Fröhliche Farben, die Beine doppelt so lang wie der Oberkörper, kein Gesicht, aber trotzdem freundlich. So sehen die Illustrationen aus, die uns in letzter Zeit online überall begegnen. Facebook hat sie, Wikipedia hat sie, Zeit Online hat sie und der Spiegel auch:
Und irgendwie sehen die Bilder doch alle recht ähnlich aus. Woher kommen diese Illustrationen und was hat es mit ihnen auf sich?
Einer der Menschen hinter diesen Figuren ist James Daly. Der australische Illustrator und Designer hat die Website Draw Kit gegründet. Dort bietet er Illustrationen an, die ziemlich genau so aussehen wie die, die sich zur Zeit überall online finden. Auf der Website gibt es eine so große Auswahl, dass sie zu verschiedenen Themenkomplexen zusammengefasst sind. Momentan ganz oben auf der Seite: Bilder zu den Themen „Homeoffice“ und „Black Lives Matter“ – eben das, was Medien gerade besonders oft suchen. Für die ist Draw Kit ein ziemlich guter Deal. Denn sie können sich die Grafiken kostenlos herunterladen und wenn nötig Farben und die Größe ändern, um sie ihrem Stil anzupassen.
Als Daly 2018 anfing, so erzählt er im Videocall, habe er nur einen weiteren Onlinedienst gekannt, der diese Art kostenlose Illustrationen anbot. Er arbeitete damals als selbstständiger Webdesigner, habe aber schon immer lieber illustriert. Zum Üben gründete er Draw Kit: Eine Firma, bestehend aus einem Mann und seinem I-Pad. Er hat mit der Website einen guten Sinn fürs Geschäft bewiesen. Innerhalb der ersten Woche wurden 1.000 Illustrationen heruntergeladen und 800 Leute trugen sich in die Mailingliste ein, in der Daly wöchentlich die neuen Illustrationen verschickt.
Dass Draw Kit erfolgreich ist, kam nicht überraschend. Denn wir leben im Zeitalter der Illustration. Vor allem online nutzen Medien immer häufiger Illustrationen. Schließlich machen Bilder jede Webseite etwas bunter. Visuelle Darstellungen helfen, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und prägen den Eindruck, den wir von einer Website und dem Team dahinter haben. Sie vermitteln ein Gefühl. In den sozialen Medien helfen Bilder außerdem, Reichweite zu schaffen.
Woher die Illustrationen kommen
Dalys Grafiken auf Draw Kit sind kostenfrei – die Bezahlung ist freiwillig. Doch das funktioniert überraschend gut, erzählt er: „Man glaubt nicht, wie großzügig manche Leute sind.“ Das liegt auch daran, dass Daly es geschickt angestellt hat. Was am Erscheinungstag passieren sollte, in den sozialen Medien und auf der Seite, hatte Daly vorher lange geplant.
Zum Launchtag postete Daly Draw Kit bei Product Hunt, einer Webseite, die neue Tech-Produkte empfiehlt. Draw Kit landete prompt auf Platz 1. „Ich bin kurz duschen gegangen, um nicht die ganze Zeit sinnlos die Seite zu aktualisieren, und als ich zurückkam, stellte ich fest, dass Draw Kit es auf die Startseite geschafft hatte! Es passierte wirklich“, schreibt Daly in einem Artikel darüber, wie Draw Kit entstanden ist und sich entwickelt hat.
Daly ist mit Draw Kit geradewegs in einen Illustrationstrend hinein gestartet. In einen Trend, an den wir uns vielleicht in ein paar Jahrzehnten erinnern werden, wenn wir an die 2020er Jahre zurückdenken. Im Englischen heißt dieser Stil „Flat Design“: Einfache, geometrische Formen und Motive, die eher zweidimensional gezeigt werden, oft in Pastellfarben. Hat man in letzter Zeit öfter gesehen, oder?
Warum sie überall sind
Daly hat diesen Stil bewusst für seine Draw-Kit-Illustrationen genutzt, sagt er. Zum einen, weil er ihm selbst gefallen habe, zum anderen, weil es wirtschaftlich sinnvoll war. Denn die Flat-Design-Illustrationen erfüllen viele Anforderungen von Unternehmen und Webdesigner:innen: „Es musste freundlich und nicht zu speziell aussehen. Allerdings auch nicht zu sehr nach Massenware.“
All das ist mit den Illustrationen im Flat-Design-Stil möglich. Ihre Farbe und Größe lassen sich leicht bearbeiten, so dass Nutzer:innen sie einfach an ihre Wünsche anpassen können. Außerdem sehen sie häufig fröhlich und optimistisch aus und helfen so, Besucher:innen einer Website ein positives Bild zu vermitteln. Im Vergleich zu Fotos verbrauchen sie deutlich weniger Speicherplatz. Das hilft Seiten, sich schneller aufzubauen, zum Beispiel auf dem Handy.
All das hat dazu geführt, dass Flat Design überall ist. Das birgt aber auch die Gefahr, dass die Grafiken austauschbar werden, sagt der Illustrator Daly. Schließlich will keine:r einen Onlineauftritt, der aussieht wie andere.
Was davon bleiben wird
Deshalb entwickelt sich auch Draw Kit weiter. Vor einer Weile hat ein kanadischer Unternehmer Daly kontaktiert und ihm eine Kooperation angeboten. Draw Kit ist jetzt Teil eines größeren Unternehmens namens Designstripe. Das Ziel: Mehr Illustrationen in ganz unterschiedlichen Stilen anbieten. So will das Unternehmen nicht nur verschiedene Nutzer:innen ansprechen – sondern mithilfe von mehr Diversität verhindern, dass das Flat Design sich selbst abschafft.
Ob das gelingt, werden wir erst in einigen Jahren wissen. Vielleicht werden die Figuren mit ihren merkwürdig abstrakten Körpern und dem milden Ausdruck in 30 Jahren für uns etwas sein, an das wir gern zurückdenken. Vielleicht ist es dafür aber auch schon zu spät und die Illustrationen werden als die Schulterpolster der 2020er in die Geschichte eingehen.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Martin Gommel.