Till Reiners mürrisch dreinblickend, vor einem Anthrazitfarbenen Hintergrund

© Esra Rotthoff

Leben und Lieben

Interview: Till Reiners, darf man Witze über Afghanistan machen?

Durchaus, sagt der Comedian – und erklärt auch, was Nachrichtensendungen von Satireshows lernen können.

Profilbild von Interview von Bent Freiwald

Finanzkrise. Geflüchtetenkrise. Klimakrise. Coronakrise. Krieg. All das ist schrecklich und zerrt an den Nerven. Was kann uns dabei helfen, nicht durchzudrehen? Humor, sagt der Komiker Till Reiners.

Reiners startete seine Karriere als Poetry-Slammer, heute tritt er regelmäßig im ZDF und NDR auf, unter anderem in der „Heute Show“ und in der „Anstalt“. Während wir Überschwemmungen in Deutschland und die Katastrophe in Afghanistan ungläubig beobachten, überlegt sich Reiners schon Witze darüber. Ich wollte von ihm wissen, wie er das macht. Er sagt: Sich den ganzen Tag nur mit schrecklichen Nachrichten zu beschäftigen, halte sowieso niemand aus. Auch Nachrichtenredaktionen sollten sich etwas bei Satiresendungen abgucken.


Schon Witze über die Situation in Afghanistan gemacht?

Nein.

Ist das ein Tabu?

Ich glaube, man kann das durchaus machen. Aber ich bin noch dabei, das zu verarbeiten. Ich hole mir gerade die Informationen in sehr kleinen Portionen, weil mich das mitnimmt. Wenn da andere Leute schneller sind und schneller Witze machen können: Bitte!

Man kann ja darauf hinweisen, wie lächerlich sich Deutschland angestellt hat in der Afghanistan-Krise. Wie schwerfällig unsere Regierung ist, wenn Menschen ausgeflogen werden müssen und zeitgleich sofort der Reflex da ist, in der Debatte auf Rechtspopulisten zu reagieren.

Ist das witzig?

Bevor überhaupt irgendjemand ausgeflogen wurde, wurde schon gesagt: „Die AfD darf keine Stimmen gewinnen! Das ist das Wichtigste! Das ist Priorität Nummer eins!“ Das ist lächerlich. Und darüber kann man natürlich Witze machen.

Gibt es für dich überhaupt keine Tabus?

Nein. Kein Thema disqualifiziert sich schon im Vorhinein.

Ich habe die Krautreporter-Leser:innen in einer Umfrage gefragt, ob man über alles Witze machen dürfe. Fast 80 Prozent der 700 Teilnehmer:innen sagen, es komme darauf an, wie man den Witz macht.

Absolut. Natürlich kann man Witze über Klimaaktivisten machen, meinetwegen auch über Greta Thunberg. Die viel spannendere Frage ist: Ist das lustig? Wenn nicht, ist das doch das viel größere Verbrechen. Dann sind die Witze schlecht verkauft.

Viele sagen auch, es komme darauf an, wer den Witz macht.

Wenn der Comedian Shahak Shapira, der selbst Jude ist, Witze über Juden oder das Dritte Reich macht, ist das natürlich eine ganz andere Nummer, als wenn ich das mache. Wenn ich das auf die gleiche Art mache, ist es einfach nur strange.

Wann kommt bei dir der Punkt, an dem du sagst: Jetzt kann auch ich Witze über heikle Themen wie etwa Afghanistan machen?

Ich muss zumindest die Hälfte verstanden haben. Dann kann es sein, dass ich durch die Witze selbst nochmal etwas verarbeite oder etwas Neues verstehe. Aber so ganz unverarbeitet einfach nur etwas auf die Bühne werfen – da macht man sich zu angreifbar.

Ist Tragödie plus Zeit gleich Komödie?

Auf jeden Fall. Das wird auch mit Afghanistan so sein. Wir gucken uns heute das Kolosseum an und finden es aufregend, wie brutal die Schlachten da waren. Wenn das erst zehn Jahre her wäre und nicht die Römer, sondern die Taliban die Kämpfe veranlasst hätten – das scheint ja ihr Mindset zu sein, wenn ich das richtig verstanden habe – dann fänden wir das alle schrecklich und furchtbar. Wenn die barbarische Schlacht zwischen einem Menschen und einem Tiger aber über 1.000 Jahre her ist, ist sie plötzlich historisches Material für Witze. Es gibt immer einen Punkt in der Geschichte, an dem man sagt: Schwamm drüber!

Als die Corona-Pandemie angefangen hat, habe ich auf Twitter jeden Tag wahnsinnig gute Witze gelesen. Hilft Humor uns dabei, mit Krisen klarzukommen? Nicht erst 1.000 Jahre später, sondern währenddessen?

Wir brauchen in jeder Krise auch Ruheinseln. Niemandem ist geholfen, wenn man sich die ganze Zeit die furchtbaren Nachrichten reinzieht. Ich merke das jetzt mit Afghanistan, dass ich mich ganz dezidiert rausziehen muss: Ich zwinge mich dazu, Social Media zu schließen, um mich um meine kleine Welt zu kümmern. Und Comedy kann auch eine kleine Welt erschaffen. Das ist dann in Ordnung. Ich glaube, Humor kann Menschen erleichtern. Sie können durchatmen und dann weitermachen. Das haben viele Medien noch nicht verstanden.

Wie meinst du das?

Viele Menschen kommen erst spät darauf, dass man erstmal Interesse wecken muss, wenn man jemandem etwas erklären will. Wir haben ja in der Schule gelernt: Lernen macht keinen Spaß.

Es gibt eine unfassbare Masse an Nachrichten. Auf dem Marktplatz der Informationen werden die gehört, die am lautesten und schrillsten schreien. Etwa die Bild-Zeitung: Die appeliert an die einfachen Reflexe: Ficken! Geil! Hass! Alles, was schnell ist. Alles, was nach drei Bier immer noch richtig gut reingeht. Die Technik funktioniert. Aber wie kann man diese Technik nutzen, ohne ein Arschloch zu sein? Ich glaube, mit Humor.

Wenn du Beiträge für die „Heute Show“ im ZDF machst, vergehen teilweise mehrere Minuten ohne Pointe oder Witz. In diesem Video gibst du eigentlich nur Fakten wieder, etwa, dass es so viele Unwetter in Deutschland gibt, dass viele Bundesländer die Katastrophensoforthilfe gestrichen haben, weil sie zu teuer wird.

https://youtu.be/9KmH2Be_bnM?t=108

Reicht das heute als Satire?

An Humor und an Medien sind neue Anforderungen gestellt. Das bekommt ihr ja auch mit bei Krautreporter. Das ist ja auch eine Entscheidung von euch gewesen zu sagen: Wir wollen nicht die schnellsten sein, aber wir wollen in manchen Themen die gründlichsten sein. Welche Informationen gibt es und was ist meine persönliche Perspektive darauf? Wie man die Informationen anordnet, ist entscheidend. Wenn jede Information immer verfügbar ist, dann ist irgendwann nichts mehr auffindbar, weil alles untergeht. Das war vorher nicht so.

Es gibt Menschen, die sich primär über Satiresendungen informieren. Die gucken dann die „Heute Show“ oder „Last Week Tonight“ von John Oliver und sehen das als erste Informationsquelle.

Ich glaube nicht, dass das gut ist. Ich bin zwar Teil des Ganzen, aber ich fände es besser, wenn Nachrichtensendungen von Satiresendungen lernen würden. Es geht nicht mehr nur darum, eine Information zu haben, sondern sie zu verarbeiten und aufzubereiten.

Informationen einordnen und erklären, ist es das, was du dir von Journalist:innen wünschst?

Natürlich! Zusammenhänge klarzumachen, finde ich superwichtig. Ich habe letztens die Tagesschau geguckt und wusste danach weniger als vorher! Ich wusste nichts! Da tauchten bei mir nur Fragezeichen auf! Ich brauche jemanden, der das für mich einordnet. Wenn Nachrichtenredaktionen das nicht hinkriegen oder zumindest nicht unterhaltsam genug hinkriegen, gucken die Leute sich eben lieber Satiresendungen an.

Als Donald Trump US-Präsident wurde, haben amerikanische Comedians gesagt, es sei jetzt schwieriger, witzig zu sein, weil die Realität jede Satire überholt habe.

Ich glaube, das sagt man immer: So schlimm wie jetzt war es noch nie! Aber ich glaube tatsächlich, dass es noch nie eine Welt gab, in der die Gesetze der Logik so sehr aufgehoben waren. Es ist neu, dass man sich fragen muss, ob Leute ernsthaft verrückt sind. In den USA gibt es Trump-Wähler, hier gibt es Querdenker, fernab von jeder Realität, und mit denen muss man sich dann beschäftigen. Es gab immer Leute, die komische Meinungen hatten, aber die waren schlechter organisiert. Die waren noch angebunden an die Schwerkraft.

Wenn die Leute in Krisen auch auf Comedians wie dich blicken, weil ihr die Krisen einordnet – dann musst du ja selbst auch erstmal mit den Krisen klarkommen. Sind Comedians besonders resilient?

Nicht unbedingt. Aber für viele Comedians ist Humor sowieso schon ihr Umgang mit einer persönlichen Krise. Nimm mich: Dass ich heute auf der Bühne stehe, hat auf jeden Fall etwas damit zu tun, dass ich ein dickes, vorlautes Kind war. Ich war in der Schule ein leichtes Ziel und musste lernen, damit klarzukommen. Also habe ich Leute unterhalten und für gute Stimmung gesorgt. Ich bin, glaube ich, sehr harmoniesüchtig und das setzt sich auf der Bühne fort.

Harmoniebedürftig? Wenn du auf der Bühne stehst und Satire machst, sieht das für mich nicht gerade nach Harmonie aus. Ganz im Gegenteil!

Naja: Ich erzähle einen Konflikt und dann biete ich eine Lösung an. Die Lösung ist Lachen. Die Lösung ist Humor. So wird aus einem Konflikt plötzlich Harmonie. Was gibt es Besseres in Krisenzeiten? Da ist die Verbindung zum Publikum aber sehr wichtig. Wenn die Witze nicht zünden, ist da nur Konflikt und keine Harmonie.

Wenn man als Comedian ins Geschäft einsteigt, hat man seine Auftritte ja in relativ kleinen Hallen …

… nee, Entschuldigung, da muss ich unterbrechen. Als neuer Comedian spielt man keine Hallen, nicht mal kleine. Man spielt Räume, wenn überhaupt. Manchmal nicht mal Räume.

Zimmer?

Zimmer trifft es gut.

Passiert dir das heute auch noch, dass du auf eine Bühne gehst, die Stimmung im Publikum ganz falsch einschätzt und niemand lacht?

Standup-Comedy ist Arbeit mit dem Publikum. Das klingt sozialpädagogisch. Aber so ist es nunmal: Ich versuche, mit dem Publikum eine gemeinsame Energie zu erschaffen. Und wenn das nicht klappt, dann ist man einfach nur der Typ mit zu großem Selbstbewusstsein, der einen Vortrag hält. Das ist ja keine natürliche Situation: Du stellst dich auf eine Bühne und ein paar Hundert Leute erwarten, dass du sie jetzt zum Lachen bringst. Das ist komisch. Ich glaube, ein paar Fernsehleute haben das während Corona nicht verstanden. Die haben einfach gesagt: Wir machen Standup ohne Publikum. Aber das klappt für mich als Comedian nicht.

Wenn die Realität schon so anstrengend ist, sind Humor und Witze dann überhaupt noch die Art Ruheinseln, die sie mal waren?

Sie können es sein, auch in heftigen Zeiten. Es muss ja auch nicht jeder über die aktuellen Großkrisen der Welt Witze machen. Das geht ja auch deutlich simpler.

In deinem Podcast „Jokes“ waren schon über 30 Comedians zu Gast. Schon mal Mario Barth angefragt?

Das Logo vom Spotify-Podcast "Jokes" mit Till Reiners.

In seinem Podcast Jokes redet Till Reiners mit anderen Comedians darüber, wie es ist, Comedian zu sein. Was alle verbindet: “Neugier und Harmoniebedürftigkeit”.

Ja, aber er hat leider nicht geantwortet. Mario, wenn du das liest, melde dich!

Mario Barth ist ja schon so etwas wie eine Hassfigur. Ich kenne niemanden, der ihn witzig findet.

Man hat gar keinen unverstellten Blick mehr auf Mario Barth. Es ist woke, Mario Barth scheiße zu finden. Nicht falsch verstehen: Was er da als Journalismus verkauft, empfinde ich als furchtbar. Punkt. Darüber müssen wir überhaupt nicht diskutieren.

Aber das, was er auf der Bühne macht, wenn er Comedian ist … steinigt mich, aber ich finde das nicht besonders tragisch. Er redet wahnsinnig viel über Frauen und Männer, aber das ist eben sein Gefäß, um Witze zu machen.

Wenn Humor eine Art Bewältigungstrategie in Krisen ist – bist du als Comedian systemrelevant?

Ich sehe mich in der Systemrelevanz irgendwo in der Mitte zwischen Krankenpflegerin und Makler.


Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Till Rimmele, Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert

Till Reiners, darf man Witze über Afghanistan machen?

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