische Anziehung.“ Ich habe mir diese Gefühle immer abgesprochen.

Du hast ja sogar das Gegenteil gemacht: Deinen Ex-Mann kanntest du schon aus Schulzeiten. Eure Ehe hielt 23 Jahre. Hast du ihn geliebt?

(Katja überlegt länger:) Ja. Zumindest so, wie ich Liebe damals verstand. Es gab Eigenschaften an meinem heutigen Ex-Mann, die ich toll fand und bewunderte. Wir hatten auch viel gemeinsam. Es war uns beiden zum Beispiel immer klar, dass wir heiraten und eine Familie gründen würden. Wir mussten noch nicht einmal groß darüber sprechen. In den Schulferien hatte ich mal mit einem anderen angebandelt, da waren mein heutiger Ex-Mann und ich aber schon ein Paar. Wir trennten uns. Als wir nach fünf Jahren wieder zusammenkamen, versprach ich ihm: „So etwas wird nie wieder passieren. Ich werde dich nie wieder verlassen!“

Klingt aus heutiger Sicht verhängnisvoll.

Katja: Dieser Satz war meine Messlatte. Daran habe ich mich orientiert.

Aber du wolltest die Beziehung zu diesem Mann ja auch.

Katja: Sie war von mir gewollt, ja. Weil ich dieses Bild im Kopf hatte, wie Liebe aussehen müsse. Und wir waren wirklich auch ein super Team! Aber ich war schon damals eigentlich nicht gern mit ihm intim. Oft lag ich neben ihm in unserem Ehebett und fragte mich: „Wenn er jetzt fragt, ob ich nochmal zu ihm rücken will, was sage ich dann?“ Ich erinnere mich an eine Zeit in unserer Ehe, noch weit bevor ich mich schließlich in Franzi verliebte, in der es sehr schwierig war. Wir hatten zwei Jahre oder länger keinen Sex gehabt, diskutierten viel abends im Bett, ich weinte oft. Irgendwann saßen mein Ex-Mann und ich mal im Bett und ich sagte: „Vielleicht bin ich ja lesbisch.“ Eigentlich wartete ich darauf, dass er sagte: „Ja.“ Dann wäre alles klar gewesen. Aber er sagte: „Das ist ja Quatsch.“ Sonst hätte er mich gehen lassen müssen.

„Mit meiner unglücklichen Rolle hatte ich mich arrangiert. Ich wollte nicht glauben, dass ich alles, mein ganzes Leben, hätte aufgeben sollen.“
Katja, 53 Jahre alt

Das war alles vor 2010. Gehen wir zurück in dieses Jahr. Was passierte da plötzlich, als ihr euch verliebt habt?

Katja: Eine aus unserer Clique hatte Geburtstag, und wir wollten alle für ein Wochenende mal raus unserem Alltag. Also fuhren wir in einen Centerpark in Holland.

Thomas: Bei mir hat das Kribbeln aber schon vorher angefangen. Bei unserem Skype-Telefonat vor diesem Wochenende.

Katja: Aber wieso haben wir zwei denn ohne die anderen geskypt?

Thomas: Gute Frage! Ich weiß es auch nicht mehr.

(Beide lachen.)

Katja: Auf jeden Fall fand ich die ganze Situation total aufregend. Ich wollte unbedingt mit Franzi in ein Zimmer. Aber noch ohne mir groß etwas dabei zu denken. Ich fand es einfach interessant, ich wollte alles wissen von ihrem Lesbischsein. Aber gekribbelt hat vor dem Wochenende bei mir noch nichts.

Thomas: Ich war schon aufgeregt, überhaupt den Computer hochzufahren vor unserem Skype-Gespräch. Meine damalige Freundin war super-eifersüchtig; zum Skypen setzte ich mich im Wohnzimmer extra so hin, dass sie nicht in den Computer gucken konnte. Als ich nach dem Skype-Gespräch meine Sachen packte fürs Wochenende, das erinnere ich noch, steckte ich eine Creme ein, von der ich dachte: „Mhm, die eignet sich gut zum Massieren.“

Katja: Was? Wirklich? Das hast du mir noch nie erzählt! Das gibts ja wohl nicht!

(Beide lachen laut.)

Und dann saßt ihr an besagtem Wochenende in diesem Haus im Centerpark.

Katja: Ich hatte uns bei der Ankunft das „Elternzimmer“ gesichert. Das hatte zwei Betten direkt nebeneinander. Uns beiden war irgendwie klar, dass wir in einem Zimmer schlafen würden, dabei hatten wir gar nicht darüber geredet. Am ersten Abend spielten wir Sing-Star, das hatte Thomas initiiert. Ich fand es bescheuert. Dabei fiel mir allerdings etwas auf: Sobald ich Thomas anschaute, lief ich im Gesicht rot an, mein Herz raste. Irgendwann begriff ich: „Verdammte Hacke, irgendwas stimmt doch hier nicht!“ Vorher waren wir in der Sauna gewesen, die ganze Clique, das fand ich auch schon spannend, weil ich Franzi in der Sauna zum ersten Mal körperlich richtig wahrgenommen habe. Aber in der ersten Nacht lief noch nichts zwischen uns. Erst in der zweiten habe ich dich gefragt: „Darf ich dich berühren?“

Thomas: Moment, du hast was vergessen: Am zweiten Abend waren wir noch Zigaretten holen, zu zweit, am Automaten. Da hat es schon so geknistert, dass wir Händchen haltend zurückgegangen sind. Und du mich vor der Haustüre gefragt hast, ob du mich küssen darfst.

Katja: Stimmt! Und danach hatte ich wirklich Angst, mit dir allein auf unser Zimmer zu gehen. Wir saßen dann noch lange mit einer anderen Freundin aus unserer Clique zusammen im Wohnzimmer, bis tief in die Nacht.

Katja, wo kam das plötzlich her? Die Frage, ob du Franzi küssen darfst, das Händchenhalten?

Katja: Ich kann es selbst nicht genau sagen. Wir waren alle in einer sehr gelösten Stimmung, an den Abenden auch ein bisschen angetrunken. An diesem Wochenende war ich nicht die verheiratete Katja, Mutter von zwei Kindern. Sondern die Katja, wie ich sie auf der Klosterschule gewesen war. Freier. Ich ließ die Erwartungen an mich selbst fallen. Vielleicht kam es daher.

Erinnert ihr euch beide noch an den Kuss?

Thomas (lächelnd): Ich schon, ja.

Katja: Ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich an die Nacht: Wir lagen in diesem Bett nebeneinander, wir wollten schlafen – und ich lag da und hatte körperliche Schmerzen, weil ich so eine Sehnsucht hatte, diese Frau neben mir zu berühren. So etwas hatte ich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt – es war ja immer das Gegenteil der Fall gewesen: Wenn der andere mich berühren wollte, bin ich weggerückt.

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Wie fühlte sich das Berühren dann an, für euch beide?

Katja: Für mich war das wie eine Explosion (sie lacht). Es war ja alles komplett neu!

Thomas (lacht auch): Es ist ein bisschen peinlich, jetzt darüber zu sprechen. Für mich war es auch sehr besonders, denn ich wusste: Es ist das erste Mal für Katja, dass sie Sex mit einer Frau hat. Das war so ein tolles Gefühl!

Katja: Und dann haben wir uns mit dieser Creme massiert, die du eingepackt hattest!

(Beide lachen jetzt wie ein sehr verliebtes Pärchen durcheinander.)

Thomas: Ich habe dich zuerst massiert. Und du hast dann alle Handgriffe genau so nachgemacht, als du mich massiert hast.

Katja: Ich wusste es ja auch nicht besser! Also wie man eine Frau anfasst.

Thomas: Das war unbeschreiblich schön. Man hat die beidseitige Unsicherheit noch gespürt, aber wir waren so aufeinander fokussiert, auch am nächsten Tag, dass wir dachten: „Das muss die ganze Welt doch eigentlich mitkriegen, was hier zwischen uns passiert ist!“

Katja: Eine aus unserer Clique hat es ja dann auch mitgekriegt. Sie klopfte morgens an unsere Zimmertür – und ich fiel vor lauter Schreck aus dem Bett! Unsere Freundin hielt aber dicht, sie sagte nichts.

Die Nacht war also wunderschön. Aber wie war der andere Morgen? An dem du, Katja, dich vermutlich daran erinnertest, dass du zwei Söhne im Alter von acht und elf zuhause sitzen hast und einen Mann, dem du versprochen hattest, du würdest ihn niemals verlassen.

Katja: Der nächste Morgen war ganz unwirklich. Wir sind noch im selben Auto nach Hause gefahren. Aber als Thomas und eine andere Freundin aus unserer Clique mich vor der Haustüre abgesetzt hatten, war ich schon wieder drin in meiner alten Rolle.

Wie ging es weiter?

Thomas: Ich bin nach Hause gekommen und erstmal krank geworden. Zwei Tage lang lag ich im Bett. Ich war einfach todunglücklich. Ich wusste, dass Katja ihre Familie nicht verlassen würde. Das hatte sie mir noch an unserem Wochenende klipp und klar gesagt. Ich wiederum erzählte meiner damaligen Freundin, dass ich mit Katja geschlafen hatte.

Und du, Katja?

Katja: Ich sagte meinem Ex-Mann nichts. Kein Wort. Es ging nicht. Ich war so sehr in meiner Rolle drin: Ehefrau, Mutter von zwei Kindern. Der eigene Anspruch an mich, es richtig zu machen. Und „richtig“ bedeutete damals eben für mich: als Frau mit dem Vater meiner Kinder zusammenzuleben, in einer Beziehung. Für alle anderen Menschen sah ich alle möglichen Modelle. Aber nicht für mich selbst.

Das kann man als krassen Normdruck bezeichnen. Wie groß war die Angst?

Katja: Ich hatte wahnsinnige Angst davor, dass mein Ex-Mann mir Vorwürfe machen oder, noch schlimmer, mich negativ bewerten könnte. Ich glaube, das war immer eine sehr große Angst in mir: negativ bewertet zu werden. Das Allerschlimmste, was mein Ex-Mann in einem Streit mal zu mir sagte, war, dass ich fürchterlich egoistisch sei. Das hat mich so getroffen. Es war das Schlimmste, was mir jemand hätte sagen können. Weil es so weit weg war von meinem Selbstbild. Ich habe immer versucht, gut zu sein, alles richtig zu machen.

„Wenn ich mich nur genug anstrengen würde, würde doch noch alles wieder gut werden. Mein Ex-Mann und ich begannen sogar noch eine Paartherapie. Irgendwann glaubte ich mir selbst, doch nur neugierig gewesen zu sein.“
Katja, 53 Jahre alt

Kurze Zeit nach eurem Wochenende ist dann aber doch alles aufgeflogen.

Katja: Für ein, zwei Wochen schrieben wir uns noch sehr sehnsüchtige und sinnliche SMS hin und her. „Ich schmecke dich noch“, diese Kategorie. Eine von diesen Nachrichten las mein Ex-Mann, es war ein blöder Zufall. Dann stellte er mich zur Rede. Ich stritt alles ab. Dass es nichts Ernstes gewesen sei, dass ich Langeweile gehabt hätte, als Tagesmutter, dass ich nur neugierig gewesen sei und mal Sex mit einer Frau hatte ausprobieren wollen. Es war furchtbar! So schlimm wie in diesem Moment habe ich mich in meinem ganzen Leben nicht gefühlt.

Wieso konntest du in diesem Moment nicht die Wahrheit sagen und gehen? Es wäre ja die Gelegenheit gewesen, die Tür stand ja nun sperrangelweit auf.

Katja: Das stimmt. Aber ich wollte nicht glauben, dass mein Gefühl zu einer Frau nun das echte Gefühl sein sollte. In meiner anderen Rolle als Ehefrau entbehrte ich zwar sehr viel, aber damit kannte ich mich aus.

Die Angst vor dem Kontrollverlust und vor der unsicheren Situation war also größer als der Wille, etwas zu verändern?

Katja: Ja. Mit meiner unglücklichen Rolle hatte ich mich arrangiert. Ich wollte nicht glauben, dass ich alles, mein ganzes Leben, hätte aufgeben sollen.

Du hast die Rolle also weitergespielt?

Katja: Ja. Weil ich wieder dachte: Wenn ich mich nur genug anstrengen würde, würde doch noch alles wieder gut werden. Mein Ex-Mann und ich begannen sogar noch eine Paartherapie. Irgendwann glaubte ich mir selbst, doch nur neugierig gewesen zu sein. Es war klar: Ich würde meine Familie nicht verlassen. Mir war aber wichtig, Franzi noch einmal zu sehen und persönlich einen Schlussstrich zu ziehen.

Und das habt ihr dann auch gemacht?

Katja: Wir trafen uns in Stuttgart, gingen in ein Kaufhaus, ich musste noch Sachen für die Jungs kaufen.

Thomas: Und dann hast du mich im Kaufhaus in eine Umkleidekabine gezogen!

Katja: Ich konnte halt auch nicht von dir lassen!

Aber ihr hattet euch doch mit dem Vorsatz getroffen, euch voneinander zu verabschieden!

Thomas: Ja, das hatten wir. Weil uns beiden klar war: Wir müssen einen harten Schnitt machen. Sonst kommen wir immer wieder in Versuchung. Und diesen Cut haben wir dann auch gemacht. Aber vorher hatten wir noch vereinbart: Wir treffen uns wieder, wenn wir 60 sind. Also in 20 Jahren.

Das klingt jetzt wirklich wie in einem Hollywood-Film!

Katja: Wir meinten das aber ganz ernst.

Thomas: Wir beschlossen auch, dass wir nicht mehr beide Teil unserer Clique sein würden. Meine damalige Partnerin war sowieso sehr eifersüchtig und hatte mir verboten, zu den Treffen zu gehen. Also zog ich mich aus unserer Clique zurück.

Ihr habt das wirklich durchgezogen? Zehn Jahre nullkommanull Kontakt? Keine SMS? Kein Kontakt über soziale Medien? Nichts?

Thomas: Ja. Wir waren sehr konsequent, haben sogar jeweils die Nummer der anderen gelöscht. Uns war klar: Wenn wir uns immer mal wieder sehen, können wir uns nicht zusammenreißen.

Wie lebt man weiter mit einem solchen Versprechen, die Liebe quasi auf 20 Jahre später zu verschieben? Ist das Leben dazwischen nicht wie eins auf Pausentaste?

„Mir hat dieses Versprechen schon auch ein bisschen Hoffnung gegeben. Es war eine Hilfe, überhaupt den Absprung voneinander zu schaffen. Wie ein Trick, um in diesem Moment loslassen zu können.“
Katja, 53 Jahre alt

Thomas: Ich muss ehrlich sagen, dass ich unser Versprechen irgendwann verdrängt habe in meinem Kopf. Im Ausschalten war ich geübt. Denn ich hatte ja auch rund 40 Jahre lang mein Mannsein verdrängt.

Katja (überlegt sehr lange): Mir hat dieses Versprechen schon auch ein bisschen Hoffnung gegeben. Es war eine Hilfe, überhaupt den Absprung voneinander zu schaffen. Wie ein Trick, um in diesem Moment loslassen zu können. Unsere Abmachung half mir, das Leid des Abschiednehmens damals besser aushalten zu können.

Kann man sagen, die folgenden Jahre waren eine Zeit des Aushaltens?

Beide fast gleichzeitig: ja.

Katja (an Thomas gewandt): Als wir damals an diesem einen Wochenende im Centerpark in der Sauna waren, hast du mich beobachtet, als ich mich abtrocknete. Weil du mich so schön fandest. Das hast du mir später irgendwann erzählt. In den zehn Jahren, in denen wir keinen Kontakt hatten, musste ich jedes Mal daran denken, wenn ich mich nach dem Duschen abgetrocknet habe. Jedes einzelne Mal, immer.

Das klingt wahnsinnig traurig – und wahnsinnig schön. Also aufgegeben habt ihr euch in den zehn Jahren nicht wirklich?

Thomas: Wir hatten abgesprochen, dass wir keinen Kontakt haben würden. Und wir haben diese Absprache beide sehr ernst genommen. Aber wir hatten ja auch vereinbart, dass wir uns mit 60 wiedertreffen würden.

Thomas, aber warst du nicht wütend auf Katja? Darüber, dass sie es nicht schaffte zu gehen, für eure Liebe?

Thomas: Nein. Da war meine Vernunft stärker. Ich wusste, wenn ich einfach auftauchen und mich nicht an unsere Abmachung halten würde, würde es ein Riesentheater geben. Das wollte ich nicht. Zumindest damals nicht.

Katja, hast du in den zehn Jahren deine Entscheidung, bei deiner Familie zu bleiben, infrage gestellt?

Katja: Nein. Ich hatte die Entscheidung getroffen – und damit war es gut. Aber ich fragte mich oft in all der Zeit, ob wir uns wirklich wiedersehen würden in 20 Jahren. Und ich habe natürlich die Beziehung zu meinem damaligen Mann immer wieder infrage gestellt.

Was ist in den zehn Jahren ohne Kontakt in eurer beider Leben passiert?

Thomas: Ich habe meine damalige Freundin geheiratet.

Was? Wieso? Du liebtest doch Katja!

Thomas: Wenn ich ganz ehrlich bin: Um größeren Abstand gewinnen zu können zu Katja. Mir war vollkommen klar, dass die Heirat ein großer Fehler war, aber ich wollte durch die Hochzeit auch das Vertrauen zu meiner damaligen Partnerin wiederherstellen.

Katja: Für mich war Franzis Hochzeit wie eine logische Konsequenz daraus, dass wir uns ineinander verliebt hatten. Ich dachte mir, dass diese Heirat sicher wie eine Art Weglaufen für Franzi gewesen war. Und auch ich bin „weggelaufen“ in der Zeit, in der wir keinen Kontakt hatten.

Wie sah dein Weglaufen aus? Und wie ging es dir in den zehn Jahren, Katja?

Katja: Ich intensivierte mein ehrenamtliches Engagement in der Gemeindearbeit, fing wieder an zu arbeiten, schloss mich einer Frauen-Pilgergruppe an. So versuchte ich, eigene Bedürfnisse mehr in meinen Fokus zu rücken, mir mehr Freiheiten für mich selbst zu gönnen. Denn je mehr Zeit verging in all den Jahren, desto eingeschränkter fühlte ich mich. Aber mein Versuch zu vergessen und meine Rolle zu erfüllen, funktionierte nicht.

Wenn du aus heutiger Perspektive auf die Katja von damals schaust, die eigentlich nie authentisch ihre Gefühle zeigen und leben konnte, wie fühlt sich das an?

Katja (überlegt lange): Ich blicke sicher nicht wohlwollend auf die Katja von damals. Aber zumindest nachsichtig. Ich denke heute, ich hätte mich viel früher von meinem damaligen Mann trennen müssen. Denn ich war ja auch meinen Kindern gegenüber nicht authentisch. Was mir eigentlich sehr wichtig ist. Ich glaube, dass ich Vieles ganz gut habe händeln können, aus der Professionalität einer Erzieherin heraus. Trotzdem hoffe ich, dass meine beiden Söhne keinen zu großen Mangel an Authentizität erlebt haben. Davor habe ich wirklich Angst. Ich hoffe, dass die beiden gut genug gerüstet sind für ihr eigenes Beziehungsleben.

Denkst du rückblickend trotzdem, dass es damals die richtige Entscheidung war, bei deiner Familie zu bleiben?

Katja: Womöglich hätte ich es damals geschafft zu gehen. Vielleicht. Aber ich weiß nicht, wie viel ich meinen Kindern hätte zumuten müssen. Ich glaube, für sie war der Zeitpunkt der Trennung vor zweieinhalb Jahren ein besserer, als er es vor zwölf Jahren gewesen wäre. Damals wäre es für meine Kinder noch viel schwieriger gewesen. Und wer weiß, ob Thomas’ und meine Liebe diese schwierige Trennungssituation damals ausgehalten hätte? Thomas und ich hatten uns lange Zeit nicht – aber dafür haben wir es heute richtig schön zusammen.

Ich stelle mir die ganzen Jahre ohne Kontakt zwischen dir und Thomas dennoch sehr anstrengend für euch beide vor. Als ob diese Jahre der Abstinenz sehr viel Kraft gekostet hätten. Weil Verdrängen immer viel Kraft kostet.

„Katja ist eben die Frau, die ich begehre, mit der ich sein möchte, für die ich alles tun will.“
Thomas, 52 Jahre alt

Katja: Mir ist das bewusst zunächst nicht aufgefallen. Erst, als Thomas sich nach all der Zeit dann wieder meldete. Erst da wurde mir klar, wie anstrengend die Jahre davor wirklich gewesen waren und wie sehr ich mich emotional von meinem Mann schon distanziert hatte. Beides führte dazu, dass ich schließlich vor zweieinhalb Jahren sagen konnte: „Noch einmal mache ich das nicht durch!“

Thomas, wieso hast du dich überhaupt nach zehn Jahren ohne Kontakt wieder bei Katja gemeldet?

Thomas: 2017 habe ich mit der Transition begonnen, im Zuge dessen trennte ich mich von meiner damaligen Frau. Sie hatte mich in vielen Dingen unterstützt, aber mir wurde zunehmend bewusst, dass sie nicht meine Traumfrau war. Und irgendwann war klar, dass ich mich trennen muss – ein Schritt, den ich eigentlich schon zehn Jahre vorher hätte gehen müssen. Ich zog aus. Als ich dann allein in der neuen Wohnung saß, war ganz schnell Katja wieder in meinem Kopf. Weil Katja eben die Frau ist, die ich begehre, mit der ich sein möchte, für die ich alles tun will. Ich schrieb dann alle aus unserer ehemaligen Clique an – alle bis auf Katja.

Wieso alle bis auf Katja?

Thomas: Ich hatte von Katja ja keine Kontaktdaten. Und ich wollte erstmal vorfühlen bei den anderen.

Katja: Die anderen erzählten mir bei einem Treffen an meinem Geburtstag, dass Thomas sich bei ihnen gemeldet hatte. Ich dachte erst: „Oh Gott!“ Und dann freute ich mich total!

Zu diesem Zeitpunkt wusstest du bereits von Thomas’ Transition, Katja. Hat die etwas an deinen Gefühlen geändert? Denn du musstest ja in all den Jahren ohne Kontakt mit der für dich sehr starken Irritation umgehen, dich in eine Frau verliebt zu haben. Nun gab es diese Frau aber gar nicht mehr – sondern Thomas.

Katja: Als wir wieder Kontakt hatten und ich mich näher mit der Transition beschäftigte, wurde mir immer stärker bewusst, dass ich vielleicht nicht genau weiß, was ich will – aber ich wusste sehr genau, was ich nicht mehr wollte. Und das war ein Penis. Deswegen kam bei mir die Frage nach Thomas Genital sehr früh auf, die wir dann auch miteinander besprochen haben, nachdem wir uns wiedergesehen hatten. Und auch heute bin ich noch traurig, dass Thomas’ keine Brüste mehr hat. Sie fehlen mir.

Thomas, wie fühlt es sich an, wenn Katja das so sagt?

Thomas: Im Laufe der Transition habe ich eine Ablehnung gegen meine Brüste entwickelt. Deswegen fühle ich mich ambivalent bei Katjas Worten. Ich kann sie verstehen, denn ich finde Brüste ja auch sehr schön – aber ich bin auch froh, dass ich meine los bin.

Nachdem Thomas sich bei den anderen aus der Clique gemeldet hatte, wie ging es weiter?

Katja: Ich habe mich erstmal sehr zurückgehalten. Ich wusste: Bevor wir uns mit unserer ganzen Clique treffen konnten, würde ich Thomas einmal allein treffen und sprechen müssen.

Thomas: Bis wir uns dann wirklich trafen, dauerte es noch ein paar Monate. Ich hatte den Kontakt zu unserer alten Clique ja auch nicht unter dem Vorsatz wieder aufgenommen, Katja nahezukommen. Sondern weil ich zurück in meinen alten Freundinnenkreis wollte. Denn durch die Eifersucht meiner Ex-Frau hatte ich meinen kompletten Freundeskreis verloren. Katja und ich schrieben uns dann zunächst Whatsapp-Nachrichten und telefonierten miteinander. Aber als ich zum ersten Mal wieder ihre Stimme am Telefon hörte, waren alle Gefühle schlagartig wieder da.

Bei dir auch, Katja?

Katja: Ja. Aber ich hatte Angst vor der eigenen Courage, nach wie vor. Wir vereinbarten dann ein Treffen auf einer Raststätte, und ich weiß noch, wie ich auf der Hinfahrt zu diesem Treffen eine Nachricht an Thomas schrieb, in der ich sagte, dass dieses Treffen ja totaler Blödsinn sei.

Wie war das Wiedersehen dann?

(Beide lachen.) Thomas: Als wir uns wieder sahen, waren wir nicht mehr Herr unserer Sinne, glaube ich. Wir sind wirklich übereinander hergefallen, das kann man so sagen. Wir haben uns dann neben der Raststätte ein Plätzchen gesucht, ein Bett im Kornfeld. Weil die Sehnsucht uns so überkam.

Es war genau wie vor zehn Jahren?

Thomas: Wenn nicht noch schlimmer!

Katja: Ich war anfangs schon noch ein bisschen schüchtern. Denn da stand ja nun ein Mann vor mir: Thomas.

Das gegenseitige Begehren spielt eine große Rolle in eurer Geschichte. Aber ist Begehren gleich Liebe?

Katja: Für mich kommt das Begehren mit der Liebe. Zumindest ist es so bei Thomas und mir. Ich würde ihn nicht so begehren, wenn ich ihn nicht so lieben würde. Bei meinem Ex-Mann hat Begehren keine Rolle für mich gespielt.

Thomas: Bei mir wäre das Begehren die Vorstufe zur Liebe.

Wenn wir zurück in den Moment gehen, zum großen Wiedersehen: Was hast du gedacht, Katja, als du ihn zum ersten Mal als Mann gesehen hast bei diesem Treffen?

Katja (antwortet wie aus der Pistole geschossen:) Was für ein schöner Mann! Ich hatte früher, vor der Transition, immer irgendwie das Gefühl, dass irgendetwas an Franzi nicht gepasst hat. Als Thomas dann aus dem Auto stieg und ich ihn sah, dachte ich sofort: „Jetzt passt es! So und nicht anders muss dieser Mensch sein!“ Aber ich hatte mir unser Wiedersehen ganz anders vorgestellt, als es letztlich ablief. Nämlich, dass ich Thomas sagen würde, dass ich nach wie vor verheiratet sei, ganz vernünftig. Aber ich hatte keine Chance (lacht). Ich weiß noch, dass ich ziemlich unbeholfen war bei diesem Wiedersehen. Wie wir da im Feld lagen. Aber es war trotzdem wunderschön.

„Man muss an die Liebe glauben. Und darf nicht warten, dass jemand anderes die Zügel in die Hand nimmt. Man muss sich selbst vertrauen, Zuversicht wagen. Und mutig sein.“
Thomas, 52 Jahre alt

Und auf einmal war dann alles klar zwischen euch?

Thomas: Zu diesem Zeitpunkt gab es keinen anderen Weg mehr für mich. Ich dachte: Scheiß auf die „Wir treffen uns mit 60 wieder“-Abmachung! Ich wollte nicht noch zehn Jahre verschwenden.

Katja: Mir war nach unserem Wiedersehen klar, dass ich nicht noch einmal auf mein Gück und damit auf Thomas verzichten wollte. Und ich wusste auch: Noch einmal zehn Jahre warten, bis wir bei 60 sind? Das würde ich nicht schaffen.

Katja, wie lange dauerte es, bis du schließlich deinem Mann sagtest, dass es vorbei ist?

Katja: Im Mai 2020 hatten wir unser Raststätten-Treffen. Ich habe dann noch ein bisschen „heile Welt“ gespielt; darin hatte ich ja Übung, um es so fies zu sagen. Innerlich zog ich mich mehr und mehr zurück. Irgendwann sprach mein damaliger Mann mich schließlich an; er merkte, dass etwas nicht stimmte. Dann sagte ich es. Dass Thomas wieder aufgetaucht sei, dass ich mir so meine Gedanken machen würde, aber auch nicht genau wüsste, was das alles zu bedeuten habe.

Wie reagierte dein Mann?

Katja: Ich weiß es nicht mehr genau. Er war natürlich sauer, verletzt und enttäuscht. Also genau all das, was ich ihm nie hatte zumuten wollen. Und wenn ich mich richtig erinnere, fragte er mich in dem Moment, ob ich denn denken würde, wir beide könnten es noch schaffen? Ich wusste erst nicht, was ich darauf antworten sollte. Dann sagte ich: „Nein, ich glaube nicht. Und ich will auch einfach nicht mehr.“

Wie war dieser Moment für dich? In dem du ja nun seit Jahren zum ersten Mal offen und authentisch warst, deinem Mann gegenüber?

Katja: Es war ein schlimmer Moment. Denn ich war diese Offenheit nicht gewohnt. Gleichzeitig hätte ich meine Worte am liebsten herausgeschrien. Nochmal und nochmal, immer wieder. Damit mein Nein zu ihm und der bestehenden Situation ganz klar war. Ich hatte in diesem Moment keine Zweifel mehr.

Wie schwer war das?

Katja: Ich habe noch lange darauf gewartet, dass mein Ex-Mann mir die Absolution gibt. Und nach dem Gespräch mit ihm holte ich mir telefonisch Hilfe bei einer Frauenberatung. Aber ich merkte schnell, dass ich die Beratungsgespräche gar nicht brauchte. Weil ich ganz klar wusste, was ich wollte.

Warum ist die Absolution von deinem Ex-Mann so wichtig für dich?

Katja: Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Aber ich weiß es einfach nicht. Und es ärgert mich auch ein bisschen.

Vielleicht geht es um Vergebung?

Katja: Ja, vielleicht. Mich hätte es erleichtert, wenn er gesagt hätte: „Dein Geständnis ist das letzte Puzzleteil. Jetzt ist klar, was all die Jahre so schwierig war.“

Das hat er aber nicht gesagt?

Katja: Nein. Aber es gibt noch eine andere Sache, die mir am Anfang der Trennung sehr wichtig war: Ich wollte den Menschen, denen ich von meiner Situation erzählte, unbedingt auch sagen, dass Thomas mal eine Frau gewesen ist.

Warum?

Katja (überlegt sehr lange): Ich glaube, weil ich so besser erklären konnte, dass diese Liebe etwas ganz anderes ist, etwas Besonderes. Nicht bloß ein Austauschen von einer Person. Sondern etwas ganz anderes als das, was ich vorher kannte. Es war auch wichtig für mein Selbstverständnis. Denn ich wollte eine Frau, keinen Mann.

Wer weiß heute alles von Thomas’ Vergangenheit?

Katja: Meine Kinder, meine Eltern, mein Ex-Mann, der Familienkreis, auch die engsten Freunde.

Ist es heute noch wichtig für dich?

Katja: Nein. Wenn mich heute jemand fragt, sage ich einfach: Ich habe einen neuen Partner und damit hat es sich.

Du kommst aus einem kleinen Dorf, Katja. Wie haben deine Eltern reagiert, die ja beide über 80 sind, als du ihnen von Thomas’ Vergangenheit erzählt hast?

Katja: Mein Vater hat mich gefragt: Wie habt ihr beiden denn dann Sex?

(Beide lachen.)

Thomas: Katjas Eltern sind mir beide total offen begegnet. Davor hatte ich sehr viel Respekt, habe ich immer noch. Ich fühlte mich vom ersten Tag an wohl mit Katjas Familie.

Katja: Mein Vater war auch der einzige, der nicht ein einziges Mal versehentlich noch das weibliche Pronomen für Thomas benutzt hat.

Und deine Kinder, Katja? Wie sagt man denen: „Ich verlasse jetzt unsere Familie. Und übrigens: Ich war zwar fast 25 Jahre mit eurem Vater verheiratet, aber eigentlich denke ich heute, dass ich immer schon lesbisch gewesen bin“?

Katja: So habe ich das natürlich nicht gesagt. Ich habe beiden von dem Centerpark-Wochenende erzählt und dass dieser Mensch nun nach all den Jahren wieder aufgetaucht ist. Zwar als Thomas, aber letztlich als der gleiche Mensch. Mein Jüngster hat geweint, danach immer mal wieder auch Fragen gestellt. Mein Ältester hat es distanzierter aufgenommen. Das erste Wochenende, an dem die Jungs mich und Thomas in meiner neuen Wohnung besucht haben, lief aber ganz gut.

Wie schwer war die Trennung für dich, Katja?

Katja: Ich wollte in meinem Kopf vor allem von zwei Gedanken weg: Ich wollte weg von der Schuld – und ich wollte weiterhin Mutter sein. Am Anfang dachte ich noch, ich könne ja in unserem Haus wohnen bleiben. Weil ich nicht denken wollte: Wer schuld ist, muss gehen. Aber natürlich musste ich irgendwann gehen, weil die Situation für meinen Ex-Mann untragbar wurde. Nach etwa einem halben Jahr bin ich dann ausgezogen. Mein Ex-Mann und ich sprechen uns noch ab, wenn es um die Jungs geht, ansonsten schauen wir, dass wir die Scheidung bald durchkriegen.

Wie hat die Trennung dich verändert? Also die Entscheidung, diesen Schritt zu gehen?

Katja: Die Entscheidung hat mich in dem bestärkt, was ich ganz früher, in meiner Jugend, eigentlich schon war: ein bisschen rebellisch, authentisch, aber auch empathisch. Jetzt kann ich all das wieder sein. Weil ich heute keine Rolle mehr spielen muss. Ich merke diese Veränderung privat, aber auch im Job. Ich kann besser für das einstehen, was mir wichtig ist. Und ich warte heute nicht mehr darauf, dass Dinge sich verändern. Das war bisher mein Muster: Ich habe gesehen, dass eine Veränderung Not tut – und habe dann gewartet, dass sie sich vollzieht. Das mache ich nicht mehr. Weil ich heute weiß: Wenn es Dinge gibt, die mir wichtig erscheinen und von denen ich denke, sie müssen sich ändern, muss ich diese Veränderung selbst initiieren.

Wenn du zurückschaust: Bekommen die Dinge dann eine Stringenz? Im Sinne von: Es musste so kommen, es war letztlich unabwendbar?

Katja: Ich denke manchmal, dass ich anscheinend vor 30 Jahren den falschen Abzweig genommen habe. Als ich jung war, kannte ich nur das klassische Bild: Mann, Frau, Heirat. Ich sah keine andere Variante, weil ich keine andere kannte. Die Variante Franzi hatte ich einfach nicht in Betracht gezogen. Die gab es für mich nicht.

Ihr habt die richtige Abfahrt ja nun noch genommen. Aber all die Jahre ohne einander auf der falschen Spur, machen die nicht unglaublich traurig?

Katja: Komischerweise denke ich das gar nicht. Ich denke manchmal, dass ich viel ausgehalten habe. Aber ich bringe das nicht mit Thomas in Verbindung. Es ist jetzt genau richtig und gut so, wie es ist.

Thomas: Auch in den zehn Jahren, in denen wir nicht zusammen waren, hatten wir ja beide gute Momente, unabhängig voneinander. Und persönliche Weiterentwicklungen. Ich wäre auch vor zwölf Jahren schon den Weg mit Katja gegangen. Aber niemand weiß, wie die Geschichte ausgegangen wäre, hätten wir früher anders entschieden. Jetzt sind wir beide frei, Katjas Kinder sind erwachsen. Ich genieße es jetzt so, wie es ist.

Es klingt alles sehr rosa-rot. Aber eure Liebe muss sich nun auch im Alltag bewähren. Streitet ihr nie?

Katja: Tatsächlich nicht. Es gibt mal ganz selten Situationen, in denen ich das Gefühl habe, das hätte ich mir anders gewünscht. Aber dann reden wir drüber oder Thomas bemerkt, dass was nicht stimmt. Und dann sprechen wir darüber. Für mich fühlt sich das Zusammensein mit Thomas wie ein Ankommen an.

Thomas: Wir neigen beide nicht zum Streiten.Ich glaube, das kommt durch das große Vertrauen, das wir zueinander haben. Bestimmt gibt es Leute, die sagen, dass man ab und zu streiten muss als Paar. Aber ich wüsste gerade nicht worüber.

Was habt ihr beide über die Liebe gelernt?

Katja: Wenn die Liebe richtig ist, muss man sie nicht ständig hinterfragen. Die eigenen Gefühle und sich selbst darin auch nicht.

Thomas: Man muss an die Liebe glauben. Und darf nicht warten, dass jemand anderes die Zügel in die Hand nimmt. Man muss sich selbst vertrauen, Zuversicht wagen. Und mutig sein.


Zum Schutz ihrer Familien sind die Namen von Katja und Thomas sowie die erwähnten Orte im Text verändert. Mir als Autorin sind beide Personen aber mit Klarnamen bekannt, ich kenne beide privat.


Redaktion: Lisa McMinn, Illustration: Mia Oberländer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger, Christian Melchert und Esther Göbel

„Ich hatte körperliche Schmerzen vor Sehnsucht nach ihr“

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