Wenn wir verstehen wollen, warum wir lachen, müssen wir natürlich in Tansania beginnen.
In Tansania?
Ja. Dort begann am 31. Januar 1962 in einem Mädcheninternat am Westufer des Victoriasees eine wirklich kuriose Aneinanderreihung von Ereignissen. Es kam zu Krankheiten. Schulen mussten geschlossen werden. Die ersten Patientinnen waren drei Mädchen, aber innerhalb von wenigen Tagen infizierten sich 95 weitere.
Manche Symptome dauerten nur wenige Stunden, andere bis zu 16 Tage. Die Lehrer:innen, die wie alle Erwachsenen übrigens immun zu sein schienen, berichteten, dass ihre Schülerinnen sich kaum auf den Unterricht konzentrieren konnten. Zwei Monate nach dem ersten Ausbruch wurde die Schule geschlossen.
Okay, wow. Was waren denn die Symptome? Husten? Fieber?
Lachen. Und das Lachen breitete sich aus.
Eine Lachepidemie? Wie ging es weiter?
Im Nachbardorf Nshamba bekamen 217 junge Menschen Lachanfälle, das Ganze dauerte 18 Monate. In dieser Zeit wurden 14 Schulen geschlossen.
Wie konnte das passieren?
Bis heute sind sich die Expert:innen nicht hundertprozentig einig. Aber eins vorweg: Das Lachen hatte nichts mit Heiterkeit zu tun. Und es war auch nicht das einzige Symptom. Über 1.000 Schüler:innen litten neben krampfhaftem Lachen unter Ohnmacht, Blähungen, Atemproblemen, Ausschlägen, Weinen und Schreien.
Also doch keine Lachepidemie?
Nein, aber in so gut wie allen Artikeln über Humor und Lachen wird das so genannt, sogar in wissenschaftlichen! Dabei war das Lachen nur ein ziemlich typisches Symptom eines ungewöhnlich großen Falls einer sogenannten massenpsychogenen Krankheit.
Ein Fall von massenpsychogener Krankheit?
Psychogene Krankheiten haben alle möglichen Symptome. Lachen ist nur eines davon. In diesen Situationen verlieren Menschen die Kontrolle, wenn sie zu viel Stress erlebt haben. Der Sprachwissenschaftler Christian Hempelmann hat das Ereignis in Tansania wissenschaftlich untersucht. Er sagte dem Onlinemagazin (und Reiseunternehmen) „Atlas Obscura“: „Der Stress muss sich körperlich ausdrücken, das gibt der Person eine Möglichkeit zu sagen: Seht her, ich leide, es ist etwas los, ich bin nicht nur depressiv oder zurückgezogen.“
Dieser Stress wurde dann sichtbar, in vielen, aber nicht in allen Fällen durch hysterisches Lachen.
Wenn das mit Humor gar nichts zu tun hat, warum kommt die Geschichte dann in so vielen Artikeln übers Lachen vor?
Erstens, weil sie sehr kurios ist. Die Geschichte illustriert aber auch folgende gesicherten Erkenntnisse, die es übers Lachen gibt, und zwar ganz unabhängig von Tansania:
- Wir entscheiden uns nicht dafür zu lachen. Es passiert einfach.
- Lachen ist tatsächlich ansteckend.
- Wir lachen nicht nur, wenn wir etwas witzig finden.
Wir lachen übrigens 15- bis 20-mal am Tag. Bist du ein Mann oder eine Frau?
Keine Ahnung, ich bin nur eine von dir ausgedachte Figur, die Fragen stellt, damit der Text weitergeht.
Ach ja. Egal. Der amerikanische Neuropsychologe Robert Provine hat zehn Jahre lang wissenschaftlich den Alltag von Menschen beobachtet und herausgefunden: Frauen lachen bis zu 126 Prozent mehr als Männer. Wenn Frauen älter werden, lachen sie weniger. (Bei Männern ist das nicht so.) Nachmittags lachen wir mehr als zu allen anderen Tageszeiten. Unser Körper reagiert ziemlich komisch, wenn wir lachen.
Lachen ist seltsam.
Sehr seltsam. Wir machen unkontrollierte Geräusche, klingen dabei manchmal wie Tiere, wir werden knallrot und kriegen kaum noch Luft. Und schon lachen wir nicht mehr über einen Witz, sondern darüber, wie jemand über einen Witz lacht. Hier, ein Video einer klassischen Lachschleife:
https://youtu.be/p32OC97aNqc?t=57
Nicht nur Menschen lachen. Primaten lachen, selbst Ratten lachen. Wo auch immer jemand oder etwas lacht, hat es ähnliche Auslöser: Wenn man gekitzelt wird. Wenn man spielt. Und fast immer hat es mit sozialer Interaktion zu tun. Wenn du in Gesellschaft von jemandem bist, ist es 30-mal wahrscheinlicher, dass du lachst.
Moment mal, eigentlich soll es hier doch um Humor gehen und nicht ums Lachen.
Das stimmt. Lachen hat nur einen großen Vorteil: Man kann es sehen. Im Gegensatz zu Humor. Wie viel Humor hast du? Ein Humor, drei Humor? Das ist schwer zu beziffern. Die Lachwissenschaft (gibt es wirklich, heißt „Gelotologie“) kann deshalb dabei helfen, Humor zu verstehen.
Okay. Aber warum ist das überhaupt wichtig – Humor zu verstehen?
Wahrscheinlich teilst du mit deinen Freund:innen denselben Humor. Wenn man Menschen fragt, was ihnen an ihrem Partner oder ihrer Partnerin wichtig ist, sagen sie oft: Humor. Wir fetzen uns mit unseren Kolleg:innen, weil sie den Auftritt von Dieter Nuhr gar nicht so schlimm fanden. Oder noch schlimmer: weil sie über Mario Barth lachen! Und wir loben unsere Kollegen (ja, meistens die männlichen, dazu unten mehr) für ihren tollen Humor. Wenn wir unserem Freund ein superwitziges Video schicken und er nur müde lächelt, kränkt uns das.
Und trotzdem wissen wir erstaunlich wenig darüber, warum wir manche Dinge witzig finden und andere beleidigend unkomisch. Außerdem endet jede Debatte immer gleich. Humor ist halt …
… Geschmackssache.
Genau. Und Lachen ist die beste …
Medizin.
Korrekt. Aber warum eigentlich? Wenn wir das Lachen und den Humor verstehen, könnte uns das eine Menge Stress ersparen. Humor ist nämlich nicht nur nice to have. Humor dient auch als Klebstoff zwischen den Menschen. Insiderwitze halten Gruppen zusammen. Humor ist ein Eisbrecher. Er folgt Regeln, die man lernen kann. Möglicherweise bist du nach diesem Text sogar ein paar Prozentpunkte witziger!
Noch witziger?
Wie wir Textverkäufer sagen: The sky is the limit.
Na gut. Aber lass uns die Dinge mal entwirren. Lachen und Humor sind nicht dasselbe.
Stimmt, Lachen verhält sich zu Humor wie Symptome zu einer Krankheit. Humor ist kein Verhalten, sondern ein Prozess. Bei Humor geht es darum, wie wir mit widersprüchlichen Informationen umgehen. Mit Konflikten.
Mit Konflikten?
Also, nicht mit dem Nahostkonflikt. Es geht nicht um Konflikte zwischen Menschen. Sondern um viel kleinere Konflikte, nämlich um solche im Gehirn.
Hä? Dein Gehirn hat Konflikte!
Was ich damit sagen will: Die Hirnforschung hat in den vergangenen Jahrzehnten erkannt, dass Menschen permanent Hypothesen aufstellen. Wir berechnen ständig, was als Nächstes passieren wird und wie sich jemand als Nächstes verhält. Damit wir wissen, was wir als Nächstes tun sollen.
Ein einfaches Beispiel:
„Ich esse meine Suppe am liebsten mit einem großen Fahrrad.“
Aha.
Bei jedem Wort dieses Satzes berechnet dein Gehirn, welches Wort als Nächstes kommen könnte. Du hast schon einige Suppen gegessen und weißt deshalb einiges über die Tätigkeit des Suppeessens. Deshalb bist du dir auch relativ sicher, dass am Ende des Satzes „Löffel“ kommt. Stattdessen: „Fahrrad“. Dein Gehirn löst ein Fehlersignal aus. Et voilà: ein Konflikt im Gehirn. Oder, umgangssprachlich: eine gebrochene Erwartung. Oder, hochwissenschaftlich: Inkongruenz.
Das klingt stressig.
Ganz im Gegenteil! Das ist kein Stress, sondern eine Belohnung. Das Gehirn schüttet Dopamin aus, wenn eine der vielen tausend Minihypothesen, die wir täglich aufstellen, gebrochen wird. Wie beim Sex! Wie beim Schokoladeessen! Überraschungen gehören zu den positivsten Emotionen, die wir überhaupt erleben können:
Also ich lache nicht jedes Mal, wenn mich etwas überrascht.
Das stimmt. Eine gebrochene Erwartung ist erst dann witzig, wenn sie zwei Skripte miteinander vermischt, die normalerweise nicht vermischt werden.
Skripte?
Skripte sind abstrakte allgemeine Erinnerungen für die typischen Aktivitäten, die bei Routineereignissen auftreten. Klingt kompliziert, ein Beispiel: Wenn wir an eine klischeehafte Einbruchsszene aus einem Film denken, ist in unserem Gedächtnis alles abgespeichert, was wir damit verbinden. Ein Einbrecher macht sich an der Tür zu schaffen, das Haus ist dunkel, jemand wird mitten in der Nacht überrascht.
Und nun, ein Witz:
Neulich habe ich einen Einbrecher in meinem Pyjama verjagt. Warum er meinen Pyjama trug, weiß ich nicht.
In unserem Gedächtnis gibt es Skripte über Einbrecher und über Pyjamas. Nur: Normalerweise gehört das Skript des Pyjamas zu dem Bewohner des Hauses. Der Witz vermischt die Skripte. Das überrascht und zeigt uns eine Perspektive auf die Welt, die wir bis dahin noch nicht hatten (ein Einbrecher in meinem Pyjama?). Diese neue Perspektive auf die Welt nennt der US-amerikanische Neurowissenschaftler Scott Weems Auflösung, durch den Konflikt entsteht ein neues Bild in unserem Kopf.
Wir haben übrigens so viel intuitives Wissen darüber, wie Humor funktioniert, dass wir auch Erwartungen an die Struktur von Witzen haben. Wenn diese gebrochen werden, kann das witzig sein.
Ein Rabbi, ein Priester und ein Mönch gehen in eine Bar. Sagt der Barkeeper: „Was ist das? Ein Witz?“
Das erklärt, warum ich manche Dinge witzig finde und andere nicht. Aber warum finden Menschen Mario Barth witzig?
Der US-amerikanische Psychologe Peter Derks hat sich eine Formel ausgedacht, die deine Frage zum Teil beantwortet:
Humor = Salienz (Merkmal + Zustand) x Inkongruenz + Auflösung
Ja klar, verstehe ich sofort.
Über den hinteren Teil haben wir gerade schon gesprochen: Wir lachen über Dinge, die uns überraschen (Inkongruenz oder Konflikt) und die uns dazu bringen, Dinge in einem neuen Licht zu sehen (Auflösung), weil es Skripte vermischt, die wir normalerweise nicht vermischen.
Und was ist Salienz?
Beim vorderen Teil geht es nicht um den Witz selbst, sondern um dich. Um das Publikum. Salienz bedeutet, ob wir einen Witz als Witz wahrnehmen. Dafür muss er herausstechen. Das bedeutet Salienz: Auffälligkeit. Ob wir einen Witz als Witz erkennen, hängt von uns ab, von unseren Merkmalen und Zuständen. Merkmale sind konstant: Ich bin 1,82 Meter groß, weiß, männlich, ein wahnsinnig guter Basketballer.
Mein Zustand ist flexibel: Ich bin heute morgen etwas verklatscht aufgewacht, weil ich mit meinem Kollegen Philipp (der auch noch diesen Text redigiert hat) vier Bier in einer Kneipe getrunken habe. Das machen wir aber nicht jeden Abend, sonst wäre das schon ein Merkmal (soweit sollte es nicht kommen).
Das heißt, wenn man der Frage nachgeht, worüber Menschen lachen und worüber nicht, findet man die Antwort nicht nur bei den Witzen, sondern auch bei den Menschen?
Genau. Ob wir etwas witzig finden, hängt auch von unserer Einstellung zum Thema des Witzes ab und davon, ob wir gerade gut drauf sind. Wenn mein Chef mir den Urlaub cancelt, finde ich gerade überhaupt nichts witzig. Wissenschaftler:innen sprechen da zusammenfassend vom Referenzrahmen. All das wird oben in der Formel unter dem Stichwort Salienz zusammengefasst.
Wenn der Referenzrahmen gleich ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit schon mal höher, dass du und dein bester Freund über einen Witz lachen.
Wenn der Referenzrahmen nicht gleich oder nicht zumindest ähnlich ist, dann kommt es zu großen Unterschieden. Manche lachen dann über den Komiker Mario Barth, andere finden ihn überhaupt nicht witzig. Beides sagt etwas darüber aus, woher wir kommen, was uns wichtig ist und welche Erfahrungen wir in unserem Leben bisher gemacht haben. Sich über Menschen lustig zu machen, die Mario Barth witzig finden, gehört schon fast zum guten Ton. Aber man kann über fast alles lachen, wenn man in der richtigen Stimmung ist.
Okay, das ist ausgefuchst. Aber ich lache nicht nur, wenn meine Erwartungen gebrochen werden. Ich lache ständig über andere Sachen. Früher fand ich „Upps! Die Pannenshow“ zum Schreien komisch.
Es gibt viele Humortheorien. Sehr viele. Ich kann sie unmöglich alle erklären. Aber drei dieser Theorien sind sehr bekannt, sie nicht zu erwähnen, wäre töricht. Der Vollständigkeit halber:
- Die Überlegenheitstheorie: Sie geht auf den griechischen Philosophen Aristoteles zurück und beleuchtet eher die dunkle Seite des Humors. Wir lachen immer dann, wenn wir uns einem Mitmenschen gegenüber überlegen fühlen. Zum Beispiel, wenn jemand einen Teller fallen lässt.
- Die Entladungstheorie: Sie geht zurück auf den Psychoanalytiker Sigmund Freud. Nach Freud dient Humor dazu, psychologische Spannungen oder Hemmungen aufzulösen: Wer lacht, legt unterdrückte Wünsche offen. Deswegen lacht man über gesellschaftliche Autoritäten (weil man sie insgeheim gerne abschaffen würde).
- Die Inkongruenztheorie: Bekannt unter anderem durch den römischen Rhetoriker Cicero. Sie besagt, dass wir immer dann lachen, wenn ein überraschender Wechsel zu einer anderen, meist trivialeren Sichtweise stattfindet. Eine Situation wird also aus einer für uns neuen Perspektive beurteilt. In diese Kategorie fallen eigentlich alle Witze, die ich bisher gemacht habe.
Sie ist auch die Theorie, die man am häufigsten in moderner Forschung findet. Aber: Die eine allumfassende Humortheorie, die jedes Auftreten von Humor erklärt, gibt es nicht.
Worüber wir zum Beispiel noch gar nicht gesprochen haben, ist, welche Rolle Anspannung spielt. Wir lachen auch dann, wenn sich gesammelte Anspannung löst. Auch darüber haben wir intuitives Wissen. So viel, dass es uns wahnsinnig stresst, wenn Anspannung mal nicht gelöst wird.
Am besten kann man das an einem Beispiel von Hannah Gadsby sehen. Die lesbische Komikerin hat die Anspannung in ihrem Programm „Nanette“ auf die Spitze getrieben. In dem Programm kündigt sie an, mit Comedy aufzuhören. Weil sie immer nur Witze über sich selbst gemacht habe. Sie erzählt, wie ein Typ an einer Bushaltestelle sie mal fast geschlagen hätte, weil er dachte, sie würde mit seiner Freundin flirten. Der Typ hat sie geschubst, bis die Freundin dazwischen gegangen ist („Stopp! Das ist doch ein Mädchen!“). Dann hat er sofort aufgehört („Ich schlage keine Mädchen“). Gegen Ende des Programms sagt sie, dass sie diese Geschichte nie ganz zu Ende erzählt hat:
https://www.youtube.com/watch?v=IuoTAkn-0DQ&t=158s
Sie habe weggelassen, dass der Typ, der sie an einer Bushaltestelle beleidigt hatte, zurückkam und sie verprügelt hat. „He beat the shit out of me and nobody stopped him!“, schreit sie. Sie sagt, dass sie nicht die Polizei gerufen habe und nicht ins Krankenhaus gegangen sei, weil sie dachte, sie sei es nicht wert. Gadsby hat dabei Tränen in den Augen und im Saal ist es komplett still. Dann sagt sie: „Diese Anspannung gehört jetzt euch. Ich helfe euch damit nicht mehr. Ihr müsst lernen, wie sich das anfühlt. Denn diese Anspannung tragen Nicht-Normale immer in sich.“
Eine ungewöhnliche Art, lustig zu sein.
Ein paar Sekunden später macht sie dann doch noch einen Witz und löst die Anspannung auf (es ist immer noch ein Comedy-Programm, wenn auch ein außergewöhnlich emotionales).
Ich will hier aber nicht die Stimmung verderben. Ein paar harte Fakten: Die witzigsten Witze der Welt sind 103 Zeichen lang. Das witzigste Tier der Welt: die Ente.
Und 15 Uhr ist die witzigste Uhrzeit oder was?
Natürlich nicht, das ist 18.03 Uhr.
Das ist doch Quatsch!
Nein, das ist Wissenschaft. Der britische Psychologe Richard Wiseman ließ in seinem sogenannten LaughLab Menschen online darüber abstimmen, wie witzig sie vorgegebene Witze finden. Sie konnten auch eigene Witze einreichen. Als er die Daten auswertete, kam das dabei heraus: Um 18.03 Uhr fanden die Besucher:innen der Webseite die Witze durchschnittlich am witzigsten. Und von allen Tierwitzen kamen die Entenwitze am besten an.
Das heißt, es gab auch einen Witz, der insgesamt am besten ankam?
Klar. Und da über 1,5 Millionen Menschen mitgemacht haben, könnte man diesen durchaus als den witzigsten Witz der Welt bezeichnen.
Also … Trommelwirbel. Hier kommt er:
Zwei Jäger gehen durch den Wald. Plötzlich bricht einer zusammen. Der andere ruft sofort den Notarzt. „Ich glaube, mein Freund ist tot! Was soll ich machen?“ Der Notarzt sagt: „Vergewissern Sie sich zunächst, dass er wirklich tot ist.“ Daraufhin ertönt ein Schuss. „Okay“, sagt der Jäger zum Notarzt, „und jetzt?“
Joa, da habe ich jetzt mehr erwartet.
Das ist eine wichtige Lektion: Es gibt keinen einzigen Witz auf der Welt, den ausnahmslos alle witzig finden. Stichwort: Referenzrahmen! Und gleichzeitig können wir, unter den richtigen Umständen, fast über alles lachen.
Na ja. Da gibt es doch schon Grenzen. Es gibt doch Dinge, über die man keine Witze machen sollte.
Ich habe zu Beginn dieser Recherche die Krautreporter-Leser:innen genau das gefragt. 640 Menschen haben bei dieser Umfrage mitgemacht.
Die allermeisten sind der Ansicht, dass man zum Beispiel bei Witzen über Minderheiten aufpassen sollte. Über 300 Teilnehmer:innen haben angegeben, dass es darauf ankommt, wer den Witz macht. Was sie damit meinen: Juden können Witze über Juden machen. Wenn nicht-jüdische Comedians sich in Deutschland auf die Bühne stellen und Witze über Juden machen, ist das schon schwieriger. Auch da kommt es auf den Referenzrahmen an.
Das verstehe ich noch nicht ganz. Meine Stimmung ist gut, ich kenne mich durchaus mit jüdischem Leben aus, der Referenzrahmen stimmt also, aber Witze über Juden finde ich nicht witzig.
Okay, mit einem anderen Beispiel wird das deutlicher. Derjenige, der den Witz macht, kann den Referenzrahmen nämlich beeinflussen. In meiner Umfrage haben viele Teilnehmer:innen angegeben, man solle keine Witze über Menschen mit Behinderung machen. Der Komiker Moritz Neumeier hat genau das gemacht. Er wurde deshalb aber nicht ausgebuht, weil er vorher den Referenzrahmen des Publikums verändert hat:
https://youtu.be/2nnHHN_lYb0?t=416
Nur: Auch dieser Referenzrahmen reicht nicht allen. Einige werden seine Witze trotzdem geschmacklos finden. Richtig problematisch wird es erst, wenn der Referenzrahmen ganz fehlt. Wenn ein einzelner Witz (ob von der Kabarettistin Lisa Eckhart oder dem Komiker Dieter Nuhr) aus einem Programm herausgeschnitten und in den sozialen Medien verteilt wird, fehlt ein großer Teil des Witzes: der Kontext. Dann ist der Aufschrei groß. Wenn man sich dann das ganze Programm anschaut und immer noch wütend ist, hat es der oder die Comedian verpasst, einen passenden Referenzrahmen zu bilden. Ergebnis: Shitstorm. Manchmal: selbst schuld.
Okay. Wenn wir schon bei Comedians sind: Was passiert denn im Gehirn, wenn wir Witze erzählen? Und nicht nur hören?
Das kommt drauf an, ob du ein professioneller Comedian bist. Bist du ein professioneller Comedian?
Nein.
Schade.
Ja, aber vielleicht werde ich ja noch einer. Kann man das lernen – witzig sein?
Durchaus. Die israelische Psychologin Ofra Nevo hat in einer Studie versucht, Menschen witziger zu machen. Dafür hat sie Lehrerinnen (ausschließlich Frauen) einen siebenwöchigen Kurs erteilt, insgesamt mehr als 20 Stunden Training. Drei Kontrollgruppen hat sie entweder nur einen Teil des Trainings gegeben oder gar keins. Das Umfeld der Teilnehmerinnen hat vorher und nachher mit verschiedenen Tests bewertet, wie witzig die Testpersonen sind. Und tatsächlich: Die Lehrerinnen, die trainiert wurden, wurden anschließend als 15 Prozent witziger bewertet.
Und wenn ich, wie beim Klavierspielen, schon als Kind damit anfange, kann ich dann auch Profi werden?
Das ist zu vermuten. Kinder haben allerdings nochmal einen ganz anderen Humor.
Inwiefern?
Zum einen haben Kinder viel weniger Erfahrungen gemacht. Wenn Erwachsene einen Witz über einen Film machen, können Kinder das gar nicht witzig finden, weil sie den Film gar nicht kennen. Nochmal Stichwort: Referenzrahmen.
Die Medienwissenschaftlerin Maya Götz forscht regelmäßig zu Kinderhumor. Unter anderem, indem sie Menschen verschiedenen Alters eine Folge der US-amerikanischen Fernsehserie „Die Simpsons“ gucken lässt und dann schaut, an welchen Stellen sie lachen. Die ganz jungen Kinder lachen über den Slapstick-Humor von Bart und Lisa. Die Kinder zwischen zehn und 13 Jahren lachen vor allem über die Regelübertretungen von Bart Simpson. Und für die Erwachsenen ist die subtile Kritik an der amerikanischen Gesellschaft am witzigsten. Wenn die Teilnehmer:innen die Folge nacherzählt haben, waren es im Prinzip drei unterschiedliche Sendungen.
Gibt es auch kulturelle Unterschiede?
Ja, ein paar. Kinder in Irland finden Ironie früher witzig, denn dort wird zuhause so viel ironisiert, dass sie Ironie schneller entlarven. In den USA finden Kinder Explosionen witziger, in Deutschland vor allem Wortwitze. Und in Lateinamerika lachen die Menschen grundsätzlich mehr, egal, worum es geht.
Aber über Zeichentrickfiguren, die sich wehtun, lachen doch wirklich alle Kinder!
Das stimmt nicht. Wenn sich Menschen oder Figuren wehtun, finden Vorschulkinder das schrecklich, das zeigt die Forschung. Nimm zum Beispiel die Zeichentrickfiguren Tom und Jerry, bei denen ständig die Körper verformt werden, einer von beiden rennt irgendwo gegen – Kinder unter sieben Jahren sind da geschockt. Was sie witzig finden: Wenn Figuren sich komisch bewegen. „The Ministry of Silly Walks“ (das Ministerium für alberne Gangarten) von „Monty Python“ zum Beispiel.
https://www.youtube.com/watch?v=eCLp7zodUiI
Das ist mir jetzt unangenehm. Aber: Sind Männer eigentlich witziger als Frauen?
Das muss dir nicht unangenehm sein. Das hier ist unangenehm:
„In der amerikanischen Mittelstandsgesellschaft ist es unumstößlich, dass Frauen keine Witze erzählen können – sie ruinieren zwangsläufig die Pointe, sie bringen die Reihenfolge durcheinander und so weiter. Außerdem verstehen sie keine Witze. Kurz gesagt: Frauen haben keinen Sinn für Humor.“
Das hat kein blöder Macho gesagt, sondern eine der angesehensten Sprachwissenschaftlerinnen der Welt: Robin Lakoff. Sie forscht an der University of California in Berkeley und das Zitat ist selbstverständlich aus dem Kontext gerissen. Ihr ging es darum, dass Frauen in einer männerdominierten Welt das Werkzeug des Humors genommen wird, weil sie anders kommunizieren und Männer darüber bestimmen, was witzig ist und was nicht. Frauen mit Humor haben sogar schlechtere Karrierechancen. Diese Studie zeigt: Der Humor von Männern gilt als fördernd und positiv, der von Frauen eher als störend.
Allan Reiss, ein amerikanischer Neuropsychologe, hat herausgefunden, dass Frauen Witze tatsächlich witziger finden. Reiss hat den Teilnehmer:innen seines Experiments Cartoons gezeigt, die entweder witzig oder überhaupt nicht witzig waren und mit einem Magnetresonanztomografen gemessen, welche Gehirnregionen wann aktiv sind. Ein Ergebnis: Die entscheidende Region (der anteriore cinguläre Cortex) war bei Frauen deutlich aktiver als bei Männern.
Reiss erklärt sich das so: „Frauen schienen eine geringere Erwartungshaltung zu haben, belohnt zu werden. Als sie die Pointe des Witzes verstanden haben, freuten sie sich deshalb umso mehr darüber.“
Lange waren Frauen im Comedygeschäft ja eher die Ausnahme.
Wenn es sie überhaupt gab. In dem Buch „Deutscher Humor aus fünf Jahrhunderten“ (Erstveröffentlichung: 1925) kommt überhaupt keine Frau vor. Für diese Recherche habe ich auch mit dem Komiker Till Reiners gesprochen. Reiners ist Comedian. In seinem Podcast Jokes spricht er mit Comedians darüber, wie es ist, Comedian zu sein. Die Hälfte seiner Gäste sind weiblich. Er sagt:
„Männer haben wenig Lust, sich von Frauen die Welt erklären zu lassen. Und wer auf der Bühne steht, erklärt auch immer die Welt und hat eine Deutungshoheit. Frauen sind natürlich so lustig wie Männer, aber sie müssen das den Männern so richtig doll zeigen.“
So männlich wie früher ist das Comedy-Geschäft schon lange nicht mehr. Denn Humor und die Gesellschaft sind nicht voneinander zu trennen. Die Kultur, in der man aufwächst, ist der größte und verbindendste Referenzrahmen, den es gibt. Ändert sich die Gesellschaft, ändert sich auch unser Geschmack; also was wir witzig finden und was nicht.
Moment mal: Hast du mich gerade 22 Minuten lang in die Humorforschung eingeweiht, um am Ende zu sagen, dass Humor wirklich Geschmackssache ist?
Ähm.
Hast du?
…
Hallo?
Ich habe mit Till Reiners darüber gesprochen, warum er auf der Bühne steht, warum er Mario Barth bewundert, was deutsche Comedy von amerikanischer unterscheidet und inwiefern Humor Machtverhältnisse widerspiegelt. Das Interview verschicke ich nächste Woche in meinem Newsletter. Hier kannst du ihn abonnieren.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger.