Millionen flauschige Erfolge
von Theresa Bäuerlein
Starten wir ins neue Jahr mit nichts Geringerem als einem Frühstücksei. Wirklich? Ja! Denn 2022 wird es Millionen weniger tote Küken in Deutschland geben. Genauer gesagt: weniger tote Kükenmänner (Kükenjungs?). Die waren bisher ein Abfallprodukt der Eierproduktion, wie ich in diesem Text beschrieben habe.
Die kurze Zusammenfassung der Sachlage: Die meisten Hennen in Deutschland sind hochspezialisiert, aufs Eierlegen nämlich. Deswegen eignen sie sich nicht oder schlecht als Fleischlieferantinnen, sie setzen einfach nicht genug an. Es schlüpfen aber nicht nur weibliche, sondern auch männliche Küken. Weil die später keine Eier legen, werden sie aussortiert und getötet. Bisher waren das jährlich rund 40 Millionen.
Ab 2022 ist das verboten. Die Züchter müssen dann vor dem Schlüpfen das Geschlecht bestimmen und die Eier mit männlichen Küken aus der Brut nehmen. Es ist die Lösung eines Problems, das wir nicht haben müssten, wenn bei Hühnern Zweinutzungsrassen Standard wären. Wenn es sich also lohnen würde, die Brüderküken aufzuziehen. (Man kann das auch bei Legerassen machen, jedoch lohnt es sich eigentlich nicht.) Es ist ein Problem, das bleibt. Trotzdem: Jedes Küken, das nicht als „nutzlos“ betrachtet und wie ein Ding „weggeworfen“ wird, ist ein Erfolg.
Tränen der (Schaden-)Freude
von Michele Pörner-Cassagne
Ich staune ja manchmal über die Kolleg:innen. Wie sie sich für tote Küken, sportlichen Wettkampf (kommt noch) oder die neuesten Entwicklungen in Forschung und Wissenschaft interessieren (kommt auch noch). Ist alles wunderbar. Aber ich muss mich an dieser Stelle direkt bei euch entschuldigen. Weil meine Vorfreude so profan daherkommt, dass ihr das Niveau lieber bei den anderen sucht.
Ich sollte vielleicht vorab ein Geständnis machen: Für mich sind die Tage zu Beginn des neuen Jahres meist am schlimmsten. Ich freue mich auf: so gut wie nichts. Wir alle haben unsere Partyhüte abgezogen, der graue Januar wartet mit Schadenfreude darauf, unsere Neujahrsvorsätze so schnell wie möglich zu begraben. Und schneller als man gucken kann, sieht das neue Jahr nicht anders aus als das vorherige. Sagen wir es, wie es ist: Der Januar ist die pure Enttäuschung!
Zum Glück gibt es ein Licht im Dunkeln, ein kleines bisschen Hoffnung. In dieser drückenden und trüben Januarzeit hält ein deutscher Fernsehsender eine Show der Extralative für mich bereit, die mich meinen Frust für zwei Wochen vergessen lässt: „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“
Es tut mir leid, aber es ist die Wahrheit: Ich kann es kaum erwarten, ab dem 21. Januar am späten Abend von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich begrüßt zu werden. Wenn sie wieder in atemberaubender Höhe auf dieser wackeligen Brücke stehen und ihren Schlachtruf grölen. Wenn ich für 14 Tage das Gefühl habe, dass in diesem eckigen Kasten eine Familie auf mich wartet.
Ich freue mich auf die bissigen Twitter-Kommentare von Micky Beisenherz. Ich freue mich auf allerlei Z-Promis, von denen ich zuvor noch nie gehört habe. Ich freue mich auf Tränen der Trauer, des Ekels und der Freude. Auf Höhen (im wahrsten Sinne des Wortes) und auf Tiefen, die den Kandidat:innen bevorstehen.
Vielleicht gibt es ja ein paar Menschen in unserem kleinen Krautreporter-Universum, die sich heimlich mit mir freuen. Falls ja, dann kann ich nur sagen: auf dass es ein Fest des Trash-TVs wird!
Ideen, die zünden
von Rico Grimm
Ich freue mich darauf, weiter der Zukunft zuzuschauen. Das hört sich spinnert an, ich weiß. Aber ich sehe in den vergangenen Zehner-Jahren nur das Vorspiel für die Hauptdarbietung, die sich jetzt entfaltet und endgültig einen Strich unter Industriegesellschaft und Postmoderne ziehen wird. Es ist fast egal, welchen Trend oder welches Ereignis der vergangenen Jahre man hernimmt: Sie alle waren in meinen Augen nur Vorboten.
Die Zehner waren das Jahrzehnt, in dem die Welt begann, die Klimakrise ernst zu nehmen. Jetzt muss sie sie lösen. (Und sie wird sie lösen, das ist nicht die Frage!)
Die Zehner waren auch das Jahrzehnt, in dem die Geschichte wieder anfing und endgültig klar war, dass eine US-zentrierte neoliberale Weltordnung nicht das Ende unserer politischen Entwicklung bedeutet.
Und die Zehner waren jene Jahre, in denen die Grundsteine für Machine Learning, mRNA-Technologie, neue Batterietechnologien und Nanotechnologie gelegt wurden. Es ist völlig plausibel anzunehmen, dass wir erst in diesem Jahrzehnt wirklich anfangen, zu verstehen, wie sehr uns diese Technologien weiterhelfen können.
Zweimal Gold und große Gefühle
von Leon Fryszer
Ich gebe es zu: Ich bin Olympiafanatiker. 2021 standen die Olympischen Sommerspiele in meinem Kalender, jetzt geht es gleich weiter: Im Februar finden die Winterspiele statt! Den meisten ist das egal. Für mich aber ist das wie zwei Geburtstage in einem Jahr!
Wir Olympiafanatiker sind getrieben von einer Suche. Wir durchstehen stundenlange Live-Übertragungen von Randsportarten, um zu erleben, was ZDF-Sportmoderator:innen einen „Olympischen Moment“ nennen. Momente, in denen selbst der übernächtigte Fernsehzuschauer jubelnd vom Schlafsofa aufspringt. Dafür reicht nicht einfach das Brechen einer Weltbestzeit oder eine Goldmedaille für das eigene Land. Es muss schon ein Underdog zum Sieger werden oder die Favoritin zur Verliererin. Oder noch besser: Etwas wirklich vollkommen Unerwartetes muss geschehen.
So wie beim Olympia-Hochsprungfinale der Herren 2021: Nach dem letzten Sprung liegen zwei Athleten gleichauf, Mutaz Essa Barshim aus Katar und Gianmarco Tamberi aus Italien. Sie haben alle anderen Springer hinter sich gelassen und sind zuletzt an exakt derselben Höhe gescheitert. Es ist eine Pattsituation ohne Gewinner. Der Wettkampfleiter bittet die beiden zum Gespräch. Er schlägt vor, bis zur Entscheidung weiter zu springen. Da fragt der Katarer Barshim frech: „Can we have two Golds?“ Der Offizielle ist verdutzt, aber sagt schließlich: „It’s possible, if you decide.“ Die beiden Springer schlagen ein und entscheiden damit freundschaftlich, was ich für unmöglich hielt: Plötzlich hat das Finale zwei statt einem Goldgewinner! Es folgt ein emotionaler Siegesjubel, den ihr euch hier lieber selbst anschaut.
Ich glaube, das ist es, was mich 2022 besonders auf die Olympischen Winterspiele hoffen lässt. Wegen der sich verbreitenden Omicron-Variante habe ich meine Geburtstagsfeier vom Dezember in den Sommer verlegt, die Silvesterparty wurde auch abgesagt. Viel zu erleben gibt es dieser Tage nicht, es mangelt an Gelegenheiten – und an großen Gefühlen. Aber sicher ist: Ab dem 4. Februar sitze ich wieder vor dem Fernseher und warte auf einen Olympischen Moment. Irgendetwas Fantastisches wird schon passieren.
Schräge Töne
von Esther Göbel
Was wäre das Leben ohne Musik? Eben. Deswegen habe ich mir angeguckt, was 2022 musikalisch ansteht: Coldplay gehen auf Welttournee. Okay. Zuletzt sind sie eher fragwürdig aufgefallen, etwa durch diesen Song.
Dann sind da noch die Scorpions, die ebenfalls eine Tour für 2022 angekündigt haben – womit wir wieder bei dem Wort fragwürdig wären. Eine Nachricht, die mich aber ganz unzynisch hibbelig werden lässt, ist die hier: Jenny Havl kommt 2022 nach Deutschland!
Falls du dich jetzt fragst: „Jenny – who?!“: Die Norwegerin ist Dichterin, Schriftstellerin, vor allem aber als Sängerin bekannt, wobei manche sie lieber Performance-Künstlerin nennen. In einer Pressemitteilung wurde sie mal so beschrieben: „Jenny Hval bewegt sich als pop-feministische Voice-Kunstwerkerin auf den Spuren von Yoko Ono, Laurie Anderson und Kate Bush“, ihre Texte drehen sich in weiten Teilen um Gender Politics und Sexualität. Havl lässt sich laut eigener Aussage von allem Möglichen inspirieren: Vampiren, Horrorfilmen, Magie, Virgina Woolf.
Das mag in deinen Ohren jetzt womöglich viel anstrengender und schräger klingen, als es tatsächlich ist. Vor allem aber klingt Havls Musik viel poppiger als meine Beschreibung vermuten lässt: eine glockenhelle Stimme, eingängige Melodien, Flüster-Passagen, Soundcollagen und dazu wunderschöne Videos zeichnen Havls Werk aus. Das hier ist ihr neuester Song (und mein aktuelles Lieblingsvideo von ihr).
Havl kommt zwar nur für ein einziges Konzert nach Deutschland, nämlich am 7. April nach Berlin, aber, hey: In Berlin ist auch die KR-Redaktion nicht weit! Ideale Gelegenheit, um mal vorbeizuschauen und „Hallo!“ zu sagen, vor Havls Konzert zum Beispiel.
Hallo Schwiegermama!
von Lisa McMinn
Australien ist keine Insel. Wusstet ihr das? Australien ist zwar ein Stück Land, das von Meer umgeben ist, aber es gilt geografisch nicht als Insel, weil es nämlich in erster Linie ein Kontinent ist. Und Kontinente sind nunmal Kontinente und keine Inseln. Sonst wäre Afrika ja auch eine Insel. Ist es aber nicht. Nun fragt ihr euch vielleicht, warum ich das erzähle. Der Grund: Politiker:innen ist scheinbar völlig egal, wie Geograf:innen Landmassen klassifizieren.
Mein Freund ist Australier. Wir haben uns zu Beginn der Corona-Pandemie kennengelernt, das ist fast zwei Jahre her. Bald wollen wir zusammenziehen. Nur leider habe ich seine Familie noch nie getroffen. Nach jeder Corona-Welle hatten wir gehofft, dass wir nun endlich fliegen könnten. Seitdem schieben wir. Und schieben. Und schieben.
Scott Morrison, der australische Premierminister, hat im März 2020 die Grenzen dicht gemacht – und hält sie bis heute für Touristen geschlossen. Wenn man sich jetzt vor Augen führt, dass das Land komplett von Wasser umgeben ist, Insel hin oder her, dann bedeutet das: Hier kommt niemand mehr rein, außer man schwimmt.
Natürlich, Morrisons Gründe für die Grenzschließung waren vernünftig. Natürlich möchte niemand das Virus nach Australien schleppen, ich auch nicht. Und selbstverständlich war es richtig, Reisen zu beschränken, so lange es noch keine Impfungen gab. Aber das, was die australische Regierung sich insgesamt leistet, ist echt schräg: Rund 19 Monate lang mussten Australier:innen einen Ein- oder Ausreiseantrag stellen und begründen, warum ihre Reise nötig sei. Eine Hochzeit der Schwester oder eine Krebserkrankung des Vaters gingen noch durch, Heimweh eher nicht. Statt eines Flugs nach Australien kaufte mein Freund sich also eine Tageslichtlampe, um den Winter zu überstehen.
Aber ich will mich nicht weiter in Rage schreiben. Ich wollte euch ja erzählen, worauf ich mich freue: Seit wenigen Wochen dürfen wenigstens Australier:innen wieder in ihr Heimatland reisen. Scott Morrison hat damit ein Versprechen eingelöst. Er hat die Öffnung der Grenzen nämlich von der Impfquote abhängig gemacht. Politisch finde ich es zwar fragwürdig, die eigenen Wähler:innen so lange einzusperren, bis sie alle geimpft sind (man stelle sich die Situation in Deutschland vor, haha)! Aber nun ja, die Strategie hatte Erfolg: In Australien sind zurzeit rund 90 Prozent der Menschen über 16 Jahren geimpft. In manchen Stadtteilen von Melbourne sind sogar 100 Prozent geimpft. 100 Prozent!
Mein Freund wird bald fliegen und seine Mutter nach zwei Jahren und einer überstandenen Covid-Infektion endlich wieder umarmen. Und ich kann wieder anfangen zu träumen. Von weißen Stränden, knuffligen Koalas – und meiner Schwiegermutter.
Kirchen in Burgen (oder anders herum?)
von Rebecca Kelber
Meinen Sommer werde ich dieses Jahr zumindest teilweise in einem Land verbringen, das die meisten seit DDR-Zeiten als Reiseziel grandios unterschätzen: Rumänien. Eigentlich ist es nämlich das Traumziel für Ökotourist:innen.
Zug- und Busfahren kostet aus deutscher Perspektive fast nichts, das Essen ist fettig und lecker, trotzdem gibt es traditionelle vegane Gerichte. Auf dem Land bauen viele ihr eigenes Gemüse an und trinken die Milch vom Nachbarn, die eher aus Versehen als absichtlich bio ist. Auf den Dorfwegen fahren Pferdekutschen und wer rumfragt, findet schnell selbstgebrautes Bier oder destillierten Likör.
Während in Deutschland jedes Zipfelchen Natur durchverwaltet und ausgeschildert ist und es nur in Ausnahmefällen keinen breiten Wanderweg gibt, führen manche Wanderungen querfeldein, der Ausblick ist trotzdem grandios. Und in den Städten gibt es alles, von abgerockten Plattenbauwüsten bis sorgfältig restaurierten Kirchenburgen (eine Mischung aus Kirche und Burg, im Mittelalter dienten diese Gebilde als Schutzgebäude).
Zumindest war all das vor fünf Jahren noch so. Seitdem war ich nämlich nicht mehr in Rumänien. Vor zehn Jahren habe ich sieben Monate lang in Bukarest gelebt. Umso gespannter bin ich jetzt zu sehen, wie sich die Stadt verändert hat. Aber auch die politische Situation vor Ort interessiert mich.
Und dann ist da noch das Donaudelta, eine Landschaft aus Verästelungen der Donau, bevor diese ins Schwarze Meer mündet. 72 Prozent des Deltas stehen unter Naturschutz, es gibt dort die größte Pelikankolonie Europas und haufenweise seltene Pflanzen und Tiere. Bisher habe ich es nicht ins Donaudelta geschafft, aber 2022 freue ich mich darauf, endlich mit einem Ruderboot durch die Gewässer dort zu gleiten. Mein persönlicher Geheimtipp fürs neue Jahr lautet deshalb ganz klar: Rumänien!
Das Ende der Schmach
von Tarek Barkouni
Ich besitze ein altes Fahrrad. Es ist ein Peugeot-Rennrad aus den späten 1970er Jahren und es ist gerade kaputt. Das „gerade“ ist ein kleiner Euphemismus, denn eigentlich ist es schon seit fast einem halben Jahr kaputt. Eine kleine, unscheinbare Schraube – für die Kenner: der Kurbelkeil – ist gebrochen.
Es ist erstaunlich, wie viel Ärger so ein kleines Bauteil machen kann. Ersatzteile sind nur sehr schwer zu bekommen (Hallo Lieferkettenproblem!) und für den Einbau muss ich entweder in eine Selbsthilfewerkstatt (mit zwei linken Händen) oder jemanden bezahlen (nee, das lohnt sich nicht für mich). Deswegen parkte dieses wunderschöne Fahrrad erst lange Zeit in meinem Keller. Seit einigen Wochen, seit meinem gescheiterten Reperaturversuch, steht es nun in meinem Wohnzimmer.
Diese Schmach ist für mich aber genau der Grund, mich auf das kommende Jahr zu freuen: Ich habe mir fest vorgenommen, die Reparatur diesmal wirklich durchzuziehen! Um dann auch mal eine längere Tour machen zu können. Vielleicht nach Magdeburg oder an die Ostsee.
Viele werden jetzt lachen. Aber in der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, spielt das Fahrrad eine kleinere Rolle als das Skateboard; es ist viel zu bergig für nur zwei Räder. Und wer doch mal einen Radweg findet, wird trotzdem von den Autos bedrängt.
Deswegen: Nächstes Jahr sehen wir uns auf den Radwegen in ostdeutschen Bundesländern. Wirklich!
Körbe und Talente
von Bent Freiwald
Es geschah genau fünf Wochen vor meinem Geburtstag. Olympiahalle München, Finale der Basketball-Europameisterschaft: Die Spieluhr zeigt noch drei Sekunden an, Christian Welp springt am Korb hoch, haut den Ball rein. Ausgleich! Dabei wird er gefoult. Wenig später steht er an der Freiwurflinie, er hat noch einen Wurf. „Und wenn er trifft, meine Damen und Herren, dann ist Deutschland wahrscheinlich Europameister“, sagt der Kommentator. Welp trifft. „Wahnsinn, meine Damen und Herren!“
Das ist jetzt 28 Jahre her. Auf eine zweite Goldmedaille wartet man als Basketballfan seither vergeblich. Bei einem großen Turnier nach dem anderen sollte es nicht reichen für die deutsche Nationalmannschaft. Als wäre es nicht schon hart genug, dass circa jeder Sportlehrer dieses Landes Basketball als „körperlose Sportart“ verunglimpfte. Selbst mit dem besten deutschen Basketballer aller Zeiten, the German Wunderkind Dirk Nowitzki, reichte es nur zur Bronzemedaille bei der WM 2002 und zur Silbermedaille bei der EM 2005. Es musste etwas geschehen.
2006 war ein Jahr, das vieles veränderte. Der Deutsche Basketball Bund und die erste und zweite Bundesliga gründeten zusammen eine Nachwuchsbundesliga für alle unter 19. Das Ziel: Die Jungen fördern, damit sie irgendwann als Erwachsene an den glorreichen Jahrgang von 1993 anschließen würden. 2009 hatte ich zwar die alten Europameister nicht im Kopf, glorreich wollte ich aber sicherlich sein. Als mein Team aus Itzehoe und ich uns für die Nachwuchsbundesliga qualifizierten, waren wir die erste Mannschaft aus Schleswig-Holstein, der das gelingen sollte. Wir spielten gegen die großen Namen: Alba Berlin (knapp verloren), Telekom Baskets Bonn (knapp verloren), Phantoms Braunschweig (knapp verloren). Tatsächlich verloren wir jedes einzelne Spiel, aber fast alle nur knapp, immerhin.
Als wir gegen Braunschweig spielten, verteidigte ich gegen Dennis. Dennis war tausendmal schneller als ich (was ich nicht wahrhaben wollte) und zog in jedem zweiten Angriff an mir vorbei. Sein Mitspieler Daniel war tausendmal athletischer als ich (das konnte ich nicht leugnen) und verletzte sich fast, weil er im Fast Break (der Konter oder Tempo-Gegenangriff beim Basketball) beim Dunking so hoch sprang, dass die Landung schwerfiel.
Der zu schnelle Dennis heißt mit Nachnamen Schröder, spielt derzeit bei den Boston Celtics in der NBA und gilt als der beste aktive deutsche Basketballer. Sein damaliger Kollege Daniel heißt mit Nachnamen Theis und spielt heute bei den Houston Rockets, auch in der NBA.
Ich erzähle beides aber nicht, um anzugeben: Seht her, gegen wen ich mal alt ausgesehen habe. Sondern weil es noch nie so viele deutsche NBA-Spieler gegeben hat wie heute. Neben Dennis und Daniel laufen noch sieben weitere Spieler mit deutschem Pass in der besten Liga der Welt auf.
Viele sagen: Noch nie war der deutsche Basketball so talentiert wie jetzt. Und ich bin mir mittlerweile sicher: Der Grundstein dafür wurde 2006 gelegt, als die Nachwuchsbundesliga gegründet wurde. Als die Jugendarbeit in der einzig wahren Hallensportart (sagen zumindest alle Basketballer) professionalisiert wurde. Es haben zwar auch solche Dullies wie ich gespielt. Aber eben auch echte Top-Talente.
In diesem Sommer steht die nächste Europameisterschaft der Herren an. Und sie findet wieder in Deutschland statt, die Hauptrunde sogar keine zwei Kilometer von meiner Berliner WG . Angeführt von Dennis Schröder hat die deutsche Mannschaft vielleicht die größte Chance seit Langem auf den Titelgewinn. Dieses komische Gefühl, das ich bei den Welt- und Europameisterschaften anderer Sportarten habe, wenn Massen die Deutschlandfahnen schwenken und rumgröhlen, habe ich beim Basketball nicht. Erstens, weil es in dieser Sportart meistens keine Massen sind, die gröhlen, zweitens, weil es sich für mich eher anfühlt, als würden alte Kumpels plötzlich um die Weltspitze mitspielen. Das ist zwar maximal überhöht, aber meine Freude auf das Turnier im Sommer ist mindestens genauso groß.
Her mit den Grundlagen!
von Martin Gommel
Ich schreibe diese Zeilen aus dem Homeoffice, denn ich habe mir einen grippalen Infekt eingefangen. Schon wieder! Es ist mein vierter (!) in diesem Winter. Der verlief bislang so: zwei Wochen arbeiten, zwei Wochen krank, eine Woche arbeiten und so weiter.
Ich arbeite als Erzieher (wenn ich nicht für KR schreibe), heißt: Täglich bin ich durch den Job ständig irgendwelchen Viren ausgesetzt. Alle meine Kolleg:innen in der Kita sind angeschlagen. In meinem Team sieht es deshalb momentan so aus: von fünf Mitarbeiter:innen sind, Stand heute, vier krank. Deshalb freue ich mich schon sehr auf den Sommer 2022 und auf das Gefühl, mal zwei ganze Monate gesund zu sein.
Und dann ist da noch mein anderer Job: der als Autor. Ich freue mich auf die nächsten Texte, die ich für Krautreporter im nächste Jahr schreiben darf! Plusminus ein Jahr bin ich nun als Reporter für psychische Gesundheit mit an Bord, es fühlt sich alles noch ziemlich frisch an. So, als ob ich erst vor einer Woche begonnen hätte. Auf meinem Zettel stehen viele Themen, über die ich 2022 schreiben möchte, und die mir am Herzen liegen. Den Themenkomplex Kindesmisshandlung beispielsweise, in den ich mich in den vergangenen Monaten eingelesen und zu dem ich recherchiert habe. Daneben liebe ich es, auf meinem Weg als Quereinsteiger journalistische Grundlagen und Tricks dazuzulernen, die mir in meiner kurzen Laufbahn natürlich fehlen. Für mich ist das kein Defizit, sondern eine großartige Chance, ein besserer Journalist zu werden. 2022 kann kommen!
Essen und forschen
von Silke Jäger
In den letzten Jahren war sehr viel los bei mir: Ich bin nach London gezogen und wieder zurück (nach Deutschland). Der Brexit hat mich Nerven gekostet und mir die Sehnsucht geschenkt. Die Sehnsucht nach meiner Lieblingsstadt London, die ich seit drei Jahren jeden Tag besuchen will. Was ich wegen Corona nicht kann. Der einzige Trost: Corona hat mich als Journalistin, die darüber berichtet, so auf Trab gehalten, dass eine längere Reise sowieso utopisch gewesen wäre – auch ohne Reisebeschränkungen und zu früh ausgerufenen Freedom Days.
Vor Kurzem habe ich beschlossen, weniger zu arbeiten und erst mal keine Corona-Texte mehr zu schreiben. Beides fühlt sich erleichternd an. Denn dadurch werde ich mehr Zeit haben. Für meine Familie und für mich, besonders für mich. Darauf freue ich mich sehr. Ich habe auch schon Pläne geschmiedet, wie ich die freie Zeit anreichern will: mit Essen und Forschen.
Das mit dem Essen erkläre ich gleich. Es hat nämlich mit dem Thema meiner „Forschungen“ zu tun. Vor einigen Jahren erfuhr ich ganz nebenbei, dass ich jüdische Wurzeln habe. Das hat mich erst mal ziemlich überfordert. Wahrscheinlich hätte ich nie etwas davon erfahren, wenn es in meiner Stadt keine Geschichtswerkstatt gäbe, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Lebensgeschichten jüdischer Menschen aufzuschreiben. Allzu oft verlieren sich nämlich ihre Spuren, nicht nur, weil sie deportiert und ermordet wurden. Manchmal, wie in meinem Fall, gelang es ihnen, ihre Identität zu verleugnen, sich zu verstecken oder zu fliehen. Ich weiß nicht genau, warum die Geschichte meiner Urgroßmutter und ihrer Geschwister so lange nicht erzählt wurde. Aber ich mache mich jetzt auf, das herauszufinden.
Dabei wird sich für mich auch eine Frage klären müssen, die ich bis jetzt nicht beantworten kann: Wie steht es um meine eigene religiöse Identität? Bin ich Jüdin? Und was bedeutet das für mich und meine Familie? Die Tatsache, dass ich gerade diese Zeilen tippe, zeigt mir, dass ich bereits eine kleine Zwischenetappe erreicht habe auf der Suche nach Antworten. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mich überhaupt mit dieser Frage beschäftigen wollte.
In letzter Zeit bemerke ich aber eine Veränderung. Es fing damit an, dass ich mir ein Kochbuch mit jüdischen Gerichten gekauft hatte. Seitdem mache ich meine Familie glücklich. Und mich gleich mit. Mir macht das Kochen wieder Spaß. Und die Leute, die das Ergebnis aufgetischt bekommen, strahlen wieder. Davor gab es eine lange Zeit, in der ich mich zum Kochen zwingen musste. Es hat mich nicht interessiert, war lästige Pflicht. Aber seitdem ich Babka und Rugelach backe, Hühnchen in Tzimmes koche und Rosenkohl in Dattelsirup schmore, genieße ich das Essen ungemein. Ich freue mich sogar aufs allabendliche Kochen. Auch wenn ich gar kein jüdisches Gericht ausprobiere.
Deshalb wird das ein gutes Jahr. Ich habe Lust darauf, die Geschichte meiner Familie kennenzulernen und meine eigene neu zu schreiben. Und dabei nebenbei lecker zu essen.
Kleinste Teile und größte Weiten
von Esther Göbel
Ich muss zum Schluss noch eine Sache sagen, klar und deutlich, für alle Zweifler:innen: Das neue Jahr wird groß werden! Und bedeutsam!
Du hältst diese Worte für überzogen? Von wegen! Der Grund für meine Euphorie: In diesem Jahr wird die Menschheit so tief in die eigenen Ursprünge schauen wie noch nie zuvor.
Es wäre schon ein aufregendes Wissenschaftsjahr, wenn da nur das neue Super-Teleskop James Webb wäre. Nach 25 Jahren Planungs- und Bauzeit und Kosten von mehr als zehn Milliarden Dollar wurde es vor nicht mal zwei Wochen endlich ins All geschossen. Das Teleskop gehört zu den kompliziertesten Maschinen, die die Menschheit jemals gebaut hat. In diesem Jahr soll es die ersten Bilder von wirklich ungeahnten Weiten des Alls an die Erde funken und so bis zu den Ursprüngen der ersten Galaxien in die Vergangenheit des Universums blicken.
Aber der Mensch sucht sich nicht nur in der Ferne. Auch in der Nähe, im ganz Kleinen erforscht er sich selbst immer besser: Im vergangenen Jahr verkündete das renomierte Wissenschaftsmagazin Science als Durchbruch des Jahres eine KI namens Alphafold, die Licht in ein Dunkel wirft, das Biolog:innen seit Jahrzehnten verrückt macht. Es geht um Proteine, jene dreidimensionalen Moleküle, die sich aus Aminosäuren zusammenfalten – und die Vorgänge des Lebens steuern von der Fotosynthese über Virusinfektionen (Hallo Spike-Protein des Coronavirus!) bis hin zu wichtigen Stoffwechselprozessen. Anders gesagt: Ohne Proteine geht es nicht, weswegen die Menschheit sie erforscht.
Bislang hatten Biolog:innen aber ein Problem: Sie konnten die dreidimensionale Struktur eines Proteins und damit dessen Gestalt nicht genau in der Theorie vorhersagen. Die Gestalt aber ist essentiell, um die Wirkungsweise eines Proteins untersuchen und verstehen zu können. Die Folge: Ganze Biolog:innen-Karrieren haben sich schon an einzelnen Proteinen entlang gehangelt, um deren Gestalt experimentell zu ergründen. Lange Jahre sind hartnäckige Forscher:innen in Laborräumen versumpft, nur um in immer neuen Versuchen herauszufinden, unter welchen Bedingungen sich ein Protein wie faltet.
Das wird sich aller Voraussicht nach 2022 ändern. Denn der Open-Source-Algorithmus Alphafold berechnet die dreidimensionale Struktur rein virtuell und das teils sehr genau. In diesem Jahr soll Alphafold die 3D-Gestalt aller in der Biologie bekannten Proteine fertigstellen. Mit sämtlichen menschlichen Proteinen ist das bereits gelungen.
Wenn das kein Ausblick ist!
Redaktion: Esther Göbel; Bildredaktion: Till Rimmele; Schlussredaktion: Susan Mücke; Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert