Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren in einem Jobcenter in einer großen Stadt. Der Job kann sehr viel Spaß machen, er ist anspruchsvoll und sinnvoll. In den letzten zwei, drei Jahren ist meine Arbeit aber sehr anstrengend geworden. Denn durch das jahrelange Wirtschaftswachstum ist eigentlich fast jeder, der einen Job haben wollte und dazu in der Lage war, auch in Arbeit gekommen.
Durch Corona haben wir jetzt im Jobcenter auch einige Leute, die in Kurzarbeit sind und dadurch aufstocken müssen, aber mit denen machen wir gerade noch nichts. Ansonsten sind bei uns hauptsächlich Menschen, die entweder nicht vom Jobcenter wegwollen oder nicht wegkönnen: Alleinerziehende Mütter, psychisch Kranke oder Menschen mit Migrationshintergrund, die schon älter sind und in ihren Heimatländern kaum Bildung bekommen haben. Ich habe tatsächlich manchmal einen syrischen Ziegenhirten vor mir sitzen oder einen, der in den Kolchosen der Sowjetunion Traktor gefahren ist. Wenn jemand 35 oder 40 Jahre alt ist und nicht gelernt hat, in seiner Muttersprache zu lesen oder zu schreiben, hat der auf dem deutschen Arbeitsmarkt kaum eine Chance.
Mir fehlt bei vielen die Bereitschaft, sich anzustrengen
Und dann gibt es die Fälle von vererbter Arbeitslosigkeit. Menschen, die in dritter Generation vom Amt leben. Für sie ist es oft schwer, von der Grundsicherung wegzukommen. Es ist hart, eine Ausbildung zu machen, wenn die Eltern oder der Partner nicht verstehen, wozu das gut sein soll. Aber viele wollen auch einfach nicht vom Jobcenter weg. Den Leuten kann ich vorschlagen, was ich will, sie nehmen nichts davon an. Es ist erschreckend, wenn ich jemanden seit Jahren kenne und merke: Da hat sich nichts entwickelt. Der wird beim Jobcenter bleiben, selbst wenn ich ihm noch so viele Fortbildungen finanzieren würde.
Ich komme selbst aus einer armen Familie, ich musste die Klamotten meiner Schwester tragen und bin vor dem Abitur zuhause rausgeflogen. Immer wieder haben mich Familie, Lehrer, Freunde entmutigt. Mit 15 haben sie mir gesagt: „Du bist so dumm, du wirst nicht mal deinen Hauptschulabschluss schaffen.“ Mit 18 haben sie mir gesagt: „Versuch dich bloß nicht am Abitur.“ Trotzdem habe ich irgendwann mein Wirtschaftsstudium mit Auszeichnung abgeschlossen. Es war eine verdammt harte Zeit, aber es war möglich. Und diesen Willen, sich anzustrengen, den ich damals hatte, sehe ich bei meiner Kundschaft oft nicht.
Wenn ich Artikel über das Jobcenter lese, bin ich oft wütend
Wenn ich Artikel über meinen Arbeitgeber lese, machen die mich oft wütend. Etwa, wenn das Jobcenter mal wieder als ein Hort des Bösen beschrieben wird. Ich verstehe nicht, warum wir als Sozialbehörde ständig angegriffen werden. Schließlich sind wir für eine gute und wichtige Aufgabe zuständig: das Existenzminimum zu sichern. Und das funktioniert auch sehr gut.
In vielen Artikeln klingt es so, als ob wir Jobvermittler sadistische Menschen wären, denen es Spaß macht, andere zu gängeln. Und das stimmt einfach nicht. Bei der Bundesagentur für Arbeit sind 100.000 Menschen angestellt, das ist ein Querschnitt der Bevölkerung. Natürlich sind da auch Idioten dabei, aber im Großen und Ganzen sind das ganz normale Leute.
Gleichzeitig bin ich in meiner täglichen Arbeit mit strukturellen Problemen konfrontiert, die das Leben vieler Hartz-IV-Empfänger verschlechtern, während andere das System ausnutzen. Ich sehe also Tag für Tag Probleme, die niemanden zu interessieren scheinen. Und die auch so gut wie nie in Berichten auftauchen. Das mag daran liegen, dass man da schnell bei juristischen Feinheiten landet. Um die zu verstehen, braucht man einen Moment. Aber sie wirken sich direkt auf das Leben vieler Menschen aus.