Wann hattest du das letzte Mal Spaß im Internet? Das habe ich vor einigen Wochen in der Krautreporter-Community-Post gefragt. Eigentlich eine sehr naive Frage, denn die sozialen Netzwerke, Videoplattformen, Videospiele, Lernangebote, Podcasts, Musikstreaminganbieter (die Liste ließe sich noch sehr lange weiterführen), schieben Nutzer:innen doch gerade in Richtung Spaß – wie auf einem digitalen Rummelplatz!
Trotzdem erwische ich mich immer wieder dabei, dass mir das Internet schlechte Laune macht. Etwa, wenn ich Twitter aufmache und einen beleidigenden Tweet vorgesetzt bekomme. Oder wenn jemand einen Tweet (absichtlich) falsch versteht, um einen Shitstorm zu verursachen. Manchmal reicht auch ein Artikel, den ich online lese. Dann möchte ich meinen Laptop (oder mein Handy) oft einfach nur aus dem Fenster werfen. Ich begnüge mich aber immer damit, den Tab zu schließen, das Handy wegzulegen und zu denken: „Boah, gar kein Bock mehr.“
Bitte nicht falsch verstehen. Ich liebe „das Internet“ als Land der unbegrenzten Möglichkeiten, es ist meine Arbeitsgrundlage und bereichert mein Leben ungemein. Ich kann mich stundenlang in Online-Videospielen verlieren, mich faszinieren Online-Communities und ein Spaziergang ohne Spotify ist für mich unvorstellbar. Ich lasse auch kaum eine Gelegenheit aus, Internet-Phänomene anzupreisen, zu erklären oder auch zu verteidigen, zum Beispiel in diesem Text.
Früher war alles besser, oder?
Aber dennoch: In Momenten, in denen mich toxische Kommentarspalten, vollkommen entgleiste Diskussionen, rechtsextreme Trollaktionen, Fakenews oder manchmal auch nur ganz banal unkreativer Content nerven, erinnere ich mich an meine Internet-Jugend und wie viel naiven Spaß ich hatte. Ich denke daran, wie ich auf Knuddels oder U-Boot (Vorgänger-Plattformen der heutigen sozialen Netzwerke) gechattet habe, bash.org bis auf den ersten Beitrag zurückgelesen habe und gleichzeitig in abgedrehten Browser-Spielen Steinchen zerkloppt habe. Ja, das klingt wie die typische Nostalgie-Nummer bei der früher alles besser war. Aber das soll es gar nicht sein. Das Internet war früher nicht besser.
Es gibt sogar Studien, die zeigen, dass viele negative Strukturen früher genauso verbreitet waren: zum Beispiel Trollaktionen und ein ungehemmter Nihilismus, der mit rechtsextremer Bildsprache spielt. Ich erinnere mich an die entmenschlichende Verhöhnung eines behinderten Kindes und an Häme über einen alten Mann, der an einen Sauerstofftank angeschlossen ist. Und Vergewaltigung. Und Gewalt gegen Tiere. Und Fat Shaming. Und Homophobie. Und Rassismus. Und Pädophilie. Das Internet damals war ein Raum für junge weiße Männer aus der Mittelschicht für die das alles ein zynischer Witz war – auch wenn es die hellen Ecken mit harmlosen, kreativen Inhalten natürlich gab.
Habe ich Angst vorm Internet – oder kenne ich einfach die Spielregeln nicht?
Woher kommen also diese Nostalgie-Wellen, die mich ab und zu erwischen? Eine Erklärung habe ich in einem Paper über Internet-Anxiety gefunden, also Angstgefühlen bei der Nutzung des Internets. Die Autor:innen schreiben über ein unterschiedliches Maß an Identifikation mit dem Internet. Was sie damit meinen: Wie sich andere zum Beispiel mit Basketball identifizieren, weil sie sich dort nach Regeln und Kontexten unterhalten (und bewegen können), die sie verstehen, identifiziere ich mich stärker mit dem Internet, wenn ich es beherrsche. Eine Basketballerin weiß, wie viel Schritte sie mit dem Ball gehen darf, was ein „Fade-away-Jumper“ ist und kann sich dementsprechend mit anderen darüber austauschen. Dafür kann ich eine Information aus dem Internet holen und weiß, was ich besser nicht anklicken sollte. Ich bewege mich auf dem Spielfeld Internet ziemlich trittsicher.
Nun ist es aber leider so, dass meine Internet-Sozialisierung schon vor über 20 Jahren stattgefunden hat. Eben mit Knuddels und selbstgebastelten HTML-Seiten. Die Spielregeln haben sich aber seitdem massiv geändert. Auf einmal ist mein Wissen nur noch halb so viel wert. Erstens, weil auf einmal jede:r im Internet ist und entsprechendes Wissen hat oder mindestens glaubt, es zu haben. Zweitens, weil meine Trittsicherheit abgenommen hat. Ich kann über manche TikTok-Trends nur den Kopf schütteln wie ein alter Mann. Und die Unmengen an Hass und Wut, die sich ergießen, erschrecken mich.
Vier goldene Regeln für mehr Spaß im Netz
Nun will ich aber keine Internet-Anxiety haben, sondern weiter viel Spaß im Internet. Deswegen habe ich mir vier Regeln aufgestellt, weil regelfreier Spaß anarchistischer Quatsch ist! Und heute teile ich sie mit dir:
1. Nostalgie ist Mist
Klar kann ich mich über eine neue Version des Musikplayers Winamp freuen (aber nicht nutzen) und verstaubte Memes abfeiern. Aber zur Internet-Wahrheit der späten Neunziger gehört auch das rechtsextreme Thule-Netzwerk. Früher war also nicht alles besser, ich habe es nur besser verstanden.
2. Teilen macht Freude
Auch wenn Nostalgie Mist ist, den ganzen Internet-Kram habe ich meist mit Freude geteilt. Warum ich damit aufgehört habe, weiß ich nicht, aber ich sollte wieder damit anfangen. Deshalb gibt es jetzt auch diesen Newsletter!
3. Abschalten
Löwenzahn hat es vorgemacht, dieser Tweet hat es in die digitale Zeit gehoben. An die frische Luft gehen hilft, dem digitalen Burnout zu entgehen.
4. Trau dich!
Vor uns liegen immer noch die visionären Zeiten, die das Internet seit ungefähr 30 Jahren verspricht. Ein Beispiel: Ich wollte für diesen Text eine Illustration erstellen und habe dafür die künstliche Intelligenz von Midjourney benutzt (Danke für die Inspiration an Gregor Schmalzried an dieser Stelle!). Das Ergebnis finde ich ganz schön geil und ich habe noch ein paar Stunden mit verschiedenen KIs herumgespielt – und hatte dabei eine Menge Spaß!
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Bent Freiwald, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert