Leser Hannes (Name geändert) fragt: Ich habe folgende Situation: Eine große Familienfeier ist geplant, sagen wir mal eine Hochzeit. Da wollen die Eltern natürlich dabei sein. Mein Problem: Die Eltern sind getrennt und haben neue Partner. Der Vater ist sogar mit der Frau zusammen, die der Trennungsgrund war. Entsprechend können sich Mutter und neue Frau des Vaters auf den Tod nicht ausstehen. Jetzt will man eine Familienfeier machen und alle einladen – aber eigentlich kann man es keinem recht machen. Wie löse ich das Problem? Wen lade ich ein und wie lade ich ein?
Gabriel antwortet: Lieber Hannes, zwei Dinge helfen in deiner Situation (aber auch sonst): die Etikette – und die Psychologie emotional unreifer Menschen.
Ich möchte zwischen Familienfeiern und Hochzeiten unterscheiden. Hochzeiten sind eine Sonderform der Familienfeier, denn auf ihnen wird ein romantisches Ideal zelebriert: die Liebe bis zum Tod. Hochzeitsfeiern sind Performances der Ewigkeit, Familienpartys nicht.
Wenn es sich also um eine Hochzeitsfeier handelt, dann wird sich das frisch vermählte Paar mit allen möglichen Fragen befassen wollen, aber sicherlich nicht mit der, wann der Bund zerbricht, man sich gegenseitig nur noch auf die Nerven geht und am Ende bestenfalls bei den Übergaben des Kindes geschäftig, kurz und pflichtschuldig Orga-Daten austauscht.
Das moderne Leben ist eine Zumutung: Wir haben so viel Freiheit wie nie – und müssen uns ständig entscheiden. Ich helfe dir dabei. Egal, ob das kleine Dilemma oder die ganz große Frage: Schreib mir eine E-Mail an: die-bessere-Frage@krautreporter.de! In meiner Kolumne nehme ich die verschiedenen Seiten deines Problems in den Blick. Und wie es sich für einen Autor mit einem Philosophie-Doktor gehört, gilt für meine neue Kolumne wie so oft im Leben: Die beste Antwort ist eine bessere Frage!
Du schreibst, dass beide Elternteile in neuen Beziehungen sind, aber deine Mutter die neue Partnerin des Vaters „auf den Tod nicht ausstehen“ kann, auch weil sie der „Trennungsgrund“ war. Ich kenne die Geschichte deiner Eltern nicht, aber wenn sich jemand trennt, kann nicht eine neue Person allein der Grund sein. Sie ist vielleicht der Anlass, die Beziehung zu hinterfragen, aber die Trennung vollzogen hat nicht die neue Frau, sondern der Vater.
Willst du diese Verantwortung übernehmen?
Aber der Hass fragt nicht nach Gründen. Wer verletzt ist, den schert die Logik nicht. Und wer schon einmal versucht hat, zwischen verkrachten oder gar verfeindeten Menschen zu vermitteln, weiß: Das ist Schwerstarbeit und nur selten erfolgreich. Außerdem begibt man sich durch Vermittlungsversuche in eine Situation, in der man die Verantwortung für die Zerstrittenen, wenn schon nicht übernimmt, so doch zumindest von ihnen übertragen bekommen kann. Willst du diese Verantwortung übernehmen?
Ich bin in einer Familie groß geworden, in der oft Menschen fehlten. Mama und Papa waren regelmäßig auf langen Dienstreisen und hatten als Musikerin und Musiker in einem Sinfonieorchester familienfeindliche Arbeitszeiten. Weil sie daheim nicht parallel üben konnten, führten sie zwei separate Haushalte. Die Situation, die anderswo normal ist (oder zumindest angestrebt wird), nämlich dass Eltern und Kinder zusammen unter einem Dach leben, musste in meiner Familie immer künstlich hergestellt werden. Es wurde viel telefoniert, koordiniert, geplant. Es war etwas Besonderes, wenn dann mal alle beisammen waren. Als Kind war ich dann am glücklichsten. „Alle da, sehr gut“, soll ich dann gesagt haben. Ich kann mich nicht daran erinnern; vermutlich habe ich all das verdrängt.
So habe ich gelernt, dass Familie nicht von alleine passiert. Sie muss gemacht werden. Es ist Arbeit und jemand muss sie erledigen. Oft fiel sie mir zu. Später, als Erwachsener, war ich bei der Arbeit oft die eine Person, mit der die Leute noch geredet haben, die nicht mehr miteinander redeten. Ich konnte es nicht haben, wenn die Menschen, dir mir wichtig waren, nicht miteinander klarkamen. Und das merken die anderen. Leider. Denn so landet man zwischen allen Stühlen.
Über Jahre und Jahrzehnte musste ich lernen, dass es nicht meine Aufgabe ist, nicht meine Aufgabe sein kann, die Drift zwischen Freund:innen oder Kolleg:innen zu bekämpfen. Das müssen die Betroffenen selber machen. Menschen müssen sich dazu entscheiden, ihre Verletzungen heilen zu lassen und ihren Hass aufzugeben. So wie man sich eben für ein Leben in Aufklärung entscheiden muss.
Wie wunderbar wäre es, eine aufgeklärte Hochzeit feiern zu können, zu der wie selbstverständlich die Eltern mit ihren neuen – und alten! – Partner:innen kämen und alle wie erwachsene Menschen damit umgingen, dass Beziehungen enden und neue beginnen. Das wäre eine Hochzeit unter Erwachsenen. Leider sind die wenigsten erwachsen. Und leider verträgt sich dieses aufgeklärte Ideal nicht mit der Ewigkeits-Utopie, die wir bei Hochzeiten feiern. Denn eigentlich kann es keine aufgeklärten Hochzeiten geben. Sie müssen utopisch sein.
Lädst du also Menschen ein, zudem nahe Verwandte, deren Beziehungen bekanntermaßen auseinandergegangen sind und die mit diesem Ende keinen vernünftigen Umgang gefunden haben, gefährdest du diese utopische Performance.
Du lädst ein – ob sie kommen, entscheiden die Gäste
Was also rät die Etikette nun? Du lädst beide Elternteile ein und stellst ihnen in der Einladung anheim, ob sie die Partner:in mitbringen. Da die Eltern annehmen dürfen, dass die Einladung in der gleichen Form auch an die jeweils andere Person ging, besteht zumindest die theoretische Möglichkeit, dass sie von selbst darauf verzichten, den neuen Menschen an ihrer Seite mitzubringen. In der Einladung solltest du um Rückmeldung bis zu einem Stichtag bitten und um die Information, mit wie vielen Personen zu rechnen ist. Diesen Wunsch kannst du gut mit der Essensplanung begründen.
Sich an die Etikette zu halten, obliegt übrigens gleichermaßen den Ausrichtenden der Feier wie den Gästen. Der Vater kann wissen, dass das Mitbringen der neuen Partnerin Spannungspotential birgt. Wenn sie dennoch auftaucht, muss die Mutter an sich halten. Ist ihr das zuzumuten? Kann sie damit umgehen? Sie ist, schreibst du, mittlerweile in einer neuen Beziehung. Wenn sie ihren neuen Partner mitbringt, hilft ihr das womöglich, mit der Situation zurecht zu kommen. Aber wäre es nicht am Vater, seiner ehemaligen Partnerin diesen potenziellen emotionalen Stress zu ersparen? Ich würde sagen, ja.
Menschen, die zuerst an sich denken und die emotionalen Bedürfnisse anderer Menschen – inklusive ihrer Kinder – nicht verstehen, nennt die Psychologin und Autorin Lindsay Gibson „emotional unreif“. Es gibt erstaunlich viele von ihnen. Gibson hat mehrere Bücher über emotional unreife Eltern geschrieben, vor allem für ihre inzwischen erwachsenen Kinder. Solche Eltern akzeptieren keine Grenzen. Zeigt man ihnen welche auf, können sie das als Zurückweisung empfinden – wie kleine Kinder. Emotional unreife Eltern schieben den Großteil der Beziehungsarbeit auf andere ab. Nicht sie müssen sich anpassen oder ändern, die anderen müssen es.
Erwachsene benehmen sich leider nur selten erwachsen
Lieber Hannes, ich weiß nicht, ob deine Eltern emotional unreif sind. Wenn dir die Beschreibung aber bekannt vorkommt, dann wird dir vielleicht klar, warum es so schwer bis unmöglich ist, mit ihnen über die Einladungssituation zu reden und sie um Rücksichtnahme zu bitten. Wenn deine Eltern hingegen zu Empathie fähig sind, brauchst du das Gespräch eigentlich nicht, weil sich dann von selbst versteht, dass man aufeinander Rücksicht nimmt. Sollten dennoch unversöhnliche Gäste erscheinen, kannst du in der Sitzordnung die Rücksicht nehmen, an der es ihnen mangelt. Das geht natürlich bei einer Hochzeitsfeier leichter als bei einer informellen Familienparty.
Bei letzteren sieht die Sache schwieriger aus, weil die formalen Leitplanken fehlen. Und du stehst zusätzlich vor der Frage, wer denn zur Familie gehört. Immerhin entfällt zumindest die Aufgabe, eine romantische Utopie darzustellen! Man könnte natürlich versuchen, die heile Familie zu performen, aber wie meine Mutter immer sagt: Unter jedem Dach gibt es auch ein Ach! Und das wirkliche Leben sollte meiner Meinung nach Platz haben bei einer solchen Festivität. Trennungen und neue Beziehungen sind unentrinnbare Tatsachen des Lebens, und wenn sich die neuen Partner:innen zur Familie gehörig fühlen, dann sollten sie auch kommen dürfen. Die Etikette verlangt nämlich zumindest nach der Möglichkeit, seine:n Partner:in mitzubringen.
Zum Erwachsensein gehört übrigens auch das Motto „Pick your fights“. Man muss nicht mehr über jedes Stöckchen springen, das einem hingehalten wird; man kann sich aus dem Weg gehen und sich mit wichtigeren Dingen befassen (dem Büffet!).
Den frommen Wunsch des Kindes, es mögen doch bitte alle kommen, können Erwachsene aber nicht immer erfüllen. Weil sich nicht alle wie Erwachsene benehmen können.
Lieber Hannes, du hattest gefragt: „Wen lade ich ein und wie lade ich ein?“ Die besseren Fragen lauten: Obliegt es mir, die Konflikte zwischen erwachsenen Menschen zu lösen? Wer gehört zur Familie? Und für den Fall der Hochzeitsfeier: Welcher der Gäste ist gewillt, die Utopie der ewigen Liebe mitzufeiern? Wohlwissend, dass sie eine Utopie ist.
Redaktion: Julia Kopatzki, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Christian Melchert