Illustration: Zwei Menschen umarmen sich, einer von ihnen besteht jedoch nur noch aus Rauch, der zur Tür hinausschwebt

© Karina Tungari

Leben und Lieben

Wie macht man Schluss mit Freund:innen?

Manchmal muss man Freundschaften beenden wie eine Beziehung. Dieser Text bereitet dich darauf vor.

Profilbild von Anna Dotti

Schluss machen kann ganz schnell gehen, erzählt KR-Mitglied Tiffy. Sie verbrachte viel Zeit mit einer Freundin und deren Partner. Tiffy wusste, dass die Freundin ihren Partner betrog. Er wusste es nicht.

Irgendwann hielt Tiffy es nicht mehr aus, für die Freundin zu lügen: Mit einem klaren Gespräch kündigte sie ihr die Freundschaft. Von heute auf morgen. Tiffys Freund:innenskreis brach auseinander. Tiffy war traurig, aber auch sehr erleichtert.

Tiffy war damals 29. Heute ist sie 55 und es blieb nicht bei einer Trennung. Sie hat sich in verschiedenen Lebensphasen immer wieder von Freund:innen getrennt. Denn manchmal, findet sie, ist eine Trennung für beide die einzig richtige Entscheidung – nicht nur in Beziehungen.

Genau wie Liebesbeziehungen enden auch Freundschaften – nur reden wir darüber viel seltener. Es gibt keine Ratgeber dafür, wie man sich am fairsten von der besten Freundin trennt und kein Wort für den Kummer danach. Ist es besser, sich einfach nicht mehr zu melden oder mit einem großen Knall zu enden? Und kann eine Paartherapie eigentlich auch Freundschaften retten?

Ich habe mit Therapeut:innen gesprochen, Studien gelesen und die KR-Community nach ihren Erfahrungen gefragt. In diesem Text erfahrt ihr, warum Freundschaften enden und wie ihr euch am besten dabei verhaltet.

Wann enden Freundschaften?

Liebesbeziehungen kommen uns oft wie ein Ruderboot auf offenem Meer vor. Jede Welle macht etwas mit ihm, manchmal droht es zu kentern. Freundschaften hingegen halten wir für Tanker, sie liegen tief im Wasser und überstehen auch Stürme. Unbeweglich und unbeeindruckt von Wellen und Wind. Dabei stimmt das gar nicht: Der Soziologe Gerald Mollenhorst von der Universität Utrecht hat über 1000 Menschen zwischen 18 und 65 Jahren zu deren Freundschaftsbeziehungen befragt. Heraus kam eine klare Zahl: Eine Freundschaft dauert im Durchschnitt sieben Jahre.

Sieben Jahre, das ist in etwa die Dauer einer Lebensphase. Mit sieben Jahren ist man ein Schulkind, mit 14 ein Teenager, mit 21 wohnt man vielleicht in einer neuen Stadt und findet sich gerade im Erwachsenenleben zurecht. Für all diese Phasen braucht man verschiedene Menschen.

Dass Freund:innen für immer bleiben, ist also eine Täuschung. Wolfgang Krüger ist Psychotherapeut und beschäftigt sich mit der Psychologie von Freundschaften. Er schreibt über die Psychologie der Liebe und darüber, wie man Freunde fürs Leben gewinnt. Der Wunsch nach lebenslänglichen Freundschaften, sagt Krüger, hat mit der unsicheren romantischen Liebe zu tun. Die Täuschung ist so erfolgreich, weil sie unserem Bedürfnis entspricht, einen festen Anker in unserer Beziehungswelt zu haben. Da Liebespartner:innen eher im Laufe der Zeit wechseln, sollen wenigstens die Freund:innen bleiben. „Liebesbeziehungen sind aufregend und leidenschaftlich“, sagt Krüger. „Wir wünschen uns hingegen stabile, feste Freundschaften.“

Dabei enden Freundschaften meist sogar aus ganz ähnlichen Gründen wie romantische Beziehungen. Eine Freundin hat mit KR-Mitglied Alexandra Schluss gemacht, weil sie sich in der Beziehung nicht mehr verstanden fühlte. Das war für Alexandra sehr schmerzhaft, schreibt sie mir. KR-Leserin Hanka hat dagegen aktiv Schluss mit ihrer besten Freundin gemacht, weil sie deren Partnerwahl nicht mehr ertragen konnte. Als „den schlimmsten Liebeskummer ever“ beschreibt sie ihr Verlustgefühl. KR-Mitglied Linda wurde von zwei Freundinnen mit derselben Begründung verlassen: Sie sei nicht genug für sie da gewesen. Linda war darüber eigentlich ganz froh. Sie hatte die Freundschaften als belastend erlebt, aber selbst nie geschafft, sie zu beenden.

Wie macht man mit Freund:innen Schluss?

Egal, welche Rolle eine Person spielt, ob sie verlässt oder verlassen wird, eine Trennung fällt nicht leicht. Der Paartherapeut Eric Hegmann hat mir erklärt, dass diese in uns tief verwurzelte Psychodynamik bis in den Evolutionsprozess zurückreicht. Als Babys können wir nicht alleine überleben, für unsere Vorfahren bedeutete Trennung vom Stamm der sichere Tod. „Deswegen ist eine Trennung immer mit einem Gefühl des Scheiterns verbunden”, sagt Hegmann. „Auseinandergehen mögen wir nicht, das mag unser Gehirn nicht.“

Das kann problematisch sein. In Freundschaften kann es zum Beispiel zu einer emotionalen Abhängigkeit kommen, wenn eine Person zu wenige andere Freund:innen hat. Habe man Angst, allein zu bleiben, sei es sehr schwer bis unmöglich sich aus einer Freundschaft zu lösen. Anstatt sich zu trennen, lassen sich Freund:innen bei solchen Konflikten häufig auf immer mehr Kompromisse ein. „Das ist viel schlimmer als das Ende einer Freundschaft“, sagt Krüger.

Um nicht in diese Falle zu tappen, müsse man lernen, emotionale Verbindungen zu bewerten. Das heißt, Zeichen wahrnehmen zu können, die uns signalisieren: Es geht zu Ende mit dieser Freundschaft. Denn früher oder später betrifft es uns alle. Spätestens, wir erinnern uns, alle sieben Jahre.

Bist du zu alt für deinen großen Freundeskreis?

Sucht man im Internet, scheint das Freundschaftsende ein weibliches Thema zu sein: Donna, Gofeminin, Brigitte – Ratsuchende landen bei sogenannten Frauenmagazinen. Das scheint das Rollenklischee zu bestätigen, dass Frauen im Vergleich zu Männern als sozialer gelten. Laut einer Studie der Aalto Universität in Helsinki und der Oxford Universität, haben Frauen tatsächlich mehr Freund:innen als Männer. Und in der KR-Community haben nur Frauen meine Frage beantwortet. Das ist kein Beweis, dass dies ein Frauenthema ist, aber auf jeden Fall ein Hinweis darauf, dass weibliche Personen mehr über ihre Freundschaften nachdenken.

Aber auch das Alter spielt eine Rolle dabei, wie viele Freund:innen wir haben – und wie viele unser Leben verlassen. Menschen mit Mitte 20 haben die meisten freundschaftlichen Kontakte. Etwa im Alter von 45 Jahren hat die Anzahl der Freund:innen in der Regel deutlich abgenommen. Die meisten Trennungen passieren also im Zeitfenster von diesen ungefähr 15 Jahren, zwischen Ende 20 und Anfang 40. Ein Alter, in dem wir typischerweise Familien gründen, Karriere machen, oder beides.

Zeit und Energie sind dann vielleicht zu knapp, um in größeren Freund:innen-Kreisen unterwegs zu sein. Viele alltägliche Freund:innen verlieren sich auch auf dem Weg. Etwa die Freundin, mit der man sonntags eine Zeit lang zusammen zum Sport ging, oder den Kumpel, den man jetzt unter der Woche nur noch selten in der Kneipe sieht. Man unterhält sich ab und zu, redet aber nicht unbedingt über persönliche Probleme. Dafür ist die Freundschaft zu oberflächlich.

Wie enden Freundschaften?

Die meisten Freundschaften enden anders als romantische Beziehungen: schmerzlos, von selbst. „Stille Trennung“ nennt man das in der Psychologie. Man lebt sich auseinander und anstatt das schmerzhafte Gespräch zu führen, meldet man sich weniger und weniger. Damit hat auch KR-Mitglied Judith viel Erfahrung gemacht: Umzüge, Partnerschaften, ein neuer Job oder die Geburt eines Kindes nennt sie als Gründe, durch die ihre Freundschaften verloren gegangen sind. Sie hat dafür nichts aktiv getan, die Beziehungen sind mit der Zeit einfach ausgedünnt. Auch in engeren Freundschaftsbeziehungen machte Judith nie aktiv Schluss. Es war wie eine Freundschaftspause, sagt sie. Wenn sie Bedarf hatte, konnte sie die Beziehungen einfach wieder ins Leben rufen.

Psychotherapeut Wolfang Krüger sagt, dass genau das ein Vorteil der „stillen Trennung“ sei. Wenn man die Beziehungsprobleme in einer offenen Konfrontation angeht, ist es schwieriger, nach einer Pause wieder Kontakt aufzunehmen, glaubt Krüger. Ob die Konfrontation gelingt, hängt davon ab, wie beide den Konflikt angehen. Wenn eine Person einen Konflikt anspreche und auf die Freundschafts-Beziehungsprobleme aufmerksam mache, werde die andere Person oft wütend und verteidige sich.

Das sei falsch, erklärt Krüger, sei aber nicht ungewöhnlich. Eigentlich brauche unsere gesamte Gesellschaft eine bessere Streitkultur. „Wir müssten Konflikte positiv sehen, als persönliche Bereicherung und Chance und dabei lernen, Wertschätzung für die Gegenseite zu äußern.“ Wenn man ein Problem benennen könne, habe die Freundschaft die Chance, sich in einer anderen Form weiterzuentwickeln. Das Ende könne dann ein neuer Anfang sein.

Hilft Paartherapie auch Freund:innen?

Zehn Jahre lang sind KR-Mitglied Julia und ihre Ex-beste-Freundin gemeinsam auf Festivals gefahren. Sie hatten gemeinsame Freunde und gemeinsame Hobbys. Aber die Freundschaft war auch belastend, erzählt Julia. Die Freundinnen befanden sich in einem ständigen Wettbewerb miteinander: „Wer von uns ist besser, wer macht mehr Sport, wer nimmt mehr ab.“

Julia sagt, sie hätte vielleicht schnell und klar das Freundschaftsende kommunizieren können. Aber die Freundinnen wollten versuchen, sich gegenseitig besser zu verstehen: Sie machten eine Paartherapie. Der Versuch konnte aber nur „ein paar Pflaster kleben“, sagt Julia. Irgendwann wurde klar, dass die Freundschaft nicht zu retten war. Julia trennte sich von der Freundin, wechselte auch andere Freund:innen – und sogar die Nachbarschaft.

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Therapie für Freund:innen kann aber auch funktionieren. KR-Mitglied Katharina hat mir den Podcast „Invisibilia“ empfohlen, wo die international bekannte Psychotherapeutin Esther Perel in einer Folge davon erzählt. Auch für Perel ist diese Art Therapie noch neu. Erst vor kurzem hat sie begonnen, Freund:innen zusammen zu therapieren. Auf die Idee war sie gekommen, als sie queere Liebespaare therapierte, bei denen die traditionelle Rollenaufteilung wegfalle. Ähnlich wie in Freundschaften.

Perel sagt, die Freundschaftstherapie passe gut in unsere Zeit. Im Vergleich mit den Generationen vor uns sind wir deutlich mobiler. Wir wechseln Jobs und Wohnorte, und so auch Freund:innen. Perel bezeichnet unsere Gesellschaft als „Network-Society“: Alle knüpfen sehr viel und schnell Beziehungen, die sich aber genauso schnell verändern und vorbei sein können. Der Psychotherapeutin zufolge bereitet uns diese Gesellschaft auf langlebige Beziehungen gar nicht vor. Sie sabotiert sie eher.

Perel therapierte einmal zwei Freunden, die in einer tiefen Beziehungskrise steckten. Sie hatten nie über ihre gegenseitigen Gefühle zur Freundschaft gesprochen. Sie dachten, das gehöre nicht dazu. In Perels Büro haben sie einen Raum dafür gefunden. Das allein verbesserte gründlich ihre Beziehung.

Ghosting ist (auch) eine Option

Es muss sich aber lohnen, Energie in Beziehungsarbeit zu stecken, erklärt der Psychotherapeut Wolfgang Krüger. Wenn die andere Person keine Wertschätzung zeigt – Verabredungen absagt, auf Nachrichten nicht antwortet, sich sonst nicht meldet, die Wünsche der befreundeten Person ständig ignoriert – dann ist es wahrscheinlich schon vorbei.

In besonderen Fällen, sagt Krüger, sei aber sogar Ghosting angemessen. Bei Leuten, die er „Zweckfreund:innen“ nennt. Sie melden sich, wenn sie Hilfe beim Umzug brauchen, reden leidenschaftlich über ihre eigenen Probleme und lassen sich gerne von der anderen Person zum Essen einladen. Alles geht aber immer nur in einer Richtung.

So einen Freund hatte Krüger auch, erzählt er. Einmal versuchte er, dieser Person zu erklären, welches Problem er in deren Beziehung sah. Ohne Erfolg. Also hat er sich nicht mehr bei diesem Freund gemeldet. Bei seinen Anrufen ist der Therapeut nicht mehr rangegangen, bis die Person aufhörte, es zu versuchen. Er entschied, keine neue Energie in diese Beziehung zu stecken. Er rät, auf die eigene Grenze aufzupassen. Und manchmal sei eben Schluss.


Redaktion: Thembi Wolf, Schlussredaktion: Rico Grimm, Lisa McMinn, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger

Wie macht man Schluss mit Freund:innen?

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