Ich bitte um Verzeihung, dass ich drei Geschichten ausgesucht habe, die alle in der Süddeutschen Zeitung erschienen sind, das Blatt, in dem ich mein Handwerk gelernt und ausgeübt habe in den Jahren, in denen ich selbst Reporter war. Es ist nicht so, dass ich nicht auch andere Zeitungen und Magazine lesen würde, aber wenn es um „Lieblingsreportagen“ geht, dann fallen mir doch immer die ein, die ich als junger Mann las, immer in dem Gefühl: So gut, ein bisschen sooo gut, möchte ich es auch mal können.
Soll ich auch um Verzeihung bitten, dass alle drei Texte schon etwas älter sind? Es ist nicht so, dass ich heute keine Reportagen mehr läse, aber, bitte, „Lieblingsreportagen“ … Ich denke dabei an Kollegen, die ich heute noch bewundere – und von jedem einzelnen von ihnen könnte ich hier zehn Reportagen benennen. Aber es sollen ja nur drei sein, und in allen spielt, wie mir gerade auffällt, der Reporter selbst eine Rolle, nur jedes Mal auf ganz andere Weise.
1985 nahm Herbert Riehl-Heyse oder „Riehl“, wie alle in der Zeitung ihn nannten, am Klagenfurter Publizistik-Wettbewerb teil; er wollte dort eine Geschichte über den Skandal um Fassbinder und sein Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ lesen. Aber in den Tagen vor seinem Auftritt verfolgte er die Lesungen der anderen Autoren – und schrieb dann über Nacht „Klagenfurter Wortgeklingel“ (Süddeutsche Zeitung, 1985), dieses brillante Stück über den Wettbewerb selbst. Den Preis bekam er für das Husarenstück nicht, denn die Jury schloss ihn unter dem Vorwand aus, es handele sich statutenwidrig um einen unveröffentlichten Text. Für mich aber ist er das Dokument der Leidenschaft eines viel zu früh gestorbenen großen Journalisten, der sich immer bis zur letzten Minute um Qualität bemühte, nie zufrieden war, dem Beruf verfallen, keine Mühe scheuend.
„Das ist ein Raubüberfall“(Süddeutsche Zeitung, 1981) ist eine vollständig ungeplante Reportage: Peter Sartorius wurde nämlich, was er sich sicher nie gewünscht hatte, aber doch nun irgendwie Reporterglück war, in New York überfallen – und er schildert einfach, was danach geschah. Ihm gelingt ein Porträt des New Yorker Alltags jener Jahre. Ein mir auf immer unvergessliches Stück, weil durch reinen Zufall der Autor dem Leben so nahe kam, wie es kaum einmal geschieht, einfach, weil er, ganz unverhofft, Teil dieses Lebens wird.
Gerd Kröncke war in seiner Zeit als Londoner Vertreter der SZ (mehr noch als später in Paris) für mich immer der Inbegriff des Auslands-Korrespondenten, ein ebenso profunder Landeskenner wie ein elegant-entspannter Plauderer, der in unvergleichlich leichtem Ton erzählen konnte. In „Das 24-Stunden-Missverständnis“ (Süddeutsche Zeitung, 1988) schildert er 24 Stunden in London ohne Geld, eigentlich ein Thema für einen Lokalreporter, weit weg von allem Spektakulären, von Kröncke aber in bewundernswerter Leichtigkeit erzählt.
Axel Hacke, geboren 1956 in Braunschwe_ig, ist einer der bekanntesten Autoren Deutschlands. Er war jahrelang Reporter und Streiflicht-Autor bei der „Süddeutschen Zeitung“, bevor er sich vor allem aufs Kolumnenschreiben verlegte: Seine Kolumne „Das Beste aus aller Welt“, aus dem SZ-Magazin, zählt zu den besten Deutschlands. Hacke schrieb außerdem zahlreiche Bücher, zuletzt erschien das „Kolumnistische Manifest“._
Dieser Beitrag entstand in Kooperation mit Reportagen.fm
Illustration: Veronika Neubauer