Ein Mann im Fitnessstudio hängt über einer Hantelstange.

Tyler Chandler | Unsplash

Leben und Lieben

Warum ich als Mann Angst vorm Fitnessstudio habe

Hingegangen bin ich trotzdem – zum allerersten Mal. Ausgerechnet dort habe ich meinen Helden getroffen: den schweigenden, prustenden, alten Mann.

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Reporter

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal ins Fitnessstudio gehen würde. Meine Erlebnisse mit Sport bis dato: In der E-Jugend war ich ein Unsichtbarer. Der Trainer deutete über mich hinweg, wenn er die Mannschaften aufstellte. Ich gehörte zu denen, die bei den Bundesjugendspielen am Rande der Tartanbahn standen wie die Angehörigen einer Leprakolonie: mit krummen Beinen, bunten Brillengestellen und Asthmasprays. Seither habe ich nie wieder Sport gemacht.

Das ändert sich an einem Morgen im März, als ich aus der Dusche komme und das Monster im Badezimmerspiegel sehe. Schlaff und waffelteigartig. Keine Ahnung, warum mir das vorher nicht aufgefallen ist, aber ich denke, während ich mich beschämt von oben bis unten betrachte: Zwei Jahre Pandemie haben aus mir gemacht, wovor die Krankenkasse in ihrem jährlichen Rundschreiben immer warnt.

Da es mittlerweile überall im Körper zwickt, wähle ich die Nummer eines Fitnessstudios in meiner unmittelbaren Nähe, damit lange Anreisen, schlimmstenfalls Regen, nicht als Ausrede herhalten können, und bekomme direkt einen Termin. Ich krame in meinen Schränken nach Sportbekleidung, finde aber nur ein Paar Laufschuhe, an denen noch Laub klebt. Habe ich doch mal Sport gemacht? Ich kann mich nicht erinnern, wann das gewesen sein soll. Anschließend erzähle ich allen ungefragt am Telefon, dass ich jetzt ins Fitnessstudio gehe, weil ich den sozialen Druck erhöhen möchte, um auch wirklich hinzugehen. Es gibt auch einen Gratismonat, wenn man jemanden wirbt. Und man darf die Wassermassageliege nutzen.

Ich möchte nicht einer dieser Väter sein, die behutsam Grillfleisch wenden

Allein der Entschluss, ins Fitnessstudio zu gehen, stimmt mich euphorisch. Auf dem Weg fühlt es sich an wie nach getaner Arbeit. Das Fitnessstudio liegt im hinteren Teil einer Fabrik. Menschen öffnen Kofferräume frisch gewaschener Autos und wuchten Sporttaschen auf ihre Schultern, mit dem Ernst von Spätberufenen.

Ich kann mir vorstellen, dass Menschen Sport machen, also grundsätzlich. Ich kann mir auch vorstellen, dass Menschen mehr Sport machen als ich, weil ich exakt null Sport mache. Da gehe ich noch mit. Aber wenn ich lese, dass 70 Prozent laut einer Studie angeben, Sport zu machen, tue ich das natürlich ab als das, was es wahrscheinlich auch ist: Antworten aus sozialer Erwünschtheit. Ich meine: Beim Aufnahmebogen beim Arzt würde doch niemand, den das wirklich betrifft, auf die Fragen „Rauchen Sie?“, „Trinken Sie häufig Alkohol?“ oder „Konsumieren Sie Drogen?“, die Wahrheit schreiben?

Ich las Gesundheitszeitschriften beim Arzt mit überschlagenen Beinen, in dem Glauben, ein junger Mann zu sein. Klar, ich hörte mich schnaufend die Treppe hochkommen und mein Herz pochte Hammerschläge, aber im Wartezimmerdurchschnitt lagen meine Gebrechen doch meilenweit drunter. Sport schien mir nie nötig. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ich, schon rein statistisch gesehen, an Bewegungsmangel leiden könnte. Wenn man über 36 Jahre exakt gar keinen Sport macht, stellt sich, rein rechnerisch, Bewegungsmangel ein. Dann verstopfen wahrscheinlich meine Blutgefäße und lassen den Körper steif werden, weil sich an den Innenwänden Plaque ablagert und am Ende steht vermutlich ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall oder zumindest Thrombose.

Meinen Widerwillen gegen Sport schleppe ich mit über den Parkplatz. Streng genommen bin ich nicht hier, um Sport zu machen. Streng genommen möchte ich ein paar Jahre mehr auf der Uhr haben und mich nicht vor zukünftigen Arztterminen fürchten. Außerdem Body Shaming. Totales Body Shaming. Also gegen mich selbst. Im Frühjahr traute ich mich in den vergangenen Jahren kaum noch, mein T-Shirt abzulegen, obwohl ich gern schwimme. Allein für meine Kinder möchte ich kein Vater im Biertrinker-T-Shirt werden, der behutsam Grillfleisch wendet. Vielleicht ist es auch schon eine generelle Angst vor dem Alter.

Wie ein Schwein auf dem Weg zur Schlachtbank

In der Schlange vor dem Drehkreuz warten etwa gleich viele Frauen wie Männer. Erst durch den direkten Vergleich mit ihnen fällt mir auf, wie unfit ich wirklich bin. Die meisten in der Schlange habe ich so in Erinnerung: Sie sind jung, haben weiße Zähne, tolle Haare und fotografieren sich im Gegenlicht. Wenn jemand mich fotografieren will, zum Beispiel aus meiner Familie, mache ich direkt eine dumme Grimasse oder lamentierte, warum das gerade ein schlechter Moment sei.

Je länger ich in der Schlange stehe, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass ich sicher bald Tabletten nehmen muss. In Fächern getrennt, nach Wochentagen. Vielleicht, denke ich, während ich nervös den Schatten des Eingangsbereichs betrete, hat mein Herz heimlich aufgehört, Sauerstoff in den letzten Winkel meines Körpers zu pumpen. Werde ich meine Kinder aufwachsen sehen?

Im Eingangsbereich, den ich mit dem Entschluss betrete, nicht zu sterben, begrüßen mich wummernde Bässe. An der Decke der neongrünen Wände hängen Fernseher, auf denen Radrennen laufen. Ein Luftreiniger stößt asthmatisch Rauch aus. Ich fühle ich mich wie das Schwein auf dem Weg zur Schlachtbank.

Während wir Richtung Drehkreuz geführt werden, bemerke ich hinter mir einen älteren Mann in grauen Shorts. Ein sehr viel älterer Mann. Sein Haar ist weiß. Neben den anderen Menschen in der Schlange wirkt er erstaunlich normal.

Am Drehkreuz begrüßte mich Jay.

Wenn ich unsicher bin, flüchte ich mich in Smalltalk. Ich versuche beispielsweise, etwaige Bedenken gegen mich im Vorfeld auszuräumen, indem ich einfach sehr lieb bin. Jay sagt, er sei mein persönlicher Coach für heute und freue sich total, dass ich da sei, und wenn ich Fragen hätte: Voll gerne! Ich frage, was sein richtiger Name sei – und er antwortet: „Jay. Ich komme von den Philippinen.“ Anschließend entschuldige ich mich umständlich, Jay klinge wie Jay auf dem Starbucksbecher; alles täte mir wahnsinnig leid.

„Easy“, sagt Jay.

Es riecht nach Mobbing

Ich lasse den alten Mann durch, der sich in Zeitlupe Richtung Trainingsbereich aufmacht. Derweil zeigt Jay mir die Maschine, an der man Getränke ziehen kann. Und da drüben analysiere man seinen Körperfettanteil, sagt Jay; ob ich mein Körperfett analysieren wolle? „Lieber nicht“, sage ich. Und hier: die Sauna. Da drüben die Ernährungsberatung. Ob ich ein Premium-Abo abschließen wolle? Das sei, auf den Monat gesehen, etwas günstiger. Ich sage „Nein“ und beichte Jay, dass ich wirklich erstmal nur zum Probieren da wäre, weil ich nicht wisse, ob Sport etwas für mich sei.

Jay fragt mich, wie oft ich denn Sport mache, und ich sage wahrheitsgemäß: „Gar nicht.“ Und er: „Wie, gar nicht?“ – und ich: „Na, so richtig gar nicht, im Sinne von: nie.“ Dann schauen wir eine Weile schweigend umher. Jay durchmisst den Raum wie ein Bademeister. Dann antwortet er: „Auch cool.“ Ich komme mir wahnsinng leer vor in diesem Augenblick.

Im abgedunkelten Raum mit den Spinden riecht es nach Mobbing. Auf einer schmalen Bank sitzen zwei junge Männer in Muskelshirts und trainieren, sich gegenseitig anlächelnd, mit imaginären Hanteln. Der eine meint, Magerquark sei im Prinzip anfangs abstoßend, aber schmecke dann doch erstaunlich gut; es komme allein auf die Toppings an. Ich stelle demonstrativ meine Tasche ab. Niemand nimmt Notiz. Ich bin immer noch unsichtbar – wie in der E-Jugend.

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Ich drücke mich an meinen Spind. Dort drüben sind die Duschen. Aber duschen möchte ich hier nicht. Ich möchte mich ja nicht mal umziehen. Stell dich nicht so an!, sage ich mir, aber mein Körper weigert sich. Nächstes Mal ziehe ich mich vorher um, so wie ich früher schon meine Badehose drunter hatte, wenn ich schwimmen ging. Alle sind irgendwie „richtig“ hier, nur ich nicht. Langsam ziehe ich meine Sachen aus dem Rucksack. Vielleicht wird es hier ja gleich leerer.

Einer der beiden Männer nimmt sein Schlüsselband, an dem ein Schlüssel baumelt, und der Schlüssel passt in sein Schloss, in seinem Schrank, und ich frage mich, ob das sein Schrank ist und er vielleicht hier wohnt? Aber als ich mich meinem Spind zuwende, entdecke ich ebenfalls die Auslassung für ein Schloss. Nachfrage bei Jay: Tatsächlich braucht jeder ein Schloss. Bitte im Baumarkt kaufen. So lange könne ich seines nehmen.

Als ich umgezogen bin, stehe ich vor dem Spiegel: in meinen alten Schuhen, einem ausgeleierten T-Shirt und einer viel zu dicken Jogginghose, mit der man auch passabel durch den Winter kommt. Ich sehe aus wie ein Mann um die 60, dem die eigene Mutter gerade über die Linsensuppe hinweg gesagt hat, dass es an der Zeit wäre, sich endlich eine Wohnung zu suchen.

Heftige Phantomschmerzen durchzucken mich. Irgendwo an der Hüfte.

Das erste Fitnessstudio der Welt, das offen für alle war, also mit Mitgliedsbeiträgen, wurde übrigens vermutlich 1834 gegründet. Der Franzose Antoine Hippolyte Triat soll es eröffnet haben. Triat wurde 1812 geboren, 1816 von Vagabunden entführt und an Akrobaten verkauft. Er musste mit ihnen als Maskottchen reisen und verletzte sich bei einer Vorstellung schwer. Anschließend wurde er von einer Frau aus Burgos gepflegt. 1834 entwickelte er deshalb, wegen seiner Zwangsreha, eine reisende Sportschau mit Kraftmaschinen, aus denen das erste Fitnessstudio hervorging: das „Gymnase Triat“. Ich fühle mich seltsam verbunden mit dieser Geschichte.

„Du musst dich fokussieren, sonst wird das nichts“

Bevor wir an die Geräte gehen, besprechen Jay und ich meine Trainingsziele. Warum ich überhaupt hier sei, fragte er, und zeigt auf den Fragebogen in seiner Hand. „Das steht alles hier: Gewichtsreduzierung, Stressabbau, Ausdauer, Kraft. Du hast alles angekreuzt.“

„Ja“, sage ich. „Geht das nicht?“

„Du musst dich fokussieren, sonst wird das nichts“, sagt Jay.

„Okay“, antworte ich. „Ausdauer!“

Jay setzt mich zum Aufwärmen auf ein Rad. Nach zehn Minuten stehe ich bei sechs Kilometern, und Jay sagt, das sei völlig okay. „Ausdauer“, meint er, „ist nicht dein Problem.“

Ich bin super stolz und sage, da hätte ich wohl mein erstes Trainingsziel quasi schon erreicht und werfe mir kokett mein Handtuch über die Schulter. Was mir im selben Moment unglaublich peinlich ist. Ich fühle mich wie ein alter Mann im Porsche mit Syltaufkleber, der gerade eine Zwanzigjährige angesprochen hat.

Zusammen steigen wir die Treppen hinunter in die Halle mit den Geräten. Ich halte mich am Geländer fest, weil ich etwas wackelig auf den Beinen bin, und die häufigste unnatürliche Todesursache ist, das wissen vielleicht nicht viele: diffuse Stürze (13.000 Menschen pro Jahr in Deutschland). Trotzdem merke ich, wie meine Stimmung steigt.

Ich möchte doch einfach nur ein bisschen Sport machen

Während Jay mir die Geräte erklärt, sämtliche Griffe zum Ziehen, zum Schieben, zum Sich-darin-einspannen, betrachte ich eine Gruppe Schüler:innen, die sich auf Hantelbänken sitzend im Panoramaspiegel fotografieren. Jay erklärt mir, sie kämen jede Freistunde hierher. Nachdem ich das erste Gerät durchhabe, gehe ich hin und lasse mir Tipps geben.

Fazit nach zwanzig Minuten Unterredung: Der Erste siezt mich. Ein anderer meint, er fände es halt total schade, dass seine Mitschüler teilweise „schon aus der Form gingen“, während er lieber „einen definierten Körper“ habe; außerdem seien Rauchen und Trinken und sowie jede Form von Exzess in aller Deutlichkeit abzulehnen. Ich frage ihn, ob Sport in diesem Maße nicht auch Exzess darstelle, jedenfalls hätte ich von einem Freund gehört, dass Krankenkassen längst Beiträge zurücklegten für die Behandlung von Rentnern, deren Gelenke durch Extrem-Yoga zerstört wären – aber eine zufriedenstellende Antwort bekomme ich nicht. Anschließend wende ich mich meinen Adduktoren zu. Die Ecke mit den Hantelbänken meide ich fortan. So jung möchte ich definitiv nicht mehr sein.

Ich gehe an den Bizepsbeuger, den Trizepsstrecker, die Brustpresse und was ich sonst so finde, stelle aber immer nur die Hälfte der voreingestellten Gewichte ein, die mein Vorgänger hinterlassen hat. Aus Angst, dass ich am Ende so einen umgekehrte-Pyramide-förmigen Körper habe. Ich möchte nicht definiert werden, ich möchte doch einfach nur ein bisschen Sport machen.

Mein Blick fällt in die Mitte des Raumes. Dort sitzt der alte Mann vom Eingang. Der ist sicher nicht mehr für den Muskelaufbau hier, lediglich für den Muskelerhalt. Er hat einen roten Kopf, während er trainiert und spricht mit niemandem. Seine weißen Haare kleben an der Stirn, an seinen Armen treten die Sehnen hervor.

Wenn jemand fragt, ob er sein Gerät bekommen könne, nickt er nur stumm. Dann geht er zum Spender und desinfiziert gemächlich sein Gerät. Die allgemeine Ungeduld teilt er längst nicht mehr. Ihm scheint alles recht egal. Und das finde ich gut. Ich beschließe, ihn mir als Vorbild zu nehmen. Ich werde mich ebenfalls in stoischer Gelassenheit üben und versuchen, mir nichts daraus zu machen, wer mich wie sieht.

Ich frage Jay, was besser sei: Lieber weniger Gewichte oder einen hochroten Kopf beim Training. Jay sagt: „Höchstens mal kurz ans Limit gehen, aber nicht dauerhaft.“ Ich beschließe: Das wird ab jetzt meine Maxime sein; in allem.
Anschließend ziehe ich mich um und gebe Jay sein Schloss zurück. Ich schließe ein Premium-Abo ab und bekomme meinen eigenen Transponder.

„Und, wie war es so, obwohl du nie Sport gemacht hast?“, fragt mich Jay am Ausgang und ich schultere meine Tasche.

„Easy“, sage ich.


Redaktion: Lisa McMinn; Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Warum ich als Mann Angst vorm Fitnessstudio habe

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